TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/29 I422 2240381-1

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Veröffentlicht am 29.03.2021
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Entscheidungsdatum

29.03.2021

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §66 Abs1
FPG §66 Abs2
FPG §70 Abs3
NAG §51 Abs1 Z2
NAG §55 Abs1
NAG §55 Abs3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I422 2240381-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Polen, vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.02.2021, Zl. 1253497202-210103195, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Polens, stellte am 26.11.2019 beim Amt der Wiener Landesregierung einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für den Zweck „Arbeitnehmer“.

Am 08.01.2021 erging eine Information über das gemeinschaftsrechtliche Niederlassungsrecht durch das Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der diesem mitgeteilt wurde, dass kein Nachweis über eine laufende Beschäftigung der Beschwerdeführerin als Arbeitnehmerin vorgelegt worden sei und dass die Beschwerdeführerin weder krankenversichert sei, noch über ausreichend Existenzmittel verfüge. Somit lägen die Voraussetzungen des § 51 NAG jedenfalls nicht vor.

Am 05.02.2021 verständigte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Beschwerdeführerin über die beabsichtigte Erlassung einer Ausweisungsentscheidung und den Stand der Beweisaufnahme und erteilte es ihr zugleich die Möglichkeit zur Stellungnahme.

Die Beschwerdeführerin bezog sich in ihrer Stellungnahme vom 16.02.2021 darauf, dass sie in der Krankenversicherung VZP für europäische Bürger und Bürgerinnen, sowie in der XXXX Versicherung versichert sei und diese zuerst aus Mieteinnahmen, nach Wegfall dieser aufgrund der COVID-19-Pandemie durch den Verkauf einer Wohnung in Prag weiterhin finanzieren könne.

Mit Bescheid vom 20.02.2021, Zl. 1253497202-210103195 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Ausweisung der Beschwerdeführerin aus (Spruchpunkt I.) und erteilte ihr einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat (Spruchpunkt II.).

In der darauffolgenden Beschwerde vom 11.03.2021 bekämpfte die Beschwerdeführerin den oben angeführten Bescheid aufgrund von Rechtswidrigkeit des Bescheides und mangelhafter Beweiswürdigung. Sie brachte dahingehend zusammengefasst vor, dass sie in Österreich ein Familienleben führe, über eine Krankenversicherung verfüge und auch Aussicht auf eine Arbeitsstelle habe, sodass ihre Existenz jedenfalls hinreichend gesichert sei.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht mit dem Antrag vor, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Polens. Ihre Identität steht fest.

Die Beschwerdeführerin wurde in XXXX , Polen geboren. Sie wuchs dort auf und schloss in ihrem Herkunftsstaat die Grund- und eine fachmännische Mittelschule ab. Von Oktober 1995 bis Frühjahr 2019 lebte und arbeitete die Beschwerdeführerin in Prag, Tschechien. Dort besuchte sie einen Buchhaltungskurs, arbeitete als Assistentin der Geschäftsführung und in der Buchhaltung mehrerer Unternehmen, ehe sie im September 2014 als Geschäftsführerin ein Reinigungsunternehmen eröffnete. In Tschechien leben nach wie vor ihre beiden volljährigen Töchter. Sie spricht muttersprachlich Polnisch, Tschechisch und Slowakisch in Wort und Schrift und zudem Deutsch auf Anfängerniveau.

Im April 2019 übersiedelte die Beschwerdeführerin nach Österreich. Seit dem 23.07.2019 ist sie mit Hauptwohnsitz in Wien gemeldet. Die Beschwerdeführerin lebt gemeinsam mit ihrem österreichischen Lebensgefährten in dessen Wohnung. Die Kosten für die Wohnung und die Lebenshaltungskosten trägt der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin hat in Österreich einige Freunde und Bekannte. In Tschechien leben ihre beiden volljährigen Töchter.

Die Beschwerdeführerin geht derzeit keiner geregelten Erwerbstätigkeit nach. Sie ist jedoch auf Arbeitssuche und bewirbt sich laufend für verschiedene Reinigungstätigkeiten. Sie hat sich bei zahlreichen potentiellen Arbeitgebern für eine Stelle als Reinigungskraft beworben; darunter beim XXXX , der XXXX , XXXX und den XXXX .

