TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/24 W236 2174696-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.03.2021
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Entscheidungsdatum

24.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W236 2174696-1/28E
W236 2238752-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Lena BINDER über die Beschwerden von

1) XXXX geb. XXXX , StA. Armenien und Russische Föderation,

2) XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation

vertreten durch BBU GmbH – Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom

1) 22.09.2017, Zl. 1132509610-161418402,

2) 17.12.2020, Zl. 1256855306-200010734,

nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.03.2021 zu Recht:

A) Die Beschwerden werden gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, und § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, sowie § 52 Abs. 9 iVm § 46 FPG und § 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Eheleute (beide gemeinsam als Beschwerdeführer bezeichnet). Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, der Erstbeschwerdeführer ist darüber hinaus auch Staatsbürger Armeniens. Die Beschwerdeführer gehören der armenischen Volksgruppe an und sind armenisch-apostolischen Glaubens.

1. Der Erstbeschwerdeführer reiste via Flugzeug am 15.10.2016 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Der Erstbeschwerdeführer wurde am 16.10.2016 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und am 09.01.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Er gab im Wesentlichen an, die russische Staatsbürgerschaft im Jahr 2007 erhalten zu haben, wobei die Russische Föderation und Armenien vice versa nichts von seiner Doppelstaatsbürgerschaft wüssten. Er sei mit seiner Familie (Ehefrau, Tochter, Sohn) von Anfang 2011 bis Sommer 2011 in Norwegen gewesen. Wegen Dublinzuständigkeit Polens, habe man sie damals ausgewiesen. Er sei dann mit seiner Familie zurück nach Armenien. Im Mai 2012 seien sie erneut ausgereist und hätten in Liechtenstein Asylanträge gestellt, welche abgewiesen worden seien, weswegen er mit seiner Familie im November 2015 zurück nach Armenien gereist sei. Im März 2016 sei er alleine aus Armenien nach Russland ausgereist, wobei er im Juli 2016 weiter in die Ukraine gereist sei, von wo er am 15.10.2016 alleine einen Direktflug nach Wien genommen habe, da das Geld nicht für die gesamte Familie gereicht habe. Seine Familie lebe nach wie vor in Armenien, in einem Wohnwagen, gemeinsam mit seinen Eltern.

Er habe seit 1986 mehr oder weniger in Rjasan in Russland gemeinsam mit seinem Bruder gelebt und gearbeitet. Armenien habe er – abgesehen von seiner Teilnahme an Kriegshandlungen in Berg-Karabach im Jahr 1992 und einer Inhaftierung wegen Wehrdienstverweigerung im Jahr 2001 – nur für Urlaubsaufenthalte besucht.

Hinsichtlich seiner Fluchtgründe machte der Erstbeschwerdeführer geltend, dass er seit dem Jahr 2009 oder 2010 von XXXX (Cousin von XXXX ) und von XXXX (Generalleutnant beim FSB) gesucht werde. Beide hätten illegale Geschäfte abgewickelt und dafür Bestechungsgelder kassiert. Er selbst sei über Jahre gezwungenermaßen deren Mittelsmann gewesen. Er sei in den 1990er Jahren Immobilienmakler in Rjasan gewesen und habe I.P. so kennengelernt. Etwa im Jahr 2007 hätten korrupte Geschäftsleute herausgefunden, dass er I.P. und O.D kenne. Diese wollten gegen Schmiergeld in höhere Funktionen (Minister in der Waldwirtschaft) bestellt werden. Zu diesem Zwecke hätten diese im Jahr 2008 dem Erstbeschwerdeführer Schmiergeld in Höhe von 100.000 Euro übergeben – es habe sich um den ersten Teil einer in Summe 500.000 Euro umfassenden Schmiergeldzahlung gehandelt –, die der Erstbeschwerdeführer an I.P. und O.D. weitergegeben habe. Als Gegenleistung sei ihm versprochen worden, von ihm für sein Kaffeehaus keine Schutzgeldzahlungen zu verlangen. Da in weiterer Folge in Sachen Postenbesetzung jedoch nichts weitergegangen sei, hätten die Kriminellen den Erstbeschwerdeführer immer weiter belästigt und dieser habe bei I.P. und O.D. mehrmals urgieren müssen. Letztlich sei der Erstbeschwerdeführer von den Kriminellen derart bedroht worden, dass er sich an MEDVEDEV und an Vladimir PUTIN gewandt habe. Dies habe zur Folge gehabt, dass der Erstbeschwerdeführer und seine Familie von I.P. und O.D. verfolgt worden seien. Auch die Kriminellen hätten ihn verfolgt, da er deren Auftrag nicht erledigt habe. Man habe sie vernichten wollen. Man habe versucht, seine Kinder von der Schule zu entführen. Seine Frau sei entführt und vergewaltigt worden. All dies sei in den Jahren 2009 oder 2010 gewesen. In Armenien würden ihn die Russen leicht finden und einsperren. Die armenische Polizei suche nach ihm wegen Russland. Ein Bekannter bei der armenischen Polizei habe ihn gewarnt, dass er flüchten solle. Wenn ein Haftbefehl komme, dann sei die armenische Polizei gezwungen, ihn auszuliefern. Ende Dezember 2016 habe er von einem bekannten Polizisten erfahren, dass geplant sei, ein Strafverfahren gegen ihn und seine Frau in Armenien einzuleiten, um ihn zur Rückkehr nach Armenien zur bewegen. Auch habe er von seinem Bruder erfahren, dass er in Russland in seiner Abwesenheit im Jahr 2014 oder Anfang 2015 in einem Gerichtsverfahren zu vier Jahren Gefängnisstrafe verurteilt worden sei. Armenien habe er im März 2016 verlassen, da ihm der bekannte Polizist gesagt habe, dass Russland eine Anfrage an den armenischen Zoll gemacht habe und diese wissen, dass er sich in Armenien aufhalte. Daraufhin sei er mit seinem armenischen Pass nach Russland ausgereist, wobei er im Juli 2016 weiter in die Ukraine gereist sei. Mitte September 2016 habe er erfahren, dass die Russen erfahren hätten, dass er mit seinem armenischen Reisepass nach Russland gereist sei und man nun nach ihm und seiner Familie in Armenien suche.

3. Der Erstbeschwerdeführer legte zur Untermauerung seines Fluchtvorbringens folgende Unterlagen vor:

1.       Bescheid vom 11.03.2009 über den Verzicht auf gerichtliche Untersuchung der Moskauer Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Anzeige der Direktorin jener von den Kindern der Beschwerdeführer besuchten Schule über einen Entführungsversuch der Kinder der Beschwerdeführer am 11.03.2009, da kein Verbrechen stattgefunden habe;

2.       Schreiben der Gerichtsmedizin in Rjasan vom 10.09.2011, wonach bei der Zweitbeschwerdeführerin Spermaspuren in der Vagina und auf den Kleidern, Hämatome im Bereich des Halses und auf den Händen sowie Prellungen und Kratzwunden im Bereich Backen/Mund festgestellt worden seien;

3.       Schreiben eines Amtsrats des russischen Departements für schriftlichen Verkehr mit Bürgern und Organisationen vom 05.04.2012, mit welchem dem Erstbeschwerdeführer mitgeteilt wird, dass sein an den Präsidenten der Russischen Föderation gerichtetes Ansuchen über die Wahrung und Sicherung seiner Verfassungsrechte zur Bearbeitung an das Untersuchungskomitee der Russischen Föderation weitergeleitet worden sei;

4.       Ambulanzbestätigung vom 05.09.2010 betreffend den Erstbeschwerdeführer, Diagnose: Verletzungen der Weichgewebeteile im Bereich des Halses und der Oberlippe sowie Brustkorbverletzungen;

5.       Bestätigung vom 13.04.2009 betreffend den Erstbeschwerdeführer, Diagnose: Verletzungen und Kratzwunden an unteren und oberen Gliedmaßen;

6.       Befund eines Krankenhauses vom 21.09.2011 betreffend den Erstbeschwerdeführer, Diagnose: Trümmerfraktur des Humerus mit Verschiebung;

7.       Ambulanzbestätigung vom 18.07.2009 betreffend den Erstbeschwerdeführer, Diagnose: Verletzungen des Brustkorbes;

8.       Verfügung über die Anstrengung einer gerichtlichen Untersuchung vom 05.09.2011: Der Erstbeschwerdeführer habe am 05.09.2011 im Gebäude des Innenministeriums in der Stadt Rjasan versucht, einen Beamten durch die Übergabe von 50.000 Rubel zur Einstellung der gegen ihn laufenden Ermittlungen bezüglich illegaler Unternehmenstätigkeit zu veranlassen. Der Beamte habe die Annahme des Geldes jedoch verweigert. Die versuchte Geldübergabe sei durch Videobeobachtung aufgezeichnet worden. Das Verbrechen sei vom Erstbeschwerdeführer vorsätzlich begangen worden. Gegen den Erstbeschwerdeführer werde eine gerichtliche Untersuchung eingeleitet.

9.       Anordnung über Untersuchungen des Beschuldigten vom 26.09.2011: Aufgrund des (oben dargestellten) Korruptionsversuchs des Erstbeschwerdeführers am 05.09.2011 habe der Untersuchungsbeamte des Innenministeriums nach der Erstellung eines Protokolls wegen versuchter Straftat gemäß Art. 30/3/2 und Art. 291 des russischen Strafgesetzbuches aufgrund des Gesundheitszustandes des Erstbeschwerdeführers, die Meldepflicht und ein Ausreiseverbot während der Untersuchung gemäß Art. 102 StGB verhängen und zudem feststellen müssen, dass sich der Erstbeschwerdeführer vor der Untersuchung und dem Gericht außerhalb der Russischen Föderation versteckt halte. Aufgrund dieser Tatsachen werde der Erstbeschwerdeführer zur Fahndung und Festnahme ausgeschrieben.

4. Zum Vorbringen des Erstbeschwerdeführers stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Anfrage an die Staatendokumentation. Diese übermittelte am 16.08.2017 die entsprechende Antwort der Vertrauensperson des Bundesministeriums für Inneres in Armenien, der zusammengefasst angab, dass keine Beweise gefunden werden konnten, dass der Erstbeschwerdeführer oder dessen Frau strafrechtlich verfolgt würden. Es bestehe kein armenischer Haftbefehl. Selbst wenn ein russischer Haftbefehl existieren würde, können armenische Staatsbürger (auch bei russischer Doppelstaatsbürgerschaft) nicht ausgeliefert werden. Armenien erkenne Doppelstaatsbürger als alleinige armenische Staatsbürger an. Armenische Staatsbürger würden nicht an andere Staaten ausgeliefert werden. Die Frau des Erstbeschwerdeführers und die gemeinsamen Kinder leben in Vanadzor bei der Mutter des Erstbeschwerdeführers. Die Frau des Erstbeschwerdeführers habe angegeben, dass der Erstbeschwerdeführer in Russland arbeite. Sie hätte jedoch die Absicht, ein Schengen-Visum zu beantragen, um Europa zu besuchen. Der Bruder des Erstbeschwerdeführers lebe oder habe in Russland gelebt und habe mehrere Firmen unter seinem Namen in Rjasan und Stawropol registriert (gehabt). Der Hauptgeschäftszweig seien – auch gemeinsam mit dem Erstbeschwerdeführer – Cafés und Restaurants gewesen. In den sozialen Netzwerken ließen sich nebst Familienfotos auch Bilder vom Erstbeschwerdeführer gemeinsam mit I.P. finden, welcher in der Hintergrundbeschreibung angeführt wird.

5. In einer Stellungnahme vom 14.09.2017 führte der Erstbeschwerdeführer zu dieser Anfragebeantwortung aus, dass es nicht richtig sei, dass er in Russland nicht verfolgt werde. Er werde sowohl in Russland als auch in Armenien von den Behörden verfolgt. Als Beweis diene sein Rechtsanwalt in Russland, der dies bestätigen könne.

6. Mit o.a. Bescheid vom 22.09.2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Erstbeschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 15.10.2016 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Dem Erstbeschwerdeführer wurde keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Armenien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte IV.).

Begründend wird darin zusammengefasst ausgeführt, dass der Erstbeschwerdeführer Doppelstaatsbürger sei, für Armenien jedoch keine Fluchtgründe vorgebracht habe. Es sei ihm daher möglich, seinen Wohnsitz wieder nach Armenien zu verlegen, wo auch seine Familie nach wie vor lebe. Aus der Anfragebeantwortung ergebe sich, dass armenische Staatsbürger – selbst bei Bestehen eines russischen Haftbefehls und russischer Doppelstaatsbürgerschaft – nicht an die Russische Föderation ausgeliefert würden. Weiters ergebe sich daraus, dass gegen den Erstbeschwerdeführer kein russischer Haftbefehl vorliege, weswegen auch nicht glaubhaft sei, dass der Erstbeschwerdeführer zu einer vierjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden sein solle. Da der Erstbeschwerdeführer nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte in Armenien verfüge (Ehefrau, Kinder, Eltern, Schwiegereltern), könne von der Abdeckung seiner lebensnotwendigen Bedürfnisse im Fall der Rückkehr nach Armenien ausgegangen werden. Es drohe dem Erstbeschwerdeführer keine Gefahr, die die Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Eine der Rückkehr entgegenstehende Integration oder familiäre Anknüpfungspunkte des Erstbeschwerdeführers in Österreich habe nicht festgestellt werden können.

