TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/9 I415 2179767-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.03.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

09.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I415 2179767-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch: BBU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 23.11.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.03.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 11.12.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab dabei an, am XXXX 2000 geboren zu sein. Seinen Asylantrag begründete er zusammengefasst damit, in Nigeria ein Problem mit seiner Dorfgemeinschaft zu haben. Seine Mutter und er seien aufgrund ihres christlichen Glaubens bedroht worden. Eine Gruppe von Moslems habe seine Mutter getötet. In Nigeria habe der Beschwerdeführer keine Familie mehr. Bei einer Rückkehr habe er niemanden, bei dem er leben könne, außerdem habe er Angst vor den Moslems und gebe es für ihn in Nigeria keine Arbeit. Auch wünsche er sich eine bessere Zukunft. Andere Fluchtgründe habe er nicht.

2.       Zuvor hatte er am 20.01.2015 in Italien einen Asylantrag gestellt, der negativ entschieden worden war. In Italien hatte er abweichend von den im Spruch angeführten Identitätsdaten bei der Asylantragsstellung das Geburtsdatum XXXX 1995 bzw. XXXX 1995 angegeben.

3.       Mit medizinischem Sachverständigengutachten vom 14.02.2017 wurde das Mindestalter des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Asylantragsstellung mit 17,2 Jahren festgelegt und als spätestmögliches fiktives Geburtsdatum der XXXX bestimmt. Daraufhin wurde das Asylverfahren des Beschwerdeführers in Österreich zugelassen.

4.       Am XXXX 2017 wurde der Beschwerdeführer in Anwesenheit seines damaligen gesetzlichen Vertreters von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. In dieser Einvernahme gab er an, dass seine Mutter im Jahr 2012 im Zuge einer Auseinandersetzung mit einer Gruppe von Moslems in XXXX erstochen worden sei. Auch er sei aufgrund seines christlichen Glaubens bedroht worden. Nach dem Tod seiner Mutter sei er zu seinem Onkel nach XXXX gegangen. Dieser habe ihm versprochen, ihn zur Schule zu bringen oder eine Arbeit für ihn zu suchen, dieses Versprechen jedoch nicht eingehalten. Als weiteren Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, bisexuell zu sein. Als sein Onkel dies herausgefunden habe, habe er den Beschwerdeführer geschlagen und gedroht, ihn zur Polizei zu bringen, wenn er nicht sein Haus verlasse. In Nigeria könne er seine bisexuelle Orientierung nicht ausleben, ohne deshalb verfolgt zu werden. Wenn man in Nigeria bisexuell sei, werde man inhaftiert oder umgebracht. Bei einer Rückkehr nach Nigeria habe er Angst vor den Gesetzen, vor der Polizei und vor den Moslems, außerdem habe er dort niemanden mehr.

5.       Am 28.09.2017 übermittelte er eine schriftliche Stellungnahme seiner damaligen Rechtsvertretung, der Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH.

6.       Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 23.11.2017, Zl. XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage (Spruchpunkt VI.).

7.       Dagegen erhob der Beschwerdeführer durch seine damalige Rechtsvertretung, die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, fristgerecht Beschwerde. Der Beschwerdeführer monierte darin Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Hätte das BFA ein ordentliches Ermittlungsverfahren durchgeführt, so hätte es feststellen müssen, dass der Beschwerdeführer homosexuell sei, ihm eine Verheimlichung und Unterdrückung seiner Sexualität nicht zumutbar sei und dass er im Falle einer offenen Ausübung seiner Sexualität in Nigeria dem realen Risiko einer Inhaftierung, unmenschlichen und erniedrigenden Haftbedingungen sowie massiven Übergriffen seitens der homophoben nigerianischen Gesellschaft mit mangelnder Schutzwilligkeit seitens des nigerianischen Staates ausgesetzt wäre, weshalb ihm Asyl zu gewähren sei.

8.       Beschwerde und Bezug habender Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 15.12.2017 vorgelegt.

9.       Der Beschwerdeführer tauchte in weiterer Folge unter, woraufhin das Bundesverwaltungsgericht das Asylverfahren mit Beschluss vom 15.01.2020, Zl. I415 2179767-1/7E, gemäß § 24 AsylG 2005 einstellte. Ab dem 23.09.2020 trat er neuerlich im Bundesgebiet in Erscheinung, sodass das Verfahren fortgesetzt wurde.

10.      Mit 31.12.2020 legte Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH als Mitglied der ARGE Rechtsberatung die ihr vom Beschwerdeführer erteilte Vertretungsvollmacht nieder.

11.      Am 09.03.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Nigerias. Er ist volljährig, ledig und kinderlos, gehört der Volksgruppe der Esan an und bekennt sich zum christlichen Glauben. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer verließ Nigeria laut eigenen Angaben im Jahr 2014 und reiste über Niger und Libyen nach Italien, wo er am 20.01.2015 einen Asylantrag stellte, der negativ entschieden wurde. Daraufhin gelangte er unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich, wo er sich seit seiner Asylantragstellung am 11.12.2016 aufhält. Er tauchte vorübergehend unter und verfügte von 02.01.2020 bis 22.09.2020 über keine behördliche Meldeadresse im Bundesgebiet, weil er sich seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung folgend in den Niederlanden befand.

Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und arbeitsfähig. Er leidet an keiner lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Beeinträchtigung, die seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegensteht.

Der Beschwerdeführer besuchte in seiner Heimat die Schule. Er ist erwerbsfähig und hat eine Chance, am nigerianischen Arbeitsmarkt unterzukommen.

In Nigeria verfügt der Beschwerdeführer über familiäre Anknüpfungspunkte in Form eines Onkels und einer Tante, in Österreich leben keine Familienmitglieder oder Verwandten und bestehen auch sonst keine maßgeblichen privaten oder familiären Beziehungen.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine den Anforderungen eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK entsprechende integrative Verfestigung in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht. Er hat in Österreich von 19.04.2017 bis 24.05.2017 einen Deutschkurs A1.1 besucht und am 18.04.2017 an einem Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds teilgenommen. Er hat in Österreich Freundschaften geschlossen und spielt gelegentlich Fußball. Er ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen integrationsbegründenden Organisation und ging zu keinem Zeitpunkt einer erlaubten Erwerbstätigkeit oder einer ehrenamtlichen Beschäftigung nach.

Der Beschwerdeführer bestreitet seinen Lebensunterhalt in Österreich durch den Bezug von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

Im Strafregister der Republik Österreich - geführt von der Landespolizeidirektion Wien -scheint folgende Verurteilung auf:

01) LG XXXX XXXX vom 20.09.2017 RK 26.09.2017

§§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (2a), 27 (1) Z 1 1.2. Fall, 27 (2) teilw. SMG

Datum der (letzten) Tat 17.08.2017

Freiheitsstrafe 6 Wochen, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

Jugendstraftat

zu LG XXXX XXXX RK 26.09.2017

Aufhebung der Bewährungshilfe

LG XXXX XXXX vom 09.06.2020

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Entgegen seinem Fluchtvorbringen kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer als Christ durch Angehörige des muslimischen Glaubens bedroht und verfolgt wurde. Es haben sich im Verfahren mangels Glaubwürdigkeit auch keine Anhaltspunkte in Bezug auf eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers in Nigeria wegen seiner behaupteten Bisexualität oder aus sonstigen Gründen ergeben.

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Der Beschwerdeführer verfügt über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria eine Verletzung von Art. 2, Art. 3 oder 8 EMRK oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der Beschwerdeführer ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

Er wird im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

1.2.    Zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsland des Beschwerdeführers sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 23.11.2017 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Im angefochtenen Bescheid wurde das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Nigeria zitiert. Dem Beschwerdeführer wurde im Vorfeld zur mündlichen Verhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria übermittelt. Daraus ergeben sich folgende Feststellungen:

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten und einen Bundeshauptstadtbezirk sowie 774 Local Government Areas (LGA/Bezirke) untergliedert. Die Bundesstaaten werden von direkt gewählten Gouverneuren regiert. Sie verfügen auch über direkt gewählte Parlamente.

Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die am System der USA orientierte Verfassung enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog, Gewaltenteilung). Dem starken Präsidenten - zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte - und dem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. Die Verfassungswirklichkeit wird von der Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und von den direkt gewählten Gouverneuren dominiert. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität, häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt.

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien. Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt; sowie Spannungen im Nigerdelta und Gewalt im Bundesstaat Zamfara. Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten, sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen, bzw. kommt es seit Jänner 2018 zu regelmäßigen Protesten des IMN in Abuja und anderen Städten, die das Potential haben, in Gewalt zu münden. Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt“ kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra“) bleibt jedoch latent konfliktanfällig. Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv.

Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art.

Die Verfassung sieht Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor. In der Realität ist die Justiz allerdings der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt. Vor allem auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker die Justiz zu beeinflussen. Die drei einander mitunter widersprechenden Rechtssysteme sowie die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung sowie mangelnde Ausbildung behindern die Funktionsfähigkeit des Justizapparats und machen ihn chronisch korruptionsanfällig. Die Gehälter im Justizbereich sind niedrig, und es mangelt an Infrastruktur. Zusätzlich widersprechen sich die Rechtssysteme mitunter. Trotz allem hat die Justiz in der Praxis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht.

Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o. ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken oder sich einen Rechtsbeistand leisten können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte auf Grund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich. Gesetzlich vorgesehen sind prozessuale Rechte wie die Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über die Anklagepunkte, das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren, das Recht auf einen Anwalt, das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung, nicht gezwungen zu werden auszusagen oder sich schuldig zu bekennen, Zeugen zu befragen und das Recht auf Berufung. Diese Rechte werden jedoch nicht immer gewährleistet. Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht. Der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflichtverteidigung wurde erst vor kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen.

Die am 29.5.1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen. Das in Art. 33 der Verfassung gewährte Recht auf körperliche Unversehrtheit wird z.B. unter den Vorbehalt gestellt, dass die betroffene Person nicht bei der Anwendung legal ausgeübter staatlicher Gewalt zur "Unterdrückung von Aufruhr oder Meuterei" ihr Leben verloren hat. In vielen Bereichen bleibt die Umsetzung der zahlreich eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen weiterhin deutlich hinter internationalen Standards zurück. Zudem wurden völkerrechtliche Verpflichtungen zum Teil nur lückenhaft in nationales Recht umgesetzt. Einige Bundesstaaten haben Vorbehalte gegen einige internationale Vereinbarungen geltend gemacht und verhindern regional eine Umsetzung. Selbst in Bundesstaaten, welche grundsätzlich eine Umsetzung befürworten, ist die Durchsetzung garantierter Rechte häufig nicht gewährleistet. Die Menschenrechtssituation hat sich seit Amtsantritt einer zivilen Regierung 1999 zum Teil erheblich verbessert, vor allem im Hinblick auf die Freilassung politischer Gefangener und die Presse- und Meinungsfreiheit. Allerdings kritisieren Menschenrechtsorganisationen den Umgang der Streitkräfte mit Boko Haram-Verdächtigen, der schiitischen Minderheit, Biafra-Aktivisten und Militanten im Nigerdelta. Schwierig bleiben die allgemeinen Lebensbedingungen, die durch Armut, Analphabetismus, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, ein ineffektives Justizwesen und die Scharia-Rechtspraxis im Norden des Landes beeinflusst werden. Es gibt viele Fragezeichen hinsichtlich der Einhaltung der Menschenrechte, wie z.B. die Praxis des Scharia-Rechts (Tod durch Steinigung), Entführungen und Geiselnahmen im Nigerdelta, Misshandlungen und Verletzungen durch Polizisten und Soldaten sowie Verhaftungen von Angehörigen militanter ethnischer Organisationen.

Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia haben zu keinem starken Anstieg von Menschenrechtsverletzungen geführt, die wenigen Steinigungsurteile wurden jeweils von einer höheren Instanz aufgehoben, auch Amputationsstrafen wurden in den letzten Jahren nicht vollstreckt. Es setzten sich nigerianische Organisationen wie z.B. CEHRD (Centre for Environment, Human Rights and Development), CURE-NIGERIA (Citizens United for the Rehabilitation of Errants) und HURILAWS (Human Rights Law Services) für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Land ein. Auch die Gewerkschaftsbewegung Nigeria Labour Congress (NLC) ist im Bereich von Menschenrechtsfragen aktiv.

Homosexuelle Handlungen jeglicher Art sind – unabhängig vom Geschlecht der betroffenen Personen – sowohl nach säkularem Recht als auch nach Scharia-Recht (Körperstrafen bis hin zum Tod durch Steinigung in besonderen Fällen) strafbar. Allerdings sind kaum Fälle strafrechtlicher Verfolgung einvernehmlicher homosexueller Handlungen bekannt geworden. § 214 des Strafgesetzbuchs sieht 14 Jahre Haft für gleichgeschlechtliche Beziehungen vor. Der im Jänner 2014 verabschiedete Same Sex Marriage Prohibition Act (SSMPA) sieht zudem vor, dass homosexuelle Paare, die heiraten oder öffentlich ihre Zuneigung zeigen, mit Haft bestraft werden können. Das Gesetz sieht bis zu 14 Jahre Haft für Eheschließungen und zivilrechtliche Partnerschaften zwischen zwei Frauen oder zwei Männern vor. Wer seine Liebesbeziehung zu einem Menschen des gleichen Geschlechts direkt oder indirekt öffentlich zeigt, soll dem Gesetz zufolge mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden können. Die gleiche Strafe ist für die Gründung und Unterstützung von Clubs, Organisationen oder anderen Einrichtungen für Schwule und Lesben vorgesehen. In den zwölf nördlichen Bundesstaaten, wo das islamische Recht in Kraft ist, können homosexuelle Handlungen mit Haft, Stockschlägen oder Tod durch Steinigung bestraft werden. Im Jahr 2019 wurden von Scharia-Gerichten keine solchen Urteile verhängt. In den vergangenen Jahren kam es zu Verurteilungen zu Stockschlägen.

Homosexuelle versuchen auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen und weitverbreiteter Vorbehalte in der Bevölkerung, ihre sexuelle Orientierung zu verbergen. Der SSMPA hat zu einer weiteren Stigmatisierung von Lesben und Schwulen geführt. Diese werden oftmals von der Polizei schikaniert und misshandelt und von der Bevölkerung gemobbt oder mittels Selbstjustiz verfolgt. Das Gesetz dient dabei zur Rechtfertigung von Menschenrechtsverletzungen wie Folter, sexueller Gewalt, willkürlicher Haft, Erpressung von Geld sowie Verletzung von Prozessrechten Erpressung und Gewalt treten oft schon beim Verdacht auf, homosexuell zu sein. Die überwiegende Mehrheit von Menschenrechtsverletzungen gegenüber Angehörigen sexueller Minderheiten geht von nicht-staatlichen Akteuren aus. Staatlicher Schutz ist diesbezüglich nicht zu erwarten. Zu Ermittlungen kommt es nicht. Dieses Phänomen betrifft aber nicht nur Angehörige sexueller Minderheiten, vielmehr ist der Standard der Polizei allgemein niedrig. Allerdings kommt es bei dieser Personengruppe mitunter sogar zur Nötigung oder Verhaftung des Opfers. Die Polizei wird nicht aus eigenem Antrieb aktiv oder sucht gezielt nach Homosexuellen. Sie verhaftet Verdächtige in erster Linie mit dem Ziel, Geld zu erpressen. Grundsätzlich kommen Verdächtige nach der Zahlung einer „Kaution“ wieder frei.

Für betroffene Homosexuellen-NGOs hatte der SSMPA kaum Auswirkungen, keine der Organisationen musste die Arbeit einstellen. Im Gesundheitsbereich tätige NGOs mit Fokus auf Homosexuelle (v.a. HIV/AIDS) stellten zwar Anfang 2014 kurzfristig den Betrieb ein, doch wurde dieser nach wenigen Wochen wieder aufgenommen und läuft seither wie vor Inkrafttreten des SSMPA. Die meisten Homosexuellen-NGOs haben ihre Basis in den Hauptstädten der Bundesstaaten. Üblicherweise sind die Homosexuellen-NGOs den Betroffenen bekannt. Es existieren auch eigene HIV/AIDS-Kliniken, die gezielt für homosexuelle Patienten eingerichtet wurden. Verschiedene NGOs bieten Angehörigen sexueller Minderheiten rechtliche Beratung und Schulungen in Meinungsbildung, Medienarbeit und Bewusstseinsbildung in Bezug auf HIV an. Es existieren Netzwerke von Menschenrechtsanwälten, welche – im Falle der Verhaftung eines Homosexuellen – unmittelbar kontaktiert werden und die Person gegen „Kaution“ freizukaufen versuchen. Die Anwälte sind organisiert und es gibt unterschiedliche Vereine. Homosexuellen-Netzwerke verschiedener Landesteile bzw. Städte sind miteinander in Kontakt. Die Netzwerke und Organisationen bieten auch Unterstützung und Zufluchtsmöglichkeiten an.

Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit und Freiheit der Religionsausübung. Laut Verfassung darf die Regierung keine Staatsreligion beschließen, ist religiöse Diskriminierung verboten und hat jeder die Freiheit seine Religion zu wählen, auszuüben, zu propagieren und zu ändern. Im Vielvölkerstaat Nigeria ist die Religionsfreiheit ein Grundpfeiler des Staatswesens. Die Bundesregierung achtet auf die Gleichbehandlung von Christen und Muslimen, z.B. bei der Finanzierung von Gotteshäusern und Wallfahrten. Sie unterstützt den Nigerian Inter-Religious- Council, der paritätisch besetzt ist und die Regierung in Religionsangelegenheiten berät. Ähnliche Einrichtungen wurden auch in mehreren Bundesstaaten erfolgreich eingeführt. Die Regierung achtet Religionsfreiheit in der Praxis, obwohl von lokalen politischen Akteuren geschürte Gewalt in der Regel straflos bleibt. Die Verfassung verbietet es, ethnischen oder religiösen Gruppen Vorrechte einzuräumen. In der Praxis bevorzugen Bundesstaaten jedoch die jeweils durch die lokale Mehrheitsbevölkerung ausgeübte Religion. Manche Gesetze der Landes- und Lokalregierung diskriminieren Mitglieder religiöser Minderheiten. Außerdem gestaltet sich die Umsetzung der verfassungsmäßig gesicherten Religionsfreiheit in der Praxis aufgrund religiöser Spannungen schwierig.

Verfassung und Gesetze erlauben die freie Bildung politischer Parteien, Gewerkschaften oder Interessengruppen. Üblicherweise respektiert die Regierung dieses Recht, es wird jedoch für einige Gruppen eingeschränkt. Es liegen keine Erkenntnisse über die Verfolgung von Exilpolitikern durch die nigerianische Regierung vor. Auch in Nigeria kann sich die politische Opposition grundsätzlich frei betätigen. Das gilt nicht nur für die parlamentarische Opposition sondern auch für außerparlamentarische Parteien und Gruppen. Bislang sind auch - meist marginale - Gruppen mit sezessionistischen Zielen (etwa Biafra) weitgehend toleriert worden.

Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein. Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram v.a. die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe. Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet. Zahlreiche von Militär und Polizei betriebene Checkpoints bleiben aufrecht.

Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen. Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Prinzipiell sollte es einer Person, die von nicht-staatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen. Natürlich müssen die jeweiligen persönlichen Umstände beachtet werden.

Ein Meldewesen ist nicht vorhanden, wie zahlreiche Quellen bei EASO angeben. Nur eine Quelle behauptet, dass es eine Art Meldewesen gibt. Es bestehen gesetzliche Voraussetzungen, damit Bundesstaaten ein Meldewesen einrichten können. Bislang hat lediglich der Bundesstaat Lagos davon Gebrauch gemacht. Auch ein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Daraus resultiert, dass eine Ausforschung einmal untergetauchter Personen kaum mehr möglich ist. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung "unterzutauchen". Im Sheriffs and Civil Process Act Chapter 407, Laws of the Federation of Nigeria 1990 sind Ladungen vor Gericht geregelt. Der Sheriff oder von ihm bestellte Bailiffs müssen die Ladungen in ganz Nigeria persönlich zustellen.

Nigeria ist die größte Volkswirtschaft Afrikas. Die Erdölproduktion ist der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Aufgrund des weltweiten Verfalls der Erdölpreise rutschte Nigeria 2016 jedoch in eine schwere Rezession, die bis zum zweiten Quartal 2017 andauerte 2018 wuchs die nigerianische Wirtschaft erstmals wieder um 1,9 Prozent. Getragen wurde das Wachstum vor allem durch die positive Entwicklung von Teilen des Nicht-Öl-Sektors (Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe). Seit 2020 ist die nigerianische Wirtschaft aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreises sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abschätzbar. Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung. Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei-, und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat - gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung. Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten. Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert. Über 60 bzw. 70 Prozent der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Agrarsektor wird durch die Regierung stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen. Auch die Mais- und Reisproduktion wurde dadurch kräftig ausgeweitet. Dabei ist das Potenzial der nigerianischen Landwirtschaft bei Weitem nicht ausgeschöpft und das Land ist nicht autark, sondern auf Importe - v. a. von Reis - angewiesen. Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt aus Subsistenzbetrieben. Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt. 40 % der Bevölkerung leben in absoluter Armut, 48 Prozent in extremer Armut. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei Jugendlichen im Alter von 15 bis 35 wird sie auf über 50 Prozent geschätzt. Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Geschätzt wird sie auf 20 bis 45 Prozent - in erster Linie unter 30-jährige - mit großen regionalen Unterschieden. Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab. Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als "self-employed" suchen. Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige. Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen. Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird.

Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Die medizinische Versorgung ist mit jener in Europa nicht vergleichbar, sie ist vor allem im ländlichen Bereich technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch. In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard. Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden.

Medikamente sind verfügbar, können aber je nach Art teuer sein. Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen. Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/Aids können teils kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden.

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden. Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations im Rahmen von FRONTEX als "lead nation". Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen.

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt. Die Erfahrungen seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen. Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt bzw. erkennungsdienstlich behandelt und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen. Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist.

Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen hat im Herbst 2018 in Lagos das Migrationsberatungszentrum der GIZ seinen Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert.

Eine nach Nigeria zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt. Es kann allgemein festgestellt werden, dass der pauschale Hinweis eines Asylwerbers auf die allgemein herrschende Situation in Nigeria nicht ausreicht, um eine Bedrohung iSv Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK darzustellen.

Es kann daher zusammengefasst festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr keiner lebensbedrohenden Situation überantwortet wird.

Es wird weiters festgestellt, dass der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft bestreiten kann, zumal er gesund und arbeitsfähig ist und über eine Schulbildung verfügt. Selbst wenn ihm kein privater Familienverband soziale Sicherheit bieten sollte, kann er seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft bestreiten. Staatliche Repressionen im Falle der Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl können nicht festgestellt werden.

Es wurden zwischenzeitlich auch keine Anhaltspunkte dafür bekannt, wonach die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 50 FPG idgF in seinen Heimatstaat Nigeria unzulässig wäre.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz und in das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Nigeria.

Außerdem konnte auf die Ermittlungsergebnisse der mündlichen Verhandlung vom 09.03.2021 vor dem Bundesverwaltungsgericht zurückgegriffen werden.

Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Strafregister, dem Schengener Informationssystem, dem AJ-Web und dem Betreuungsinformationssystem wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität, zur Staatsangehörigkeit und zur Herkunft des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen auch in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Da der Beschwerdeführer entweder nicht im Stande oder nicht Willens war, den österreichischen Behörden identitätsbezeugende Dokumente vorzulegen, steht seine Identität nicht fest.

Die Feststellung zur Volljährigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einem dem Akt inneliegenden medizinischen Sachverständigengutachten vom 14.02.2017. Im Zuge einer "medizinischen Altersdiagnostik zur Feststellung eines absoluten Mindestalters“ wurde der XXXX als spätestmögliches ‚fiktives' Geburtsdatum festgelegt. Das bei der Asylantragstellung behauptete Geburtsdatum ( XXXX 2000) ist mit dem festgestellten, absoluten Mindestalter nicht vereinbar (AS 81).

Die Feststellungen zu seinen persönlichen Verhältnissen, seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seiner Religionszugehörigkeit beruhen auf den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers.

Aus einer EURODAC-Treffermeldung der Kategorie „1“ vom 20.01.2015 ergibt sich die Feststellung zur Asylantragstellung des Beschwerdeführers in Italien. Die Feststellung zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt im Bundesgebiet seit Dezember 2016 ergibt sich aus dem Datum seiner Asylantragsstellung und einer aktuellen ZMR-Auskunft. Aus dem Verwaltungsakt in Zusammenschau mit der eingeholten ZMR-Auskunft ist auch ersichtlich, dass sich der Beschwerdeführer vorübergehend durch Untertauchen dem Verfahren entzogen hat. In der mündlichen Verhandlung hat er dazu befragt ausgeführt sich in diesem Zeitraum in den Niederlanden befunden zu haben.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand, zur Schulbildung und zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen eigenen glaubhaften Angaben gegenüber der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht

Dass der Beschwerdeführer in Österreich weder Verwandte noch Familienangehörige hat und auch keine tiefgreifende soziale und integrative Verfestigung im Sinne des Art. 8 EMRK aufweist, hingegen in Nigeria ein Onkel und eine Tante des Beschwerdeführers leben, resultiert aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers. Maßgeblichen Beziehungen zu ÖsterreicherInnen wurden nicht vorgebracht.

Der Beschwerdeführer legte eine Teilnahmebestätigung der Burgenländischen Volkshochschulen vom 24.05.2017 über die Teilnahme an einem Deutschkurs A1.1 sowie eine Teilnahmebestätigung des ÖIF vom 18.04.2017 vor. Ansonsten brachte er keinerlei Nachweise in Vorlage, die eine besondere Integrationsverfestigung seiner Person in Österreich belegen würden. Er erklärte, Freundschaften geschlossen zu haben und gelegentlich Fußball zu spielen. Besondere Integrationsbemühungen des seit Dezember 2016 in Österreich lebenden Beschwerdeführers sind daher nicht ersichtlich und wurden auch nicht behauptet. Auch aus der Beschwerde gehen keine Hinweise auf ein schützenswertes Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich hervor.

Dass der Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung bezieht und nicht selbsterhaltungsfähig ist, ergibt sich aus dem eingeholten Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem des Bundes.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Österreich nach dem SMG vorbestraft ist, beruht auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Strafregisterauszug und des im Akt einliegenden Strafurteils.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der erkennende Richter geht aufgrund des Eindrucks in der mündlichen Verhandlung sowie einer Gesamtschau des Akteninhaltes davon aus, dass der Beschwerdeführer die behauptete Verfolgung in Nigeria einerseits durch eine Gruppe von Muslimen in seinem Heimatdorf wegen seines christlichen Glaubens und andererseits wegen seiner Bisexualität nicht glaubhaft machen konnte.

Der Beschwerdeführer hatte bei der Asylantragstellung in Österreich am 11.12.2016 ausschließlich vorgebracht, aufgrund seines christlichen Glaubens durch eine Gruppe von Moslems aus seiner Dorfgemeinschaft bedroht worden zu sein. Diese habe seine Mutter im Zuge einer Auseinandersetzung getötet und auch den Beschwerdeführer bedroht. Bei einer Rückkehr nach Nigeria habe er niemanden, bei dem er leben könnte. Außerdem habe er Angst vor den Moslems und in Nigeria gebe es auch keine Arbeit für ihn. Er wünsche sich eine bessere Zukunft, andere Fluchtgründe habe er nicht (AS 9).

Denselben Fluchtgrund hatte der Beschwerdeführer auch schon in Italien bei seiner ersten Asylantragstellung in Europa am 20.01.2015 in Italien / XXXX angegeben, wie der Beschwerde auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung vom 09.03.2021 ausführte.

Bei seiner Einvernahme durch die belangte Behörde am XXXX 2017 „ergänzte“ der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe um seine bisexuelle Orientierung. So habe ihn sein Onkel, bei dem er nach dem Tod seiner Mutter gelebt habe, bestraft, weil er sich für Männer interessiere. Er sei bisexuell und in Nigeria in einen Burschen namens XXXX verliebt gewesen. Sein Onkel habe davon im Mai 2014 Kenntnis erlangt. Er habe den Beschwerdeführer geschlagen und ihm gedroht, die Polizei zu verständigen, wenn er nicht sein Haus verlasse. Daraufhin habe der Beschwerdeführer die Flucht ergriffen (AS 215-217).

In der Beschwerde stellte der Beschwerdeführer seine sexuelle Orientierung als den zentralen Fluchtgrund dar, wobei er – in Widerspruch zu seinem bisherigen Vorbringen – behauptete, homosexuell zu sein (und nicht bisexuell). Die behauptete Bedrohung aus Gründen seiner Religion erwähnte er nur noch am Rande.

Die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers wird vor allem dadurch schwer belastet, dass er bei seiner Ersteinvernahme am 11.12.2016 seinen Asylantrag – wie auch schon in Italien knapp zwei Jahre vorher – ausschließlich mit der Bedrohung durch eine Gruppe von Muslimen sowie mit wirtschaftlichen Motiven für das Verlassen seiner Heimat begründet hatte. Das Bestehen sonstiger Fluchtgründe verneinte er ausdrücklich (AS 9).

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die Erstbefragung nicht der Erörterung der Fluchtgründe dient, es ist aber im Sinne einer Glaubwürdigkeitsbeurteilung davon auszugehen, dass ein Schutzsuchender, der einen langwierigen, anstrengenden und auch kostspieligen Weg auf sich nimmt, von Anbeginn die essentiellen Bestandteile seiner Fluchtgeschichte stringent und widerspruchsfrei vorbringt.

Zwar kann angesichts des sensiblen Charakters der Informationen, die die persönliche Sphäre einer Person, insbesondere ihre Sexualität, betreffen, allein daraus, dass diese Person, weil sie zögert, intime Aspekte ihres Lebens zu offenbaren, ihre Homosexualität nicht sofort angegeben hat, nicht geschlossen werden kann, dass sie unglaubwürdig ist (EuGH 02.12.2014, A u. a., C-148/13 bis C-150/13, EU:C:2014:2406, Rn 69), jedoch war der Beschwerdeführer nicht in der Lage, nachvollziehbar darzulegen, weshalb er diesen wichtigen Fluchtgrund erst zum Zeitpunkt der niederschriftlichen Einvernahme durch das BFA erwähnte. Zum Zeitpunkt seiner Asylantragsstellung in Österreich hatte er sich schon über zwei Jahre in Europa aufgehalten und bereits in Italien ein komplettes Asylverfahren durchlaufen, jedoch ohne Erfolg. Wäre der Beschwerdeführer tatsächlich bi- bzw. homosexuell und dies sein wahrer Fluchtgrund, so wäre davon auszugehen, dass er sich bereits vor seiner Einreise nach Italien bzw. Österreich über die Situation Homosexueller informiert und dabei in Erfahrung gebracht hätte, dass Homosexualität in Italien bzw. Österreich akzeptiert wird. Die Steigerung des Fluchtvorbringens belastet daher die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers im gegenständlichen Fall jedenfalls massiv.

Der VwGH hat bereits mehrmals ausgesprochen, dass ein späteres, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250; 27.04.2006, 2002/20/0170).

Im Übrigen waren die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner behaupteten sexuellen Orientierung und den daraus resultierenden Verfolgungsbefürchtungen sehr vage, blass und oberflächlich. Seine Schilderung der Ereignisse, die ihn veranlasst haben sollen, sein Heimatland zu verlassen, lässt jeglichen Detailreichtum vermissen, der Erzählungen über tatsächlich Erlebtes zukommt. Die Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA und auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht blieben trotz Nachfragen und mehrmaligen Aufforderungen, seine Angaben zu konkretisieren, in zentralen Punkten lückenhaft, nicht nachvollziehbar und unplausibel.

Dies verdeutlicht etwa folgender Auszug aus der niederschriftlichen Einvernahme durch das BFA (AS 217):

„F: Wann hat Ihr Onkel Kenntnis davon erlangt, dass Sie sexuellen Kontakt zu einem Mann haben?

A: Es war im Mai 2014.

F: Wie lange nach dem Gespräch mit Ihrem Onkel haben Sie sich noch in XXXX aufgehalten?

A: Zwei Tage.

F: Wo waren Sie da?

A: Im Mai hat der Onkel davon erfahren, hat dann mit mir gesprochen und dann habe ich XXXX verlassen.

F: Sie waren noch zwei Tage nach diesem Gespräch in XXXX . Wo haben Sie sich da aufgehalten – örtlich?

A: Auf der Straße, bei einer Bushaltestelle.

F: Ist XXXX ebenso Christ, wie Sie selbst?

A: Ja.

F: Haben Sie noch Kontakt zu XXXX ?

A: Seit ich diese Ortschaft verlassen habe nicht.

F: Hat Ihr Freund XXXX wegen seiner sexuellen Ausrichtung zuvor schon Probleme in Nigeria gehabt?

A: Zuvor nicht, danach schon.

F: Woher wissen Sie das, wenn Sie keinen Kontakt mehr zu ihm haben?

A: Wir hatten gemeinsam die Probleme gehabt.

F: Hat ihn jemand bei der Polizei angezeigt?

A: Wahrscheinlich.

F: Wie haben sich die Probleme geäußert?

A: Ich weiß es nicht.“

Dazu ist auszuführen, dass das Vorbringen eines Asylwerbers dann als nicht glaubwürdig zu qualifizieren ist, wenn dieses nicht hinreichend substantiiert ist; wenn der Beschwerdeführer sohin nicht in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über von ihm relevierte Umstände bzw. seine Erlebnisse zu machen. Es kann in diesem Zusammenhang auch nicht als Aufgabe der belangten Behörde gesehen werden, die vagen und pauschalen Angaben des Beschwerdeführers durch mehrmaliges Nachfragen zu konkretisieren, sondern liegt es am Beschwerdeführer ein detailliertes und stimmiges Vorbringen zu erstatten, um die nötige Glaubwürdigkeit zu erlangen. Vielmehr sind erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt einer Aussage angezeigt, wenn ein Asylwerber - wie im vorliegenden Fall - den seiner Meinung nach seinen Antrag stützenden Sachverhalt bloß vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt.

Es ist anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten - z.B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z.B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z.B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

Wenn in der Beschwerde vorgebracht wird, dass die belangte Behörde ihrer Pflicht zur amtswegigen Erforschung des Sachverhaltes nicht nachgekommen sei, ist diesem Vorbringen dahingehend entgegenzutreten, dass es grundsätzlich dem Asylwerber zukommt, die Gründe seiner Furcht vor Verfolgung konkret und substantiiert vorzubringen (VwGH 21.11.1996, Zahl 95/20/0334).

Dem Beschwerdeführer wurde im vorliegenden Fall im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme und der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ausreichend Gelegenheit eingeräumt, alle für die Entscheidung wesentlichen Umstände anzuführen. Die Schilderung des Beschwerdeführers zu den Gründen, welche ihn dazu veranlasst hätten, in Österreich um Schutz anzusuchen, blieb trotz Nachfragen in wesentlichen Punkten lückenhaft, vage, detailarm und unplausibel. Die knappen Ausführungen des Beschwerdeführers lassen in ihrer Gesamtbetrachtung die Fluchtgeschichte als reine gedankliche Konstruktion erscheinen, der jegliche Wahrscheinlichkeit und Glaubwürdigkeit hinsichtlich der behaupteten Verfolgung fehlt, sodass davon auszugehen ist, dass diese Geschichte nur zum Zwecke der (ungerechtfertigten) Erlangung eines Aufenthaltstitels vorgebracht wurde.

Die Behörde ist insbesondere beim höchstpersönlichen Lebensbereich eines Asylwerbers, wie etwa seiner sexuellen Orientierung, darauf angewiesen, dass dieser entsprechend am Verfahren mitwirkt und zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit seiner Fluchtgründe umfassende Angaben macht. Die Möglichkeit der Behörde, amtswegig zu ermitteln, kommt dabei nämlich naturgemäß an ihre Grenzen, sodass der Mitwirkungspflicht besondere Bedeutung zukommt.

Auch der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Ansicht, dass es dem Asylwerber obliegt, alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (VwGH 20.1.1993, 92/01/0752; 19.5.1994, 94/19/0465 mwN) und dass die erstinstanzliche Behörde nicht verpflichtet ist, den Antragsteller derart anzuleiten, dass sein Antrag von Erfolg gekrönt sein muss. Das diesbezügliche Vorbringen in der Beschwerde ist im Ergebnis nicht geeignet, der behördlichen Beweiswürdigung konkret und substantiiert entgegen zu treten.

Hinzu kommt, dass auch in Hinblick auf das Geburtsjahr des Beschwerdeführers im Laufe des Asylverfahrens Widersprüchlichkeiten bekannt wurden. Einerseits befindet sich das vom Beschwerdeführer in Österreich behauptete Alter von 16,63 Jahren zum Zeitpunkt der Asylantragsstellung laut eingeholtem Sachverständigengutachten (AS 81) nicht innerhalb der Bandbreite des möglichen Alters zum Asylantragsdatum (17,2 Jahre bis offen), andererseits ist aufgrund der von Seiten der italienischen Behörden bekanntgegebenen, zweifelsohne dem Beschwerdeführer zuzuordnenden Daten (AS 135) davon auszugehen, dass er in Österreich unrichtige Angaben zu seinem Geburtsjahr gemacht hat, um sich selbst um fünf Jahre jünger und damit schutzwürdiger darzustellen. Das vom Beschwerdeführer zuvor in Italien angegebene Geburtsdatum XXXX 1995 bzw. XXXX 1995 ist auch mit dem in Österreich eingeholten Sachverständigengutachten vereinbar. Auch seine Angaben zur Schulbesuchsdauer verstärken seine persönliche Unglaubwürdigkeit. Gab der Beschwerdeführer bei seiner Asylantragstellung noch an in Benin-City geboren zu sein und in Benin-City sieben Jahre die Grundschule und sechs Jahre die Hauptschule besucht zu haben, führte er vor dem BFA und im Rahmen der mündlichen Verhandlung dazu widersprüchlich aus nur sechs Jahre in die Schule gegangen zu sein und dies in seinem nunmehr behaupteten gut 100 Kilometer von Benin City entfernten Geburtsort XXXX . Es gelang dem Beschwerdeführer auch nicht diesen Widerspruch im Rahmen der mündlichen Verhandlung schlüssig zu erklären:

„RI: Wo genau haben Sie mit Ihrer Mutter gelebt und wo haben Sie mit Ihrem Onkel gelebt?

BF: In XXXX habe ich mit meiner Mutter gelebt und mit meinem Onkel habe ich in XXXX (phon.) gelebt.

RI: Wo sind Sie geboren?

BF: In XXXX , im Dorf, wo meine Mutter zu Hause war.

RI: Bei der Asylantragstellung haben Sie gesagt, dass Sie in Benin City geboren sind?

BF: Benin City ist der Schirmbegriff und die anderen zwei Dörfer sind innerhalb von Benin City.“

Die bei der Asylantragsstellung in Österreich behauptete Schulbesuchsdauer von insgesamt 13 Jahren ließe sich zwar mit den anlässlich des italienischen Asylverfahrens behaupteten Geburtsdaten ( XXXX 1995 bzw. XXXX 1995) vereinen, nicht aber mit dem in Österreich behaupteten ( XXXX 2000).

Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer sein tatsächliches Geburtsdatum zu verschleiern versuchte, stellt ein gewichtiges Indiz für seine persönliche Unglaubwürdigkeit dar (vgl VwGH 21.11.2002, 99/20/0549, RS 1). Es wäre am Beschwerdeführer gelegen, die durchaus berechtigten Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit als Person durch die Vorlage geeigneter Dokumente zu entkräften.

Außerdem hat sich der Beschwerdeführer dem laufenden Beschwerdeverfahren für rund neun Monate durch Untertauchen entzogen, weshalb sein Asylverfahren mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.01.2020 eingestellt werden musste. Dieses Verhalten lässt seitens des Beschwerdeführers keinerlei Interesse an einem wie auch immer gearteten Abschluss des Asylverfahrens erkennen. Dass der Beschwerdeführer wie in der mündlichen Beschwerdeverhandlung danach befragt ausgeführt hat, in betrunkenem Zustand ohne zu wissen warum und ohne sein Zutun vom Hauptbahnhof in Wien mit dem Zug statt ins Burgenland nach Amsterdam gefahren zu sein, klingt wenig nachvollziehbar, insbesondere unter Zugrundelegung der Angaben des Beschwerdeführers an den Staatsgrenzen nicht kontrolliert worden zu sein und ohne ein gültiges Zug-Ticket zu besitzen. Dass er zudem die ganze Zeit geschlafen hätte und erst in Amsterdam geweckt worden wäre, nährt weitere Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Ausführungen des Beschwerdeführers, geht man davon aus, dass die durchschnittliche Reisezeit mit dem Zug von Wien Hauptbahnhof nach Amsterdam 15 Stunden und 42 Minuten beträgt und es weiters keine direkte Zugverbindung von Wien Hauptbahnhof nach Amsterdam gibt und man daher mindestens einmal umsteigen muss (Quelle: https://www.thetrainline.com/de/bahn-fahrplan/wien-hbf-nach-amsterdam, u.a. offizieller Vertriebspartner von ÖBB, DB, SNCF, Trenitalia, Flixbus). Die diesbezügliche Befragung während der Verhandlung stellte sich dar wie folgt:

„RI: Haben Sie Österreich nach Ihrer Asylantragstellung im Dezember 2016 je verlassen?

BF: Ja, ich bin nach Holland gefahren.

RI: Wann und für wie lange und warum waren Sie in Holland?

BF: Ich war betrunken und ich habe im Burgenland gelebt. Ich weiß nicht mehr warum und wie ich nach Holland gekommen bin. Ich bin nicht aus eigenen Stücken nach Holland gefahren.

RI: Wissen Sie noch wie Sie nach Holland gefahren sind?

BF: Ich kann mich noch erinnern, dass ich am Hauptbahnhof in einen Zug gestiegen bin. Ich war der Meinung, dass ich ins Burgenland fahre, aber der Zug ist nach Holland gefahren. Ich war betrunken.

RI: Hatten Sie keine Probleme an der Grenze. Sind Sie ohne Schwierigkeiten über die Grenze gekommen und das ohne Ticket?

BF: Man hat mich nicht kontrolliert, weil ich durchgeschlafen habe. Erst als der Zug angekommen ist, hat mich jemand geweckt und gesagt, dass ich aussteigen müsste. Ich habe ihn gefragt, wo wir sind und er hat mir gesagt, dass ich in Amsterdam bin. Es war eine lange Prozedur. Ich bin zur Polizei gegangen und habe ihnen gesagt, dass ich nach Österreich zurück möchte. Sie haben ein Protokoll aufgenommen und meine Fingerabdrücke abgenommen. Sie haben gesagt, ich müsste warten bis eine Entscheidung gefallen ist und dann könnte ich zurück nach Österreich. Letztendlich bin ich erst im September nach Österreich zurückgekehrt.“

Im Hinblick auf das oben Ausgeführte gelingt es dem Beschwerdeführer damit nicht, sein Vorbringen glaubhafter erscheinen zu lassen, weshalb für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund besteht, an der Würdigung der belangten Behörde zu zweifeln.

Für den erkennenden Richter handelt es sich damit – der belangten Behörde folgend – sowohl bei der zunächst vorgebrachten Verfolgung aus religiösen Gründen durch eine Gruppe von Moslems als auch bei der nachträglich angeführten – in Nigeria unter Strafe stehenden – Bi- bzw. Homosexualität um vorgetäuschte bzw. erfundene Fluchtgeschichten. Eine Verfolgung von staatlichen und/oder privaten Gruppen aus politischen, rassischen, religiösen Gründen oder aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe konnte daher nicht festgestellt werden.

Zusammenfassend gelangt das Bundesverwaltungsgericht – wie auch schon die belangte Behörde – zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer aufgrund persönlicher Unglaubwürdigkeit, aufgrund von Widersprüchlichkeiten und aufgrund eines gesteigerten Fluchtvorbringens sowie mangels Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht keine asylrelevante Verfolgung in Nigeria glaubhaft machen konnte.

2.4. Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Nigeria samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie bspw. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat in Nigeria ergeben sich insbesondere aus den folgenden Meldungen und Berichten:

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019) https://www.ecoi.net/en/file/local/2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_-abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_-2019%29%2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/ 205788#content_5, Zugriff 18.11.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/innenpolitik/205844, Zugriff 30.09.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019c): Nigeria - Kultur und Bildung, Medien, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205846, Zugriff 2.10.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019c): Nigeria - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/wirtschaft/205790 , Zugriff 5.10.2020

-        AI - Amnesty International (10.4.2019): Death Sentences and Executions 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/2006174/ACT5098702019ENGLISH.PDF, Zugriff 9.04.2020

-        AI - Amnesty International (8.4.2020): Amnesty International Report 2019 - The State of the World's Human Rights - Nigeria, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/nigeria-nigeria-2019#section-11669048, Zugriff 9.4.2020

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (24.8.2020): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2037634/briefingnotes-kw35-2020.pdf; Zugriff 13.10.2020

-        BBC News (22.10.2018): Nnamdi Kanu, Nigerian separatist leader, resurfaces in Israel, https://www.bbc.com/news/world-africa-45938456, Zugriff 14.4.2

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten