Entscheidungsdatum
19.03.2021Norm
AsylG 2005 §55 Abs1Spruch
W195 2009668-2/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch den XXXX , wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Wien nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.03.2021 zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß § 8 VwGVG iVm § 55 Abs 1 AsylG stattgegeben und festgestellt, dass für XXXX eine Aufenthaltsberechtigung plus zu erteilen ist.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Vorangegangenes Verfahren:
I.1.1 Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste am 13.12.2010 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes (im Folgenden: BAA) vom 05.07.2011, XXXX , sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status als Asylberechtigten (s. Spruchpunkt I) als auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) abgewiesen und die Ausweisung des BF gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 nach Bangladesch ausgesprochen wurde (Spruchpunkt III).
I.1.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 15.07.2011 Beschwerde, welche mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 31.10.2012, XXXX gemäß §§ 3, 8 und 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen wurde. Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.
I.1.3. Mit Schreiben vom 11.01.2013 wurde der BF von der Landespolizeidirektion XXXX darüber informiert, dass gegen ihn „ein/e durchsetzbare Rückkehrentscheidung/
Ausweisung/Aufenthaltsverbot“ bestehe und er zur unverzüglichen Ausreise verpflichtet sei. Noch am selben Tag wurde ein Ladungsbescheid für den 12.02.2013 erlassen, den der BF auch befolgte.
Im Rahmen der Einvernahme vom 12.02.2013 gab der BF an, über kein Reisedokument zu verfügen. Dem BF wurde daraufhin die Aufenthaltsberechtigungskarte abgenommen und an das BAA retourniert. In weiterer Folge wurde der BF am 10.05.2013 sowie 27.06.2013 gemäß § 120 Abs. 1a FPG wegen rechtswidrigen Aufenthalts angezeigt. Bei der fremdenpolizeilichen Kontrolle am 07.05.2013, auf welche die Anzeige vom 10.05.2013 folgte, gab er an, er habe sich bereits bei der Botschaft seines Herkunftsstaates um die Ausstellung eines
(Reise-)Dokumentes bemüht.
I.1.4. Am 19.11.2013 stellte der BF einen „Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete“ und begründete diesen damit, in Ermangelung eines Reisedokumentes seiner Ausreiseverpflichtung nicht Folge leisten zu können. Er brachte vor, im Februar 2013 per Einschreiben an die Vertretungsbehörde von Bangladesch in Berlin (Deutschland) die Ausstellung eines Reisepasses beantragt zu haben. Nachdem er jedoch keine Rückmeldung erhalten habe, habe er im März 2013 im persönlichen Gespräch mit einem in Wien weilenden Botschaftsvertreter erfahren, dass es derzeit nicht absehbar sei, ob und wann ein Reisepass ausgestellt werde. Die Voraussetzungen für die Ausstellung einer „Karte für Geduldete“ gemäß § 46a Abs. 2 FPG lägen auch insbesondere im Hinblick auf die stetige Kooperationsbereitschaft des BF vor.
I.1.5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 25.06.2014, XXXX , wurde der Antrag des BF auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß § 46a Abs. 1b FPG abgewiesen. Begründend führte das BFA dazu aus, dass die Identität des BF nicht feststehe, zumal er diese auch weder mit Reisedokumenten noch sonstigen Unterlagen nachweisen könne. Aus der im Asylverfahren abgeleiteten „Verfahrensidentität“ lasse sich kein Rechtsanspruch auf die Anerkennung als tatsächliche Identität ableiten, solange keine entsprechenden Urkunden oder Dokumente zum Nachweis der tatsächlichen Identität vorgelegt werden. Darüber hinaus sei der BF der Verpflichtung zur Ausreise, die mit der Ausweisung verbunden sei, bisher nicht nachgekommen.
Dagegen erhob der BF mit Schriftsatz vom 10.07.2014 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
I.1.6. Das Bundesverwaltungsgericht stellte aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens mit Schriftsatz vom 01.10.2014 den Antrag an den Verfassungsgerichtshof, § 46a Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz idF des Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetzes BGBl. I 87/2012 als verfassungswidrig aufzuheben. Mit Erkenntnis vom 23.02.2015 XXXX , wies der Verfassungsgerichtshof den Antrag mit der Begründung, einerseits sei der Eintritt der Duldung als Tatbestandselement für die Ausstellung der Karte im Rechtsmittelweg überprüfbar und andererseits könne es bei einem ex lege Eintritt der Rechtsfolge der Duldung auch zu keiner willkürlichen Bildung unterschiedlich behandelter Gruppen von Fremden durch bloße Untätigkeit der Behörde kommen, ab (vgl. hiezu VfGH vom 09.12.2014, VfSlg. 19.935/2014).
I.1.7. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.01.2019, XXXX , wurde der Beschwerde gemäß § 46a Abs. 1 Z 3 FPG 2005 insoferne stattgegeben, als dem BF daraufhin eine Karte für Geduldete ausgestellt wurde.
I.2. Gegenständliches Verfahren:
I.2.1. Bereits mit Formularantrag vom 23.07.2015 (AAS 315) ersuchte der BF beim BFA um die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK und legte zum Nachweis seiner Integrationsbemühungen u.a. ein Deutsch-Sprachzertifikat (vom 23.03.2012, A2) und eine Bestätigung über den Besuch eines Deutschkurses (Juni 2013) sowie eine Bestätigung über seine Mitgliedschaft beim Wiener Roten Kreuz (2012) und einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag vor, wonach der BF unmittelbar nach Erteilung der Niederlassungsbewilligung als Küchenhilfe auf unbestimmte Zeit tätig sein solle.
I.2.2. Am 20.03.2019 ersuchte die Rechtsvertretung des BF via Fax an das BFA über den Stand des Antrages auf Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung plus“ bzw. des „Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung“ vom 23.07.2015 Auskunft zu erteilen (AAS 489).
I.2.3. Am 27.05.2019 wiederholte der BF durch seinen Rechtsvertreter das Begehren auf Mitteilung des Verfahrensstandes.
I.2.3. Mit Schriftsatz vom 27.10.2020 erhob der BF, vertreten durch den XXXX , Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht an das Bundesverwaltungsgericht.
I.2.4. Mit Schreiben vom 04.02.2021 legt das BFA (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet) den Antrag des BF vom 23.07.2015, die Säumnisbeschwerde vom 27.10.2020 sowie den gesamten Verfahrensakt, auch betreffend das Vorverfahren zur XXXX , dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
I.2.5. Mit der Ladung zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem BF das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch (Dezember 2020) zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 17.03.2021 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.
I.2.6. Am 17.03.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.
Einleitend wurde festgehalten, dass der Rechtsvertreter des BF trotz ausgewiesener Ladung nicht erschien. Dazu gab der BF an, dass er am Vortag noch mit dem BF telefoniert habe und dieser sein Kommen zusagte.
Der vorsitzende Richter unterstützte den BF im Rahmen der Verhandlung mit einer vertieften Verfahrensanleitung.
Der BF legte einen (neuen, aktuellen) Arbeitsvorvertrag vor, wonach er als Küchenhilfe beschäftigt werden könnte.
Darüber hinaus legte der BF einen fachärztlichen Befundbericht vom 31.08.2020 vor; demzufolge wird für das weitere Procedere festgehalten: „Durch regelmäßige psychologische Gespräche, medikamentöse Therapie und Einbindung in unser therapeutisches Tageszentrum konnte eine Stabilisierung des Befindens erreicht werden. Derzeit ist der Patient von Selbstmordgedanken glaubhaft distanziert und findet Sinn in der Beschäftigung in der Holzwerkstatt unseres therapeutischen Tageszentrums. Aus fachärztlicher Sicht werden im Sinne einer nachhaltigen Stabilisierung eine Sicherung des Aufenthaltsstatus sowie der Zuerkennung einer Arbeitserlaubnis befürwortet.“
Nachgefragt gab der BF dazu an, dass sich sein psychischer Zustand verbessert habe, er müsse nur mehr 1,5 Tabletten statt früher 2 Tabletten pro Tag nehmen (BVwG S 8). Darüber hinaus leide er an Diabetes, sein Cholesterin sei zu hoch (BVwG S 4). Er fühle sich verloren, weil er keinen Kontakt zur Familie habe und er habe einmal im Park versucht Selbstmord zu begehen (BVwG S 8).
Zu seiner Familie gab der BF an, dass er in Bangladesch verheiratet sei (BVwG S 5). Er habe 2008 staatlich geheiratet und habe zwei Kinder, ein Mädchen und einen Buben. Er habe aber zu seiner Familie seit fünf Jahren keinen Kontakt. Wegen des seinerzeitigen Fluchtgrundes und der folgenden Belästigungen sei seine Familie umgezogen, er wisse nicht, wohin. Da er sie von Österreich aus nicht unterstützen konnte hätten sie alle ihm den Rücken gezeigt. Er sei – seines Wissens nach – nicht geschieden.
Sein Vater sei vor längerer Zeit verstorben, er wisse nicht, wo sich seine Mutter und sein Bruder aufhalten (BVwG S 4). Der Schwiegervater, bei dem früher seine Frau mit den Kindern wohnte, würde in einem Nachbardorf leben. (BVwG 6). Er habe seit fünf Jahren mit niemandem mehr Kontakt in Bangladesch.
Der BF hat in Österreich keine Verwandten, keine Kinder und auch keine Beziehung.
Im Rahmen der Verhandlung versuchte der Richter eine Konversation in deutscher Sprache; diese Unterhaltung war nur schwer möglich, der Sprachwortschatz war begrenzt, die Antworten erfolgten nicht in ganzen Sätzen. Das Sprachniveau entsprach dem vom Rechtsvertreter vorweg übermittelten A2-Sprachzertifikat. Der BF machte diesbezüglich seine Nervosität geltend.
Hinsichtlich seiner täglichen Tätigkeiten gab der BF zu Protokoll, dass er in der Früh aufstehe und dann in den Park gehe, der sich in der Nähe zur Wohnung befindet. Zu Mittag koche er, am Nachmittag gehe er spazieren, etwa zum Stephansplatz, Karlsplatz oder zum Parlament, und er fahre gerne Fahrrad. „So vergeht meine Zeit“. Früher, als er die Zeitungsarbeit machte, habe er ältere Personen kennengelernt, er half bei kleineren Aufgaben. Nachgefragt, ob er mit Freunden etwas unternehme, meinte der BF, dass er im Sommer gerne Fußballspielen gehe; er verbringe Zeit mit seinen Nachbarn, welche aus Polen, Bangladesch, Indien und Ungarn stammen. Er würde sich in deutscher Sprache mit ihnen unterhalten.
Man würde ihn gut verstehen, aber auf Grund seines mentalen Zustandes falle es ihm schwer neue Wörter zu lernen. Einmal hätten seine Freunde bemerkt, dass er mental nicht mehr stabil sei und nur mehr Blödsinn spreche. Seitdem ginge er zum Arzt, welcher ihm Tabletten verschrieben habe.
Zu seiner Schulbildung befragt gab der BF an, dass er bis zur 10. Klasse in Bangladesch gegangen sei. Er habe danach verschiedene Berufe ausgeübt, etwa als Schweißer, in der Landwirtschaft und im Textilhandel.
Nach Österreich sei er im Dezember 2010 gekommen. Bevor sein Verfahren negativ abgeschlossen wurde, hätte er als Zeitungszusteller gearbeitet. Jetzt werde er regelmäßig von der Caritas unterstützt. Er zahle € 286 an Miete, er lebe mit zwei anderen Bengalen als Mitbewohner. Gelegentlich habe er für die Caritas kleine Hilfstätigkeiten ausgeführt.
Darüber befragt, weshalb der BF trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung das Bundesgebiet nicht verlassen habe, meinte der BF, dass die bengalische Botschaft ihm keine Papiere zukommen habe lassen. Tatsächlich finden sich im Akt Anschreiben an die (zum damaligen Zeitpunkt zuständige) Botschaft der Volksrepublik Bangladesch in Berlin/Deutschland. In der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.01.2019, XXXX , wurde der entsprechende Sachverhalt und die folgende Zuerkennung einer Karte für Geduldete festgehalten.
Der BF legte dem Bundesverwaltungsgericht nunmehr im Rahmen der Verhandlung drei Bestätigungen hinsichtlich der Kontaktnahme mit der Botschaft der Volksrepublik Bangladesch in Wien vor ( XXXX ); Diese Bestätigungen beinhalten lediglich eine Konsultationszeit („to discuss consular matters“, „to get consular service“), aber nicht, dass die Botschaft dem BF kein Rückreisezertifikat oder keine Dokumente ausstellen würde.
Falls der BF in die Heimat zurückkehren müsste sei er auf sich alleine gestellt. Sonstige Befürchtungen gab der BF nicht zu Protokoll.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:
Auf die Feststellungen im Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 31.10.2012, XXXX sowie auf das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.01.2019, XXXX , und den darin enthaltenen Ausführungen wird verwiesen.
Zusammengefasst wird festgestellt, dass der volljährige BF Staatsangehöriger von Bangladesch ist und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali/Bengala.
Der BF ist mit einer Bengalin verheiratet und hat zwei Kinder. In Bangladesch leben auch noch seine Mutter, ein Bruder sowie die Schwiegerfamilie. Seine Familie lebt in Bangladesch. Der BF hat seit fünf Jahren keinen Kontakt zu seiner Familie.
Der BF ist seit Dezember 2010 in Österreich. Er spricht Deutsch auf dem Niveau A2.
Der BF besitzt seit 2019 eine Karte für Geduldete.
Der BF lebt von der Caritas. Der BF hat überwiegend polnische, indische, bengalische und ungarische Freunde; Unterstützungserklärungen von Österreicherinnen und Österreichern wurden ebenfalls vorgelegt. Eine tiefgehende Verwurzelung in die österreichische Gesellschaft machte der BF nicht deutlich; er ist lediglich Mitglied eines bengalisch orientierten Vereines; er unterstützte mit kleinen Hilfstätigkeiten die Caritas und ältere Personen.
In Österreich hat der BF keine Verwandten, keine Kinder und keine Beziehung.
Der BF lebt gemeinsam mit zwei anderen Bengalen in einer Mietwohnung und zahlt €°286 monatlich an Miete.
Der BF hat in Bangladesch eine zehnjährige Schulausbildung genossen; er arbeitete als Schweißer, in der Landwirtschaft und im Kleiderhandel. Er BF legte einen aktuellen Arbeitsvorvertrag vor.
Der BF hat Diabetes und Cholesterin. Darüber hinaus hat der BF mentale Probleme, welche jedoch stabil sind und in letzter Zeit Verbesserungen bemerkbar seien. Der BF fühlt sich „verloren“, er nimmt Tabletten gegen Stimmungsschwankungen, von Selbstmordgedanken ist der BF glaubhaft distanziert.
Der BF hat Kontakt zur – nunmehr zuständigen - bengalischen Botschaft in Wien; eine Bestätigung darüber, dass die Botschaft ihm kein Heimreisezertifikat oder andere Dokumente ausstellen würde, legte der BF nicht vor, sondern lediglich zeitliche Bestätigungen über Konsultationen mit der Botschaft.
Der BF ist strafrechtlich unbescholten.
II.1.1. Zur Säumnisbeschwerde:
Am 23.07.2015 stellte der BF den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gem Art 8 EMRK (Aufenthaltsberechtigung plus bzw Aufenthaltsberechtigung).
Am 20.03.2019 sowie am 27.05.2019 ersuchte die Rechtsvertretung des BF um Auskunft über den Stand dieses Verfahrens.
Das BFA führte hinsichtlich dieses Antrages vom 23.07.2015 keine (weiteren) Verfahrensschritte durch.
Mit Schriftsatz vom 27.10.2020 erhob der BF Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht an das Bundesverwaltungsgericht. Die belangte Behörde legte dem BVwG mit Schreiben vom 04.02.2021 den Antrag des BF vom 23.07.2015, die Säumnisbeschwerde vom 27.10.2020 sowie den Verfahrensakt zur Entscheidung vor.
II.2. Beweiswürdigung:
II.2.1. Hinsichtlich der Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des BF sowie zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und seiner Muttersprache wird auf die rechtskräftigen Feststellungen im Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 31.10.2012, XXXX sowie auf das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.01.2019, XXXX , und den darin enthaltenen Ausführungen verwiesen.
II.2.2. Die Säumnis der belangten Behörde ergibt sich aus dem Beschwerdeschriftsatz und aus den vorgelegten Akten, in denen keinerlei Aktivitäten hinsichtlich des gestellten Antrages aus dem Jahr 2015 noch hinsichtlich der wiederholten Nachfrage über den Verfahrensstand zu entnehmen ist. Die belangte Behörde ist dem Vorwurf der Säumnis auch nicht entgegengetreten.
II.2.3. Die Identität des BF konnte – mangels Vorliegens geeigneter Identitätsnachweise – seitens des Bundesverwaltungsgerichtes nicht festgestellt werden und der im Spruch angeführte Name und das angeführte Geburtsdatum des BF dienen zur Identifizierung des BF als Verfahrenspartei.
Die Feststellungen zur Herkunft des BF, seiner absolvierten Schulausbildung und seinem Familienstand, seinem Gesundheitszustand, seinen Aktivitäten in Österreich sowie seinen Integrationsbemühungen einschließlich Beschäftigung, ergeben sich neben den bereits angeführten Feststellungen aus früheren Erkenntnissen, nunmehr aktualisiert aus der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 17.03.2021.
Keine genauen Feststellungen konnten zu den sich in Bangladesch aufhältigen Familienangehörigen gemacht werden, da der BF behauptet seit fünf Jahren keinen Kontakt zu seiner Ehefrau, seinen zwei Kindern, seiner Mutter, dem Bruder und der Schwiegerfamilie zu haben-.
Die im Dezember 2010 erfolgte illegale Einreise des BF ist aktenkundig. Die strafrechtliche Unbescholtenheit geht aus einer Einsichtnahme in die österreichischen amtlichen Register (Fremdeninformationssystem, Zentrales Melderegister, Strafregister) hervor.
Dass der BF über private Anknüpfungspunkte in Österreich in nennenswertem Ausmaß verfügt, war seinen diesbezüglich aktuell getätigten Angaben nicht zu entnehmen. Lediglich der dem Antrag beigefügten Stellungnahme sind integrative Erläuterungen zu entnehmen, welche die positiven Fortschritte der Integration beweisen sollen.
Dass der BF am sozialen bzw. kulturellen Leben in besonderer Weise teilnimmt, konnte mangels diesbezüglicher Angaben des BF bzw. der Vorlage von entsprechenden Unterlagen jedenfalls nicht einwandfrei festgestellt werden. Eine besondere Integration war dem gesamten Vorbringen nicht zu entnehmen. Der BF hat polnische, bengalische, indische und ungarische Freunde, er hat (offensichtlich früher als Zeitungszusteller bis 2012) auch Kontakte zu älteren Personen, welchen er kleine Hilfstätigkeiten ausführte. Im Vorakt finden sich zahlreiche Unterstützungserklärungen.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF gründen ebenso auf dessen eigenen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht. Im Laufe des Verfahrens wurden keine ärztlichen Unterlagen vorgelegt, die akute lebensbedrohliche gesundheitliche Beeinträchtigungen des BF nachweisen würden. Wie den im Verfahren zugänglichen aktuellen Länderinformationsberichten zu entnehmen ist, sind gängige Krankheiten (zu denen Diabetes und erhöhtes Cholesterin wohl zählen) ebenso in Bangladesch behandelbar wie mentale Beeinträchtigungen, jedoch eingeschränkt auf größere Städte, wie der Hauptstadt Dhaka, Sylhet etc. Der BF leidet nach eigenen Angaben darunter, dass er sich „verloren“ fühlt und würde nach den fachärztlichen Ausführungen eine Arbeit im Therapeutischen Umfeld ihn im Heilungsprozess unterstützen. Diese Möglichkeit hat der BF bereits jetzt und zeigen sich positive Auswirkungen.
II.3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 8 Abs 1 erster Satz VwGVG kann eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG 8Säumnisbeschwerde) erst dann erhoben werden, wenn die Behörde nicht innerhalb der vorgesehenen gesetzliche Entscheidungsfrist entschieden hat.
Gemäß § 8 Abs 1 letzter Satz VwGVG ist die Beschwerde abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.
§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.
Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA. Somit ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
II.3.1. Zu A:
II.3.1.1. Zur Zulässigkeit der Säumnisbeschwerde
Der BF brachte im Jahr 2015 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK ein. Wie aus den vorgelegten Akten unzweifelhaft ersichtlich ist, hat die belangte Behörde diesen konkreten Antrag nicht weiter bearbeitet und haben auch Nachfragen des Antragstellers durch seinen Rechtsvertreter keinerlei Reaktionen der belangten Behörde bewirkt.
Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das BVwG im Jahr 2019 ein (auf einem anderen Antrag gründendes) Verfahren beendete und das gegenständliche Verfahren „faktisch ausgesetzt“ gewesen wäre (was jedoch weder formell nachvollziehbar oder von der belangten Behörde behauptet worden wäre), ändert an der Untätigkeit der Behörde zumindest seit diesem Zeitpunkt (2019) nichts.
Da somit die Verzögerung hinsichtlich der Entscheidung zu diesem Antrag ausschließlich der belangten Behörde zuzurechnen ist, hat der BF zu Recht den Säumnisantrag gestellt. Das Bundesverwaltungsgericht hat somit über den gegenständlichen Antrag vom 23. Juli 2015 zu entscheiden.
Zum Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK
Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt (Z 1), wenn dies zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel notwendig ist (Z 2) oder wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Z 3).
Der BF befindet sich seit Dezember 2010 im Bundesgebiet. Sein Aufenthalt ist seit 11.01.2019 geduldet, sein Status hat sich seitdem nicht geändert.
Die belangte Behörde hat nicht vorgebracht, dass der BF eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich darstellt und lassen sich derartige Gegebenheiten auch nicht aus den vorgelegten Akten erschließen.
Der BF wurde, wie dem aktuellen Strafregisterauszug zu entnehmen ist, nicht rechtskräftig verurteilt und sind keine sonstigen Verfahren bekannt geworden, welche gegen die Ausstellung eines Aufenthaltstitels sprechen würden.
Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen somit im nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt im vorliegenden Einzelfall vor, auch wenn diese Voraussetzungen im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht vorgelegen haben mögen.
II.3.2. Zu B – Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides ausführlich wiedergegeben.
Schlagworte
Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltsdauer Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK Entscheidungspflicht Säumnisbeschwerde VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W195.2009668.2.00Im RIS seit
25.06.2021Zuletzt aktualisiert am
25.06.2021