TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/9 W123 2229571-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.03.2021
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Entscheidungsdatum

09.03.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W123 2229571-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen - BBU, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.02.2020, 1236071909/190658636, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 01.07.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Im Rahmen der am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund vor, dass 2019 in Kabul mehrere Sikh-Angehörige seinen Bruder über das Handy bedroht hätten und deswegen der Beschwerdeführer Angst gehabt hätte. Warum sie den Bruder bedroht hätten, könne der Beschwerdeführer nicht sagen. Die Afghanen hätten Probleme mit den Sikhs.

3.       Am 19.12.2019 erfolgte die Einvernahme vor der belangten Behörde. Die Niederschrift lautet auszugsweise:

„[…]

LA:      Sie haben in Österreich um internationalen Schutz angesucht. Nennen Sie mir bitte den Zeitpunkt Ihrer Verfolgung.

VP:      Seitdem ich etwas erwachsen wurde, eigentlich seit dem Tod meines Vaters habe ich Gefahr gespürt. Befragt gebe ich an, dass mein Vater vor ca. 7-8 Jahre verstorben ist.

LA:      Wer konkret hat Sie verfolgt, durch wen sind Ihre Probleme entstanden?

VP:      Mein Bruder bekam immer Drohanrufe. Ich war immer nur zu Hause. Nur am Sonntag ging ich in den Sikhtempel. Meine Familie wurde von den Muslimen verfolgt. Immer wenn wir gesehen wurden, wurden wir von Muslimen mit Steinen beworfen oder geschlagen.

LA:      Wie lange ist Ihre Familie in Afghanistan?

VP:      Das kann ich nicht sagen.

Frage an die Mutter: Hat Ihr Vater schon in Afghanistan gelebt?

Mutter: Mein Vater und meine Großeltern lebten schon in Afghanistan. Sie verstarben aber bevor mein Sohn Gurpal auf die Welt kam.

LA:      Erzählen Sie mir bitte mehr über die Verfolgungshandlung. Machten Sie Meldung bei der Polizei.

VP:      Ich glaube, dass sie mich beschimpft haben, ich habe sie ja nicht verstanden. Mit Steinen wurde ich beworfen.

LA:      Haben Sie nun alle Ihre Fluchtgründe vorgebracht?

VP:      Ja, ich hatte Angst um mein Leben. Mein Vater wurde vor ca. 8 Jahren erschossen. Er war auf dem Weg ins Geschäft.

LA:      Wäre das nicht ein Grund gewesen Afghanistan seinerzeit zu verlassen?

VP:      Zu dieser Zeit hatten wir diese Möglichkeit nicht. Meine Mutter wurde in Sicherheit gebracht, wir wurden nach Kabul gebracht.

[…]

LA:      Was hat Ihre Familie veranlasst Afghanistan jetzt zu verlassen?

VP:      Meine Mutter war bereits hier. Ich bin erst nachgekommen. Befragt gebe ich an, dass ich bis dahin in Kabul gelebt habe.

LA:      Hätte Ihre Mutter Österreich nicht erreicht, wären Sie dann noch in Kabul?

VP:      Vielleicht, ich kann es nicht sagen.

LA:      Was hätten Sie im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten?

VP:      Ich fürchte um mein Leben.

[…]“

4.       Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 06.08.2020 erteilt (Spruchpunkt III.).

5.       Gegen den obgenannten Bescheid der belangten Behörde richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 11.03.2020, in welcher zusammenfassend ausgeführt wurde, dass die Familie des Beschwerdeführers dauerhaft bedroht, erniedrigt, beleidigt und geschlagen worden sei. Der Bruder des Beschwerdeführers habe Drohanrufe bekommen und der Beschwerdeführer selbst sei immer zuhause geblieben.

Der Verfassungsgerichtshof habe ausgeführt, dass nicht-muslimische religiöse Minderheiten, insbesondere Christen, Hindus und Sikhs, weiterhin durch das geltende Recht diskriminiert würden. Anhand der nach wie vor bestehenden Situation für Angehörige der Sikh-Minderheit sei es demnach nicht auszuschließen, dass die Handlungen Dritter in Verbindung mit der Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers stünden. Der Beschwerdeführer habe im Hinblick auf die gegen ihn erfolgte Bedrohungslage vorgebracht, dass diese sich ausschließlich aufgrund seiner Religionszugehörigkeit zu den Sikhs ereignet habe.

6.       Am 02.03.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentlich mündliche Verhandlung statt, in der die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers zum Asylgrund folgendes vorbrachte:

„Wie sich aus den Feststellungen zu Afghanistan ergibt, sind Sikh sozialen Diskriminierungen, Belästigungen und Gewalt ausgesetzt, wovon der BF und seine Familie persönlich betroffen waren. Aufgrund dieser religiös-motivierten Übergriffe fällt der BF als Angehöriger einer religiösen Minderheit in eine von UNHCR angeführte Risikogruppe. Die Umstände, dass der BF als Angehöriger der Sikhs ständigen Diskriminierungen und Gefährdungen ausgesetzt war, lassen ihn in Afghanistan, aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer religiösen Minderheit, in erheblichen Maße gefährdet erscheint. Der BF würde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Zugehörigkeit der Glaubensgemeinschaft der Sikhs asylrelevant verfolgt werden (vgl. BVwG W121 2123202-1 vom 24.05.2017, BVwG W173 2167976-1/8E vom 15.10.2018).“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen:

1.1.1. Der Beschwerdeführer nennt sich XXXX und ist ein Staatsangehöriger Afghanistans. Er gehört der Volksgruppe der Sikhs an.

1.1.2. Der Beschwerdeführer ist in XXXX /Afghanistan geboren und aufgewachsen. Der Vater des Beschwerdeführers verstarb vor ca. 9 Jahren. Die Mutter und die beiden minderjährigen Brüder des Beschwerdeführers reisten im Jahr 2016 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 05.03.2016 Anträge auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer sowie seine beiden älteren Brüder blieben zu diesem Zeitpunkt in Afghanistan und lebten in der Stadt Kabul. Der Beschwerdeführer verfügt über keine Schul- und Ausbildung in Afghanistan.

Im Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers aus Afghanistan verblieben die beiden älteren Brüder in Afghanistan. Es kann nicht festgestellt werden, ob die beiden älteren Brüder des Beschwerdeführers nach wie vor in Afghanistan leben oder in ein anderes Land gezogen sind.

1.1.3. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2019, W156 2187314-1/12E u.a., wurden die Beschwerden der Mutter des Beschwerdeführers bzw. der beiden minderjährigen Brüder gegen die Bescheide der belangten Behörde vom 21.01.2018 hinsichtlich Spruchpunkt I. des Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG wurde der Mutter und den beiden minderjährigen Brüdern des Beschwerdeführers der Status der subsidiär Schutzberechtigen in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.08.2019, W156 2187314-1/12E u.a., wurde kein Rechtsmittel erhoben.

1.1.4. Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass er in Afghanistan aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würde.

1.2. Zum Herkunftsstaat:

Auszug Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.12.2020

17.2 Sikhs und Hindus

Letzte Änderung: 16.12.2020

Die Gemeinschaft der Sikhs und Hindus schätzte 2019 ihre Größe in Afghanistan auf ca. 550 Personen, die anderen verließen Afghanistan im Laufe der Jahre. Im Jahr 2018 hatte sie noch 700 und im Jahr 2017 1.300 Personen umfasst (USDOS 10.06.2020). Noch vor einigen Jahrzehnten lebten einige Hunderttausend Hindus und Sikhs in Afghanistan (AJ 01.01.2017; vgl. AIIA 11.07.2018). Eine sich verschlechternde wirtschaftliche Lage der Gemeinschaften, erhöhte Sicherheitsbedenken sowie fehlender Zugang zum Arbeitsmarkt waren laut Sikh-Führern Hauptgrund einer verstärkten Emigration (USDOS 10.06.2020). Hindus und Sikhs leben im 1. Kabuler Stadtbezirk im Stadtteil Hindu Gozar (AAN 19.03.2019) sowie in den Provinzen Nangarhar und Ghazni. Es gibt zwei aktive Gurudwaras (Gebetsstätten der Sikhs) in Kabul und vier Hindu-Tempel landesweit, davon zwei in Kabul sowie je einen in Jalalabad und Helmand (AA 16.07.2020).

Berichten zufolge werden Hindus und Sikhs von großen Teilen der muslimischen Bevölkerung als Außenseiter betrachtet (AA 16.07.2020). Sie sind verbalen Übergriffen, Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, können jedoch ihren Glauben öffentlich ausüben. Quellen zufolge sind Hindus weniger gefährdet als Sikhs; der Grund dafür ist das Fehlen sichtbarer charakteristischer Merkmale (z.B. Kopfbedeckung) bei den Hindus (USDOS 10.06.2020). Sikhs sind zurückhaltend bei der Begehung religiöser Feste, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, und der Staat hat nur eingeschränkte Möglichkeiten, die Gemeinschaft vor alltäglichem sozialem Druck zu schützen. Der afghanische Staat verhält sich den in Afghanistan verbliebenen Sikhs gegenüber nicht feindlich (AIIA 11.07.2018). Staatliche Diskriminierung gibt es nicht, auch wenn der Weg in öffentliche Ämter für Hindus und Sikhs schon aufgrund fehlender Patronagenetzwerke schwierig ist (AA 16.07.2020).

Trotz gesellschaftlicher Diskriminierung bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften weiterhin Regierungsposten. Ein Sitz im Unterhaus ist für einen Vertreter der Hindu- und Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 10.06.2020). Dieser Sitz wird zurzeit durch Narender Singh bekleidet (AB 19.03.2019; vgl. RY 06.04.2019). Hindus und Sikhs vermeiden nach eigenen Angaben, Landstreitigkeiten über Gerichte beizulegen, da sie Angst vor Vergeltungsaktionen haben. Sie regeln Streitfälle mittels Gemeinschaftsversammlungen oder Mediation (USDOS 10.06.2020).

Hindus und Sikhs geben an, dass ihre Kinder in öffentlichen Schulen gehänselt und belästigt werden, manchmal bis zu dem Punkt, dass die Eltern sie aus dem Unterricht nehmen (USDOS 10.06.2020).

Hindus und Sikhs berichten weiterhin von Störungen während ihrer traditionellen Feuerbestattungen durch Anrainer ihrer Kremationsstätte (shamshan). Obwohl sie während der Einäscherungszeremonien die Regierung um Unterstützung für die Sicherheit bittet und diese auch erhält, sieht sich die Gemeinde weiterhin Protesten und Gewaltandrohungen ausgesetzt, die sie an der Ausübung der heiligen Praxis hindern (USDOS 10.06.2020; vgl. AIIA 11.07.2018).

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden.

2.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu Sprachkenntnissen und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde, in dem Beschwerdeschriftsatz und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Einleitend ist festzuhalten, dass aufgrund der obigen Länderberichten nicht davon auszugehen ist, dass Angehörige der Volksgruppe der Sikhs einer gezielten (systematischen) Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt wären (vgl. dazu ausführlich unten, 3.3.).

2.2.2. Der Beschwerdeführer hat weder im Rahmen der Einvernahme vor der belangten Behörde, noch im der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht eine konkret gegen ihn gerichtete persönliche Bedrohung vorgebracht. Bereits in der Erstbefragung wies der Beschwerdeführer auf Bedrohungen seines Bruders über das Handy hin (wobei in der Niederschrift irrtümlich „Sikhangehörige“ protokolliert wurde, vgl. Seite 5 Verhandlungsprotokoll). Dieses Vorbringen wiederholte der Beschwerdeführer in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (vgl. Seite 4 Verhandlungsprotokoll, arg. „R: Können Sie etwas Konkreteres sagen? Wurden Sie z.B. persönlich in Afghanistan bedroht? BF: Mein älterer Bruder bekam telefonische Drohungen. Man sagte ihm, er solle ihnen entweder Geld zahlen oder wir sollen die Religion wechseln. Wenn wir das nicht tun, werden wir ermordet.“). Im Gegensatz zu seinem älteren Bruder erhielt der Beschwerdeführer aber zu keinem Zeitpunkt in Afghanistan telefonische Bedrohungen und konnte auch keine näheren Angaben über die Personen tätigen, die seinen Bruder bedroht hätten (vgl. Seite 4 Verhandlungsprotokoll, arg. „R: Haben Sie auch telefonische Drohungen bekommen? BF: Nein, ich hatte zu diesem Zeitpunkt kein Handy. Ich hatte ein Spielhandy, damit habe ich nur gespielt, aber ich hatte keine SIM-Karte. R: Von wem bekam Ihr älterer Bruder diese Drohanrufe? BF: Das waren Muslime, aber mein Bruder kannte sie auch nicht.“). Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers hätten die Drohanrufe bereits begonnen, als der Beschwerdeführer noch sehr klein gewesen sei. Der Beschwerdeführer konnte diesbezüglich jedoch überhaupt keine zeitliche Einordnung vornehmen (vgl. Seite 4 f Verhandlungsprotokoll, arg. „R: Wann begannen diese Drohanrufe? Geben Sie Jahr und Monat an. BF: Ich war zu dieser Zeit noch sehr klein, es ist schon länger her. Man sagte mir nicht immer alles, aber ich spürte die Angst in ihnen. Das war ca. ein Jahr so. Ich bekam nur dann mit, dass mein Bruder diese Anrufe bekommt, wenn diese zuhause stattfanden. R: Wie lange vor Ihrer Flucht aus Afghanistan war das? BF: Das war immer schon so. In der Woche haben wir mindestens fünf bis sechs Anrufe erhalten. Es war selten der Fall, dass sie an einem Tag nicht angerufen haben. Danach haben sie ununterbrochen angerufen.“). Schließlich sind auch zu keinem Zeitpunkt in Afghanistan Personen zum Beschwerdeführer gekommen, um diesen persönlich zu bedrohen (vgl. Seite 7 Verhandlungsprotokoll).

2.2.3. Der Beschwerdeführer brachte bereits vor der belangten Behörde (abstrakt) vor, dass seine Familie von den „Muslimen“ verfolgt worden sei. Ferner, dass „immer, wenn wir gesehen wurden, wurden wir von Muslimen mit Steinen beworfen oder geschlagen“ (vgl. AS 230). Vor dem Bundesverwaltungsgericht behauptete der Beschwerdeführer überdies, dass „die Muslime“ ihn und seine Familie aufgefordert hätten, den Islam anzunehmen, ansonsten sie „uns das Leben nehmen werden“ (vgl. Seite 6 Verhandlungsprotokoll). Folgte man diesen Angaben, dann ist es aber umso unwahrscheinlicher, dass die Familie bzw. der Beschwerdeführer selbst über so viele Jahre weiterhin in Afghanistan leben konnten, obwohl sie der Forderung, den Islam anzunehmen, nicht nachgekommen sind. Zur Religionsausübung gab der Beschwerdeführer zudem selbst an, dass er in Afghanistan praktizierender Sikh gewesen sei und ihm überdies die Möglichkeit offenstand, am Sonntag in den Sikh-Tempel zu gehen, und zwar sowohl in seinem Herkunftsort XXXX , als auch in Kabul (vgl. Seite 5 f Verhandlungsprotokoll).

2.2.4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer keine individuelle Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit glaubhaft machen konnte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1.    Gemäß § 3 Abs. 1 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg.cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).

Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder in Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

3.2.    Zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, ist auf die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen. Die „Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung setzt positiv getroffene Feststellungen der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, 95/01/0627).

„Glaubhaftmachung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK ist die Beurteilung des Vorgetragenen daraufhin, inwieweit einer vernunftbegabten Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzugestehen ist oder nicht. Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden. Zudem ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen (vgl. VwGH 09.05.1996, 95/20/0380). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH 30.09.2004, 2001/20/0006, betreffend Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. VwGH 28.05.2009, 2007/19/1248; 23.01.1997, 95/20/0303) reichen für sich alleine nicht aus, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. VwGH 26.11.2003, 2001/20/0457).

Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0132; 13.09.2016, Ra 2016/01/0054). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233; VwSlg. 16.084 A/2003; VwGH 18.11.2015, Ra 2015/18/0220). Es ist für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass in der Vergangenheit eine Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212).

3.3. Einleitend ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer – mangels fehlendem Hinweises auf persönliche Bedrohungen – keine aktuelle Verfolgungsgefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan glaubhaft machen konnte (vgl. oben, Beweiswürdigung, 2.2.2. und 2.2.3.).

Zum Vorbringen der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers, wonach der Beschwerdeführer und seine Familie aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit sozialen Diskriminierungen, Belästigungen und Gewalt ausgesetzt gewesen seien, ist zunächst auf die rechtliche Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2019, W156 2187314-1/12E u.a., betreffend den Familienangehörigen des Beschwerdeführers zu verweisen, in der es auszugsweise lautet:

„Die darüber hinaus geschilderten Beleidigungen und das Missverhalten ihnen gegenüber und die aus der Länderberichtslage allgemein ableitbare Situation von Sikh stellt sich vor dem Hintergrund der in der Beweiswürdigung näher erörterten konkreten Lebenssituation der Beschwerdeführer in Afghanistan als sie in einigen Lebensbereichen diskriminierend dar. Auch in ihrer Gesamtheit ergibt sich aber, dass hier noch keine asylrelevante Intensität erreicht ist.

Zudem bezogen sich die BF1 auf Belästigungen, die von Privatpersonen ausgehen. Dabei wurde vor dem Hintergrund der Länderberichte nicht ersichtlich, dass der afghanische Staat den BF keinen Schutz vor derartigen Belästigungen bieten würde. Vielmehr ist vor dem Hintergrund der Länderberichte, etwa daraus, dass die Regierung weiterhin Polizeiunterstützung für die Sikh- und Hindugemeinschaft zur Verfügung stellt, während sie ihre Kremationsrituale abhalten, es keine staatliche Diskriminierung der Sikh gibt und in Kabul eine Schule für Sikh eingerichtet wurde, ersichtlich, dass der afghanische Staat gegenüber Sikhs schutzwillig und schutzfähig ist.“

Zwar wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes nicht verkannt, dass Sikhs in Afghanistan generell in ihrem Alltagsleben Diskriminierung erfahren und in Afghanistan schwierige Lebensbedingungen vorfinden, wie sich aus den der gegenständlichen Entscheidungen zugrunde gelegten Länderberichten ergibt und auch im Fall des Beschwerdeführers denkbar ist. Den Länderberichten ist jedoch gleichfalls zu entnehmen, dass Sikhs ihren Glauben grundsätzlich öffentlich ausüben können und die afghanische Polizei etwa bei Einäscherungszeremonien Schutz anbietet.

Aus den Länderberichten geht im Übrigen auch nicht hervor, dass – ungeachtet der allgemein schlechten Lage für die Minderheit der Sikhs in Afghanistan – ein Angehöriger der Volksgruppe bzw. Religionsgemeinschaft der Sikhs im Falle seiner Einreise nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein. Die sich aus den Länderberichten ergebende Diskriminierung der Sikhs und die beobachteten Übergriffe gegen Sikhs erreichen gegenwärtig nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, dass in Afghanistan Sikhs wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung in diesem Sinn zu befürchten hätten, zumal die Gefährdung dieser Minderheit angesichts der in den Länderberichten dokumentierten allgemeinen Gefährdungslage in Afghanistan, die in vielen Regionen für alle Bevölkerungsgruppen ein erhebliches Gefahrenpotential mit sich bringt, derzeit nicht jenes zusätzliche Ausmaß erreicht, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Sikhs anzunehmen (siehe dazu bereits BVwG 20.06.2020, W220 2128271-1/5E).

3.4. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass einer allfälligen – nicht asylrelevanten – Gefährdung des Beschwerdeführers durch die derzeitige Sicherheitslage in Afghanistan im konkreten Fall mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch die belangte Behörde hinreichend Rechnung getragen wurde.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher als unbegründet abzuweisen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit mündliche Verhandlung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung Volksgruppenzugehörigkeit wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W123.2229571.1.00

Im RIS seit

30.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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