TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/29 G307 2225490-1

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Veröffentlicht am 29.03.2021
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Entscheidungsdatum

29.03.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §55 Abs3

Spruch


G307 2225490-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA.: Bulgarien, vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mbH (BBU GmbH), in 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.10.2019, Zahl XXXX zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft (im Folgenden: BH) XXXX vom 12.09.2019 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) darüber in Kenntnis gesetzt, dass der Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) am 18.07.2019 eine Anmeldebescheinigung ausgestellt worden sei, diese aktuell die Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes jedoch nicht mehr erfülle. Zudem wurde das BFA iSd. § 55 Abs. 3 NAG um Überprüfung des Sachverhaltes und Mitteilung, ob der Ausspruch einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme beabsichtigt sei, ersucht.

2. Mit dem der BF am 20.09.2019 zugestelltem Schreiben wurde diese über die Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verständigt. Zugleich wurde sie zur Abgabe einer diesbezüglichen Stellungnahme und Bekanntgabe ihrer persönlichen wie finanziellen Verhältnisse binnen 14 Tagen ab Erhalt des Schreibens aufgefordert. Die BF gab keine Stellungnahme ab.

3. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA, der BF persönlich zugestellt am 17.10.2019, wurde diese gemäß §§ 66 Abs. 1 iVm. 55 Abs. 3 FPG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihr gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung eingeräumt (Spruchpunkt II.).

4. Mit per E-Mail am 13.11.2019 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz erhob die BF durch ihre damalige Rechtsvertretung (im Folgenden: RV) gegen den im Spruch genannten Bescheid Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).

Darin wurde die gänzliche Behebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Zurückverweisung der Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde beantragt.

5. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden vom BFA dem BVwG vorgelegt und langten dort am 18.11.2019 ein.

6. Mit verfahrensleitendem Beschluss, GZ.: G308 2225490-1/4Z, vom 13.02.2020, der damaligen RV der BF zugestellt am 13.02.2020, wurde die BF zur Vorlage allfälliger Bulgarien betreffende Pensionsunterlagen aufgefordert.

7. Mit am 26.02.2020 beim BVwG eingelangtem Schreiben gab die BF hiezu durch ihre damalige RV eine Stellungnahme ab und brachte Unterlagen in Vorlage.

8. Mit verfahrensleitenden Beschluss, GZ.: G308 2225490-1/6Z, vom 11.03.2020, der damaligen RV der BF zugestellt am 23.03.2020, wurde die BF zur Abgabe einer Stellungnahme hinsichtlich ihrer tatsächlichen finanziellen Verhältnisse sowie jener ihres Sohnes binnen vier Wochen ab Erhalt des Schreibens aufgefordert.

9. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 15.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung G308 abgenommen und der Gerichtsabteilug G310 neu zugewiesen.

10. Mit am 14.04.2020 und 29.04.2020 beim BVwG eingelangten jeweiligen Schreiben gab die BF durch ihre damalige RV Stellungnahmen ab und brachte zudem diverse Unterlagen in Vorlage.

11. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 15.12.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung G310 abgenommen und der Gerichtsabteilung G307 neu zugewiesen.

12. Mit verfahrensleitendem Beschluss, GZ.: G307 2225490-1/12Z, vom 18.01.2021, der nunmehrigen RV der BF zugestellt am 18.01.2021 wurde diese zur ergänzenden Abgabe einer Stellungnahme sowie Vorlage weiterer Unterlagen aufgefordert. Dazu wurde ihr eine Frist von 14 Tagen ab Erhalt des Schreibens eingeräumt.

13. Mit am 17.02.2021 beim BVwG eingelangtem Schreiben gab die BF durch ihre RV eine ergänzende Stellungnahme ab und brachte diverse Unterlagen in Vorlage.

14. Am 26.02.2021 langten weitere Unterlagen der BF beim BVwG ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF führt die im Spruch genannte Identität (Name und Geburtsdatum), ist bulgarische Staatsbürgerin und verwitwet.

1.2. Die BF hält sich seit 09.01.2017 durchgehend im Bundesgebiet auf und wurde ihr am 18.07.2019 eine Anmeldebescheinigung „Arbeitnehmerin“ ausgestellt.

1.4. Die BF ging von 07.07.2017 bis 31.08.2017, 20.09.2017 bis 09.02.2018 und 14.11.2018 bis 03.05.2019 geringfügigen sowie im Zeitpunkt 29.09.2018 bis 13.10.2018 und 01.07.2019 bis 26.07.2019 die Geringfügigkeitsgrenze übersteigende Erwerbstätigkeiten in Österreich nach und verfügt über herkunftsstaatliche Krankenversicherungsansprüche.

1.6. Im Bundesgebiet halten sich drei erwachsene Töchter, XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX , sowie ein Sohn der BF, XXXX , geb. XXXX , allesamt bulgarische Staatsbürger, auf. Die BF lebt mit ihrem Sohn und dessen minderjährigen Tochter im gemeinsamen Haushalt.

Der Sohn der BF hält sich seit 05.11.2014 durchgehend gemeldet im Bundesgebiet auf, ist seit 17.07.2015 im Besitz einer Anmeldebescheinigung und bringt monatlich ca. zwischen netto € 1.400,00 bis 1.700,00 zuzüglich Urlaubsgeld, Weihnachtsremuneration und Familienbeihilfe ins Verdienen. Er hat monatlich an Miete € 369,93 aufzubringen und kommt er für den Unterhalt seiner Tochter sowie der BF auf. Die BF wird zudem von ihren Töchtern wirtschaftlich, in Form der Übernahme der Kosten von notwendigen Einkäufen und Besorgungen für die BF im Ausmaß von monatlich € 300 bis 400,00 unterstützt.

1.7. Die BF leidet an dipositas permagna, arterieller Hypertonie, Prädiabetes, Hyperlipidikämie, Hyperurikämie, Gonarthrose beidseitig und chronischer Lumboischialgie links bei Multisegmentaler Osteochondrose und Spondylose sowie rechtskonvexer Skoliose. Sie ist nicht mehr erwerbsfähig und auf Unterstützung bei der Verrichtung alltäglicher Aufgaben, wie Haushaltsführung und Außerhausbesorgungen, angewiesen.

1.8. Die BF wird von ihrem Sohn sowie ihren Töchtern bei ihren täglichen Aufgaben unterstützt und weist im Herkunftsstaat keine familiären Anknüpfungspunkte mehr auf.

1.9. Die BF stellte am 07.06.2019 einen Antrag auf Gewährung der Mindestsicherung und bezog von XXXX .2019 bis Februar 2020 Sozialhilfeleistungen. Zudem hat die BF am XXXX .2019 einen Antrag auf Gewährung einer Invaliditätspension in Österreich gestellt, welcher aufgrund fehlender inländischer Versicherungsmonate abgewiesen wurde.


2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

Insofern Feststellungen zu Identität (Name und Geburtsdatum), Staatsangehörigkeit sowie Aufenthaltsdauer der BF im Bundesgebiet getroffen wurden, beruhen diese auf den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung an die BF fußt auf der Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister sowie der Vorlage einer Ablichtung der besagten Bescheinigung durch die BF (siehe AS 11). Durch Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister konnte zudem die gemeinsame Haushaltsführung der BF mit ihrem Sohn und dessen Tochter ermittelt werden und sind dem Inhalt des auf den Namen der BF lautenden Sozialversicherungsauszuges die Erwerbszeiten der BF zu entnehmen. Durch Abfrage der Sozialversicherungsdaten des Sohnes der BF sowie durch in Vorlage gebrachte Bezugsnachweise (siehe OZ 17) konnte dessen monatliches Einkommen ermittelt werden und hat die BF die monatlichen, von ihrem Sohn getragenen, Mietkosten durch Vorlage einer auf den Sohn des BF ausgestellten Mietkostenvorschreibung (siehe OZ 17) belegen können.

Die aufrechte Krankenversicherung der BF folgt der Vorlage einer herkunftsstaatlichen Bestätigung (siehe OZ 5) sowie einem Sozialversicherungsauszug. Dem besagten Versicherungsauszug kann zudem der Bezug von Sozialleistungen beginnend mit 01.09.2019 entnommen werden, während die Dauer des Bezuges derselben sich aus dem konkreten Vorbringen der BF in deren Stellungnahme vom 28.04.2020 (siehe OZ 9) ergibt.

Die Antragstellung der BF auf Gewährung der Mindestsicherung beruht auf einer Ablichtung des Antrages der BF bei der BH XXXX (siehe AS 5f) und ergibt sich die erfolglose Antragstellung der BF auf Gewährung einer Invaliditätspension aus einer Ablichtung des den besagten Antrag der BF abweisenden Bescheides der Pensionsversicherungsanstalt vom XXXX .2020 (siehe OZ 16)

Durch Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister sowie das Zentrale Fremdenregister, konnte die Aufenthaltsdauer des Sohnes der BF sowie dessen Besitz einer Anmeldebescheinigung ermittelt werden.

Die familiären Anknüpfungspunkte der BF in Österreich beruhen ferner auf deren glaubwürdigen und durch die Angabe der Personalien ihrer Kinder verifizierbaren Angaben. Dem glaubwürdigen, durch die Vorlage von Einkommensnachweisen des Sohnes und zweier Töchter der BF (siehe OZ 17), untermauerten Vorbringen der BF folgen zudem die Feststellungen zur finanziellen Unterstützung der BF. Zudem lebt die BF mit ihrem Sohn im gemeinsamen Haushalt und ist aufgrund der fehlenden Einkünfte der BF sowie des Nichtbezuges von Sozialhilfe, zu schließen, dass diese von ihren Kindern, insbesondere ihrem Sohn finanziell unterstützt und ihr letztlich Unterhalt, im von der BF angegebenen und oben festgestellt Weise gewährt wird.

Die gesundheitlichen Einschränkungen der BF samt deren Hilfsbedürftigkeit bei alltäglichen Angelegenheiten beruhen auf in Vorlage gebrachten medizinischen Unterlagen (siehe OZ 9). Angesichts der der BF attestierten teils chronischen Erkrankungen und bestehender Unterstützungsbedürftigkeit kann vor dem Hintergrund ihres Alters eine Erwerbsfähigkeit nicht mehr angenommen werden, weshalb obige Feststellung zur Erwerbsunfähigkeit der BF zu treffen war.

Vor dem Hintergrund, dass die Kinder der BF in Österreich aufhältig sind und die BF, wie auch im Zentralen Melderegister dokumentiert, verwitwet ist, kann dem Vorbringen der BF, über keine Angehörigen im Herkunftsstaat mehr zu verfügen, Glauben geschenkt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jeder der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 8 leg cit. als EWR-Bürger, ein Fremder der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.

Die BF ist auf Grund ihrer bulgarischen Staatsbürgerschaft EWR-Bürgerin gemäß § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

3.1.2. Der mit "Ausweisung" betitelte § 66 FPG idgF lautet:

"§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."

Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" betitelte § 51 NAG lautet:

"§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.       in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2.       für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3.       als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1.       wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4.       eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.

Der mit „Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern“ betitelte § 52 NAG lautet:

§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.       Ehegatte oder eingetragener Partner sind;

2.       Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

3.       Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

4.       Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder

5.       sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,

a)       die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,

b)       die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder

c)       bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.

(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs. 1.

Der mit "Anmeldebescheinigung" betitelte § 53 NAG lautet:

§ 53. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie folgende Nachweise vorzulegen:

1.       nach § 51 Abs. 1 Z 1: eine Bestätigung des Arbeitgebers oder ein Nachweis der Selbständigkeit;

2.       nach § 51 Abs. 1 Z 2: Nachweise über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz;

3.       nach § 51 Abs. 1 Z 3: Nachweise über die Zulassung zu einer Schule oder Bildungseinrichtung und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz sowie eine Erklärung oder sonstige Nachweise über ausreichende Existenzmittel;

4.       nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;

5.       nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern ab Vollendung des 21. Lebensjahres und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung;

6.       nach § 52 Abs. 1 Z 4: ein Nachweis des Bestehens einer dauerhaften Beziehung mit dem EWR-Bürger;

7.       nach § 52 Abs. 1 Z 5: ein urkundlicher Nachweis einer zuständigen Behörde des Herkunftsstaates der Unterhaltsleistung des EWR-Bürgers oder des Lebens in häuslicher Gemeinschaft oder der Nachweis der schwerwiegenden gesundheitlichen Gründe, die die persönliche Pflege durch den EWR-Bürger zwingend erforderlich machen."

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet:

§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1.       Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2.       Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3.       durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1.       zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2.       sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3.       drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1.       sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2.       der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3.       der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.

Der mit "Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate" betitelte § 55 NAG lautet:

"§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG idgF lautet wie folgt:

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4.         der Grad der Integration,
5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.

"Nach § 66 Abs. 2 FrPolG 2005 und § 9 BFA-VG 2014 ist bei Erlassung einer auf § 66 FrPolG 2005 gestützten Ausweisung eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des EWR-Bürgers mit dessem Interesse an einem Verbleib in Österreich vorzunehmen, bei der insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter, der Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage, die soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß der Bindungen zum Heimatstaat sowie die Frage der strafgerichtlichen Unbescholtenheit zu berücksichtigen sind." (VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0049)

Bei der Beurteilung, ob im Falle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 MRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt (Hinweis E vom 28. April 2014, Ra 2014/18/0146-0149, mwN). Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (Hinweis E vom 22. Juli 2011, 2009/22/0183). (vgl. VwGH 07.09.2016, Ra 2016/19/0168)

Der Begriff "Privatleben" iSd Art 8 MRK folgt einem breiten Konzept, das keiner vollständigen Definition zugänglich ist. Es umfasst die körperliche und seelische Integrität einer Person (EGMR vom 26. März 1985, X und Y, Nr 8978/80, Tz 22; EGMR vom 20. März 2007, Tysiac, Nr 5410/03, Tz 107). Es kann in manchen Fällen auch Gesichtspunkte der körperlichen und gesellschaftlichen Identität des Einzelnen miteinbeziehen (EGMR vom 7. Februar 2002, Mikulic, Nr 53.176/99, Tz 53). Art 8 MRK schützt auch das Recht auf persönliche Entwicklung sowie das Recht zur Begründung und Entwicklung von Beziehungen zu anderen Menschen und zur Außenwelt ohne Eingriffe von außen (EGMR vom 16. Dezember 1992, Niemietz, Nr 13.710/88, Tz 29; EGMR vom 24. Februar 1998, Botta, Nr 21.439/93, Tz 32). (vgl. VwGH 18.10.2016, Ra 2016/03/0066)

„Ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienlebens iSd Art. 8 MRK ein Familienleben vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des EGMR jeweils von den konkreten Umständen ab, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind (vgl. E 26. Jänner 2006, 2002/20/0423). Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 MRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. E 21. April 2011, 2011/01/0093).“ (vgl. VwGH 02.08.2016, Ra 2016/20/0152)

3.1.3. Wie dem gegenständlichen Sachverhalt zu entnehmen ist, befindet sich die BF seit 09.01.2017 durchgehend im Bundesgebiet und wurde ihr am 18.07.2019 eine Anmeldebescheinigung ausgestellt. Die BF ging zudem zwischen 07.07.2017 und 26.07.2019 wiederholt Erwerbstätigkeiten in Österreich nach, verfügt über enge familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich, lebt mit ihrem erwachsenen Sohn und dessen Tochter im gemeinsamen Haushalt, ist nicht mehr erwerbsfähig und wird von ihren Kindern, insbesondere ihrem Sohn, in wirtschaftlicher, sozialer und finanzieller Hinsicht unterstützt. Der Sohn der BF kommt für die Miete der Wohnung sowie für den überwiegenden Unterhalt der BF auf und erhält die BF zudem finanzielle Zuwendungen seitens ihrer Töchter.

Der Sohn der BF bringt – unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen – monatlich netto zwischen € 1.600,- (= € 1.400 x 14) / 12) und 1.980,- (= (€ 1.700 x 14/12) ins Verdienen. Zudem bringen die Töchter der BF monatlich € 300,00 bis € 400,00 für die BF an finanziellen Zuwendungen auf.

Mit Blick auf die Sozialhilferichtsätze gemäß §§ 293 Abs. 1 lit a sub lit aa, iVm. Abs. 1 letzter Satz ASVG, wonach für zwei Erwachsene die mit einem Kind im selben Haushalt leben ein Betrag von € 1.732,37 (= € 1578,- + € 154,37) vorgeschrieben ist, können die monatlichen Einkünfte des Sohnes der BF als genügend im Hinblick auf die mögliche Gewährung von hinreichendem Unterhalt an die BF angesehen werden.

Vor diesem Hintergrund kann unter Berücksichtigung des Umfanges der der BF durch ihre Kinder gewährten Zuwendungen, von einer tatsächlichen Unterhaltsgewährung an die BF ausgegangen werden. Demzufolge kommt der BF ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht iSd. § 52 Abs. 1 Z 3 NAG zu. Daran vermag der Bezug von Sozialleistungen durch die BF im Ergebnis nichts zu ändern. Gemäß Judikatur des EuGH und VwGH bedeutet die Beantragung von Sozialleistungen und allenfalls ein Bezug derselben nicht schon per se, dass keine ausreichenden Existenzmittel vorliegen. (vgl. EuGH 11.11.2014, Dano, C-333/13; EuGH 19.09.2013, Brey, C-140/12; VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0047). Vielmehr ist eine konkrete Prüfung der finanziellen Verhältnisse vorzunehmen, welche gegenständlich, angesichts des zur Unterhaltsgewährung zuvor ausgeführten, das Vorliegen eines durchgehend gesicherten Unterhaltes der BF nahelegen. Unter Berücksichtigung der wiederholten Versuche der BF am österreichischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und ihrem ihre Erwerbsfähigkeit beeinflussenden Gesundheitszustandes kann ferner nicht erkannt werden, dass die BF einzig zum Zwecke des Bezuges von Sozialleistungen nach Österreich gereist wäre und solche unangemessen bezogen hätte (vgl. VwGH 04.10.2018, Ra 2017/22/0218: wonach die Voraussetzungen der Richtlinie 2004/38/EG betreffend das Erfordernis ausreichender Existenzmittel verhindern sollen, dass Unionsbürger die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates unangemessen in Anspruch nehmen.).

Darüber hinaus kam der BF zwischen 07.07.2017 und 26.07.2019 aufgrund wiederholter Erwerbstätigkeiten ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht iSd. § 51 Abs. 1 Z 1 NAG zu.

Zudem hält sich die BF mittlerweile seit mehr als 4 Jahren durchgehend in Österreich auf, leidet an zahlreichen Erkrankungen, derentwegen sie nicht mehr erwerbsfähig ist, bedarf der täglichen Unterstützung durch ihre Kinder, lebt sie mit ihrem Sohn im gemeinsamen Haushalt, ist verwitwet, weist sie keine familiären Bezüge mehr im Herkunftsstaat auf und hat sie sich in strafrechtlicher Hinsicht in Österreich nichts zu Schulden kommen lassen.

In Ermangelung der Feststellbarkeit maßgeblicher Beeinträchtigungen öffentlicher Interessen durch den Aufenthalt der BF in Österreich iSd. § 55 Abs. 3 NAG kommt der BF sohin ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Österreich zu und liegen die Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung iSd. §§ 66 FPG iVm. § 55 NAG gegenständlichen nicht vor.

Unbeschadet dessen würde sich eine Ausweisung der BF unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK im konkreten Fall als nicht zulässig erweisen. Vielmehr wäre unter Beachtung der familiären Bezugspunkte der BF in Österreich, der bisherig durchgehenden Aufenthaltsdauer in Österreich sowie der Abhängigkeit der BF von familiärer Unterstützung bei alltäglichen Belangen aufgrund ihres Gesundheitszustandes und der damit im Zusammenhang stehenden Selbsterhaltungsunfähigkeit bei gleichzeitigem Fehlen von familiären Bezugspunkten im Herkunftsstaat und Anrechnung der unternommenen Versuche zur Erlangung der Selbsterhaltungsfähigkeit, von einem Überwiegen der privaten Interessen der BF am Verbleib in Österreich bei ihrer Familie, gegenüber den öffentlichen Interessen an der Beendigung ihres Aufenthaltes auszugehen. Demzufolge erweise sich eine Ausweisung der BF auch aus Sicht des Art 8 EMRK iVm. § 9 BFA-VG als unzulässig.

Im Ergebnis war der Beschwerde sohin stattzugeben und der angefochtene Bescheid zur Gänze zu beheben.

3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, und sich zudem aus der Aktenlage ergibt, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG sowie 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Ausweisung Behebung der Entscheidung individuelle Verhältnisse Mangelhaftigkeit Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G307.2225490.1.00

Im RIS seit

25.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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