Entscheidungsdatum
31.03.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W255 2201336-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Benno WAGENEDER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.07.2018, Zl. 1111692502-160542377, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.12.2020, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
1. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 15.04.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Am 16.04.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion XXXX die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab der BF an, dass er aufgrund seiner Volksgruppen- (Hazara) und Religionszugehörigkeit (Schiite) in Afghanistan sowohl von den Taliban, als auch Nomaden verfolgt bzw. angegriffen worden sei. Sein Bruder sei der Leibwächter des ehemaligen Vertreters von XXXX und des jetzigen Politikers, XXXX . Aufgrund seiner Tätigkeit des Bruders sei die Familie des BF bedroht worden. Der BF habe Angst um sein Leben und sei deshalb geflohen.
1.3. Am 09.06.2016 wurde der BF zwecks Feststellung seiner Minder- bzw. Volljährigkeit einer Untersuchung unterzogen. In seinem medizinischen Sachverständigengutachten vom 28.06.2016 kam der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) beauftragte Sachverständige, XXXX , zum Schluss, dass der BF spätestens am XXXX („spätestmögliches fiktives Geburtsdatum“) geboren worden sei.
1.4. Am 14.06.2018 wurde der BF vor dem BFA, Regionaldirektion Steiermark, niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF ua, dass er in Afghanistan drei Jahre die Schule besucht und keinen Beruf erlernt habe. Er habe seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen. Er habe im Jahr 1388 (= 2009) begonnen, (mit Boxen) zu trainieren und dann in Kabul öfter an Kämpfen teilgenommen. Beim letzten Kampf sei es um die Teilnahme bei der Nationalmannschaft gegangen. Der Gegner des BF habe den BF aufgefordert, den Kampf zu verlieren. Dieser Aufforderung sei der BF nicht nachgekommen und habe den Kampf gewonnen. Die gegnerischen Verwandten hätten einen Eid geschworen, dass sie den BF töten würden. Eines Tages seien jene Männer, die den BF aufgefordert hätten, den Kampf zu verlieren, zum Training gekommen und hätten sich beim Trainer des BF nach dem Aufenthaltsort des BF erkundigt. Der BF habe flüchten können und den Vorfall der Polizei gemeldet, diese habe jedoch nicht helfen können. Die Männer hätten auch im Heimatdorf des BF nach dem BF gesucht. Daher habe der BF Afghanistan verlassen.
Der BF legte die folgenden Dokumente vor:
? Bestätigung des „ XXXX “ über die Teilnahme des BF an einem Wettbewerb;
? Bestätigung des „ XXXX “ betreffend die Teilnahme des BF an einem Muaythai Box Training;
? Foto einer Siegerehrung des BF in Kabul;
? Muaythai Boxen - Mitgliedausweis des BF;
? Foto, das den BF nach einem Kampf im Ring mit seinem Gegner und dem Ringrichter zeigt;
? Fotos, auf denen der BF abgebildet ist und auf denen Wettkämpfe zwischen dem BF und anderen Teilnehmern in Österreich angekündigt werden;
? Unterstützungsschreiben des XXXX für den BF vom 29.05.2018;
? undatierte Bestätigung des XXXX betreffend den Besuch des Pflichtschulabschlusskureses durch den BF;
? A2-Deutschkursbesuchsbestätigungen des XXXX betreffend den BF vom 20.06.2017 und 19.05.2017 und 05.10.2017;
? B1-Deutschkursbesuchsbestätigungen des XXXX betreffeend den BF vom 20.12.2017, 25.01.2018;
? ÖSD A1 Zertifikat, ÖSD A2 Zertifikat und ÖSD B1 Zertifikat des BF.
1.5. Das BFA wies den Antrag des BF auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 03.07.2018, Zl. 1111692502-160542377, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Das BFA erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VI.).
1.6. Gegen den unter Punkt 1.5. genannte Bescheid des BF erhob der BF fristgerecht Beschwerde und wiederholte im Wesentlichen, dass er Afghanistan verlassen habe, da aufgefordert worden sei, einen Box-Kampf zu verlieren, sich dieser Aufforderung widersetzt habe und in weiterer Folge von seinen Feinden verfolgt worden sei.
1.7. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 19.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurden der Gerichtsabteilung W262 des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.
1.8. Mit Schreiben vom 20.02.2019 übermittelte der BF dem Bundesverwaltungsgericht das Zeugnis über seinen Pflichtschulabschluss.
1.9. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.04.2020 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung W262 abgenommen und am 11.05.2020 der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung W255 zugewiesen.
1.10. Mit Schreiben vom 25.11.2020 wurden dem BF vom Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderfeststellungen betreffend Afghanistan übermittelt.
1.11. Mit Schreiben vom 04.12.2020 übermittelte der BF dem Bundesverwaltungsgericht Fotos, auf denen Box-Wettkämpfe mit Beteiligung des BF für den 15.10.2017 und 17.03.2018 in XXXX und XXXX beworben werden.
1.12. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.12.2020 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari sowie im Beisein des BF und seiner Rechtsvertretung eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Dabei wiederholte der BF im Wesentlichen, dass er Afghanistan verlassen habe, da er aufgefordert worden sei, einen Box-Kampf zu verlieren, sich dieser Aufforderung widersetzt habe und in weiterer Folge von seinen Feinden verfolgt worden sei.
Davon abgesehen sei der Bruder des BF seit ca. 8 bis 10 Jahren Leibwächter von XXXX , dem ehemaligen Vizepräsidenten und nunmehrigen Führer der Partei Hezb-e Wahdat. Die Familie des BF sei aufgrund der Tätigkeit des Bruders des BF ständigen Drohungen der Taliban ausgesetzt gewesen. Der BF legte Fotos vor, die seinen Bruder ua gemeinsam mit XXXX und vor einem Plakat von XXXX , einem ehemaligen Führer der Hebz-e Wahdat, zeigen sollen.
Als weiteren Fluchtgrund brachte der BF eine Verfolgung durch Angehörige der Kuchis vor. Bewaffnete Kuchis hätten jedes Jahr die Heimatregion des BF angegriffen, Felder zerstört, Häuser und Schulen zerstört. Wenn man Widerstand geleistet habe, hätten die Kuchis Leute umgebracht.
Der BF legte eine Tazkira, einen ungarischen Flüchtlingsausweis, zwei Unterstützungsschreiben von Privatpersonen vom 03.12.2020 und 07.12.2020 sowie ein Erkenntnis des VwGH vom 06.10.2020, Ro 2020/09/003, eine Rechnung betreffend die Anzahlung des Führerscheinkurses vom 13.11.2020 und einen Führerschein-Ausbildungspass des BF vor.
1.13. Mit Schreiben vom 21.12.2020 übermittelte der BF dem Bundesverwaltungsgericht einen Arbeitsvorvertrag für eine Beschäftigung als Koch-Lehrling im XXXX sowie zwei Fotos des BF mit der Tochter der Familie XXXX .
1.14. Mit Schreiben vom 22.12.2020 wurden dem BF vom Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderfeststellungen betreffend Afghanistan übermittelt und dem BF die Möglichkeit eingeräumt, hierzu binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.
2. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des gegenständlich erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 10.12.2020, der Länderberichte zu Afghanistan, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
2.1. Zur Person des BF:
2.1.1. Der BF führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX .
2.1.2. Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Muslim. Die Muttersprache des BF ist Dari.
2.1.3. Der BF wurde im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz XXXX , geboren und ist gemeinsam mit seinen Eltern, seinem Adoptivbruder ( XXXX ) und zwei leiblichen Brüdern ( XXXX , ca. 17 Jahre alt und XXXX , ca. 14 Jahre alt) aufgewachsen. Der BF hat drei Jahre die Schule besucht. Der BF war in Afghanistan sechs Jahre als Hilfsarbeiter in der familieneigenen Landwirtschaft tätig. Der BF und seine Familie haben Weizen angebaut und Schafe gehütet.
2.1.4. Die Eltern und die zwei leiblichen Brüder des BF leben seit ca. vier Jahren in der Stadt Kabul, in einem Miethaus. Die Familie finanziert ihren Lebensunterhalt durch die regelmäßige Erwerbstätigkeit des Vaters des BF, dieser baut Brunnen. Die beiden leiblichen Brüder des BF besuchen die Schule. Die finanzielle Situation der Familie des BF ist für afghanische Verhältnisse mittelmäßig. Der älteste (Adoptiv-)Bruders des BF ist seit ca. acht bis zehn Jahren als Security für das Umfeld von XXXX , der von 2004 bis 2014 Vizepräsident von Afghanistan war, tätig. Der älteste (Adoptiv-)Bruders des BF hält sich meistens in der Provinz XXXX auf und kommt ca. alle zwei Monate zur Familie nach Kabul. Der BF steht mit seiner Familie in regelmäßigem Kontakt. Die Familie würde den BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan bei sich aufnehmen und unterstützen.
2.1.5. Der BF ist während seines Aufenthaltes in Afghanistan sehr oft – idR alleine – nach Kabul gereist und hat dort Zeit verbracht, um – unter anderem – an Muay Thai Box-Trainings und Muay Thai-Box-Wettkämpfen teilzunehmen. Er ist bei jedem Aufenthalt in Kabul ca. drei bis fünf Tage dortgeblieben, teils auch länger. Er verfügt über Ortskenntnisse in Kabul. Der BF verfügt über keinen höheren Bekanntheitsgrad in Kabul als die übrigen, durchschnittlichen Bewohner Kabuls.
2.1.6. Sieben Onkel und vier Tanten des BF leben im Heimatdorf des BF.
2.1.7. Der BF ist gesund, ledig, anpassungsfähig, arbeitsfähig und im erwerbsfähigen Alter. Der BF hat keine Kinder.
2.1.8. Der BF stellte nach unrechtmäßiger Einreise im österreichischen Bundesgebiet am 15.04.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2.2. Zur Integration des BF in Österreich:
2.2.1. Der BF hat in den Jahren 2016 und 2017 diverse Deutschkurse besucht. Der BF hat Deutschprüfungen auf A1-, A2- und B1 Niveau bestanden.
2.2.2. Der BF hat am 20.12.2018 die Pflichtschulabschluss-Prüfung bestanden.
2.2.3. Der BF war in den Jahren 2017 und 2018 Mitglied des Vereins XXXX Der BF hat am 15.10.2017 an einem Muay Thai-Box-Kampf in XXXX und an einem Muay Thai-Box-Kampf in XXXX teilgenommen. Er hat beide Kämpfe verloren. Der BF ist derzeit nicht Mitglied in einem Verein in Österreich.
2.2.4. Der BF ist seit 26.08.2019 im XXXX wohnhaft, ist mit der Familie XXXX , die das Hotel betreibt, befreundet und hat dort regelmäßig Kontakt zur Familie XXXX (bestehend aus dem Ehepaar XXXX und deren drei minderjährigen Töchtern) sowie Mitarbeitern des Hotels. Die Familie XXXX und Mitarbeiter des Hotels beschreiben den BF als geduldig, verständnisvoll, respektvoll, höflich und gut integriert. Neben dem BF sind noch zwei weitere Asylwerber im Hotel wohnhaft. Die Familie XXXX hat in den letzten Jahren wiederholt eine Beschäftigungsbewilligung für den BF als Koch-Lehrling beantragt. Diese Anträge wurden abgewiesen. Das diesbezügliche Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde zuletzt mit Beschluss vom 29.03.2021, L516 2227696-1/12Z und L516 2227797-1/12Z, gemäß § 38 AVG iVm. § 62 Abs. 3 VfGG bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes in seinem mit Beschluss vom 01.03.2021, E 2420/2020-11, eingeleiteten Verordnungsprüfungsverfahren, ausgesetzt. Der BF verfügt über einen am 17.12.2020 abgeschlossenen Arbeitsvorvertrag als „Koch-Lehrling“ mit dem XXXX , mit Arbeitsantritt „sofort nach Erteilung eines positiven Asylbescheides“, unter Anwendung des Kollektivvertrages für das Hotel- und Gastgewerbe.
2.2.5. Der BF ist in Österreich noch nie einer bezahlten Erwerbstätigkeit nachgegangen. Der BF hat sich in Österreich noch nie ehrenamtlich engagiert.
2.2.6. Der BF bezieht seit seiner Ankunft in Österreich durchgehend Leistungen aus der Grundversorgung. Der BF verfügt über keine den eigenen Lebensbedarf deckenden finanziellen Mittel.
2.2.7. Der BF hat keine Verwandten in Österreich. Er verfügt über keine sonstigen, über die in den Punkten 2.2.1. bis 2.2.6. genannten, hinausgehenden engen sozialen Bindungen in/an Österreich.
