TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/30 I416 2240739-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.03.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

30.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §18 Abs2 Z3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs4
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §31 Abs1

Spruch


I416 2240739-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. ALGERIEN, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU, gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 11.02.2021, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als der Bescheid im angefochtenen Umfang gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheidess an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Algerien, reiste zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt von Italien kommend ins Bundesgebiet ein. Am 09.02.2021, wurden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zur Wohnung von Frau XXXX gerufen, wo sich auch der Beschwerdeführer befand. Diesem wurde seitens der Wohnungseigentümerin vorgeworfen Schmuck im Wert von € 40.000 gestohlen zu haben.

Im Rahmen seiner Einvernahme als Beschuldigter gab er zu seinen persönlichen Lebensumständen an, dass er in Algier geboren und aufgewachsen sei, im Jahr 2014 sei er nach Italien ausgewandert und habe dort italienische Literatur studiert, aber nicht abgeschlossen. Ca. 2016 oder 2017 sei er nach Frankreich gegangen, wo er an der Universität in Lyon ca. 8 Monate im Zuge seines italienischen Studiums studiert habe. Danach sei er wieder zurück nach Italien gegangen, dies sei glaube er Anfang 2019 gewesen. In Österreich würde er seit zwei Jahren auf der Straße leben, habe keine Unterkunft, kein Zuhause und keine Arbeit und habe auch ab und zu bei Frau XXXX der Wohnung geschlafen. Er bekomme sein Geld über einen Freund, dass ihm sein Bruder schicken würde, er habe keine Konten in Österreich, sein Bruder sei noch in Algerien. Sein Freund studiere Architektur und lebe in der Nähe vom Lendplatz in einem Studentenheim, arbeite bei Burger King und habe er von ihm schon öfter Geld bekommen.

Nach seiner Einvernahme zu diesem Tatvorwurf wurde der Beschwerdeführer einer fremdenpolizeilichen Kontrolle unterzogen und wurde die Festnahme des Beschwerdeführers gemäß § 34 Abs. 1 Z. 2 BFA-VG iVm § 40 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG angeordnet. Im Rahmen seiner Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, dass er sich seit ca. zwei Jahren Österreich aufhalten würde, dass er in Italien studiert habe und nun auch in Österreich ( XXXX ) studieren wolle in Italien, sei ihm sein Koffer mit seinen Originaldokumenten gestohlen worden. Er gab weiters an, dass er derzeit keine Aufenthaltsberechtigung in einem anderen EU Staat habe, dass er keine familiären Kontakte in Österreich habe, er sei gesund, er habe ein paar Freunde und würde seit zwei Jahren auf der Straße leben. Er führte an, dass er entfernte Verwandte in Deutschland und Frankreich habe, in seinem Heimatland würden noch seine fünf Brüder eine Schwester und seine Eltern leben, Kinder habe er keine. Hinsichtlich seiner finanziellen Situation gab er an, dass ihm sein Bruder hin und wieder Geld schicken würde und würde er Essen von wohltätigen Vereinen bekommen, zudem sei er seit zwei Jahren unterstandslos, hin und wieder habe er auf der Uni geschlafen, vorher habe er in seinem Auto bzw. bei Freunden geschlafen. Zuletzt gab er an, dass er nicht mehr nach Algerien zurückwolle, sein Ziel sei es in Österreich zu studieren und dann mit einem Titel nach Algerien zurückzukehren, um den Leuten dort zu helfen und würde er zudem auch nach gerne nach Italien zurückgehen.

2.       Mit Bescheid vom 11.02.2021, Zl. XXXX wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen „gemäß § 57 AsylG“ erteilt (Spruchpunkt I.) und „gemäß § 10 Absatz ein 2 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung „gemäß § 52 Absatz 1 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen (Spruchpunkt II.), sowie „gemäß § 52 Absatz 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung „gemäß § 46 FPG“ nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde „gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ ein befristetes Einreiseverbot auf die Dauer von zwei Jahren erlassen (Spruchpunkt IV.). Letztlich wurde gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt V.) und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 und 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).

3.       Mit Verfahrensanordnungen gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 1102.2020 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU, als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

4.       Gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des im Spruch genannten Bescheides der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer durch seine gewillkürte Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 09.03.2021 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte die Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die belangte Behörde dem Beschwerdeführer nicht einvernommen habe und lediglich das Protokoll der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes übernommen habe und habe sich dies der Beschwerdeführer zudem nicht durchlesen können bzw. keine Ergänzungen machen können. Weiters wurde ausgeführt, dass bei der Festsetzung der Dauer eines Einreiseverbots eine Einzelfallprüfung vorzunehmen sei und das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers zu beurteilen und zu berücksichtigen sei und sei der persönliche Eindruck ein wesentlicher Aspekt für die von der belangten Behörde vorzunehmende Gefährdungsprognose, weshalb die unterlassene Einvernahme eine besonders gravierende Ermittlungslücke darstelle und sei auch die Rückkehrsituation des Beschwerdeführers nicht konkret eruiert worden insbesondere auch hinsichtlich einer Schaffung einer Existenzgrundlage bei seiner Rückkehr. Der Beschwerdeführer sei durch seine Heirat mit Frau XXXX krankenversichert und könne diese für den Unterhalt ihres zukünftigen Mannes aufkommen diese sei berufstätig und überführt verfüge über genügend finanzielle Mittel und dem Beschwerdeführer zu erhalten. Zudem widerspreche die erlassene Rückkehrentscheidung auch dem schützenswerten Familienleben von Frau XXXX . Dieser wäre es nicht möglich ihren baldigen Ehemann regelmäßig in Algerien zu besuchen und sei eine bloße Kontaktaufnahme via die sozialen Medien nicht ausreichend und müsste der Beschwerdeführer zudem 18 Monate außerhalb des Schengenraums verbringen, bevor er als Familienangehöriger wieder einreisen dürfte. Insbesondere aufgrund der Corona-Pandemie und dem bisherigen Verhalten des Beschwerdeführers wäre eine Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig und sollte die erlassene Rückkehrentscheidung demnach auf Dauer unzulässig sein, zumindest aber sollte dem Beschwerdeführer eine großzügige Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt werden und wäre der Beschwerdeführer im Falle, dass das Gericht davon ausgehen würde, dass die Rückkehrentscheidung rechtmäßig wäre, auch bereit zumindest kurzfristig Österreich zu verlassen, durch eine großzügige Frist zur freiwilligen Ausreise könnten der Beschwerdeführer und seine Verlobte den legalen Aufenthalt des Beschwerdeführers mittels einem Antrag nach Art. 8 EMRK auch vom Heimatland des Beschwerdeführers ermöglichen, dass der Beschwerdeführer für 18 bzw. 24 Monate nicht in Österreich sein dürfte, sei unverhältnismäßig und stelle eben auch eine Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers und seiner Verlobten nach Art. 8 EMRK dar. Zum Einreiseverbot wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nicht mittellos sei, er werde durch seine Verlobte finanziell unterstützt und könne bei dieser wohnen und sei sobald die Heirat erfolgt sei, auch krankenversichert. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung zur Klärung des maßgebenden Sachverhalts und Einvernahme des Beschwerdeführers durchführen, der Beschwerde stattgeben und den angefochtenen Bescheid im angefochtenen Umfang der Spruchpunkte II. bis VI. ersatzlos beheben, in eventu den angefochtenen Bescheid im Umfang des Einreiseverbotes ersatzlos beheben, in eventu den Bescheid im angefochtenen Umfang beheben und zur Verfahrensergänzung an die Behörde erster Instanz zurückverweisen, in eventu eine großzügige Frist zur freiwilligen Ausreise einräumen und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zukommen zu lassen. Der Beschwerde beigelegt waren Unterlagen in arabischer Schrift samt beglaubigter Übersetzung und die Geburtsurkunde und Ehefähigkeitsbescheinigung in beglaubigter Übersetzung.

5.       Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 25.03.2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen, Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Dieser ergibt sich bedenkenlos aus dem vorgelegten Verwaltungsakt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

Die belangte Behörde hat zur Erstellung des verfahrensgegenständlichen Bescheides nur die Niederschrift der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes anlässlich des Festnahmeauftrages herangezogen und keine eigenen Ermittlungsschritte gesetzt.

Die belangte Behörde hat dadurch jegliche inhaltliche Ermittlungen zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers unterlassen und stützt sich sohin auch die Gefährdungsprognose bezüglich der Erlassung des Einreiseverbotes auf einen mangelhaft ermittelten Sachverhalt.

Nicht festgestellt werden konnte, weshalb die belangte Behörde trotz Vorliegens einer aufrechten Meldeadresse keine Einvernahme durchgeführt hat. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Verabsäumung einer entsprechenden Einvernahme der Sphäre des Beschwerdeführers zuzurechnen ist.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer durch die belangte Behörde weder einvernommen wurde, noch ihm durch diese schriftliches Parteiengehör gewährt wurde, ergibt sich unzweifelhaft aus dem Verwaltungsakt.

Nachdem sich der Beschwerdeführer ab 09.02.2021 im Polizeianhaltezentrum XXXX befand, wäre er jederzeit für die belangte Behörde greifbar gewesen. Es ist daher nicht nachvollziehbar, weshalb die belangte Behörde von einer persönlichen Einvernahme des Beschwerdeführers Abstand genommen hat.

Nachdem eine Ladung des Beschwerdeführers zur niederschriftlichen Einvernahme unterblieben ist, konnte nicht festgestellt werden, dass die Verabsäumung einer entsprechenden Einvernahme der Sphäre des Beschwerdeführers zuzurechnen ist und war daher festzustellen, dass die belangte Behörde ihrer gesetzlichen Pflicht zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht nachgekommen ist.

2. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Entscheidung über die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid:

2.1.    Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine

Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1.         der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2.         die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Von der Möglichkeit einer Zurückverweisung kann nur bei besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 28 VwGVG, Anm. 13), wie sie hier vorliegen.

Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27.06.2018, Ra 2017/09/0031, insbesondere Rz 13 und 14 mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

„13 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 10.9.2014, Ra 2014/08/0005; 24.3.2015, Ra 2014/09/0043, 14.12.2015, Ra 2015/09/0057, und 20.2.2018, Ra 2017/20/0498, jeweils mwN).

14 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. etwa das zit. Erkenntnis Ra 2017/20/0498, mwN).“

Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln, da im verfahrensgegenständlichen Fall vom gänzlichem Fehlen von Ermittlungsschritten seitens der belangten Behörde auszugehen ist, daran kann auch die im der Niederschrift der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 09.02.2021 (AS 45) angeführte Textierung „Fragen für das BFA“ nichts ändern.

Der erkennende Richter verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass der Beschwerdeführer vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes keinerlei Angaben hinsichtlich eines bestehenden privaten Familienlebens Bundesgebiet getätigt hat, es darf aber dahingehend nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Situation einer Einvernahme vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht mit einer Einvernahmesituation vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vergleichbar ist und im verfahrensgegenständlichen Fall auch nicht ersichtlich ist, weshalb eine persönliche Einvernahme durch die belangte Behörde unterblieben ist, dies insbesondere da sich der Beschwerdeführer vor Bescheiderlassung im Polizeianhaltezentrum befand und dementsprechend eine Einvernahme ohne größeren Aufwand möglich gewesen wäre.

Es wäre aber insbesondere im gegenständlichen Fall zur Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts insbesondere zur Abwägung zwischen dem Interesse des Beschwerdeführers am Verbleiben im Bundesgebiet und den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung erforderlich gewesen, sich selbst ein Bild vom Beschwerdeführer zu machen und diesen persönlich einzuvernehmen insbesondere auch, um eine nachvollziehbare und gesamtheitliche Gefährdungsprognose betreffend der Erlassung eines Einreiseverbotes zu erstellen.

Die belangte Behörde wird daher alle zur Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes erforderlichen Ermittlungen vorzunehmen und allenfalls - je nach Ausgang des Ermittlungsverfahrens - einen neuen Bescheid zu erlassen haben, in dessen Begründung sie in klarer und übersichtlicher Weise darlegt, auf Grund welchen Sachverhalts sie zu der im Spruch wiedergegebenen rechtlichen Beurteilung gekommen ist. Nur auf diese Weise wird auch eine geeignete nachfolgende verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Bescheides ermöglicht (vgl. VwGH 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063).

Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt nur unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Entscheidung in der Sache brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat (vgl. VwGH, 20.10.2015, Ra 2015/09/0088; VwGH, 23.02.2017, Ra 2016/09/0103 und VwGH, 28.03.2017, Ro 2016/09/0009), ist eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG 2014 zulässig.

Da zu den tragenden Sachverhaltselementen noch keine eindeutigen Beweisergebnisse vorliegen und zur Klärung des relevanten Sachverhalts Ermittlungen notwendig sein werden, ist eine meritorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes weder im Sinne einer Kostenersparnis noch einer Verfahrensbeschleunigung gegeben.

Im gegenständlichen Fall kommt hinzu, dass die belangte Behörde vom Gericht eine Entscheidung innerhalb einer Woche einfordert, ohne alle Aspekte des Falles vollständig, zweifelsfrei und umfassend erhoben zu haben.

Im Ergebnis war angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Im Hinblick darauf, dass im gegenständlichen Verfahren die Beschwerde am 25.03.2021 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt ist und der am 30.03.2021 - innerhalb der in § 17 Abs. 1 BFA-VG genannten Frist von einer Woche ab Vorlage der Beschwerde – getroffenen Entscheidung, kann eine weitere Auseinandersetzung mit den übrigen in der gegenständlichen Beschwerde aufgezeigten Mängeln und den weiteren in der Beschwerde gestellten Anträgen unterbleiben.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung Behebung der Entscheidung Einreiseverbot Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht Familienleben Feststellungsmangel Interessenabwägung Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung öffentliche Interessen persönliche Einvernahme Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I416.2240739.1.00

Im RIS seit

24.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten