Entscheidungsdatum
23.03.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W281 2222344-1/45E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. HALBARTH-KRAWARIK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Kosovo, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.07.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.11.2020, wegen Aberkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten, Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 9 Abs. 1 Z 1 2. Fall AsylG 2005 stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die damals minderjährige Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) stellte vertreten durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin am 09.04.1999 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.05.1999, ZI.: XXXX , wurde ihr der Status der Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
2. Aufgrund mehrerer Verurteilungen wegen Jugendstraftaten wurde der BF mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.04.2010, ZI.: XXXX , gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ihr Status der Asylberechtigten aberkannt und ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Als Begründung wurde hierzu angeführt, dass die Voraussetzungen, welche einst zur Schutzgewährung geführt hätten, nicht mehr vorliegen würden. Die BF sei jedoch minderjährig und daher nicht selbsterhaltungsfähig. Sie verfüge auch über keine Verwandten im Heimatland, weshalb es ihr nicht möglich wäre, dort ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
3. Ihre Aufenthaltsberechtigung wurde daraufhin wiederholt verlängert; dies auch, nachdem die BF ihre Volljährigkeit erlangte. Als Begründung hierfür führte das BFA (konkret im Bescheid vom 23.04.2012) aus, dass die BF mittlerweile zwar volljährig sei, sie habe aber keine abgeschlossene Ausbildung und ihre familiäre Situation sei dieselbe geblieben, denn sie verfüge nach wie vor über keine nahen Verwandten bzw. keinen familiären Rückhalt im Herkunftsstaat. Die Lage alleinstehender Frauen im Kosovo, die über keinen Familienanschluss verfügen, sei überdies schlecht und Sozialhilfe werde nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen gewährt. Es sei daher davon auszugehen, dass sie bei einer Rückkehr in den Kosovo ihren Lebensunterhalt nicht aus Eigenem bestreiten könnte und mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine wirtschaftliche Notlage geraten würde.
Zuletzt wurde ihre Aufenthaltsberechtigung am 30.05.2016 bis zum 30.04.2018 verlängert. Die Voraussetzungen für die Verlängerung würden nach wie vor vorliegen, weshalb spruchgemäß zu entscheiden sei.
4. Am 03.04.2018 langte beim Bundesamt ein Antrag auf neuerliche Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung der BF ein.
5. Wegen erneuter Straffälligkeit der BF, wurde am 20.04.2018 ein Aberkennungsverfahren hinsichtlich ihres Status der subsidiär Schutzberechtigten eingeleitet.
6. Mit Bescheid des BFA vom 16.07.2019, zugestellt am 22.07.2019, wurde der BF gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 der mit Bescheid vom 30.04.2010, ZI.: XXXX , zuerkannte Status der subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 die ihr mit Bescheid vom 30.05.2016, ZI.: XXXX , erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen (Spruchpunkt II.), gemäß § 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Kosovo zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.) und es wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für ihre Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VII.).
Die Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die BF im Jahre 1999 den Status der Asylberechtigten erhalten habe, da sie zum damaligen Zeitpunkt, als Angehörige der Volksgruppe der Kosovo-Albaner einer Vertreibung und Verfolgung durch die serbische Armee im herrschenden Kosovo-Krieg ausgesetzt gewesen sei. Dieser Schutz sei bereits im Jahre 2010 aberkannt worden, zumal damals die Voraussetzungen, welche einst zur Schutzgewährung geführt hätten, nicht mehr vorgelegen wären. Der Status der subsidiär Schutzberechtigten sei ihr ausschließlich aufgrund ihrer seinerzeitigen Minderjährigkeit und – damit einhergehend – des Umstands, nicht selbsterhaltungsfähig zu sein, erteilt worden. Diese Umstände würden nunmehr nicht mehr vorliegen; sie sei volljährig und in der Lage für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Aufgrund ihrer Schulbildung, der - wenn auch geringen - Berufserfahrung und dem Umstand, Deutsch zu sprechen, würden die Chancen, den Lebensunterhalt im Kosovo durch Arbeit bestreiten zu können, auch durchwegs gut stehen. Der Kosovo gelte überdies seit mehreren Jahren als sicherer Drittstaat. Das Einreiseverbot wurde damit begründet, dass die BF am 21.06.2017 vom Landesgericht Korneuburg zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten rechtskräftig verurteilt worden sei und dass sie in Verbindung mit ihren zahlreichen Vorstrafen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Ihre familiären und privaten Anknüpfungspunkte in Österreich seien auch nicht dergestalt, um einen Verbleib im Bundesgebiet zu rechtfertigen.
7. Mit Schriftsatz vom 08.08.2019 erhob die BF gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde. Darin führte sie zusammengefasst aus, dass es zwar zutreffend sein mag, dass sie mittlerweile volljährig sei, die Behörde habe es aber unterlassen zu prüfen, ob im Falle ihrer Rückkehr in den Kosovo andere Umstände bestehen würden, unter Berücksichtigung derer sie einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die BF sei im Alter von fünf Jahren nach Österreich gekommen, hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Sie beherrsche die albanische Sprache nur schlecht, weshalb sie erhebliche Schwierigkeiten im Alltag erfahren würde, und sie habe im Kosovo auch keinen familiären Rückhalt. Hinzu komme, dass der Zugang zu Unterkunft, Sozialhilfe und Arbeit (insbesondere für alleinstehende Frauen) schwierig sei. Aufgrund der persönlichen Verhältnisse der BF und der derzeit im Kosovo vorherrschenden (schlechten) Versorgungsbedingungen, könne mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre. Der Status des Kosovo als sicherer Herkunftsstaat könne jedenfalls keinen neuen Sachverhalt für eine Aberkennung ihres Schutzstatus begründen, da die Verordnung, mit welcher Staaten als sicherere Herkunftsstaaten festgelegt werden, bereits im Zeitpunkt, in dem der BF der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, in Kraft gewesen sei. Die BF sei überdies Mutter dreier in Österreich lebender minderjähriger Kinder (deren Obsorge (teilweise) beim Kindesvater liege) und es sei ihr aufgrund des Einreiseverbotes unmöglich, diese weiterhin zu sehen. Zu den strafgerichtlichen Verurteilungen sei schließlich anzumerken, dass die BF ihre Taten mittlerweile bereue und nach der Haftentlassung bestrebt sei, fortan einen ordentlichen Lebenswandel zu führen.
8. Mit Beschwerdevorlage vom 09.08.2019, eingelangt am 13.08.2019, legte das BFA die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vor und es beantragte die Abweisung der Beschwerde.
9. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 04.03.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W281 neu zugewiesen.
10. In der Folge wurde vom zur Entscheidung berufenen Gericht eine Anfrage an die Staatendokumentation zur Situation von Frauen im Kosovo gestellt, die Justizanstalt (JA) XXXX um Übermittlung eines Berichts über das Verhalten der Beschwerdeführerin in der Haft und von ihr allfällig in Anspruch genommene Therapien und Beratungsgebote ersucht, sowie um Übermittlung einer Besucherliste, und es wurde ferner die zuständige Besuchsbegleiterin darum geben, dem Gericht einen Bericht über den Verlauf der Besuchsbegleitung der Familie XXXX zukommen zulassen. Zu den Anfragen langten entsprechende Antworten (samt Unterlagen) ein.
11. Zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde für den 18.11.2020 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt. Da sich die BF aktuell in der JA Schwarzau in Haft befindet, wurde die Verhandlung unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung (Videokonferenz) durchgeführt. Es erschienen die BF und ihr Vertreter. Das ordnungsgemäß geladene BFA verzichtete auf die Teilnahme an der Verhandlung. Der Einvernahme der BF wurde ein Dolmetscher für die albanische Sprache beigezogen. Als Zeugen erschienen XXXX Leiter des Amtes für Kinder- und Jugendhilfe, XXXX der Kindesvater von XXXX und XXXX sowie XXXX der Kindesvater von XXXX auf dessen Zeugenaussage in der Folge verzichtet wurde. Im Rahmen der Verhandlung wurden u.a. auch die Quellen der zu Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen sowie die der Anfragebeantwortung zu entnehmenden Informationen der Staatendokumentation dargetan.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der BF:
Die BF ist Staatsangehörige der Republik Kosovo. Ihre Identität steht fest. Sie ist volljährig, unverheiratet und Mutter dreier Kinder im Alter von (aktuell) sechs, vier und zwei Jahren. Die sechsjährige Tochter besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft.
Die Muttersprache der BF ist Albanisch, sie verfügt aber über keine Schreib- und Lesekompetenz in der albanischen Sprache und spricht diese ausschließlich mit ihrer Mutter; sie kommuniziert hauptsächlich auf Deutsch.
Die BF ist gesund; sie leidet (aktuell) an keinerlei Krankheiten oder sonstigen gesundheitlichen Beschwerden.
1.2. Zum Aufenthalt in Österreich und zu den von ihr begangenen Straftaten
Die BF reiste im Jahr 1999 im Alter von fünf Jahren gemeinsam mit ihrer Mutter nach Österreich ein und sie hält sich seither durchgehend in Österreich auf. Ihr Vater wurde im Zuge des Kosovokrieges getötet. Sie verfügt (seither) über keine familiären oder verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat.
Die BF wurde im Jahr 2000 in Österreich eingeschult. Sie besuchte hier für vier Jahre die Volkschule, vier Jahre die Hauptschule, welche sie wiederholt wechselte, und für ein Jahr lang einen polytechnischen Lehrgang (2008 – 2009). Im Jahr 2013 hat sie eine Lehre zur IT-Technikerin begonnen, diese jedoch abgebrochen.
Die BF wuchs unter schwierigen Verhältnissen auf; ihren Aussagen zufolge wurde sie auch (wiederholt) Opfer von sexuellen Misshandlungen.
Die BF wurde seit dem Jahre 2008 mehrfach wegen Körperverletzungs-, Drohung-, Vermögens- und Einbruchsdelikten sowie auch einmal wegen des Verbrechens des Raubes zu bedingten und unbedingten Freiheitsstrafen verurteilt. Konkret liegen zum Entscheidungszeitpunkt folgende rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen vor:
1. Verurteilung:
LG XXXX vom 15.09.2008 RK 19.09.2008
§§ 83/1 127 129/1 130 (1. FALL) 223/2 229/1 107/1 StGB
Datum der (letzten) Tat: 27.06.2008
Freiheitsstrafe 10 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Anordnung der Bewährungshilfe
Jugendstraftat
Vollzugsdatum 06.04.2012
zu LG XXXX RK 19.09.2008
Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre
LG XXXX vom 05.03.2009
zu LG XXXX RK 19.09.2008
Bedingte Nachsicht der Strafe wird widerrufen
LG XXXX vom 21.06.2010
2. Verurteilung:
LG XXXX vom 05.03.2009 RK 10.03.2009
§§ 142/1 U 2 PAR 127 130 (1. FALL) 15 §§ 135/1 229/1 241 E/3 83/2 107/1 127 128 ABS 1/4 §§ 15 299/1 StGB
Datum der (letzten) Tat 05.03.2009
Freiheitsstrafe 18 Monate, davon Freiheitsstrafe 17 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Jugendstraftat
Vollzugsdatum 14.05.2013
zu LG XXXX RK 10.03.2009
Probezeit des bedingten Strafteils verlängert auf insgesamt 5 Jahre
LG XXXX vom 31.08.2009
zu XXXX RK 10.03.2009
Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 15.05.2009
LG XXXX vom 10.09.2009
zu LG XXXX RK 10.03.2009
Der bedingt nachgesehene Teil der Freiheitsstrafe wird widerrufen
LG XXXX vom 21.06.2010
3. Verurteilung:
LG XXXX vom 31.08.2009 RK 04.09.2009
§§ 127 128 ABS 1/4 130 (1. FALL) 229/1 241 E/3 241 E/1 §§ 15 105/1 PAR 125 135/1 83/1 232/2 288/4 12 (2.
FALL) 297/1 (1. FALL) 12 (2. FALL) StGB
Datum der (letzten) Tat 22.03.2009
Freiheitsstrafe 18 Monate, davon Freiheitsstrafe 12 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Anordnung der Bewährungshilfe
Jugendstraftat
Vollzugsdatum 14.05.2013
zu LG XXXX RK 04.09.2009
Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 30.01.2010, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Anordnung der Bewährungshilfe
LG XXXX vom 11.11.2009
zu LG XXXX RK 04.09.2009
Der bedingt nachgesehene Teil der Freiheitsstrafe wird widerrufen
LG XXXX vom 21.06.2010
zu LG XXXX RK 04.09.2009
Bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe wird widerrufen
LG XXXX vom 21.06.2010
4. Verurteilung:
LG XXXX vom 21.06.2010 RK 21.06.2010
§§ 127 130 (1. FALL) 229/1 241 E/3 105/1 106 ABS 1/1 105/1 15 107/1 §§ 288/1 U 4 12 (2. FALL) StGB
Datum der (letzten) Tat 22.02.2010
Freiheitsstrafe 15 Monate
Jugendstraftat
Vollzugsdatum 06.06.2011
5. Verurteilung:
BG XXXX vom 23.09.2011 RK 26.09.2011
§§ 83/1 STGB
Datum der (letzten) Tat 08.03.2011
Freiheitsstrafe 6 Wochen
Jugendstraftat
Vollzugsdatum 14.05.2013
zu BG XXXX RK 26.09.2011
zu LG XXXX RK 21.06.2010
zu LG XXXX RK 04.09.2009
zu LG XXXX RK 10.03.2009
zu LG XXXX RK 19.09.2008
Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 14.05.2013, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Anordnung der Bewährungshilfe
LG XXXX vom 26.03.2013
zu BG XXXX RK 26.09.2011
zu LG XXXX RK 19.09.2008
zu LG XXXX RK 21.06.2010
zu LG XXXX RK 04.09.2009
zu LG XXXX RK 10.03.2009
Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 14.05.2013, endgültig
LG XXXX vom 07.11.2016
6. Verurteilung:
LG XXXX vom 21.06.2017 RK 15.02.2018
§§ 127, 129 (1) Z 1, 130 (1) 1. Fall StGB § 15 StGB
§ 229 (1) StGB
§ 83 (1) StGB
§ 241e (3) StGB
Datum der (letzten) Tat 22.12.2016
Freiheitsstrafe 20 Monate
Vollzugsdatum 05.11.2020
7. Verurteilung:
LG XXXX vom 26.07.2019 RK 07.11.2019
§ 241e (3) StGB
§§ 127, 128 (1) Z 5, 130 (1) 1. Fall StGB § 15 StGB
§ 229 (1) StGB
Datum der (letzten) Tat 23.01.2019
Freiheitsstrafe 2 Jahre 6 Monate
Bereits wegen ihrer Jugendstraftaten (1. bis 5. Verurteilung) hatte die BF mehrfach Freiheitsstrafen zu verbüßen, wobei sie auch wiederholt, nämlich am 30.01.2010 und am 14.05.2013 aus zu verbüßenden Haftstrafen vorzeitig bedingt entlassen wurde; die BF nahm während dieser Zeit auch an einem Anti-Aggressionstraining teil und es folgte eine Phase des Wohlverhaltens.
Im Juni 2013 lernte die BF ihren damaligen Freund XXXX kennen. Am XXXX kam die gemeinsame Tochter XXXX zur Welt.
Im April 2016 kam die BF mit dem Vater ihrer beiden anderen Kinder zusammen und wurde sie kurze Zeit daraufhin schwanger.
Aufgrund trister finanzieller Lage und mangels Unterstützungsleistungen war es der BF nach Ansicht des Jugendamtes während ihrer damaligen Schwangerschaft zeitweilig nicht möglich, ihre Tochter XXXX finanziell zu erhalten, weshalb diese für etwa ein Monat lang „abgenommen“ und in die Obhut des Kindesvaters gegeben wurde.
Im Oktober 2016 kam es zu einem Streit zwischen der BF und ihrem damaligen Freund, wobei sich die beiden gegenseitig am Körper verletzten. Im Dezember 2016 verübte die BF zahlreiche Diebstähle in Schulen und öffentlichen Gebäuden, wobei sie in der Regel Geldbörsen mit darin befindlichem Bargeld und Bankomat- und Kreditkarten wegnahm. Sie entwendete auch in der Schulgarderobe vorgefundene PKW-Schlüssel, öffnete damit vor der Schule abgestellte Fahrzeuge und nahm dabei eine im Auto befindliche Geldbörse samt Inhalt weg. Diese Taten setzte die BF zu einem Zeitpunkt, als sie sich im Mutterschutz befand; einen Monat später, am XXXX gebar sie ihren Sohn XXXX
Aufgrund der obangeführten Delikte folgte die 6. Verurteilung der BF, derentwegen ihr mit Beschluss vom 22.06.2018 ein Strafaufschub bis 20.09.2019 gewährt wurde, da sie zwischenzeitig erneut schwanger wurde; am XXXX kam ihre Tochter XXXX zur Welt.
Im Zuge einer Gefahr-Im-Verzug-Maßnahme wurde die (erstgeborene) Tochter XXXX , welche sich zuvor (wieder) im Haushalt der Mutter befand, durch das Jugendamt Magistrat Krems im September 2018 (erneut) „abgenommen“ und fortan durchgehend im Haushalt des Vaters untergebracht.
Im Zeitraum von 13.11.2018 bis zum 23.01.2019 beging die BF (erneut) Einschleichdiebstähle in Schulen und öffentlichen Gebäuden, wobei sie auch unbare Zahlungsmittel und Urkunden entwendete; es folgte ihre 7. Verurteilung. Seit 22.08.2019 befindet sich die BF durchgehend in Strafhaft. Die BF besucht dort regelmäßig den sozialen, psychologischen und soziopädagogischen Dienst. Sie verhält sich der Hausordnung entsprechend und ihren Mitinsassinnen gegenüber umgänglich.
Vor ihrer aktuell zu verbüßenden Haftstrafe war die BF bei mehreren Dienstgebern kurzweilig (geringfügig) beschäftigt. Ihr bisher längstes Dienstverhältnis war mit der Firma Spar, wo sie sich zur Kassakraft schulen ließ und wo sie von 31.07.2017 bis 16.03.2018 arbeitete. Während ihrer derzeit zu verbüßenden Haftstrafe arbeitet sie in einem Unternehmerbetrieb, wo sie mit dem Zusammenstecken von Metallteilen beschäftigt ist.
Sie hat (aktuell) etwa 30.000 EUR Schulden, welche aus diversen Privatausgaben resultieren. Die von der BF in der Haft angesparten Rücklagen werden diesbezüglich eingezogen. Eine für die BF vorgesehene Schuldenberatung blieb pandemiebedingt bis dato aus.
1.3. Zum Privat- und Familienleben der BF:
Die BF ist (derzeit) in keiner aufrechten Beziehung. Die Obsorge betreffend ihre beiden Kinder XXXX , jeweils StA Kosovo, liegt bei deren Kindesvater XXXX Hinsichtlich der (älteren) Tochter XXXX , StA Österreich, teilt sich die BF die Obsorge mit dem Kindesvater XXXX , bei dem die Tochter (aktuell) ihren Hauptaufenthalt hat. Ein Antrag des Kindesvaters, der BF die Obsorge zu entziehen und die alleinige Obsorge für seine Tochter XXXX zu erhalten, wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom 15.01.2019 abgewiesen. Es gibt eine Besuchsregelung mit XXXX und die BF ist (auch in der Haft) darum bemüht einen regelmäßigen (telefonischen) Kontakt mit ihren Kindern XXXX aufzubauen bzw. zu halten.
Des Weiteren leben die Mutter und die Halbschwester der BF in Österreich.
1.4. Zum Status der subsidiären Schutzberechtigten und zur Situation der BF im Falle einer Rückkehr in den Kosovo:
Mit Bescheid vom 30.04.2010, ZI.: XXXX , wurde der BF der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und es wurde ihre befristete Aufenthaltsberechtigung zuletzt am 30.05.2016 verlängert (hinsichtlich der Gründe für die Gewährung (trotz Erlangung ihrer Volljährigkeit) wird auf den obangeführten Verfahrensgang verwiesen).
Die Versorgungslage für (alleinstehende Frauen) im Kosovo (siehe 1.5.) hat sich seither nicht wesentlich und nachhaltig verbessert.
Die BF verfügt (nach wie vor) weder über ein unterstützendes familiäres Netzwerk noch über einen Bekanntenkreis im Herkunftsstaat und auch im Übrigen haben sich die persönlichen Verhältnisse der BF nicht wesentlich verändert.
Eine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts zur Frage der Gewährung subsidiären Schutzes ist somit weder im Hinblick auf die individuelle Situation der BF noch in Bezug auf die allgemeine Lage im Kosovo eingetreten.
1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:
(Letzte Änderung: 11.5.2020, gekürzt)
1. Politische Lage
Die am 15. Juni 2008 in Kraft getretene Verfassung sieht eine parlamentarische Demokratie mit Gewaltenteilung vor. Die politische Macht konzentriert sich beim Ministerpräsidenten. Ein umfassender Schutz der anerkannten Minderheiten ist gewährleistet (AA 19.4.2020). Durch die Verfassung als ethnische Minderheit anerkannt sind Serben, Roma, Ashkali, Ägypter, Türken, Bosniaken und Gorani (CIA 7.4.2020; vgl. GIZ 3.2020b). Im Parlament stehen diesen 20 von 120 Sitzen zu, wobei 10 Sitze für Repräsentanten der serbischen Minderheit reserviert sind (GIZ 3.2020a). Die Republik Kosovo ist international von mehr als 110 Staaten anerkannt, nicht jedoch von Serbien. Das ungeklärte Verhältnis zu Serbien behindert die Annäherung Kosovos an EU und NATO. Seit 2011 vermittelt die EU einen politischen Dialog zwischen den beiden Ländern mit dem Ziel einer ehestmöglichen und umfassenden Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen. Inzwischen wurden mehrere wichtige Vereinbarungen erzielt, die zu einer deutlichen Entspannung geführt haben. In Kosovo sind einige internationale Missionen tätig: Die NATO-Mission KFOR mit ca. 3500 Soldaten, die EU-Rechtsstaatlichkeitsmission (EULEX), die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen (UNMIK) sowie die OSZE-Mission (OmiK) (AA 19.4.2020).