Bis zur COVID-19-Pandemie bezog die Beschwerdeführerin Mieteinnahme in Höhe von EUR 726,00 pro Monat. Mangels Mieter verkaufte sie am 29.10.2020 ihre Wohnung für EUR 175.084,- von denen sich noch EUR 68.810,- auf ihrem Konto befinden. Sie hat keine Mietkosten. Die Lebenshaltungskosten werden von ihrem Lebensgefährten getragen. Die Beschwerdeführerin ist in der Krankenversicherung IZP für BürgerInnnen der Europäischen Union versichert.

Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten. Es sind ihr keine Verstöße gegen die öffentliche Ordnung anzulasten. Sie bezog im Bundesgebiet bislang keine Sozialleistungen oder sonstige Zuwendungen der öffentlichen Hand.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang unter Punkt I. ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakte und des Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Feststellungen in Hinblick auf die Person der Beschwerdeführerin, insbesondere ihrer Staatsangehörigkeit ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Durch eine dort einliegende Kopie ihres Reisepasses ist ihre Identität geklärt.

Die Herkunft der Beschwerdeführerin, ihre Schulausbildung, ihr weiterer Aufenthalt in Tschechien und ihre dortige berufliche Tätigkeit sowie ihre Sprachkenntnisse und die Feststellung zu ihren beiden in Tschechien lebenden Töchter gründen auf den glaubhaften Angaben im Administrativ- und Beschwerdeverfahren und den von ihr vorgelegten Urkunden, insbesondere ihrem Lebenslauf, einem Arbeitszeugnis sowie der Geburtsurkunde ihres Enkels.

Glaubhaft werden auch die Angaben der Beschwerdeführerin erachtet, wonach sie im April 2019 nach Österreich übersiedelte. Aus einem Auszug des Zentralen Melderegisters ist ihre Wohnsitznahme im Bundesgebiet nachgewiesen. Vorgelegt wurde in der Beschwerde auch ein von ihr und ihrem Lebensgefährten unterfertigter Antrag auf Mitbewohnerschaft und Erklärung der Lebensgemeinschaft vom 04.03.2021. Aus den glaubhaften Ausführungen im Beschwerdeschriftsatz leiten sich die Feststellungen ab, wonach ihr Lebensgefährte die Kosten für die Wohnung und die Lebenshaltungskosten trägt und sie sich während ihres Aufenthaltes einen Freundes- und Bekanntenkreis aufbauen konnte. Die Beschwerdeführerin beantragte zur Glaubhaftmachung der Partnerschaft und der Tragung der Wohnkosten durch den Lebenspartner die Vernehmung ihres Lebensgefährten. Davon konnte aufgrund der nachstehend angeführten Gründen und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben abgesehen werden. Die Feststellung zu ihren in Tschechien aufhältigen Töchter resultiert ebenfalls aus den glaubhaften Ausführungen im Beschwerdeschriftsatz und der vorgelegten, mit 20.04.2020 datierten Geburtsurkunde ihres Enkels.

Dass die Beschwerdeführerin derzeit keiner geregelten Erwerbstätigkeit nachgeht, gründet auf ihren eigenen Ausführungen. Aus ihren Angaben und den von ihr im Beschwerdeschriftsatz vorgelegten Bewerbungsunterlagen und den darauffolgenden Korrespondenzen ist belegt, dass sie auf Arbeitssuche ist und sie sich laufend für verschiedene Reinigungstätigkeiten bewirbt.

Die Feststellungen zu ihren ausreichenden Existenz- und finanziellen Mitteln, insbesondere ihrer zunächst vermieteten Wohnung in Prag und dem anschließenden Verkauf der Wohnung und dem daraus resultierenden Verkaufserlös sind durch die entsprechenden Auszüge ihres tschechischen Girokontos, einem Mietvertrag und dem Kaufvertrag belegt. Auf dem Girokonto scheint der Kontostandes (CZK 1.760.589,79 [umgerechnet rund EUR 67.300,-]) auf und lassen sich die bis März 2020 einlangenden monatlichen Mietzahlungen in Höhe von je CZK 19.000 (umgerechnet rund EUR 727,-) ablesen. Der Verkauf der Wohnung inklusive Verkaufspreis (CZK 4.580.000,- [umgerechnet rund EUR 175.200,-]) ist aus der Einsicht in die vorgelegte Kopie des Kaufvertrages vom 29.10.2020 belegt. Die Feststellung der Versicherteneigenschaft ergibt sich aus der Vorlage ihrer Versichertenkarte, es ergeben sich auch keinerlei Anhaltspunkte, die an der aufrechten Existenz der Krankenversicherung zweifeln lassen.

Die Feststellungen hin Hinblick auf die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt aus einer Anfrage im Strafregister am 12.03.2021. Aktuelle Auszüge des Grundversorgungssystems und des Sozialversicherungsträgers belegen, dass die Beschwerdeführerin bislang keine Leistungen der Sozialhilfe bezogen hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

3.1. Zur rechtlichen Grundlage:

§§ 66 FPG („Ausweisung“) lautet:

„(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“

Gemäß § 51 Abs. 1 NAG sind EWR-Bürger auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind (Z 1); für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen (Z 2), oder als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen (Z 3).

§ 55 NAG („Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechtes für mehr als drei Monate“) lautet:

„(1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."

3.2. Zur Anwendung auf den gegenständlichen Fall:

Zunächst ist zu der in der Beschwerde behaupteten Verletzung des Parteiengehörs festzuhalten, dass allein der Umstand, dass die Behörde die Beschwerdeführerin nicht persönlich einvernommen hat, das Parteiengehör nicht verletzt, wenn sie dem Recht auf Parteiengehör auf andere geeignete Weise entspricht. Aufgrund der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme hatte die Beschwerdeführerin die Gelegenheit, in diesem Verfahren Stellung zu nehmen. Letztlich ist aufgrund der ihm im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gebotenen Möglichkeit sich zum Inhalt des angefochtenen Bescheides zu äußern, von einer Sanierung einer allfälligen Verletzung des Parteiengehörs auszugehen (vgl. VwGH 16.12.2020, Ro 2020/07/0005). Daher kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdeführerin die mit der Beschwerde vorgelegte Stellungnahme hinreichend begründet und Beweismittel angeführt hatte oder nicht.

Als Staatsangehörige der Republik Polen ist die Beschwerdeführerin EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Nach Art. 7 Abs. 1 lit. a und b RL 2004/38/EG vom 3.7.2009 (Freizügigkeitsrichtlinie) hat jeder Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist, oder für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, sodass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen. Nicht von Bedeutung ist die Höhe der Vergütung, Ausmaß der Arbeitszeit und Dauer des Dienstverhältnisses (vgl. EuGH 26.2.1992, C-357/89, Raullin/Minister van Onderwijs en Weteschappen).

Da die Beschwerdeführerin in Österreich gegenwärtig keiner selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgeht (wodurch sie auf Grundlage des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG zum Aufenthalt in Österreich berechtigt wäre), ist gegenständlich zunächst zu prüfen, ob sie den Tatbestand des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG erfüllt.

Im Rahmen der Prüfung des Tatbestandes des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG ist (unter anderem) zu beurteilen, ob der Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und ein umfassender Krankenversicherungsschutz besteht, sodass während des Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch genommen werden müssen. Für das Vorliegen ausreichender Existenzmittel genügt, wenn dem Unionsbürger die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen; hingegen stellt die Bestimmung keine Anforderungen an die Herkunft der Mittel, sodass diese etwa auch von einem Elternteil des betroffenen Unionsbürgers stammen können (vgl. VwGH 12.12.2017, Ra 2015/22/0149).

Nach Art. 8 Abs. 4 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38 EG) dürfen die Mitgliedstaaten keinen festen Betrag für die Existenzmittel festlegen, die sie als ausreichend betrachten, sondern müssen die persönliche Situation des Betroffenen berücksichtigen. Demgemäß ist bei der Beurteilung, ob ein Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt, um ein Aufenthaltsrecht nach Art 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie in Anspruch nehmen zu können, eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation jedes Betroffenen vorzunehmen (vgl. EuGH (Große Kammer) 11.11.2014, Dano, C-333/13). Die Mitgliedstaaten können zwar einen bestimmten Betrag als Richtbetrag angeben, sie können aber nicht ein Mindesteinkommen vorgeben, unterhalb dessen ohne eine konkrete Prüfung der Situation des einzelnen Betroffenen angenommen würde, dass er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt (vgl. EuGH 19.9.2013, Brey, C-140/12). Die in Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie (umgesetzt mit § 51 Abs. 1 Z 2 NAG 2005) enthaltene Formulierung „über die erforderlichen Mittel verfügen“, ist dahin auszulegen, dass es ausreicht, wenn dem Unionsbürger diese Mittel zur Verfügung stehen, ohne dass die Bestimmung Anforderungen an die Herkunft der Mittel stellt, so dass diese auch von einem Drittstaatsangehörigen stammen können. Folglich schließt der Umstand, dass die Existenzmittel, über die der Unionsbürger verfügt, aus Mitteln stammen, die von dem einem Drittstaat angehörenden Ehegatten aus der von diesem im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübten Tätigkeit bezogen werden, es nicht aus, dass die in Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie enthaltene Voraussetzung der ausreichenden Existenzmittel als erfüllt anzusehen ist (EuGH 16.7.2015, K. Singh ua, C-218/14; VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0080).

Es bedarf also bei der Frage, ob ausreichende Existenzmittel zur Verfügung stehen, einer konkreten Einzelfallbeurteilung (vgl. VwGH 15.03.2018, Ra 2017/21/0222).

Die Beschwerdeführerin hält sich seit April 2019 im Bundesgebiet auf; im November 2019 beantragte sie die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung. Sie nimmt weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch und verfügte aufgrund der laufenden Mieteinnahmen bzw. verfügt jetzt aufgrund des Verkaufserlöses ihrer Wohnung in Prag über ausreichend Existenzmittel sowie über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz. Zudem wird die Beschwerdeführerin bei der Lebensführung im Bundesgebiet durch ihren Lebensgefährten unterstützt, bei dem sie wohnt und der für ihre Lebenshaltungskosten aufkommt.

Auch das nachhaltige Bemühen um eine Arbeitsstelle, sofern dieses Bemühen objektiv nicht aussichtslos ist, kann ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht vermitteln. Dieses Aufenthaltsrecht wird innerstaatlich nicht verliehen, sondern nur dokumentiert (vgl. VwGH 09.08.2016, Ro 2015/10/0050). Wie sich aus den im Beschwerdeschriftsatz übermittelten Unterlagen ergibt, bemüht sie sich im Bundesgebiet um den Erhalt Arbeitsstelle und kann ihr Bemühen aufgrund ihres Alters und ihrer bisherigen Beschäftigungen und Berufserfahrungen nicht als aussichtslos gewertet werden, sodass ihr auch selbst dadurch ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht vermittelt werden kann (vgl. VwGH am 14.11.2017, Ra 2017/21/0130; 30.08.2018, Ra 2018/21/0049).

Nachdem die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 Z 2 NAG somit erfüllt sind, ist sie zum Aufenthalt über drei Monate hinaus berechtigt, obwohl sie derzeit keine Erwerbstätigkeit nachgeht. Da ihr somit nach wie vor das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt, erfolgte die Ausweisung nicht zu Recht. Dies bedingt auch die Gegenstandslosigkeit des ihr gewährten Durchsetzungsaufschubs. Beide Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids sind daher in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben.

Da im vorliegenden Fall bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, entfällt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung über die Aufenthaltsberechtigung von EWR-Bürgern und die Prüfung des Vorliegens ausreichender Existenzmittel bzw. eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Arbeitslosigkeit Aufenthaltsdauer Aufenthaltsrecht Ausweisung Ausweisung aufgehoben Ausweisung nicht rechtmäßig Ausweisungsverfahren Behebung der Entscheidung Beschäftigung Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung Erwerbstätigkeit EU-Bürger EWR-Bürger finanzielle Mittel Integration Interessenabwägung Kassation öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Unionsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I422.2240381.1.00

Im RIS seit

24.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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