TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/24 W108 2207617-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.03.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

24.03.2021

Norm

ASVG §344
ASVG §347
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W108 2207617-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gertrude BRAUCHART als Vorsitzende und die fachkundigen Laienrichterinnen und Laienrichter MR Dr. Christoph FÜRTHAUER, Mag. Martin DUHAN, Dr. Gottfried ENDEL und Mag. Karin BRANDSTÄTTER, LL.M., als Beisitzerinnen und Beisitzer über die Beschwerde des XXXX gegen den Bescheid des Vorsitzenden der paritätischen Schiedskommission für das Land Niederösterreich vom 12.08.2018, Zl. XXXX , betreffend Sachverständigengebühren zu Recht:

A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid wegen Unzuständigkeit der Behörde aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang/Sachverhalt:

1. In einem Verfahren zur Zahl XXXX wegen Beeinspruchung der Honorarabrechnung vor der paritätischen Schiedskommission für das Land Niederösterreich (Antragstellerin: XXXX ; Antragsgegner: XXXX ) wurde der nunmehrige Beschwerdeführer XXXX mit Beschluss vom 02.10.2017 zum Sachverständigen bestellt und mit einer Gutachtenserstellung beauftragt.

2. Mit dem vom Vorsitzenden der paritätischen Schiedskommission für das Land Niederösterreich, XXXX , erlassenen, nunmehr angefochtenen (als „Beschluss“ bezeichneten) Bescheid wurden die Gebühren des Beschwerdeführers für die Erstattung des schriftlichen Gutachtens und die Ergänzung des schriftlichen Gutachtens in der mündlichen Verhandlung in der oben genannten Schiedskommissionssache in der Höhe von 7794,60 EUR (inkl. 20 % Ust) bestimmt.

Die Fertigungsklausel des angefochtenen Bescheides lautet:

"Paritätische Schiedskommission für das Land Niederösterreich

Geschäftsstelle Ärztekammer für Niederösterreich

Wipplingerstr 2, 1010 Wien am 12.08.2018“

Der Bescheid enthält keine Namen von Mitgliedern der paritätischen Schiedskommission, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, sowie eine unleserliche Unterschrift.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG.

4. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit der Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerde samt den bezughabenden Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

5.1. Der Vorsitzende der paritätischen Schiedskommission für das Land Niederösterreich teilte dem Bundesverwaltungsgericht zum Bescheid mit:

„Gemäß § 53a Abs. 1 GebAG haben nichtamtliche Sachverständige für ihre Tätigkeit im Verfahren Anspruch auf Gebühren, die durch Verordnung der Bundesregierung in Pauschalbeträgen (nach Tarifen) festzusetzen sind. Soweit keine solchen Pauschalbeträge (Tarife) festgesetzt sind, sind auf den Umfang der Gebühr die §§ 24 bis 37, 43 bis 49 und 51 des Gebührenanspruchsgesetzes – GebAG, BGBl. Nr. 136/1975, sinngemäß anzuwenden. Die Gebühr ist gemäß § 38 des Gebührenanspruchsgesetzes 1975 bei der Behörde geltend zu machen, die den Sachverständigen herangezogen hat.

In diesem Sinn wurde die Gebühr vom Sachverständigen bei der Paritätischen Schiedskommission geltend gemacht und mit Bescheid des Vorsitzenden (§ 39 Abs. 1 GebAG) bestimmt. Gemäß § 347a. ASVG kann gegen einen Bescheid der Paritätischen Schiedskommissionen, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben werden.

In diesem Sinn erscheint die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes sowohl für die Entscheidung in der Hauptsache, sondern auch über die Beschwerde das Sachverständigen gegen den Gebührenbestimmungsbeschluss gegeben.

Der Vorsitzende

XXXX .“

5.2. Zur Aufforderung, dem Bundesverwaltungsgericht u.a. die Niederschrift über die Beratung und Beschlussfassung der paritätischen Schiedskommission gemäß § 16 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 2 letzter Satz Schiedskommissionsverordnung 2014 – SchKV 2014 betreffend den angefochtenen Bescheid vorzulegen, teilte die paritätische Schiedskommission für das Land Niederösterreich fernmündlich mit, dass dem Bundesverwaltungsgericht alle Unterlagen übermittelt worden seien.

In den vorgelegten Verwaltungsakten liegt eine Niederschrift über die Beratung und Beschlussfassung der paritätischen Schiedskommission betreffend den angefochtenen Bescheid nicht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Ausführungen oben unter Punkt I. zum Verfahrensgang (Verwaltungsgeschehen) und Sachverhalt werden festgestellt.

Damit steht insbesondere fest, dass der angefochtene Bescheid vom Vorsitzenden der paritätischen Schiedskommission für das Land Niederösterreich erlassen wurde.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang/Sachverhalt bzw. die Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Dass der angefochtene Bescheid vom Vorsitzenden der paritätischen Schiedskommission für das Land Niederösterreich (und nicht von der paritätischen Schiedskommission für das Land Niederösterreich) erlassenen wurde, ergibt sich aus dessen Mitteilung an das Bundesverwaltungsgericht (siehe oben Punkt 5.1.), wonach die Gebühr mit Bescheid des Vorsitzenden bestimmt worden sei, der Nichtanführung von Mitgliedern der paritätischen Schiedskommission, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, im Bescheid sowie der Nichtvorlage einer Niederschrift über die Beratung und Beschlussfassung der paritätischen Schiedskommission gemäß § 16 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 2 letzter Satz SchKV 2014.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 347a ASVG kann gegen einen Bescheid der paritätischen Schiedskommissionen, der Landesschiedskommission und der Bundesschiedskommission und wegen Verletzung ihrer Entscheidungspflicht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben werden. Gemäß § 347b ASVG hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Angelegenheiten nach § 347a durch einen Senat zu erfolgen, der aus dem/der Senatsvorsitzenden und vier fachkundigen Laienrichtern/Laienrichterinnen besteht, wobei davon zwei Ärzte/Ärztinnen sind und zwei spezifische Kenntnisse auf dem Gebiet des Gesundheits- und des Sozialversicherungswesens haben müssen. Die Zusammensetzung der Laienrichter/Laienrichterinnen im Senat hat das paritätische Nominierungsrecht nach Abs. 2 abzubilden. Da der gegenständliche Bescheid in einem Verfahren der paritätischen Schiedskommission für das Land Niederösterreich, wenngleich vom Vorsitzenden, erlassen wurde, liegt gegenständlich somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles sowie andere näher genannte (im vorliegenden Fall nicht relevante) Gesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.2. Die in den §§ 344 ff ASVG vorgesehenen Schiedskommissionen (zu denen neben den paritätischen Schiedskommissionen gemäß § 344 ASVG, die Landesschiedskommissionen gemäß § 345 ASVG und die Bundesschiedskommissionen gemäß § 345 ASVG gehören) sind Bundesbehörden im organisatorischen wie auch funktionellen Sinn. Die ihnen übertragenen Geschäfte werden in unmittelbarer Bundesverwaltung geführt (Frank in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm § 347 ASVG Rz 1). Auf ihr Verfahren ist gemäß Art I Abs. 2 Z 1 EGVG das AVG anzuwenden (Frank in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm § 347 ASVG Rz 22).

Gemäß § 344 Abs. 1 ASVG ist zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen, im Einzelfall in jedem Land eine paritätische Schiedskommission zu errichten. Antragsberechtigt im Verfahren vor dieser Behörde sind die Parteien des Einzelvertrages.

Gemäß § 344 Abs. 2 ASVG besteht die paritätische Schiedskommission aus einem/einer Richter/in des Ruhestandes als Vorsitzenden/Vorsitzende und vier Beisitzern/Beisitzerinnen. Der/Die Vorsitzende soll durch längere Zeit hindurch in Arbeits- und Sozialrechtssachen tätig gewesen sein. Er/Sie ist vom Bundesminister für Justiz jeweils auf fünf Jahre zu bestellen. Je zwei Beisitzer/Beisitzerinnen – von denen jeweils ein/eine Arzt/Ärztin sein muss – werden von der zuständigen Ärztekammer und vom Krankenversicherungsträger, der Partei des Einzelvertrages ist, bestellt.

Gemäß § 347 Abs. 4 ASVG fassen die Schiedskommissionen ihre Beschlüsse in Anwesenheit aller Mitglieder mit Stimmenmehrheit; Stimmenthaltung ist nicht zulässig. Die Beschlussfähigkeit der Kommission ist gemäß § 16 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 1 der Schiedskommissionsverordnung 2014 – SchKV 2014 gegeben, wenn alle Kommissionsmitglieder während der allfälligen mündlichen Verhandlung, während der Beratung und Beschlussfassung anwesend waren. Gemäß § 16 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 2 SchKV 2014 hat die Kommission in Abwesenheit der Parteien auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens durch Beschluss mit einfacher Stimmenmehrheit zu entscheiden; eine Stimmenthaltung ist nicht zulässig. Die oder der Vorsitzende hat ihre bzw. seine Stimme zuletzt abzugeben. Über die Beratung und Beschlussfassung ist eine gesonderte Niederschrift zu führen, die von der bzw. dem Vorsitzenden zu unterfertigen ist. An der Entscheidung der Schiedskommission dürfen demnach nur die Mitglieder mitwirken, die während einer allfälligen mündlichen Verhandlung und während der nichtöffentlichen Beratung des Streitfalls anwesend waren. Eine Willensbildung im Umlaufweg ist nicht vorgesehen und entspricht nicht der gesetzlich angeordneten kollegialen Entscheidungsfindung. Der Bescheid der Schiedskommission kann schriftlich oder mündlich erlassen werden. In der schriftlichen Ausfertigung sind gemäß § 16 Abs. 1 iVm § 11 SchKV 2014 die Namen der Mitglieder zu nennen, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben (Frank in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm § 347 ASVG Rz 33 f).

Weder in den Bestimmungen des ASVG betreffend die paritätischen Schiedskommissionen (§§ 344 und 347 ASVG) noch in der SchKV 2014 ist eine behördliche Zuständigkeit des Vorsitzenden der paritätischen Schiedskommission vorgesehen. Dieser ist keine eigene Behörde und kann nicht als solche tätig werden. Es ist daher nicht nur für die Sachentscheidung, sondern auch für die Entscheidung über Sachverständigengebühren (für die gemäß Art I Abs. 2 Z 1 EGVG § 53a AVG maßgeblich ist), die jeweilige paritätische Schiedskommission zuständig (vgl. BVwG 04.11.2020, G314 2222730-1/16E; ähnlich BVwG 03.07.2019, W214 2122148-1/10E, zu Zeugengebühren). Eine analoge Anwendung der im Zivilverfahren für die Bestimmung von Sachverständigengebühren maßgeblichen Bestimmungen kommt mangels einer planwidrigen Lücke nicht in Betracht.

3.3. Zuständig für die Bestimmung der Sachverständigengebühr ist im vorliegenden Fall somit die paritätische Schiedskommission für das Land Niederösterreich, nicht aber deren Vorsitzender, der den angefochtenen Bescheid jedoch erlassen hat. Die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Beschlussfassung stellt keine solche der paritätischen Schiedskommission für das Land Niederösterreich dar. Vielmehr liegt eine monokratische Entscheidung des Vorsitzenden dieser Schiedskommission vor. Dies widerspricht der Bestimmung des § 347 Abs. 4 ASVG, welche eine kollegiale Willensbildung normiert.

Es liegt daher eine Rechtswidrigkeit des Bescheides infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde vor. Die Unzuständigkeit der belangten Behörde hat das Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen aufzugreifen (vgl. § 27 VwGVG). Der angefochtene Bescheid ist daher in Stattgabe der Beschwerde aufzuheben.

Die paritätische Schiedskommission für das Land Niederösterreich wird nunmehr als zuständige Behörde über die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Sachverständigengebühren zu entscheiden haben, wobei sie auch das Beschwerdevorbringen zu berücksichtigen haben wird.

3.4. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die vorliegende Entscheidung hängt von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Soweit ersichtlich, fehlt es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Übertragbarkeit der in § 39 Abs. 1 GebAG und § 37 Abs. 1 Z 7a GOG normierten Zuständigkeit des Senatsvorsitzenden für Sachverständigengebühren auf Vorsitzende einer Verwaltungsbehörde, insbesondere einer Schiedskommission. Ausgehend davon ist auszusprechen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist.

Schlagworte

Bescheidbehebung Revision zulässig Sachverständigengebühr Schiedskommission Unzuständigkeit Vorsitzender

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W108.2207617.1.00

Im RIS seit

25.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten