TE Vwgh Erkenntnis 1997/3/12 96/21/0290

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Veröffentlicht am 12.03.1997
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §68 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z5;
FrG 1993 §80;
FrG 1993 §81;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hanel, über die Beschwerde des S in F, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in F, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 1. Februar 1996, Zl. Frb-4250a-12/95, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (der belangten Behörde) wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 5 FrG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, daß zum Vorliegen der Schleppertätigkeit durch den Beschwerdeführer auf die einleitend wiedergegebenen Feststellungen des bekämpften erstinstanzlichen Bescheides verwiesen werde. Die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch habe ausgeführt, daß aus der Anzeige des Gendarmerieposten Feldkirch-Stadt vom 2. Dezember 1994 ersichtlich sei, daß der Beschwerdeführer zusammen mit einer weiteren namentlich bekannten Person dringend verdächtigt sei, mehreren mazedonischen Staatsangehörigen gegen Entgelt die illegale Ausreise in die Schweiz ermöglicht zu haben. Der Beschwerdeführer und der namentlich bekannte Mittäter hätten am 14. November 1994 zu verschiedenen Zeiten im Bereich des Bahnhofes Feldkirch mazedonische Staatsangehörige angesprochen und ihnen Unterstützung betreffend einer allfälligen illegalen Ausreise angeboten. Für diese Dienste hätten sie nach Angabe der Geschleppten verschieden hohe D-Mark-Beträge gefordert. Am Abend des 14. November 1994 hätten sie mindestens sechs mazedonische Staatsangehörige an die Schweizer Grenze verfrachtet und ihnen die Route zum Grenzübertritt erklärt. Solche Angaben hätten die Geschleppten bei der Kantonspolizei St. Gallen gemacht. Weiters liege - so die Wiedergabe des erstinstanzlichen Bescheides in der einleitenden Begründung des vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides - eine Anzeige der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 15. Oktober 1995 vor. Darin werde der Beschwerdeführer dringend der organisierten gewerbsmäßigen Schlepperei verdächtigt. Aufgrund dieses Tatverdachtes sei er verhaftet worden. Er sei dringend verdächtigt, zumindest die vergangenen zwei Jahre von Feldkirch aus international agierende Schlepperei über Jugoslawien-Ungarn-Wien-Vorarlberg und anschließend in die Schweiz und in die Bundesrepublik Deutschland durchgeführt zu haben. Dabei seien mindestens 80 "illegale Personen" zum Preis von je sFr 1.000,-- geschleppt worden. Der nachgewiesene Umsatz des Beschwerdeführers belaufe sich zumindest auf ca. S 650.000,--.

Der Behauptung des Beschwerdeführers, er sei nicht im Bereiche des Schlepperwesens tätig, sei entgegenzuhalten, daß es sich bei der Anzeige der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg um eine Gesamtanzeige betreffend den Beschwerdeführer und mehrere Mittäter handle. Der Anzeige liege das Aufgreifen mehrerer türkischer Staatsangehöriger durch schweizerische Zollwachebeamte zugrunde. Die türkischen Staatsangehörigen hätten versucht, mit den in Österrreich illegal aufhältigen Personen über die grüne Grenze in die Schweiz einzureisen. Nach der Rückübernahme der türkischen Täter seien diese von Kriminalbeamten der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg einvernommen worden. Hiebei hätten zehn dieser Personen angegeben, als "Hilfsschlepper" für den Beschwerdeführer tätig zu sein. Aufgrund dieser Niederschriften seien Observationen durch die Kriminalbeamten durchgeführt worden. Die Wahrnehmungen der Kriminalbeamten hiebei hätten mit den Aussagen der rückübernommenen Personen übereingestimmt. Es habe beobachtet werden können, daß Personen, die sich illegal in Österreich aufhalten, sofort nach dem Eintreffen beim Bahnhof Feldkirch eine Telefonzelle aufsuchten. Der Beschwerdeführer hätte sich beim Eintreffen solcher Züge im Bereich des Bahnhofes bekleidet mit einer blauen Nylonjacke aufgehalten. Diese blaue Nylonjacke sollte als Erkennungszeichen dienen. Sie sei später bei einer Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers sichergestellt worden. Die beim Bahnhof ankommenden Personen hätten sich in der Folge zu einem bestimmten Kaffeehaus begeben. Nach den Angaben der Hilfsschlepper sei dies der Ort gewesen, von welchem aus die weitere Schleppung organisiert worden sei. Aufgrund der Anzahl der Personen, die jeweils angegeben hätten, den Beschwerdeführer zu kennen, von seiner Schleppertätigkeit zu wissen und auch selbst für ihn Schleppungen durchgeführt hätten, könne es auch ausgeschlossen werden, daß es sich um ein Komplott gegen den Beschwerdeführer handle. Dies insbesondere auch deshalb, weil sich die Hilfsschlepper durch ihre Angaben auch selber belasteten. Aufgrund von insgesamt 20 Aussagen und der jeweils durchgeführten Ermittlungen könne der Ansicht der Behörde erster Instanz gefolgt werden, daß der Beschwerdeführer um seines Vorteils willen Schlepperei begangen oder an ihr mitgewirkt habe. Die genannten Anzeigen des Gendarmeriepostens Feldkirch-Stadt und der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg und die damit in Verbindung stehenden Ermittlungen rechtfertigten die Annahme, daß der Beschwerdeführer als Schlepper tätig gewesen sei. Aufgrund dieser angeführten Schleppertätigkeiten sei die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt.

Der Beschwerdeführer halte sich seit 1978 ununterbrochen in Vorarlberg auf. Auch seine Ehefrau und seine zwei Söhne lebten in Österreich. Es sei davon auszugehen, daß die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie erheblich seien. Bei Schleppungen handle es sich jedoch zweifelsfrei um schwere Verstöße gegen die Rechtsordnung sowie gegen die öffentlichen Interessen an einer überwachten und geregelten Reise- und Wanderbewegung von Fremden. Aus diesem Grund sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes dringend geboten. Auch wenn zweifelsfrei ein schwerwiegender Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers vorliege, so überwögen doch die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen.

Es seien auch nicht die Voraussetzungen vorgelegen, dem Beschwerdeführer gemäß § 10 StbG 1985 die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen, weil er innerhalb der Zehn-Jahres-Frist wegen § 127 StGB rechtskräftig verurteilt worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt zusammengefaßt vor, es liege keine "bestimmte Tatsache" im Sinne des § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 5 FrG vor. Es sei nicht erwiesen, daß er um seines Vorteiles willen Schlepperei begangen oder an ihr mitgewirkt habe. Es handle sich nur um Vermutungen, die nicht als Tatsachen gewertet werden könnten. Es hätte zumindest das gegen ihn eingeleitete Strafverfahren beim Landesgericht Feldkirch abgewartet werden müssen.

Dieses Vorbringen zeigt im Ergebnis zu Recht eine zur Aufhebung des Bescheides führende Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Gemäß § 18 Abs. 1 FrG ist gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat gemäß § 18 Abs. 2 FrG insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder um seines Vorteiles willen Schlepperei begangen oder an ihr mitgewirkt hat (Z. 5). Die Verwirklichung des Tatbestandes des § 18 Abs. 2 Z. 5 FrG setzt eine rechtskräftige Bestrafung nach § 80 FrG oder eine rechtskräftige Verurteilung gemäß § 81 FrG nicht voraus. Wenn aber eine solche Bestrafung und/oder Verurteilung vorliegt, dann ist die Fremdenpolizeibehörde aufgrund der Rechtskraftwirkung an den im Bescheid und/oder Urteil enthaltenen Ausspruch hinsichtlich der Tat gebunden (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 28. Oktober 1993, Zl. 93/18/0305, und vom 21. Juli 1994, Zl. 94/18/0241). Wenn - wie im Beschwerdefall - im Zeitpunkt der Bescheiderlassung eine rechtskräftige Bestrafung und/oder Verurteilung nach den genannten Gesetzesstellen nicht vorliegt, so hat die Behörde entsprechend der ihr obliegenden Ermittlungspflicht ein den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 5 FrG erfüllendes Verhalten festzustellen und die dafür maßgeblichen Erwägungen in einer der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglichen Weise darzulegen. Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid nicht gerecht. Die belangte Behörde verweist lediglich auf die Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid. Dieser stützt sich auf den in den beiden genannten Anzeigen geäußerten dringenden Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer. Lediglich der wiedergegebene Teil der Anzeige des Gendarmeriepostens Feldkirch-Stadt läßt ein der Schlepperei im Sinne des § 80 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 2 FrG zu unterstellendes Verhalten erkennen. Ob aber die im angefochtenen Bescheid angestellten Erwägungen zur Frage der Beweiswürdigung auch auf diese Tat zutreffen, ergibt sich nicht zweifelsfrei aus dem Bescheid. Die wiedergegebenen Teile der Anzeige der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg zeigen hingegen keine konkreten Verhaltensweisen des Beschwerdeführers auf, die den genannten Tatbestand der Schlepperei erfüllen. Im Bescheid werden zwar Erwägungen zur Beweiswürdigung hinsichtlich der Erhärtung des dringenden Tatverdachtes ausgeführt, die einzelnen, dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Taten werden jedoch nicht konkret beschrieben. Der Hinweis auf einen in einer oder mehreren Anzeigen enthaltenen dringenden Tatverdacht reicht jedoch zur Erfüllung des Tatbestandes des § 18 Abs. 2 Z. 5 FrG nicht aus. Mangels ausreichender konkreter Feststellungen belastete die belangte Behörde bereits insoweit ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die Beschwerde ist aber auch insofern im Recht, als sie darauf hinweist, die Feststellung einer Verurteilung nach § 127 StGB sei nicht als Verleihungshindernis im Sinne des § 10 Abs. 1 StbG anzusehen.

Im angefochtenen Bescheid wird dazu lediglich ausgeführt, daß der Beschwerdeführer innerhalb der "10-Jahres-Frist" wegen § 127 StGB rechtskräftig verurteilt worden sei und daher dem Beschwerdeführer gemäß § 10 StbG 1985 die Staatsbürgerschaft nicht verliehen hätte werden können. Die bloße Erwähnung einer rechtskräftigen Verurteilung wegen § 127 StGB stellt aber keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die Annahme eines Verleihungshindernisses im Sinne des § 10 Abs. 1 StbG 1985 dar. Ob die Verurteilung ein Verleihungshindernis im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 2 oder 4 leg. cit. darstellt, kann mangels vollständiger Wiedergabe der der Verurteilung zugrundeliegenden Tat nicht beurteilt werden. Die Angaben im angefochtenen Bescheid reichen aber keinesfalls aus, um den auf das Verhalten des Beschwerdeführers abstellenden Verleihungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG 1985 anzunehmen. Darüber hinaus wird die belangte Behörde genau anzugeben haben, was sie unter der "10-Jahres-Frist" versteht. Hiebei wird sie im fortgesetzten Verfahren zu berücksichtigen haben, daß nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes als für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes "maßgeblicher Sachverhalt" im Sinne des § 20 Abs. 2 FrG nur solche Umstände herangezogen werden dürfen, die zu einem Zeitpunkt eingetreten sind, in welchem der Fremde die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG 1985 nicht mehr erfüllt hat. Bei Fremden, die die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG 1985 erfüllt haben, ist gemäß § 20 Abs. 2 FrG die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes daher nur dann zulässig, wenn es bei Anwendung der §§ 18 bis 20 Abs. 1 FrG auch unter Außerachtlassung jener Umstände verhängt werden dürfte, die zum Wegfall der Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 leg. cit. geführt haben (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 21. Februar 1996, Zl. 95/21/0372, und vom 19. Juni 1996, Zl. 95/21/0132).

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebührenaufwand gebührte im Ausmaß von S 360,-- (Beschwerde dreifach) und S 180,-- (Bescheid).

Schlagworte

Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996210290.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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