Generell werden die Konsolidierung der Demokratie im Kosovo sowie deren Effizienz und Reaktionsfähigkeit im politischen Prozess durch eine Reihe von Faktoren wie beispielsweise eine mangelnde Rechenschaftspflicht der politischen Klasse untergraben. Die demokratischen Institutionen werden oftmals als undurchsichtig und wenig kooperativ in der Zusammenarbeit wahrgenommen. Trotzdem ist etwa ein Drittel der Bevölkerung mit Regierung und Parlament zufrieden. In den letzten vier Jahren konnte - wenngleich von einem niedrigen Niveau ausgehend - doch eine deutliche Verbesserung verzeichnet werden. Eine Umfrage der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) aus dem Jahr 2010 ergab, dass 75% der Kosovaren eine positive Einstellung zur Demokratie haben. Die hohe Zustimmung zur Demokratie hat unter den sozioökonomischen Veränderungen, dem Versöhnungsprozess der Regierung mit Serbien und den serbischen Gemeinden im Kosovo und den 2015 von der Opposition organisierten Straßenprotesten gelitten (BS 2020).
Am 5.10.2019 fanden im Kosovo vorgezogene Parlamentswahlen statt. Diese Wahl war erforderlich geworden, weil der amtierende Ministerpräsident und ehemalige UCK-Kommandeur Ramush Haradinaj wegen einer Vorladung zum Sondertribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag vom Amt als Regierungschef zurückgetreten war (DS 7.10.2019; NZZ 7.10.2019). Die Wahlen wurden – bei einer Wahlbeteiligung von 44% - von den bisherigen Oppositionsparteien gewonnen. Den Kampf um den ersten Platz und damit um den Regierungsauftrag entschied mit knapp 25,6% der Stimmen die groß-albanische, nationalistische und EU-kritische Oppositionspartei Vetëvendosje (Selbstbestimmung) mit ihrem Spitzenkandidaten Albin Kurti, für sich. Dicht dahinter folgte mit 24,9% der Stimmen die moderat-konservative Demokratische Liga des Kosovo (LDK) mit ihrer Spitzenkandidatin Vjosa Osmani. Den dritten Platz belegte mit 21,1% die – von Staatspräsident Hashim Thaci dominierte - Demokratische Partei des Kosovo (PDK). Die Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK) des nur zwei Jahre amtierenden Ministerpräsidenten Ramush Haradinaj kam auf 11,6% der Stimmen (NZZ 7.10.2019; vgl. DP 7.10.2019).
Der Wahlausgang wurde als Signal gegen Korruption und Stillstand gewertet und bedeutete zunächst das Ende der langjährigen Dominanz der PDK von Staatspräsident Hashim Thaci über die kosovarische Politik (ORF 6.10.2019). Mehr als die Hälfte aller Stimmen konnten zwei Politiker auf sich vereinen, deren Karriere nicht in der UCK begann und die für einen klaren Bruch mit dem Klientelsystem des politischen Establishments stehen (NZZ 7.10.2019). Wie von Beobachtern erwartet, kam es zu einem Regierungsbündnis zwischen den nunmehr siegreichen bisherigen Oppositionsparteien unter Führung von Kurti und Osmani. Beide kündigten an, die grassierende Korruption bekämpfen und den Rechtsstaat stärken zu wollen (Spiegel 9.2.2020; vgl. DP 7.10.2019).
Nach nur etwa 50 Tagen im Amt wurde die Regierung von Ministerpräsident Albin Kurti per Misstrauensvotum gestürzt. Hintergrund war ein Streit um Verhandlungen mit Serbien, das die Unabhängigkeit des Kosovo bis heute nicht anerkennt (Standard 2.5.2020). Während Kurti baldige Neuwahlen favorisierte, forderte Präsident Hashim Thaci die Bildung einer Einheitsregierung; dies hätte zu einer Regierungsbeteiligung der oppositionellen Demokratischen Partei des Kosovo, der PDK, führen können, jener Partei, die Thaci bis zur Übernahme der Präsidentschaft vor vier Jahren geleitet hatte (AA – 6.4.2020, vgl. BBC 26.3.2020). Ein vorläufiges Dekret von Präsident Thaci, mit dem ein Politiker der Mitte-Rechts-Partei LDK den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten hatte, wurde jedoch vom Verfassungsgericht ausgesetzt, womit die Regierungsbildung bis zu einer endgültigen Gerichtsentscheidung nunmehr auf Eis liegt (Standard 2.5.2020).
Quellen: - AA - Auswärtiges Amt (19.4.2020): Außen- und Europapolitik, Kosovo. Politisches Portrait, https:// www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kosovo-node/politisches-portraet/207468? openAccordionId=item-207450-0-panel, Zugriff 4.5.2020 - AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt %2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 3.4.2020 - BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (6.4.2020): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027827/briefingnotes-kw15-2020.pdf, Zugriff 3.4.2020 - BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Kosovo, https://www.btiproject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RKS.pdf, Zugriff 17.4.2020 - BBC (26.3.2020): Coronavirus row helps topple Kosovo government, https://www.bbc.com/news/ world-europe-52044136, Zugriff 7.4.2020 - CIA – Central Intelligence Agency (7.4.2020): The Worlöd Factbook. Europe. Kosovo, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/kv.html, Zugriff 17.4.2020 - DS - Der Standard (7.10.2019): Riskante Wachablöse im Kosovo, https://www.derstandard.at/story/2000109598474/riskante-wachabloese-im-kosovo, Zugriff 6.4.2020 - DP - Die Presse (7.10.2019): Kosovos Rebell greift nach der Macht, https://www.diepresse.com/5702091/kosovos-rebell-greift-nach-der-macht, Zugriff 8.10.2019 - GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Kosovo - Geschichte/ Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 4.5.2020 - GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Kosovo - Gesellschaft, https://www.liportal.de/kosovo/gesellschaft/ , Zugriff 4.5.2020 - NZZ - Neue Zürcher Zeitung (7.10.2019): Wahlerfolg der Opposition: In Kosovo weht ein neuer Wind, https://www.nzz.ch/international/wahlen-im-kosovo-bisherige-oppositionsparteien-liegenvorn-ld.1513769, Zugriff 3.4.2020 - ORF - Österreichischer Rundfunk (6.10.2019): Opposition gewinnt Parlamentswahl im Kosovo, https://orf.at/stories/3139956/, Zugriff 8.10.2019 - Spiegel (9.2.2020): Kurti stellt die Systemfrage, https://www.spiegel.de/politik/ausland/kosovoalbin-kurti-will-als-premier-alles-anders-machen-a-9cbb96a8-c191-4366-ae0d-66a0e9b8ac0d, Zugriff 7.4.2020 - Standard (2.5.2020): Verfassungsgericht im Kosovo stoppt Bildung einer neuen Regierung, https://www.derstandard.at/story/2000117242247/verfassungsgericht-im-kosovo-stoppt-bildungeiner-neuen-regierung, Zugriff 7.4.2020
2. Sicherheitslage
Ethische Spannungen konzentrieren sich im Wesentlichen auf die Beziehungen zwischen der serbischen Minderheit und der albanischen Mehrheit. Zu differenzieren sind dabei die Beziehungen zu den im Norden in einem zusammenhängenen Gebiet lebenden Serben und jenen Serben, die im restlichen Kosovo in kleineren versprengten Gemeinden wohnen. Letztere unterhalten relativ gute Beziehungen zu den kosovo-albanischen Autoritäten und beteiligen sich an der gesellschaftspolitischen Ausgestaltung im Rahmen der kosovarischen Institutionen. Ganz anders ist hingegen die Situation im Nordkosovo. Die hier lebenden Serben weigern sich, die Unabhängigkeit des Kosovo und zum Teil die Institutionen des neu geschaffenen Staates anzuerkennen. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die Zusammenarbeit. Besonders problematisch sind speziell Fragen der Grenze zwischen dem Kosovo und Serbien, zumal diese von den im Norden lebenden Serben nicht anerkannt wird (GIZ 9.2018a). Somit bleibt die Lage im Norden des Kosovo (Gemeinden Zubin Potok, Leposavic, Zvecan und Nord-Mitrovica) angespannt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es auch künftig zu isolierten sicherheitsrelevanten Vorkommnissen kommt, die die allgemeine Bewegungsfreiheit einschränken (AA 2.5.2020).
Mit der Ausnahme des Nordkosovo gilt die Sicherheitslage allgemein als entspannt. Allerdings kann es zu punktuellen Spannungen kommen (GIZ 9.2018a).
In Pristina und anderen Städten des Landes kann es gelegentlich zu Demonstrationen und damit zu einer Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit kommen. In allen anderen Landesteilen Kosovos ist die Lage grundsätzlich ruhig und stabil. Teilweise gewalttätige Protestaktionen der Opposition gegen die Regierung haben sich seit dem ersten Halbjahr 2016 nicht mehr ereignet, das Potential für solche Proteste besteht aber weiterhin (AA 2.5.2020).
Eine Studie des angesehenen Kosovo Center for Security Studies zum Sicherheitsgefühl der Kosovaren aus dem Jahr 2018 ergab, dass sich 85,5% der Befragten in ihrem Zuhause (Wohnung, Haus), 78,8% in ihrer Stadt und 52,4% im Kosovo sicher fühlten. Albanische und nicht-serbische Minderheitenangehörige fühlen sich im Kosovo sicherer als Serben (KCSS 7.2019).
Quellen:- AA - Auswärtiges Amt (2.5.2020): Kosovo: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/kosovosicherheit/207442 , Zugriff 4.5.2020 - GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018a): Kosovo - Geschichte/ Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/ , Zugriff 23.12.2019 - KCSS - Kosovo Center for Security Studies (7.2019): Kosovo Security Barometer – Trends of Citizens’ Perceptions on Public safety in Kosovo (2016 – 2018), https://www.academia.edu/40117450/REPORT_BY_KCSS_TRENDS_OF_CITIZENS_PERCEPTI ONS_ON_PUBLIC_SAFETY_IN_KOSOVO , Zugriff 23.12.2019
3. Rechtsschutz / Justizwesen
Die gesetzgebende Gewalt wird vom kosovarischen Parlament ausgeübt, die exekutive Gewalt von der Regierung (Premierminister, Minister) und die richterliche Gewalt von den Gerichten, einschließlich des Obersten Gerichtshofs, der höchsten richterlichen Behörde, und des Verfassungsgerichts. Die Exekutive hat sich jedoch wiederholt (informell) in die Arbeit von Legislative und Judikative eingemischt und das Parlament wurde immer wieder dafür kritisiert, dass es sein verfassungsmäßiges Mandat zur Kontrolle der Regierung nicht ausübt. Die parlamentarischen Ausschüsse in der Versammlung wurden von der Exekutive ignoriert, wodurch ihre parlamentarische Kontrollfunktion wesentlich geschmälert wurde. Die Kontrolle und Ausgewogenheit der demokratisch gewählten Institutionen ist zwar formell festgelegt, in der Realität jedoch schwach und ineffizient (BS 2020).
Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, aber diese Unabhängigkeit wird nach wie vor durch politische Autoritäten und ein hohes Maß an Korruption beeinträchtigt. EULEX und seine kosovarischen Pendants haben einige Fortschritte in Bezug auf Nachhaltigkeit, Rechenschaftspflicht, Freiheit von politischer Einmischung und Multiethnizität, einschließlich der Einhaltung europäischer Best Practices und internationaler Standards, erzielt. Dennoch hat eine 2016 durchgeführte Umfrage über die Wahrnehmung des Justizsystems durch die Bürger ergeben, dass nur 12,3% die Gerichte für unabhängig hielten, während 61,2% der Ansicht waren, dass Personen mit politischen Verbindungen weniger wahrscheinlich bestraft würden. 50,5% meinten, dass Justizbeamte Bestechungsgelder erhielten oder verlangten und nur 36% konnten jüngste Verbesserungen im Justizsystem feststellen, während 24,4% davon überzeugt waren, dass keine Verbesserungen erzielt wurden (BS 2020).
Die Effizienz bei der Fallbearbeitung hat sich verbessert, aber es gibt immer noch einen beachtlichen Rückstau an offenen Fällen. Ein Disziplinarverfahren gegen Richter und Staatsanwälte ist zwar vorhanden, aber ineffizient. Eine unabhängige staatliche Rechtshilfekommission stellt kostenlose Rechtshilfe für Personen mit niedrigen Einkommen zur Verfügung; diese ist jedoch nicht adäquat finanziert und funktioniert nicht wie vorgesehen. Bei Verletzung der Prozessrechte können sich Geschädigte an den Verfassungsgerichtshof wenden (USDOS 11.3.2020).
Die Verfahren werden nicht immer ordnungsgemäß abgewickelt. Nach Angaben der Europäischen Kommission, der NGOs und der Institution der Ombudsperson ist die Justizverwaltung langsam und es fehlen die Mittel, um die Rechenschaftspflicht der Justizbeamten zu gewährleisten. Die Justizstrukturen sind politischer Einflussnahme ausgesetzt, mit umstrittenen Ernennungen und unklaren Mandaten (USDOS 11.3.2020). Die lokale Rechtsprechung sieht sich Einflüssen von außen, v.a. seitens der Exekutive, ausgesetzt und sorgt nicht immer für faire Prozesse (FH 4.2.2019).
Im Laufe des Jahres 2019 förderte das Justizministerium Änderungen eines Gesetzes von 2010 über die disziplinarische Verantwortung von Richtern und Staatsanwälten, mit denen die Unparteilichkeit des kosovarischen Justizwesens erreicht werden sollte (USDOS 11.3.2020). Darüber hinaus wurden Register zur Erfassung von Beschwerden gegen Richter auf Ebene der Gerichte und des KJC, des „kosovarischen Justizrates“, fertiggestellt und allen Gerichten zur Überprüfung übergeben. Im Einklang mit der Disziplinarordnung wählte die KJC 70 von den Gerichtspräsidenten empfohlene Richter für die Mitgliedschaft in Gremien aus, die für die Untersuchung von Disziplinarbeschwerden zuständig sind. Ihr Mandat ist gestaffelt, um Kontinuität zu gewährleisten: 25 Richter wurden nach dem Zufallsprinzip für eine Amtszeit von einem Jahr, 23 für eine zweijährige und 22 für eine dreijährige Amtszeit ausgewählt. Jährlich sollen neue Mitglieder ausgewählt werden, um eine volle Besetzung von 70 zu gewährleisten. Seit Inkrafttreten des neuen Disziplinarverfahrens sind bei den Gerichtspräsidenten als den zuständigen Behörden 75 Beschwerden gegen Richter eingegangen; der kosovarische Justizrat setzte ein entsprechendes Untersuchungsgremium ein (USDOS 11.3.2020).
Manchmal versäumen es die Behörden, gerichtlichen Anordnungen u.a. auch des Verfassungsgerichts nachzukommen, insbesondere wenn die Urteile Minderheiten begünstigen, wie in zahlreichen Fällen der Rückgabe von Eigentum an Kosovo-Serben. Keiner der Beamten, die 2019 an der Nichtumsetzung von Gerichtsbeschlüssen beteiligt waren, wurde sanktioniert (USDOS 11.3.2020).
Das Gesetz sieht faire und unparteiische Verfahren vor und trotz gravierender Mängel im Justizsystem wie etwa politischer Einmischung, wird das Recht im Allgemeinen umgesetzt. Die Prozesse sind öffentlich, die Angeklagten haben ein Recht auf die Unschuldsvermutung, auf unverzügliche Information über die gegen sie erhobenen Anklagen und auf ein faires, öffentliches Verfahren, bei dem sie sich in ihrer Muttersprache an das Gericht wenden können. Sie haben das Recht, zu schweigen oder sich der Aussage zu entschlagen, Beweise einzusehen, einen eigenen Rechtsbeistand zu haben und gegen Urteile zu berufen. Das Kosovo wendet keine Geschworenenprozesse an (USDOS 11.3.2020). Die "Free Legal Aid Agency“ (FLAA) ist von der Regierung beauftragt, Personen mit niedrigem Einkommen kostenlosen Rechtsbeistand zu gewähren und führt entsprechende Kampagnen durch, die sich an benachteiligte und marginalisierte Gemeinschaften richteten. Im Mai 2019 finanzierten die Vereinten Nationen das Zentrum für Rechtshilfe, welches über NGOs Frauen kostenlosen Rechtsbeistand in Fällen wie der Überprüfung von Eigentumsrechten, Klagen wegen sexueller Gewalt und Rentenansprüchen aus Serbien garantiert (USDOS 11.3.2020). Kosovo befindet sich in einem Frühstadium in Bezug auf die Anwendung des aquis communautaire und europäischer Standards im Justizbereich. Ein gewisses Ausmaß an Fortschritt wurde erreicht, unter anderem bei der Untersuchung hochrangiger Korruptionsfälle. Korruption ist dennoch weit verbreitet und bleibt ein problematischer Themenbereich. Die Verabschiedung verschiedener Rechtsdokumente im Bereich Korruptionsbekämpfung stellt einen wichtigen Schritt dar, wesentlich ist nun die konsequente Umsetzung (EC 29.5.2019). Am 8.6.2018 hat der Rat beschlossen, das Mandat der Rechtsstaatlichkeitsmission der EU, EULEX Kosovo, neu auszurichten. Die Mission hatte seit ihrer Einrichtung vor 10 Jahren zwei operative Ziele: das Ziel der Beobachtung, Anleitung und Beratung durch Unterstützung der Rechtsstaatlichkeitsinstitutionen des Kosovo und des Dialogs zwischen Belgrad und Pristina und zweitens ein exekutives Ziel, nämlich die Unterstützung verfassungs- und zivilrechtlicher gerichtlicher Entscheidungen sowie strafrechtlicher Ermittlungen und gerichtlicher Entscheidungen in ausgewählten Strafsachen. Mit dem Beschluss wird der justizielle exekutive Teil des Mandats der Mission beendet und das Kosovo nimmt nun die Verantwortung für alle übertragenen Ermittlungen, Strafverfolgungen und Gerichtsverfahren wahr. Seit dem 14.6.2018 konzentrierte sich EULEX darauf, ausgewählte Fälle und Gerichtsverfahren in den Straf- und Zivilrechtsinstitutionen des Kosovos zu beobachten, den Justizvollzugsdienst des Kosovos zu beobachten, anzuleiten und zu beraten und die operative Unterstützung für die Umsetzung der von der EU geförderten Dialogvereinbarungen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo fortzusetzen. Der Ratsbeschluss sieht vor, dass das überarbeitete Mandat bis zum 14.6.2020 gilt (REU 8.6.2018).
Quellen: - BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Kosovo, https://www.btiproject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RKS.pdf, Zugriff 4.5.2020 - EC - Europäische Kommission (29.5.2019): Kosovo* 2019 Report, https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20190529-kosovo-report.pdf, Zugriff 7.4.2020 - FH - Freedon House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Kosovo, https://www.ecoi.net/en/document/2015997.html, Zugriff 7.4.2020 - REU - Rat der Europäischen Union (8.6.2019): EULEX Kosovo: neue Rolle für die Rechtsstaatlichkeitsmission der EU, https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2018/06/08/eulex-kosovo-new-role-forthe-eu-rule-of-law-mission/#, Zugriff 23.12.2019 - USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Kosovo, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026405.html, Zugriff 17.4.2020
(…)
4. Sicherheitsbehörden
Die innere Sicherheit der Republik Kosovo beruht auf drei Komponenten: der Kosovo Polizei (KP), den unterstützenden internationalen EULEX-Polizeikräften (EU-Rechtstaatlichkeitsmission, Anm.) und den KFOR-Truppen (mit 3.500 Soldaten) (AA 21.3.2019).
Als eine ihrer Operationslinien unterstützt die KFOR Aufbau und Training der multiethnischen und zivil kontrollierten, leicht bewaffneten Sicherheitskräfte „Kosovo Security Force“ (KSF), die nach dem bisherigen Gesetzesrahmen nicht mehr als 2.500 Mitglieder und maximal 800 Reservisten hatten. Die KSF übernimmt derzeit primär zivile Aufgaben wie Krisenreaktion, Sprengmittelbeseitigung und Zivilschutz. Das am 14.12.2018 mit überwältigender parlamentarischer Mehrheit verabschiedete Gesetzespaket zur Transition in reguläre, defensiv ausgerichtete Streitkräfte unterwirft die KSF einem 10-jährigen Übergangsprozess, an dessen Ende ca. 5.000 leicht bewaffnete Defensivkräfte stehen sollen. Die kosovarische Regierung hat der NATO gegenüber schriftlich die volle Transparenz des Prozesses, die Bewahrung des multiethnischen Charakters der KSF sowie das Festhalten an den Bedingungen von UNSCR 1244 und dem KFOR-Mandat bekundet (AA 21.3.2019).
Die Polizei (Kosovo Police, KP) hat derzeit eine Stärke von ca. 9.000 Personen. Der Frauenanteil in der KP beträgt 14%; der Anteil der Angehörigen von Minderheiten liegt bei 16%. EULEXPolizisten beraten und unterstützen Polizeidienststellen im gesamten Land. Für die parlamentarische Kontrolle der Sicherheitskräfte ist im Parlament der Ausschuss für Inneres, Sicherheitsfragen und Überwachung der KSF zuständig (AA 21.3.2019). Weiterhin sollen die Polizeistrukturen im Kosovo vereinheitlicht und Mitglieder serbischer Sicherheitskräfte in die kosovarische Polizei integriert werden. Die Polizeikräfte im serbischen Norden sollen die Bevölkerungsverhältnisse widerspiegeln und unter Führung eines kosovo-serbischen Regionalkommandanten stehen (GIZ 3.2020a). Es gibt 436 Polizeibeamte (Angehörige der KP) pro 100.000 Einwohner. Dies übertrifft den EU-Durchschnitt, der sich im Jahr 2016 gemäß Eurostat auf 318 Beamte belief. Die Polizei ist relativ gut ausgebildet und ausgerüstet. Sie verfügt über moderne ITInfrastruktur. Die „Kosovo Academy for Public Safety“ gewährleistet eine gute Ausbildung für Polizeibeamte und andere Angehörige des Sicherheitsapparats (Zollbeamte, Beamte des Strafvollzugs) sowohl im Bereich der Grundausbildung als auch im Bereich der berufsbegleitenden Weiterbildung. Die Kapazität der Polizei zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist gut, jedoch unterliegt die Polizei immer noch Korruption und politischem Druck (EC 29.5.2019).
Quellen: - AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt %2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftslan d_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 10.4.2020 - EC - Europäische Kommission (29.5.2019): Kosovo 2019 Report, S33 u. S35, https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20190529-kosovo-report.pdf, Zugriff 27.11.2019 - GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Kosovo - Geschichte/ Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/ , Zugriff 5.5.2020 - GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018a): Kosovo - Geschichte/ Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/ , Zugriff 23.12.2019
5. Folter und unmenschliche Behandlung
Das Verbot der Folter sowie der grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe wird im Artikel 27 der kosovarischen Verfassung verankert. Artikel 199 des Strafgesetzbuches kriminalisiert Folter in voller Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsnormen (AA 21.3.2019). Die Gesetze werden aber uneinheitlich umgesetzt und es gab anhaltende Vorwürfe, dass Gefangene von der Polizei und in geringerem Maße auch vom Personal des Strafvollzugsdienstes gefoltert und misshandelt wurden (UDOS 11.3.2020). Der UNSonderberichterstatter für Folter, grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nahm in seinem letzten Bericht über den Besuch in Serbien und Kosovo mit großer Besorgnis zahlreiche Anschuldigungen wegen Folter und Misshandlungen durch die Polizei zur Kenntnis (AA 21.3.2019; vgl. UN 25.1.2019). In erwähntem Papier wird über Misshandlungen von Gefangenen sowie verbale und psychologische Drohungen berichtet. Auch besteht ein Mangel an Aufsicht in der Untersuchungs- und Verhörphase der Inhaftierung, was angeblich zu erzwungenen Geständnissen führt (USDOS 11.3.2020).
Die Ombudsperson des Kosovo (KOI) verfügt in ihrer Eigenschaft als Nationaler Präventionsmechanismus gegen Folter (National Preventive Mechanism against Torture – NPMT) über sieben Mitarbeiter. Darunter sind ein Arzt, ein Psychiater, ein Sozialarbeiter und zwei Anwälte, die sich hauptberuflich mit der Verhütung von Folter befassen. Im Jahr 2018 unterzog sich der NPMT einem intensiven vom Europarat finanzierten Schulungsprogramm, um seine Kapazitäten zu verbessern. Auch führte er in Gefängnissen, Haftanstalten, psychiatrischen Einrichtungen und Polizeistationen Inspektionen durch. Gefangene und Inhaftierte können den NPMT über Rechtsanwälte, Familienangehörige, internationale Organisationen, direkte Telefonanrufe oder über Briefkästen in Haftanstalten, die nur für Mitarbeiter der KOI zugänglich sind, kontaktieren. Die KOI berichtete zwar über Beschwerden gegen die Polizei und den Strafvollzugsdienst; darunter Vorwürfe der körperlichen Misshandlung von Gefangenen, aber keine Folterhandlungen (USDOS 11.3.2020).
Das Kosovo-Rehabilitationszentrum für Folteropfer (KRCT), die führende NGO des Landes in Fragen der Folter, gab ebenfalls an, im Laufe des Jahres keine glaubwürdigen Berichte über Folterungen erhalten zu haben, obwohl die Misshandlung von Gefangenen nach wie vor ein Problem darstellt (USDOS 11.3.2020).
Quellen: - AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt %2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftslan d_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 30.3.2020 - UNHRC – United Nations Human Rights Council (25.1.2019): Visit to Serbia and Kosovo. Report of the Special Rapporteur on torture and other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment, https://atlas-of-torture.org/api/files/1552483246133hd6yw6vl38u.pdf, Zugriff 31.3.2020 - USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Kosovo, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026405.html, Zugriff 21.4.2020
6. Korruption
Laut Gesetz steht Korruption von Beamten unter Strafe, aber die Regierung setzt diese Vorgaben nicht effektiv um. Korruption bei Beamten bleibt gelegentlich ungesühnt. Das Fehlen einer wirksamen Justizaufsicht und eine allgemeine Schwäche der Rechtsstaatlichkeit tragen zu diesem Problem bei. Gegen Korruptionsfälle wird routinemäßig wiederholt Berufung eingelegt, und das Justizsystem lässt oft Verjährungsfristen auslaufen, ohne die Fälle vor Gericht zu bringen. Die Antikorruptionsbehörde (ACA) und das Nationale Rechnungsprüfungsamt tragen gemeinsam die Verantwortung für die Bekämpfung staatlicher Korruption. Verurteilungen wegen Korruptionsvorwürfen machen weiterhin nur einen geringen Teil der untersuchten und angeklagten Fälle aus. NGOs berichten, dass Anklageerhebungen oft fehlschlagen, weil Staatsanwälte falsche Anklagen erheben oder Verfahrensfehler machen (USDOS 11.3.2020).
Die institutionellen Rahmenbedingungen zur Korruptionsbekämpfung sind schwach. Die Zuständigkeitsbereiche der vier primären Korruptionsbekämpfungsbehörden überlappen sich, was eine effiziente Koordinierung der Bemühungen erschwert. Die Behörden zeigen nur wenig Anstrengung, hochrangige Korruptionsfälle zu untersuchen, und wenn hochrangige Beamte doch verfolgt werden, so kommt es selten zu Verurteilungen. Ende 2018 waren vier Minister, denen Korruption bzw. Interessenskonflikte vorgeworfen wurden, trotz entsprechender Anklagen weiterhin im Amt. Staatsanwälte und Gerichte sind nach wie vor anfällig für politische Einmischung und Korruption durch mächtige politische und geschäftliche Eliten, wodurch ordnungsgemäße Verfahren untergraben werden (FH 4.2.2019). Auch die Ergebnisse der EULEX-AntiKorruptionsbemühungen waren minimal. Besonders hochrangige Korruptionsfälle wurden nicht einmal untersucht, was einen weit verbreiteten Eindruck der Straflosigkeit hervorrief. Es schien, als sollte wichtigen Persönlichkeiten der politischen Elite des Kosovo eine Untersuchung oder gar ein Gerichtsverfahren erspart bleiben, im höheren Interesse der Aufrechterhaltung des kosovarischen Staatsbildungsprojekts (BS 2020).
Zentrale Bereiche der Korruption sind neben dem Gesundheits- und Bildungswesen die Justiz, in der es regelmäßig zu politischer Einflussnahme kommt, außerdem die öffentliche Verwaltung, in der Nepotismus, Beschäftigung nach Parteibuch wie die Manipulation öffentlicher Ausschreibungsverfahren weit verbreitet sind. Politische Korruption, etwa bei der Besetzung von Aufsichtsräten herrscht auch bei öffentlichen Unternehmen vor. Die kosovarische Presse berichtet regelmäßig von Korruptionsskandalen, in die hochkarätige Partei- oder Regierungsvertreter verwickelt sein sollen. Zur Anklage kommt bisher jedoch nur ein kleiner Teil davon und zu Verurteilungen kommt es ganz selten. So wurde der frühere Minister Fatmir Limaj diverse Male, unter anderem von EULEX-Richtern, wegen Korruption angeklagt, zu einer Verurteilung kam es nie. Auch sein Bruder, Florim Limaj, der im Innenministerium mit der Bekämpfung von Korruption betraut war, wurde wegen Korruption angeklagt. Ähnlich gelagert war der Fall des Staatsanwalts Nazim Mustafi. Der mit der Bekämpfung von Korruption beauftragte Staatsanwalt wurde 2013 von einem EULEX-Gericht selbst zu fünf Jahren Haft verurteilt - wegen Bestechlichkeit. Nicht nur lokalen Richtern, Staatsanwälten und Polizei fehlt die politische Unabhängigkeit zur Verfolgung politisch sensibler Korruptionsfälle – selbst die EU-Rechtsstaatsmission EULEX erwies sich als außerordentlich ineffizient, hochkarätige Fälle politischer Korruption abzuurteilen. 2017 wurden laut offiziellen Statistiken von den Staatsanwaltschaften im Kosovo knapp 1.800 Personen wegen Korruption angeklagt, 90% davon waren Behördenvertreter. 2015 wurde eine behördenübergreifende Task Force gegen politisch sensible Korruption und organisierte Kriminalität geschaffen. Bis einschließlich 2018 kamen allerdings lediglich 27 Fälle zur Anklage, ganze 9 Personen wurden verurteilt. Nicht zuletzt wegen der ineffizienten Korruptionsbekämpfung haben zwei Drittel der Bevölkerung im Kosovo kein Vertrauen in die Justiz bzw. den Rechtsstaat (GIZ 3.2020a).
Diese Auffassung vertritt auch der Direktor der albanischen Antikorruptionsbehörde, Shaip Havolli und rief die Justizbehörden auf, keine Angst zu haben, auch hochrangige Personen wegen Korruption anzuklagen. Er betonte, dass niedrige Strafen und Freilassungen ein negatives Signal für die Entwicklung des Kosovo und seine Integration in die internationalen Strukturen seien (CoE o.D.a; vgl. Telegrafi 25.5.2019). Das Kosovo Law Institute beklagte 2019, dass das Ausmaß der Nichtbestrafung von Korruption als besorgniserregend. Die Korruption auf hoher Ebene bleibe ein ernstes Problem. Der britische Botschafter im Kosovo zeigte sich beunruhigt, dass trotz aller Investitionen der internationalen Gemeinschaft ein hoher Prozentsatz von in Korruption verwickelten hohen Beamten nicht bestraft wird (CoE o.D.b).
Transparency International listet den Kosovo in seinem „Corruption Perceptions Index“ 2019 auf Platz 101 von insgesamt 180 bewerteten Staaten. Dies entspricht einer Verschlechterung um acht Plätze gegenüber 2018 (TI 1.2020; vgl. TI 30.1.2019). Im regionalen Vergleich zu seinen Nachbarländern liegt das Kosovo hinsichtlich des Ausmaßes an Korruption im Mittelfeld GIZ 3.2020a).
Quellen: - BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Kosovo, https://www.btiproject.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RKS.pdf, Zugriff 14.4.2020 - CoE – Council of Europe (o.D.a): Action against economic crime and corruption. KLI: The Justice System has failed to treat targeted cases, https://www.coe.int/en/web/corruption/anti-corruptiondigest/kosovo, Zugriff 14.4.2020 - CoE – Council of Europe (o.D.b): Action against economic crime and corruption. Kosovo Law Institute: corruption remains unpunished in the country, h ttps://www.coe.int/en/web/corruption/anti-corruption-digest/kosovo , Zugriff 17.4.2020 - FH - Freedon House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Kosovo, https://www.ecoi.net/en/document/2015997.html, Zugriff 27.11.2019 - GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Kosovo - Geschichte/ Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 5.5.2020 - Telegrafi.com (25.5.2019): Havolli kërkon dënime të larta për korrupsion, fton prokurorët e gjyqtarët të mos frikësohen, h ttps://telegrafi.com/havolli-kerkon-denime-te-larta-per-korrupsion fton-prokuroret-e-gjyqtaret-te-mos-frikesohen/, Zugriff 5.5.2020 - TI – Transparency International (1.2020): Corruptions Perceptions Index 2019, https://www.transparency.org/whatwedo/publication/corruption_perceptions_index_2019, Zugriff 5.5.2020 - TI – Transparency International (30.1.2019): Corruptions Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/cpi2018, Zugriff 5.5.2020 - USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Kosovo, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026405.html, Zugriff 3.4.2020
7. NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Zahlreiche heimische und internationale Menschenrechtsorganisationen konnten ohne Einschränkungen seitens der Regierung ihren Aufgaben nachgehen, Menschenrechtsfälle untersuchen und die Ergebnisse darüber publizieren (USDOS 11.3.2020, vgl. FH 4.2.2019), sind dabei aber gelegentlich Druck seitens der Regierung ausgesetzt, Kritik an derselben zu beschränken (FH 4.2.2019). Ca. 6.000 Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) sind im Kosovo registriert, wovon allerdings nur 10% als aktiv gelten. Im Kosovo gibt es durchaus eine zumindest jüngere Tradition der Zivilgesellschaft, die eine bedeutende Rolle in der kosovarischen Parallelgesellschaft der 1990er Jahre sowie während des Konflikts und in der folgenden Phase der Soforthilfe und des Wiederaufbaus einnahm. Hervorzuheben ist dabei die Rolle der „Mutter Teresa Gesellschaft“. Die zivilgesellschaftliche Szene ist aufgrund des hohen Anteils an Jugendlichen in der Gesellschaft hochdynamisch, aber weitestgehend unpolitisch. Die größte Anzahl der aktiven NGOs konzentriert sich auf die Zentren, wohingegen die Anzahl aktiver NGOs in ländlichen Gebieten gering ist. Die Gewerkschaften im Kosovo haben ca. 60.000 Mitglieder und sind mit einem Organisationsgrad von ca. 90% Abdeckung im öffentlichen Sektor ein gewichtiger Sozialpartner (GIZ 3.2020a).
Quellen: - FH - Freedon House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Kosovo, https://www.ecoi.net/en/document/2015997.html, Zugriff 7.4.2020 - GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Kosovo - Geschichte/ Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 4.5.2020 - USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Kosovo, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026405.html, Zugriff 4.5.2020
8. Ombudsmann
Die Institution der Ombudsperson hat die Befugnis, Anschuldigungen wegen Menschenrechtsverletzungen sowie den Missbrauch von staatlicher Autorität zu untersuchen und agiert als nationaler Präventionsmechanismus gegen Folter (National Preventive Mechanism against Torture – NPMT). Sie ist überdies die wichtigste Einrichtung zur Überwachung der Gefängnisse und kann, wenn ihre Empfehlungen nicht befolgt werden, die Fälle vor Gericht bringen. Weiters kann die Ombudsperson Empfehlungen zur Vereinbarkeit von Gesetzen und anderen untergesetzlichen oder administrativen Rechtsakten, Richtlinien und Praktiken abgeben (USDOS 11.3.2020). Die Institution der Ombudsperson nimmt ihr Mandat weiterhin wahr, schützt fundamentale Rechte und Freiheiten für alle, und stärkt ihre Kapazitäten, um Fälle effizient bearbeiten zu können. Sie bleibt jene Institution im Kosovo, der am meisten Vertrauen geschenkt wird. Die Implementierung der Empfehlungen der Ombudsperson durch andere Institutionen hat sich verbessert (EC 29.5.2019).
Quellen: - EC - Europäische Kommission (29.5.2019): Kosovo* 2019 Report, S33 u. S35, https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20190529-kosovo-report.pdf, Zugriff 26.2.2020 - USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Kosovo, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026405.html, Zugriff 5.5.2020
(…)
10. Allgemeine Menschenrechtslage
Das Bekenntnis zu unveräußerlichen Menschenrechten ist in der Verfassung verankert. Nach Art. 22 der Verfassung gelten viele internationale Menschenrechtsabkommen unmittelbar und haben Anwendungsvorrang. Seit November 2000 gibt es die Einrichtung einer Ombudsperson, die für alle Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen oder Amtsmissbrauch durch die zivilen Behörden im Kosovo zuständig ist, Hinweisen auf Menschenrechtsverletzungen nachgeht und in einem Jahresbericht an das Parlament Empfehlungen für deren Behebung gibt. Im Juli 2015 hat das Parlament ein neues Gesetz zur Ombudsperson verabschiedet, das die Ombudsperson zum nationalen Präventionsmechanismus (NPM) ernannt und die Unabhängigkeit dieser Institution und ihre Rolle als unabhängiger Beobachter und Hüter der Grundre