Entscheidungsdatum
22.03.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W284 2123463-2/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. WAGNER-SAMEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch RA Dr. Christian Lang als Abwesenheitskurator, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.02.2019, Zl. 1066411009-181171550, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe, dass Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben wird, als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 28.04.2015 gemeinsam mit seiner Ehefrau einen Antrag auf internationalen Schutz. Für den gemeinsamen in Österreich nachgeborenen Sohn stellte er am 02.09.2015 einen Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht; kurz: BFA) führte ein Familienverfahren und wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 25.02.2016, Zl. 1066411009 + VZ 150435166, hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Jedoch wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten auf Grund der allgemeinen, schlechten Sicherheitslage im Irak zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 24.02.2017 erteilt (Spruchpunkt III.).
Die Anträge der Familienangehörigen, d.h. der Ehefrau und des minderjährigen Sohnes des Beschwerdeführers, wurden im Rahmen eines Familienverfahrens (§ 34 AsylG) im Ergebnis gleich lautend entschieden.
3. Dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurde von der Polizeibehörde Wiesbaden Mitteilung erstattet, wonach sich der Beschwerdeführer wissentlich und freiwillig 77 Tage in die Obhut des Herkunftsstaates Irak begeben habe. Der Beschwerdeführer sei am 05.07.2016 am Flughafen Frankfurt am Main angehalten/kontrolliert worden. Er habe einen österreichischen Flüchtlingspass und einen irakischen Reisepass bei sich gehabt.
4. Die österreichische Botschaft Beirut teilte mit Schriftsatz vom 28.03.2017 mit, dass der Beschwerdeführer am 10.03.2017 in der Botschaft im Libanon persönlich vorstellig geworden sei und um Ausstellung eines österreichischen Fremdenpasses ersucht habe, weil die Gültigkeit seines Reisedokumentes abgelaufen sei. Im österreichischen Fremdenpass zu Zl. F 1204171, gültig von 22.03.2016 bis 24.02.2017 befänden sich zwei Stempel: ein Einreisestempel nach Italien vom 23.02.2017 und ein Ausreisestempel aus Österreich vom 24.02.2017; Angaben dazu, mit welchem Dokument der Beschwerdeführer zuvor aus dem Schengenraum ausgereist sei, habe er nicht erstattet. Weiters gab der Beschwerdeführer an, sich bei der irakischen Botschaft in Österreich einen irakischen Reisepass besorgt zu haben, den er für Reisen in den Irak und den Libanon verwendet habe. Er habe eine Aufenthaltskarte für den Libanon vorgelegt. Er sei Student an einer libanesischen Universität, seine Aufenthaltsgenehmigung bis 13.12.2017 gültig. Der Erhalt einer Aufenthaltskarte des Libanon setze das persönliche Erscheinen des Beschwerdeführers bei der hiesigen Behörde voraus. Am 17.03.2017 erschien der Beschwerdeführer erneut und gab an, seinen irakischen Reisepass verloren zu haben. Weder habe der Beschwerdeführer jedoch die erbetene Vorlage einer Verlustanzeige noch seine angeblich vorhandene Kopie des Reisepasses auf dem Handy, obwohl in Aussicht gestellt, in Vorlage gebracht.
5. Die gegen die Versagung des Asylstatus gerichtete Beschwerde wurde hinsichtlich des nunmehrigen Beschwerdeführers unter Zl. 2123463-1/7E mit hg. Erkenntnis vom 05.01.2018 als unbegründet abgewiesen. Mit demselben Erkenntnis wurde auch hinsichtlich der Ehefrau und des Sohnes des Beschwerdeführers gleich entschieden.
6. Mit Schriftsatz vom 06.12.2018 regte die belangte Behörde – zwecks Erlassung eines Aberkennungsbescheides und weil die Kontaktaufnahme zum Beschwerdeführer sowie den weiteren Familienmitgliedern nicht möglich sei – die Bestellung eines Abwesenheitskurators beim Bezirksgericht Donaustadt an.
7. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 05.02.2019, Zl. 3 P 278/18h, wurde RA Dr. Christian Lang als Abwesenheitskurator für den Beschwerdeführer bestellt.
8. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 12.02.2019 wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid des BFA vom 25.02.2016 (Pkt. I.2. des Verfahrensganges) zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und ihm die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen ihn wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.).
Begründend stützte sich die Behörde darauf, dass der Beschwerdeführer freiwillig und nachweislich für 77 Tage in seine Heimat zurückgekehrt sei. Er habe seinen Lebensmittelpunkt in einem anderen Staat und werde in keiner Datenbank im österreichischen Bundesgebiet geführt. Mit seiner Ausreise aus Österreich habe der Beschwerdeführer verdeutlicht, dass er den gewährten Schutz nicht mehr benötige. Auch seine Ehefrau und sein in Österreich geborenes Kind seien nicht mehr im Bundesgebiet aufhältig, weshalb kein schützenswertes Familienleben in Österreich vorliege. Die Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise habe entfallen dürfen, weil sich der Beschwerdeführer gar nicht mehr im Bundesgebiet befinde.
9. Mit dem als „Stellungnahme“ betitelten Schriftsatz des Kurators vom 18.02.2019 gab dieser bekannt, dass der Beschwerdeführer für ihn nicht erreichbar sei, weshalb er sich – mangels Informationen – gegen die mit Bescheid erfolgte Aberkennung ausspreche. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aberkennung des subsidiären Schutzes würden nicht vorliegen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid vom 25.02.2016 aufgrund der allgemeinen instabilen Sicherheitslage im Irak der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gewährt.
Hinsichtlich seiner Ehefrau und dem gemeinsamen in Österreich nachgeborenen Sohn führte das BFA ein Familienverfahren und entschied in Bezug auf diese inhaltsgleich, indem es ihnen ebenfalls subsidiären Schutz gewährte.
Obwohl dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom Februar 2016 subsidiärer Schutz seitens Österreichs gewährt wurde, kehrte er noch im selben Jahr für einen zwei Monate übersteigenden Zeitraum freiwillig in den Irak zurück.
Dem Beschwerdeführer droht im Irak keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen/internationalen Konflikts.
Der Beschwerdeführer reiste (zuletzt) am 24.02.2017 aus Österreich aus und seither nicht mehr in das österreichische Bundesgebiet ein. Er hat demnach seinen Lebensmittelpunkt seit mehr als vier Jahren nicht (mehr) in Österreich.
Ob der Beschwerdeführer im Irak oder im Libanon lebt, kann nicht festgestellt werden.
Auch die Frau und der Sohn des Beschwerdeführers leben nicht in Österreich.
Für den Beschwerdeführer wurde RA Dr. C.L. zum Abwesenheitskurator bestellt.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.02.2019 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten entzogen.
Seiner Ehefrau und seinem Sohn wurde der Status der Asylberechtigten jeweils mit Bescheid vom 15.03.2020 entzogen. Diese Bescheide erwuchsen in Rechtskraft.
2. Beweiswürdigung:
Einsicht genommen wurde in den Bescheid vom 25.02.2016, aus dem sich die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus des Beschwerdeführers ergibt.
Dir Aberkennung des subsidiären Schutzes geht aus dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 12.02.2019 hervor. Hinsichtlich der Ehefrau und des Sohnes des Beschwerdeführers, zu denen am Bundesverwaltungsgericht keine Beschwerdeverfahren anhängig sind, wurde im Fremdenregister unter der jeweilige IFA-Zahl Nachschau gehalten. Aus den am 18.03.2018 abgefragten Auszügen ergibt sich, dass diesen - mit Bescheiden vom 15.03.2020 - der Status der subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde und diese Bescheide (Aberkennungen) bereits in Rechtskraft erwuchsen.
Weder der Beschwerdeführer noch seine Frau und sein Sohn sind in Österreich gemeldet, wie die Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister (ZMR) ausweist. Der Beschwerdeführer wurde bereits mit 30.08.2017 abgemeldet. Die Ehefrau und der Sohn verfügen seit Ende des Jahres 2018 über keine aufrechte Meldung in Österreich. Mit der Abmeldung aus dem ZMR korreliert, dass weder der Beschwerdeführer noch seine Frau bzw. sein Sohn seither Leistungen aus der Grundversorgung bezogen haben, wie die aktuell (mit Stand 18.03.2021) erstellten GVS-Auszüge belegen. Bereits daraus lässt sich ableiten, dass die Beschwerdeführer augenscheinlich nicht mehr in Österreich aufhältig sind oder ihren Lebensmittelpunkt hier haben. Zudem ist die Meldung der deutschen Polizeibehörde W., wonach sich im Zuge einer Flughafenkontrolle am 05.07.2016 herausgestellt hat, dass sich der Beschwerdeführer wissentlich und freiwillig 77 Tage in die Obhut des Iraks begeben hat, heranzuziehen und belegt diese, dass der Beschwerdeführer bereits kurze Zeit nach Erhalt seines subsidiären Schutzstatus das Bundesgebiet wieder verlassen hat. Die Mitteilung der österreichischen Botschaft Beirut legt nahe, dass der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt, wenn auch bloß vorübergehend, in den Libanon verlegt hat. Einerseits, weil er im März 2017 zweimal persönlich bei der österreichischen Botschaft im Libanon vorstellig wurde, andererseits, weil er eine Aufenthaltsberechtigung für den Libanon (zum Zwecke seines Studiums) bei der österreichischen Botschaft Beirut in Vorlage brachte, welche von der Botschaft an das BFA übermittelt wurde und als Beilage ./04 (AS 35) in Kopie im Verwaltungsakt einliegt; somit hat sich ergeben, dass der Beschwerdeführer zumindest bis 13.12.2017 im Libanon aufenthaltsberechtigt war. In Zusammenschau damit, dass der ebenso durch die österreichische Botschaft Beirut sichergestellte, abgelaufene Reisepass zu Zl. F 1204171, die Ausreise des Beschwerdeführers aus Österreich am 24.02.2017 durch den entsprechenden Ausreisestempel belegt, kann als gesichert angesehen werden, dass der Beschwerdeführer seinen Lebensmittelpunkt seit dem Zeitpunkt seiner Ausreise im Februar 2017 nicht (mehr) in Österreich hat. Dass der zum Abwesenheitskurator bestellte RA keinen Kontakt zu seinem Kuranden aufzunehmen in der Lage war (AS 210), stützt die Annahme, dass der Beschwerdeführer den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen nicht in Österreich hat. Auch die Ehefrau und der Sohn des Beschwerdeführers, denen der Status der subsidiär Schutzberechtigten bereits rechtskräftig aberkannt wurde, befinden sich nicht mehr im Bundesgebiet.
Offen geblieben ist dagegen, ob der Beschwerdeführer in seinen Herkunftsstaat Irak zurückgekehrt ist oder sich im Libanon angesiedelt hat; dies ändert jedoch nichts daran, dass er in Österreich jedenfalls keinen Lebensmittelpunkt mehr hat.
Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer im Irak keiner ernsthaften Bedrohung seines Lebens ausgesetzt ist, gründet im Wesentlichen darauf, dass er sich bereits kurze Zeit nach Gewährung subsidiären Schutzes durch Österreich von sich aus wieder freiwillig in den Irak begeben hat. Hätte der Beschwerdeführer auch nur ansatzweise eine Bedrohungsgefahr für Leib und Leben erkannt, wäre er – zu einem Zeitpunkt, als er über eine gültige (bis zum 24.02.2017 befristete) Aufenthaltsberechtigung in Österreich verfügte – wohl kaum von sich aus wieder in den Irak gereist. Dass es sich hierbei um eine freiwillige Entscheidung gehandelt hat, geht insbesondere aus der Mitteilung der Polizeibehörde Wiesbaden (AS 9), welche den Beschwerdeführer zu den Vorkommnissen befragte, hervor. An dieser Stelle ist auch auf das hg. Erkenntnis vom 05.01.2018, Zl. 2123463-1/7E, hinzuweisen, wodurch feststeht, dass der Beschwerdeführer auch keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat (und somit eine Gefahr für Leib und Leben) zu gewärtigen hat.
Die Feststellung zur Bestellung eines Abwesenheitskurators fußt auf dem pflegschaftsgerichtlichen Bestellungsbeschluss des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 05.02.2019, Zl. 3 P 278/18h-16.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor, weil weder das AsylG noch das FPG Abweichendes vorsehen.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles anzuwenden.
Im vorliegenden Fall wurde für den Beschwerdeführer, der sich nicht mehr in Österreich aufhält - auf Anregung der Behörde - ein Abwesenheitskurator bestellt:
Die zugrundeliegende Bestimmung, § 11 AVG, lautet wie folgt:
„Soll von Amts wegen oder auf Antrag gegen einen schutzberechtigten Beteiligten, der eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, oder gegen eine Person, deren Aufenthalt unbekannt ist, eine Amtshandlung vorgenommen werden, so kann die Behörde, wenn die Wichtigkeit der Sache es erfordert, die Betrauung einer Person mit der Obsorge oder die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters oder Kurators beim zuständigen Gericht (§ 109 JN) veranlassen.“
Das BFA hatte demnach zu klären, ob die Wichtigkeit der Sache ein Vorgehen gemäß § 11 AVG gebietet. Dazu ist festzuhalten, dass die Aberkennung des Status eines Asylberechtigten, aber auch die Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten zur Folge hat, dass der schutzberechtigte Beteiligte sein Aufenthaltsrecht verliert und vom BFA aufenthaltsbeendende Maßnahmen ergriffen werden. Diese Entscheidung greift sohin massiv in die Lebensinteressen des Fremden ein, weshalb die Wichtigkeit der Sache zu Recht bejaht und die Bestellung eines Abwesenheitskurators beim Pflegschaftsgericht zu veranlassen war (vgl. hierzu Stefan Pfarrhofer in migraLex 2019, S. 76).
Anzumerken ist noch, dass die durch seinen Kurator erhobene „Stellungnahme“ des Beschwerdeführers als Beschwerde gegen den aberkennenden Bescheid zu werten war, weil sich mit dem Ausspruch des Kurators gegen die Aberkennung des subsidiären Schutzes, der wesentliche Inhalt und die Art des gestellten Begehrens und somit der Charakter der Eingabe als Beschwerde eindeutig ergeben haben (vgl. VwGH 01.04.2004, Zl. 2003/20/0438).
Zu A)
3.1. Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten):
§ 9 AsylG, im Folgenden auszugsweise dargestellt, normiert die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:
„(1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;
2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder
3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.
(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.“
Die Behörde stützte sich im nunmehr angefochtenen Bescheid darauf, dass der Beschwerdeführer seinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat und entspricht diese Bestimmung dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Z 3 AsylG, welcher die Aberkennung bei Asylberechtigten behandelt.
Die Materialien führen zur Aberkennung aufgrund des Mittelpunkts der Lebensbeziehungen in einem anderen Staat (vgl. ErläutRV 952 BlgNR XXII. GP 38 zu § 7 und § 9 AsylG) auszugsweise aus:
Möglich ist der Entzug dann, wenn der Fremde in einen sicheren Staat weiter gezogen ist. Dann kann sich der Fremde dem Schutz dieses Staates unterstellen und benötigt nicht mehr den Schutz Österreichs.
Der Transfer der Verantwortung auf einen anderen Staat im Falle des „Weiterwanderns“ entspricht auch dem System des Übergangs der Zuständigkeit zur Ausstellung eines Reisedokuments nach der GFK (vgl. Z 11 des Anhangs zur GFK).
Wie bereits festgestellt, kann es im vorliegenden Fall nicht zweifelhaft sein, dass der Beschwerdeführer inzwischen – mehr als vier Jahre nach seiner Ausreise aus Österreich - den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat und den (subsidiären) Schutz Österreichs somit nicht mehr benötigt.
Dagegen konnte nicht festgestellt werden, wo der Beschwerdeführer seinen Lebensmittelpunkt zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt hat, wobei diese Frage – mit Blick auf den Wortlaut der anzuwendenden Gesetzesstelle, die lediglich von einem „Mittelpunkt der Lebensbeziehungen in einem anderen Staat“ spricht – dahingestellt bleiben darf (vgl. hierzu jedoch die Begründung zur Zulässigkeit der Revision unter Spruchpunkt B)).
3.2. Zum (ersatzlosen) Entfall des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides (Entzug der Aufenthaltsberechtigung):
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 12.02.2019 entzog die belangte Behörde die mit Bescheid vom 25.02.2016 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung. Da die Aufenthaltsberechtigung ohnehin nur – befristet – bis zum 24.02.2017 erteilt wurde und somit bereits infolge Zeitablaufes nicht mehr aufrecht/gültig war, bedurfte es der Entziehung selbiger nicht (vgl. dazu Ro 2019/14/0007, Rz 51, wonach § 9 Abs. 4 AsylG nur auf jenen Fall Anwendung finden kann, in dem im Zeitpunkt der Entscheidung die befristete Aufenthaltsberechtigung noch gilt).
Spruchpunkt II. des bekämpften Bescheides war daher ersatzlos zu beheben.
3.3. Zur Abweisung der Beschwerde gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen, (1.) wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG, seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht, (2.) zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder (3.) wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Mangels Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, war die Beschwerde gegen diesen Spruchpunkt abzuweisen.
3.4. Zur Abweisung der Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 52 Abs. 2 Z 4 FPG ist eine Entscheidung nach dem AsylG mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt wird.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde von der belangten Behörde zu Recht eine Rückkehrentscheidung erlassen, weil diese gemäß § 9 BFA-VG nicht gegen den in Art. 8 EMRK geregelten Schutz des Privat- und Familienlebens verstößt.
Im Falle des Beschwerdeführers liegt nämlich kein (schützenswertes) Familienleben in Österreich vor, zumal sich der Beschwerdeführer seit über vier Jahren nicht hier aufhält und auch seine Ehefrau bzw. sein Sohn ihren Lebensmittelpunkt seit spätestens 2018 nicht mehr in Österreich haben; letzteren wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten bereits rechtskräftig aberkannt, weshalb sie zu einem Aufenthalt in Österreich auch gar nicht mehr berechtigt wären.
Auch liegt im Falle des Beschwerdeführers, der das Bundesgebiet 2017 verlassen hat, kein (schützenswertes) Privatleben in Österreich vor.
Ein unzulässiger Eingriff im Sinne von Art. 8 EMRK kann daher nicht erkannt werden.
3.5. Zu Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides (Zulässigkeit der Abschiebung):
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).
§ 50 FPG lautet:
„(1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.“
Hingewiesen wird insbesondere darauf, dass es der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines drohenden realen Risikos für die Annahme einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung dazulegen (VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158 mit Verweis auf EGMR vom 05.09.2013, I gg Schweden, Appl 61.204/09 mwH). Im gegenständlichen Fall wurden mit Beschwerdeerhebung durch den Abwesenheitskurator keine solchen Anhaltspunkte dahingehend geltend gemacht, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer ein derartiges Risiko nach Art. 2 und Art. 3 EMRK darstellen würde. Auch der Beschwerdeführer, der sich knapp nach Zuerkennung subsidiären Schutzes freiwillig für mehr als zwei Monate wieder in den Irak begeben hat, zeigte durch sein Verhalten jedenfalls keine diesbezüglichen Anhaltspunkte für die Annahme einer bestehenden Gefährdungslage für seine Person auf.
Zu B) Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Für den vorliegenden Fall wird die Revision als zulässig erachtet, weil - soweit ersichtlich - keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Bestimmung des § 9 Abs. 1 Z 2 AsylG vorliegt und der Entscheidung grundsätzliche Bedeutung zukommt:
Fallbezogen stützt sich die belangte Behörde darauf, dass der Beschwerdeführer gemäß § 9 Abs. 1 Z 2 AsylG den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat. Sieht man jedoch die oben zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides dargestellten Erläuterungen zur RV zu § 7 und § 9 AsylG ein, zielt die Bestimmung, wonach der Fremde den Schutz Österreichs nicht mehr benötigt, offenbar darauf ab, dass er sich - dauerhaft - in einem anderen Staat niedergelassen hat und sich dem Schutz dieses Staates unterstellen kann. Beschrieben wird ein „Transfer der Verantwortung“, der erfolgen soll, und setzt die Anwendung der Bestimmung offenbar voraus, dass die Verlagerung des Lebensmittelpunktes im Einklang mit den Rechtsvorschriften des neuen Wohnsitzstaates stehen soll. In der Literatur wird weiters vertreten (vgl. auch Vera Paulhart in migraLex 2020, Heft 1, S. 10), dass neben dem Umstand des physischen Aufenthaltes auch eine gewisse Dauerperspektive gegeben sein muss. Wenn es aber auf einen Transfer der Verantwortung vom bisher (subsidiären) Schutz gewährenden Staat (Österreich) auf einen nunmehr Schutz gewährenden Staat ankommen soll, würde dies in weiterer Folge die Notwendigkeit begründen, zu eruieren (festzustellen), in welchem Drittstaat der Beschwerdeführer den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen genommen hat und ob dieser (neue Wohnsitz-)Staat im Sinne eines Übergangs die Schutzgewährung für den Beschwerdeführer übernehmen kann. Eine solche Herangehensweise würde sich nicht nur vom Wortlaut der anzuwendenden Gesetzesstelle, die lediglich vom „Mittelpunkt der Lebensbeziehungen in einem anderen Staat“ spricht, zu weit entfernen, sondern wäre darüber hinaus in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem sich der Beschwerdeführer bereits seit über vier Jahren nicht mehr im Bundesgebiet aufhält, praktisch kaum zu ermitteln. Es wurde daher – ohne näher darauf einzugehen, ob sich der Beschwerdeführer zurück in den Irak oder, auch hierfür haben sich aufgrund der Aktenlage Anhaltspunkte ergeben, in den Libanon (dauerhaft) begeben hat – der Lebensmittelpunkt in einem anderen Staat (als Österreich) festgestellt und der Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 1 Z 2 AsylG, weil der Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung erfüllt wird, bejaht. Auf höchstgerichtliche Rechtsprechung hierzu konnte jedoch nicht zurückgegriffen werden.
Schlagworte
Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1 Aufenthalt im Bundesgebiet Behebung der Entscheidung ersatzlose Teilbehebung freiwillige Ausreise Interessenabwägung Lebensmittelpunkt öffentliches Interesse Privatleben RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W284.2123463.2.00Im RIS seit
28.06.2021Zuletzt aktualisiert am
28.06.2021