7. Gegen diesen Bescheid erhob der Erstbeschwerdeführer vollumfänglich fristgerecht Beschwerde, in welcher ausgeführt wird, dass er in Russland gesucht werde und seine Frau vor ca. vier bis fünf Monaten von der armenischen Polizei vorgeladen worden sei. Dieser sei damals mitgeteilt worden, dass der Erstbeschwerdeführer gesucht werde und es einen Haftbefehl gegen ihn gebe. Auch die Schwiegereltern des Erstbeschwerdeführers seien von einem Untersuchungsrichter zu Hause aufgesucht worden. Der armenische Anwalt des Erstbeschwerdeführers könne dies bestätigen. Des Weiteren könne das russische Militär ohne Kontrollen über die armenische Grenze kommen und sei es ein leichtes, den Beschwerdeführer nach Russland zu bringen. Es sei notorisch, dass Armenien und Russland eine sehr enge Beziehung pflegen. Der Bruder des Erstbeschwerdeführers, der Anwalt sei (zum Beweis werde dessen Hochschuldiplom in Kopie vorgelegt), könne bestätigen, dass der Erstbeschwerdeführer in Russland gesucht werde und wisse von einem bekannten Polizisten, dass es ein Fahndungsfoto des Erstbeschwerdeführers gebe. Zur Anfragebeantwortung sei zu sagen, dass die Ehefrau dem Erstbeschwerdeführer mitgeteilt habe, dass niemand mit ihr in Armenien gesprochen habe. Die Ehefrau halte sich nunmehr in Armenien versteckt auf.

Mit der Beschwerde legte der Erstbeschwerdeführer folgende Unterlagen vor:

1.       Teilnahmebestätigung am Werte- und Orientierungskurs des österreichischen Integrationsfonds vom 26.07.2017;

2.       Deutschkursbesuchsbestätigung Niveau A2 vom 06.10.2017;

3.       Krankenhausbestätigung der Zweitbeschwerdeführerin aus Armenien;

4.       Hochschuldiplom des Bruders des Erstbeschwerdeführer;

5.       Brief der Zweitbeschwerdeführerin in armenischer Sprache;

6.       Schreiben des Ermittlungskomitees der Republik Armenien, Verwaltungseinheit der Ermittlungsstelle von XXXX und XXXX vom 17.10.2017, wonach einem Rechtsanwalt mitgeteilt wird, dass der Erstbeschwerdeführer laut § 178 Abs. 3 StGB der Republik Armenien verurteilt, gegen ihn eine Haftstrafe verhängt und eine Fahndung nach ihm eingeleitet worden sei.

7.       Schreiben des Ermittlungskomitees der Republik Armenien, Verwaltungseinheit der Ermittlungsstelle von XXXX und XXXX vom 16.10.2017, wonach der Zweitbeschwerdeführerin mitgeteilt wird, dass sie als Zeugin während der Befragung über den Status der Verhandlung des Erstbeschwerdeführers informiert worden sei. Die in ihrem Ansuchen erwähnte Dokumentenvorlage sei im Strafgesetzbuch der Republik Armenien nicht vorgesehen.

8.       Heiratsurkunde;

9.       Sterbeurkunde des Vaters des Erstbeschwerdeführers

8. Die Zweitbeschwerdeführerin reiste laut eigenen Angaben am 17.12.2019 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 06.01.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz.

9. Im Zuge ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 06.01.2020 gab die Zweitbeschwerdeführerin hinsichtlich ihrer Fluchtgründe im Wesentlichen an, Armenien wegen ihrer starken Knieschmerzen verlassen zu haben. Sie habe bereits in Armenien eine Knieoperation gehabt, diese sei nicht gut gemacht worden. Sie benötige wahrscheinlich eine Prothese, welche die Kosten in Armenien übersteige. Sie sei noch im arbeitsfähigen Alter und habe zwei junge Kinder, welche sie noch zu versorgen habe. Mit dem Knie sei dies unmöglich. Sie werde Österreich nach ihrer Knieoperation sofort wieder verlassen. Sie wolle nicht, dass ihr Fall mit der Asylentscheidung ihres Ehemannes verbunden werde; es seien verschiedene Gründe. Im Falle der Rückkehr befürchte sie, nicht mehr arbeiten gehen zu können und unerträgliche Schmerzen zu haben.

10. Am 02.12.2020 wurde die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen und gab im Wesentlichen an, dass sie in Russland gelebt hätten, ihr Ehemann jedoch Probleme mit dem FSB und Banditen gehabt habe. Nach ihrem Mann werde in Russland und nunmehr auch in Armenien gefahndet. Deswegen seien sie geflüchtet und ca. im Jahr 2012 für sechs Monate in Norwegen gewesen. Wegen Dublinzuständigkeit Polens seien sie zurück nach Armenien. Im Mai 2013 seien sie erneut ausgereist und hätten in Liechtenstein Asylanträge gestellt, welche in erster Instanz negativ entschieden worden seien. Während aufrechtem Beschwerdeverfahren seien sie Ende Oktober 2015 freiwillig zurück nach Armenien gereist. Ihr Mann sei zur Fahndung ausgeschrieben worden und sie hätten Angst gehabt, dass man ihn in Armenien finde, deshalb sei ihr Mann nach Österreich gekommen und sie sei mit den Kindern in Armenien geblieben, da sie nicht genug Geld für eine gemeinsame Ausreise gehabt hätten. Ihr Leben in Armenien sei schlimm gewesen. Zwei Monate nach ihrer Rückkehr sei ihre Mutter verstorben. Dann hätten die Probleme mit dem Knie begonnen, sie habe nicht mehr auftreten können. Im Juli 2017 sei eine Arthroskopie gemacht worden. Sie habe immer teure Medikamente kaufen und Kredite aufnehmen müssen, weswegen sie in Armenien hohe Schulden habe. Sie hätten bei der Schwiegermutter gelebt und die Kinder seien in die Schule gegangen. Sie hätten von der Pension der Schwiegermutter und jener ihres Vaters gelebt. Nach der Operation habe sie zwar mit Krücken gehen können, dennoch sei ihre Situation immer schlechter geworden. Sie habe keine Arbeit gefunden, da sie nicht länger als zehn Minuten stehen könne. Sie habe auch vor 2017 nur sitzende Tätigkeiten ausführen können und als Textilnäherin gearbeitet. Sie sei zwar ausgebildete Lehrerin für Chemie und Biologie, habe aber nur vor ihrer Heirat als Lehrerin gearbeitet.

Sie habe ihre armenische Staatsbürgerschaft zurückgelegt, da sie nicht gewollt habe, dass ihr Sohn in den Krieg geschickt werde. Sie und ihre Kinder hätten jedoch dauerhafte Aufenthaltsgenehmigungen in Armenien. Da sie nicht armenische Staatsbürgerin mehr sei, habe sie in Armenien auch keine kostenlose Behandlung erhalten.

Auf konkrete Nachfrage ihrer Fluchtgründe, führte die Zweitbeschwerdeführerin erneut aus, in Österreich medizinisch versorgt werden zu wollen und nach erfolgreicher Behandlung freiwillig nach Armenien zu ihren Kindern zurückkehren zu wollen. Nach Russland könne sie aufgrund der Probleme ihres Mannes nicht, wobei sie zu diesen Problemen keine genauen Angaben machen könne. Sie sei dort auch entführt, geschlagen und vergewaltigt worden. Unbekannte Leute hätten sie damals angesprochen, ihr einen Schlag auf den Hinterkopf versetzt und als sie wieder zu sich gekommen sei, sei sie in einem Stall gewesen. Dort seien abwechselnd vier verschiedene Männer gekommen und hätten sie vergewaltigt. Sie habe drei Tage lang nur Wasser bekommen und man habe ihr Spritzen gegeben. Danach habe sie nicht viel mitbekommen. Man habe sie dann an einem Straßenrand ausgesetzt und Leute hätten ihr geholfen, sie ins Krankenhaus zu bringen. Man habe mit ihrer Entführung versucht, ihren Mann zu erpressen. Auch sei versucht worden, ihre Kinder zu entführen. Zudem sei sie im Jahr 2010 noch vor ihrer Ausreise nach Norwegen aus Interesse bei einer Versammlung der Zeugen Jehovas gewesen, welche von der Polizei aufgelöst worden sei. Sie sei zur Wache vorgeladen worden und sei verwarnt worden. Wenn sie nunmehr nach Russland zurückkehre, würde beim Passvorzeigen sofort festgestellt werden, dass sie Evangelistin sei und man würde sie einsperren.

Die Zweitbeschwerdeführerin legte neben zahlreichen medizinischen Befunden eine Bestätigung vom 16.04.2018 des Amtes für Pass- und Visa-Angelegenheiten der Republik Armenien über das Ausscheiden aus dem Staatsverband der Republik Armenien am 07.12.2017 vor.

11. Mit o.a. Bescheid vom 17.12.2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 06.01.2020 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.) und erteilte der Zweitbeschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, wurde gegen die Zweitbeschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte VI.).

Begründend wird darin zusammengefasst ausgeführt, dass die Zweitbeschwerdeführerin ihre Fluchtgründe in Bezug auf die Russische Föderation auf jene ihres Ehemannes stütze. Dessen Angaben sei jedoch in seinem Asylverfahren die Glaubhaftigkeit versagt worden, weswegen auch die von der Zweitbeschwerdeführerin ins Treffen geführten Angaben nicht glaubhaft seien. In Bezug auf Armenien habe die Zweitbeschwerdeführerin keinerlei Fluchtgründe angegeben, sondern lediglich ausgeführt, Armenien wegen schlechter medizinischer Versorgung verlassen zu haben und nach Österreich allein wegen einer Knieoperation gekommen zu sein. Da die Zweitbeschwerdeführerin nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte in der Russischen Föderation (Schwager) sowie in Armenien (Kinder, Vater, Schwiegermutter) verfüge, wo sie ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht habe, und die Zweitbeschwerdeführerin zudem über eine gute Ausbildung verfüge, könne von der Abdeckung ihrer lebensnotwendigen Bedürfnisse im Fall der Rückkehr in die Russische Föderation ausgegangen werden. Es drohe der Zweitbeschwerdeführerin keine Gefahr, die die Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Eine der Rückkehr entgegenstehende Integration oder familiäre Anknüpfungspunkte der Zweitbeschwerdeführerin in Österreich (ihr Ehemann sei im gleichen Maße von einer Ausweisung betroffen) habe nicht festgestellt werden können.

12. Gegen diesen Bescheid erhob die Zweitbeschwerdeführerin vollumfänglich fristgerecht Beschwerde wegen eines unterlassenen Ermittlungsverfahrens sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

13. Am 17.03.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache, der Beschwerdeführer sowie deren Rechtsvertretung statt, in welcher die Beschwerdeführer ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt wurden. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin wiederholten in der Verhandlung im Wesentlichen ihre bereits geltend gemachten Vorbringen und legten Unterlagen hinsichtlich ihrer Gesundheitszustände sowie drei Empfehlungsschreiben vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Auf Grundlage der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungs- und Gerichtsakte der Beschwerdeführer, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Strafregister sowie insbesondere auf Grundlage der am 17.03.2021 durchgeführten mündlichen Beschwerdeverhandlung, werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer stellte am 15.10.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.09.2017, Zl. 1132509610-161418402, sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen wurde. Dem Erstbeschwerdeführer wurde keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Armenien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte IV.). Gegen diesen Bescheid erhob der Erstbeschwerdeführer firstgerecht vollumfänglich Beschwerde.

Die Zweitbeschwerdeführerin stellte am 06.01.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.12.2020, Zl. 1256855306-200010734, sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab und erteilte der Zweitbeschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, wurde gegen die Zweitbeschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte VI.). Gegen diesen Bescheid erhob die Zweitbeschwerdeführerin fristgerecht vollumfänglich Beschwerde.

Am 17.03.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache, den Beschwerdeführern, sowie deren Rechtsvertretung statt, in welcher die Beschwerdeführer ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt wurden.

1.2. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Eheleute. Die Beschwerdeführer führen die in Kopf und Spruch dieser Entscheidung genannten Personalien; ihre Identitäten stehen fest. Der Erstbeschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation sowie Armeniens; die Zweitbeschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation. Die Zweitbeschwerdeführerin besaß bis zum 07.12.2017 ebenfalls die armenische Staatsbürgerschaft, legte diese freiwillig zurück und verfügt in Armenien nach wie vor über einen dauerhaften Aufenthaltstitel.

Die Beschwerdeführer gehören der armenischen Volksgruppe an und sind armenisch-apostolischen Glaubens.

Der Erstbeschwerdeführer lebte und arbeitete seit 1986 in Rjasan in der Russischen Föderation gemeinsam mit seinem Bruder. Armenien besuchte er – abgesehen von seiner Teilnahme an Kriegshandlungen in Berg-Karabach im Jahr 1992 und einer Inhaftierung wegen Wehrdienstverweigerung im Jahr 2001 – nur für Urlaubsaufenthalte. Nach der Heirat am 21.04.2003 verzog auch die Zweitbeschwerdeführerin zum Erstbeschwerdeführer in die Russische Föderation.

Die Beschwerdeführer sind Eltern zweier Kinder, XXXX , geb. XXXX .2003, und XXXX , geb. XXXX .2005, die in Armenien bei der Mutter des Erstbeschwerdeführers leben. Weiters lebt noch der Vater der Zweitbeschwerdeführerin in Armenien.

Die Beschwerdeführer reisten – gemeinsam mit ihren Kindern – Anfang 2012 mit polnischen Visa nach Norwegen und stellten dort am 21.01.2012 Anträge auf internationalen Schutz, welche wegen Dublinzuständigkeit Polens zurückgewiesen wurden. Die Beschwerdeführer kehrten daraufhin im Sommer 2012 nach Armenien zurück. Am 20.05.2013 stellten die Beschwerdeführer – gemeinsam mit ihren Kindern – in Liechtenstein Anträge auf internationalen Schutz, welche in erster Instanz abgewiesen wurden. Die Verfahren befanden sich noch im Stadium der Beschwerde, als die Beschwerdeführer mit ihren Kindern im November 2015 nach Armenien zurückkehrten. Die Beschwerdeführer reisten mit ihren Kindern im März 2016 in die Russische Föderation und im Juli 2016 in die Ukraine, von wo aus der Erstbeschwerdeführer am 15.10.2016 via Direktflug von Kiew nach Wien flog. Die Zweitbeschwerdeführerin kehrte am 15.10.2016 hingegen mit den gemeinsamen Kindern nach Armenien zurück und lebte fortan mit diesen sowie der Mutter des Erstbeschwerdeführers in einem gemeinsamen Haushalt. Am 13.12.2019 reiste die Zweitbeschwerdeführerin schließlich via Flug von Armenien nach Österreich.

Der Erstbeschwerdeführer besuchte in Armenien in den Jahren 1978 bis 1986 acht Jahre die Grundschule, danach absolvierte er in Armenien und der Russischen Föderation dreieinhalb Jahre eine Baufachschule. Anschließend absolvierte er in den Jahren 1991 bis 1996 fünf Jahre eine polytechnische Hochschule in der Russischen Föderation. Der Erstbeschwerdeführer war in der Russischen Föderation zunächst als Bauleiter auf Baustellen tätig. Zuletzt mietete er Kaffeehäuser, Restaurants und eine Bäckerei, die er gemeinsam mit der Zweitbeschwerdeführerin führte.

Die Zweitbeschwerdeführerin besuchte in Armenien zehn Jahre die Grundschule und fünf Jahre die Universität für Chemie. Sie ist ausgebildete Lehrerin für Biologie und Chemie und war bis zur ihrer Heirat als Lehrerin tätig. Danach arbeitete sie mit dem Erstbeschwerdeführer in der Russischen Föderation in dessen Kaffeehäusern, Restaurants und der Bäckerei als Köchin, Bäckerin und Konditorin. Die finanzielle Situation der Familie war bis zur Ausreise im Jänner 2012 gut. In Armenien verarbeitete die Zweitbeschwerdeführerin zuletzt Holzwäscheklammern.

Der Erstbeschwerdeführer leidet an arterieller Hypertonie, Hypokaliämie (Kaliummangel), seit 2003 an Thorakodynie (Brustschmerzen), einer geringfügigen Koronarsklerose ohne wirksame Stenosen, chronischer Bronchitis, Adipositas, Nikotinabusus, Lumbalsyndrom (chronische Schmerzzustände im unteren Rücken), Hüftarthrose, Coxa profunda (Vergrößerung der Hüftpfanne) mit Cam- und Pincer-Impingement beiderseits (Störung des Bewegungsspiels des Hüftgelenks), Varusgonarthrose mit Patellalateralisierung und RPA Arthrose (Arthrose im Kniegelenkt aufgrund Fehlstellung der Kniescheibe). In psychischer Hinsicht leidet er an Angst und Depression gemischt sowie an wahnhafter Störung. Der Erstbeschwerdeführer nimmt täglich folgende Medikamente ein: Xefo Ftbl 8mg (Antirheumatikum), Zoreeda 25µ/125µg (Antiasthmatikum), Exforge 10/160/25 (Blutdrucksenker), Rosuvastatin gen. 20mg (Cholesterinsenker), Thrombo Ass Ftbl 100mg (Arzneimittel zur Verhinderung von Thrombosen der Herzkranzgefäße), Colofac retard (krampflösendes Arzneimittel), Pregabalin 50mg (Arzneimittel zur Behandlung von Angststörungen und neuropathischen Schmerzen), Candeblo 16mg (Blutdrucksenker), Dilatrend 25mg (Blutdrucksenker), Ebrantil retard 60mg Kapseln (Blutdrucksenker), Esomeprazol 40mg (Protonenpumpenhemmer), Trittico 150mg (Arzneimittel bei Schlafstörungen und Depressionen). Bei Juckreiz nimmt er Xyzal 5mg, bei Schmerzen Ibuprofen 600mg, Novalgin 500mg.

Der Erstbeschwerdeführer leidet damit an keinen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen, in Armenien nicht behandelbaren Erkrankungen. Er hat Zugang zum armenischen Gesundheitssystem. Soweit er im Falle der Behandlung mit einem Selbstbehalt belastet wird, steht es ihm im Falle der Bedürftigkeit frei, die Kostenübernahme des Selbstbehaltes durch den Staat zu beantragen, worüber eine eigens hierfür eingerichtete Kommission entscheidet. Ebenso hat der Erstbeschwerdeführer Zugang zum – wenn auch minder leistungsfähigeren als dem österreichischen – armenischen Sozialsystem und könnte dieses in Anspruch nehmen.

Die Zweitbeschwerdeführerin leidet an Valgusgonarthrose rechts (Abnutzung der Außenseite des Kniegelenks durch X-Beinstellung), Lumbalgie (chronische Schmerzzustände im unteren Rücken) und an Facettenarthrosen in der unteren Lendenwirbelsäule. Am 13.10.2020 wurde am rechten Kniegelenk eine Arthroskopie durchgeführt. Eine varisierende femorale Umstellungsosteotomie (Achskorrektur des Kniegelenks) sowie eine Kniegelenksprothesen-Operation sind geplant, derzeit wegen der COVID-19-Pandemiesituation jedoch nicht durchführbar. Weiters leidet die Zweitbeschwerdeführerin an einer Gastritis mäßiger Ausprägung und Hiatushernie ohne makroskopische Ösophagitiszeichen (Zwerchfelldurchbruch ohne Speiseröhrenentzündung). Die Zweitbeschwerdeführerin nimmt täglich folgende Medikamente: Esomeprazol san msr Tbl 40mg (Protonenpumpenhemmer), Trittico ret Tbl 150mg (Arzneimittel bei Schlafstörungen und Depressionen), Zanipril Ftbl 10/10mg (Blutdrucksenker), Ebrantil ret Kps 30mg (Blutdrucksenker).

Die Zweitbeschwerdeführerin leidet damit an keinen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen, in der Russischen Föderation nicht behandelbaren Erkrankungen. Sie hat mit einer Registrierung ihres Wohnsitzes auch Zugang zum russischen Gesundheitssystem, wobei die medizinische Grundversorgung kostenlos ist. Ebenso hat die Zweitbeschwerdeführerin Zugang zum – wenn auch minder leistungsfähigeren als dem österreichischen – russischen Sozialsystem und könnte dieses in Anspruch nehmen.

Die Beschwerdeführer beherrschen sowohl die russische als auch die armenische Sprache auf Muttersprachenniveau.

Die Beschwerdeführer beherrschen die deutsche Sprache in Grundzügen. Sie gehen in Österreich keiner Beschäftigung nach, beziehen Leistungen aus der Grundversorgung und leben in einer Flüchtlingsunterkunft.

Die Beschwerdeführer verfügen in Österreich über die Kernfamilie hinaus über keine weiteren Angehörigen. Im Falle der Beschwerdeführer konnten keine nennenswerten Anknüpfungspunkte wirtschaftlicher oder sozialer Natur im Bundesgebiet festgestellt werden; eine besondere Verfestigung der Beschwerdeführer im Bundesgebiet liegt nicht vor.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zum Fluchtgrund und einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in die Russische Föderation:

Die behauptete Gefährdung in der Russischen Föderation wird als nicht glaubhaft eingestuft. Der von den Beschwerdeführern vorgebrachte Fluchtgrund wird der Entscheidung nicht zugrunde gelegt. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Zweitbeschwerdeführerin in der Russischen Föderation zum gegenständlichen Entscheidungszeitpunkt einer Verfolgung ausgesetzt ist, da der Erstbeschwerdeführer in den Jahren 2009 bis 2011 Probleme mit korrupten Machthabern oder sonstigen Kriminellen gehabt haben will. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer in Armenien zur Fahndung ausgeschrieben und in seiner Abwesenheit zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.

Es kann somit nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer in Armenien bzw. die Zweitbeschwerdeführerin in der Russischen Föderation einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt sind. Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Armenien und die Zweitbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation einer solchen Gefährdung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass diese konkret Gefahr liefen, in Armenien (Erstbeschwerdeführer) bzw. der Russische Föderation (Zweitbeschwerdeführerin) der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu sein. Der Erstbeschwerdeführer würde bei einer Rückkehr nach Armenien und die Zweitbeschwerdeführerin würde bei einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten.

Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer als armenischer Staatsbürger in Armenien ernsthaft Gefahr liefe, in die Russischen Föderation ausgeliefert zu werden.

Die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie stellt kein Rückkehrhindernis dar. Die Beschwerdeführer leiden zwar an zahlreichen Erkrankungen, gehören jedoch – nicht zuletzt auch in Anbetracht ihres Alters von 49 bzw. 45 Jahren – dennoch keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Russische Föderation eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würden. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation und Armenien:

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten wiedergegeben.

1.4.1. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 27.03.2020 (letzte Information eingefügt am 21.07.2020):

1. Politische Lage

Letzte Änderung: 21.07.2020

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 7.2020c; vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2020a; vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 7.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Der Volksentscheid über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem er aufgrund der Corona Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der so genannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 7.2020a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 7.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (2.3.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 10.3.2020

-        CIA – Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 10.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 17.7.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 17.7.2020

-        Global Security (21.9.2016): Duma Election - 18 September 2016, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/politics-2016.htm, Zugriff 10.3.2020

-        Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.3.2020

-        MDR 16.7.2020): Mehr als 140 Demonstranten in Moskau festgenommen, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/ausland/festnahme-moskau-putin-kritiker-bei-protest-100.html, Zugriff 21.7.2020

-        ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 10.3.2020

-        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.3.2020

-        Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020

-        RIA Nowosti (23.9.2016): ??? ???????? ?????????? ??????? ? ???????, https://ria.ru/20160923/1477668197.html, Zugriff 10.3.2020

-        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

-        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020

-        Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020

2. Sicherheitslage

Letzte Änderung: 27.03.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a; vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a; vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (19.3.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 19.3.2020

-        BMeiA (19.3.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.3.2020

-        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

-        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.3.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 19.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

3. Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 21.7.2020

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2019). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 4.3.2020).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisp

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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