2.3. Zu den Fluchtgründen des BF und einer Rückkehr nach Afghanistan:
2.3.1. Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass er in Zusammenhang mit seiner Muay Thai-Box-Tätigkeit in Afghanistan einer konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt war oder im Falle der Rückkehr nach Afghanistan wäre.
2.3.2. Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass er und/oder seine Familie einer konkret gegen ihn/sie gerichteten Verfolgung durch Angehörige der Kuchis in Afghanistan ausgesetzt war(en) oder im Falle der Rückkehr nach Afghanistan wäre.
2.3.3. Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass er und/oder seine Familie aufgrund der Tätigkeit des ältesten (Adoptiv-)Bruders des BF als Security fürdas Umfeld von XXXX einer konkret gegen ihn/sie gerichteten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt war(en) oder im Falle der Rückkehr nach Afghanistan wären.
2.3.4. Der BF war in Afghanistan noch nie einer konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt und wäre im Falle der Rückkehr nach Afghanistan keiner konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt.
2.3.5. Der BF wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seiner Rasse, Nationalität, seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Es gibt insgesamt keinen stichhaltigen Hinweis, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt wäre.
2.4. Zu einer Rückkehr des BF nach Afghanistan:
2.4.1. Dem BF droht im Fall der Rückkehr in die Provinz Maidan XXXX ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.
2.4.2. Dem BF droht im Fall der Rückkehr bzw. Neuansiedlung in die Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Die Sicherung der existentiellen Grundbedürfnisse des BF ist im Falle der Rückkehr nach Afghanistan gegeben. Es konnten keine exzeptionellen Umstände für eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK im konkreten Fall des BF festgestellt werden.
2.4.3. Der BF wäre in den Städten Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul keiner konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt.
2.4.4. Der BF ist gesund, volljährig, anpassungsfähig, mobil, arbeitsfähig und hat keine Kinder. Er verfügt über dreijährige Schulbildung in Afghanistan und einen Pflichtschulabschluss in Österreich. Er verfügt über sechsjährige Arbeitserfahrung als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft. Er wuchs in Afghanistan in einem afghanischen Familienverband auf und ist mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und mit einer in Afghanistan gesprochenen Sprache vertraut. Die Eltern und die zwei leiblichen Brüder des BF leben in der Stadt Kabul in einem Miethaus. Die Familie finanziert ihren Lebensunterhalt durch die regelmäßige Erwerbstätigkeit des Vaters des BF, dieser baut Brunnen. Die beiden leiblichen Brüder des BF besuchen die Schule. Die finanzielle Situation der Familie des BF ist für afghanische Verhältnisse mittelmäßig. Der älteste (Adoptiv-)Bruders des BF ist seit ca. acht bis zehn Jahren als Security für das Umfeld von XXXX , der von 2004 bis 2014 Vizepräsident von Afghanistan war, tätig. Der älteste (Adoptiv-)Bruders des BF hält sich meistens in der Provinz XXXX auf und kommt ca. alle zwei Monate zur Familie nach Kabul. Der BF steht mit seiner Familie in regelmäßigem Kontakt. Die Familie würde den BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan bei sich aufnehmen und unterstützen. Sieben Onkel und vier Tanten des BF leben im Heimatdorf des BF.
Angesichts seines Geschlechts, seines Alters, seiner Bildung, seiner Sprachkenntnisse, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Arbeitserfahrung und seines aufrechten familiären Netzwerkes könnte er sich in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Kabul eine Existenz aufbauen und diese – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist in der Lage, in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Kabul eine einfache Unterkunft zu finden. Im Ergebnis ist von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des BF in Afghanistan auszugehen. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. In einer Gesamtbetrachtung sind Mazar-e Sharif, Herat und Kabul für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, vergleichsweise sichere und über die jeweiligen Flughäfen gut erreichbare Städte. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif, Herat und Kabul ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.
Dem BF droht im Falle der Rückkehr bzw. Neuansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Kabul – auch unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Lage in Afghanistan bezogen auf die gegenwärtig weltweite Covid 19 Pandemie – somit kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit und er läuft auch nicht Gefahr, im Falle der Neuansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Kabul grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
2.4.5. Im Falle der Rückkehr bzw. Neuansiedlung in Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul läuft der BF – auch unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Lage in Afghanistan bezogen auf die gegenwärtig weltweite Covid 19 Pandemie – auch nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten oder sich seine Gesundheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden. Auch unter Berücksichtigung der
2.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:
2.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand vom 16.12.2020:
1. Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF (Afghan National Defense Security Forces) aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 (zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Hauptfestung in der Provinz Nangarhar im November 2019) Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen. Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde.
Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) zum "vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte" gemacht.
Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt.
Für den Berichtszeitraum 1.1.2020-30.9.2020 verzeichnete UNAMA 5.939 zivile Opfer. Die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 13% zurückgegangen, das ist der niedrigste Wert seit 2012. Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu.
Die Sicherheitslage bleibt nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurde in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die allesamt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen sind in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gehen die Kämpfe in den Wintermonaten - Ende 2019 und Anfang 2020 - zurück.
1.1. Die Sicherheitslage im Jahr 2019
Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mission (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindliche Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu waren es im Jahr 2018 27.417. Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen - speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen - blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht. Es gab im letzten Jahr (2019) eine Vielzahl von Operationen durch die Sondereinsatzkräfte des Verteidigungsministeriums (1.860) und die Polizei (2.412) sowie hunderte von Operationen durch die Nationale Sicherheitsdirektion.
Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu einem Anstieg feindlicher Angriffe um 6% bzw. effektiver Angriffe um 4% gegenüber 2018.
1.2. Zivile Opfer
Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte - insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces).
Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite - insbesondere der Taliban - sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand.
Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direktem (25%) und indirektem Beschuß (5%) verantwortlich - dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall.
Die erste Hälfte des Jahres 2020 war geprägt von schwankenden Gewaltraten, welche die Zivilbevölkerung in Afghanistan trafen. Die Vereinten Nationen dokumentierten 3.458 zivile Opfer (1.282 Tote und 2.176 Verletzte) für den Zeitraum Jänner bis Ende Juni 2020.
1.3. High-Profile Angriffe (HPAs)
Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17), landesweit betrug die Zahl 88.
Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich fort. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten 'green-on-blue-attack': der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens sechs Personen getötet und mehr als zehn verwundet. Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt. Seit Februar haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriff gegen Koalitionstruppen um Provinzhauptstädte - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden. Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein.
1.4. Anschläge gegen Gläubige, Kultstätten und religiöse Minderheiten
Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen. Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt.
Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt. Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien. Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt.
1.5. Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität:
1.5.1. Taliban
Die Taliban positionieren sich selbst als Schattenregierung Afghanistans, und ihre Kommissionen und Führungsgremien entsprechen den Verwaltungsämtern und -pflichten einer typischen Regierung. Die Taliban sind zu einer organisierten politischen Bewegung geworden, die in weiten Teilen Afghanistans eine Parallelverwaltung betreibt und haben sich zu einem lokalen Regierungsakteur im Land entwickelt, indem sie Territorium halten und damit eine gewisse Verantwortung für das Wohlergehen der lokalen Gemeinschaften übernehmen. Was militärische Operationen betrifft, so handelt es sich um einen vernetzten Aufstand mit einer starken Führung an der Spitze und dezentralisierten lokalen Befehlshabern, die Ressourcen auf Distriktebene mobilisieren können.
Das wichtigste offizielle politische Büro der Taliban befindet sich in Katar. Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada- Stellvertreter sind der Erste Stellvertreter Sirajuddin Jallaloudine Haqqani (Leiter des Haqqani-Netzwerks) und zwei weitere: Mullah Mohammad Yaqoob [Mullah Mohammad Yaqub Omari] und Mullah Abdul Ghani Baradar Abdul Ahmad Turk.
Mitte Juni 2020 berichtete das Magazin Foreign Policy, dass Akhundzada und Jallaloudine Haqqani und andere hochrangige Taliban-Führer sich mit dem COVID-19-Virus angesteckt hätten und dass einige von ihnen möglicherweise sogar gestorben seien sowie, dass Mullah Mohammad Yaqoob Taliban- und Haqqani-Operationen leiten würde. Die Taliban dementierten diese Berichte.
Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan. Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert, welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde. Die Taliban sind keine monolithische Organisation; nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind. Während der US-Taliban-Verhandlungen war die Führung der Taliban in der Lage, die Einheit innerhalb der Basis aufrechtzuerhalten, obwohl sich Spaltungen wegen des Abbruchs der Beziehungen zu Al-Qaida vertieft haben. Seit Mai 2020 ist eine neue Splittergruppe von hochrangigen Taliban-Dissidenten entstanden, die als Hizb-e Vulayet Islami oder Hezb-e Walayat-e Islami (Islamische Gouverneurspartei oder Islamische Vormundschaftspartei) bekannt ist. Die Gruppe ist gegen den US-Taliban-Vertrag und hat Verbindungen in den Iran. Eine gespaltene Führung bei der Umsetzung des US-Taliban-Abkommens und Machtkämpfe innerhalb der Organisation könnten den möglichen Friedensprozess beeinträchtigen.
Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind.
Die Taliban rekrutieren in der Regel junge Männer aus ländlichen Gemeinden, die arbeitslos sind, eine Ausbildung in Koranschulen haben und ethnisch paschtunisch sind. Schätzungen der aktiven Kämpfer der Taliban reichen von 40.000 bis 80.000 oder 55.000 bis 85.000, wobei diese Zahl durch zusätzliche Vermittler und Nicht-Kämpfer auf bis zu 100.000 ansteigt. Obwohl die Mehrheit der Taliban immer noch Paschtunen sind, gibt es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) innerhalb der Taliban. In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren.
Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll zwölf Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden.
1.5.2. Haqqani-Netzwerk
Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban, Verbündeter von al-Qaida und verfügt über Kontakte zu IS. Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani, einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani [auch Sirajuddin Haqqani].
Als gefährlichster Arm der Taliban hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht. Das Netzwerk ist vor allem in den südlichen und östlichen Teilen des Landes und in den Provinzen Paktika und Khost aktiv. Sie verfügen jetzt über mehr Macht als in den Vorjahren und führen mehr Operationen durch. Es gibt keine größeren Gegenmaßnahmen der afghanischen Regierung oder der Sicherheitskräfte gegen das Netzwerk.
Die afghanische Regierung entließ drei führende Mitglieder des Netzwerks im Zuge des Gefangenenaustausches im November 2019. Das Haqqani-Netzwerk ist an den aktuellen Friedensverhandlungen beteiligt.
1.5.3. Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)
Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück. Der IS in Afghanistan bezeichnet sich selbst als Khorasan-Zweig des IS (ISKP). Es ist aber nicht erwiesen, ob er mit dem IS im Irak und in Syrien verbunden ist oder nicht. Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban. Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. 4.000 und 5.000 Kämpfern. Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren.
Der ISKP geriet in dessen Hochburgen in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck, da sich jahrelang die Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese konzentrierten. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in dieser Region. So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in Nangarhar zu bekämpfen. Im November 2019 ist die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen wobei über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten. Der islamische Staat soll jedoch weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein. Die landesweite Mannstärke des ISKP hat sich seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf zwischen 200 und 300 Kämpfer reduziert.
49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 8.11.2019-6.2.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert.
Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen. Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt.
Der ISKP verurteilt die Taliban als 'Abtrünnige', die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen. Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban. Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken, zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten.
Angesichts der Aufnahme von Gesprächen der Taliban mit den USA predigte der ISKP seine Mission weiterhin als eine reinere Form des Dschihad im Gegensatz zur Öffnung der Taliban für US-Gespräche. Nach Angaben der UNO zielt ISKP darauf ab, von den Taliban und Al Qaida abtrünnige Rekruten zu gewinnen, insbesondere solche, die sich jeglichen Vereinbarungsgesprächen mit den US-amerikanischen oder afghanischen Regierungen widersetzen.
Am 4.4.2020 verhaftete die Nationale Sicherheitsdirektion Afghanistans (NDS) den IS-Führer in Afghanistan, und laut NDS wurde das Hauptführungs- und Koordinierungsgremium des islamischen Staates eliminiert, aber die Teilnetzwerke existieren noch immer in verschiedenen Bereichen. Die Gruppe ist immer noch aktiv und führt weiterhin Angriffe durch.
1.5.4. Al-Qaida und mit ihr verbundene Gruppierungen
Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont. Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv. Einer Quelle zufolge hat Al-Qaida weniger Macht als in den letzten Jahren. Gemäss UNO-Bericht vom Mai 2020 ist Al-Qaida in 12 Provinzen mit 400-600 Bewaffneten verdeckt aktiv.
Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder.
Im Zuge des US-Taliban-Abkommen haben die Taliban zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren.
2. Kabul
Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt. Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi. Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Kabul im Zeitraum 2020-21 auf
2.1. Kabul-Stadt - Geographie und Demographie
Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von
Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes, inklusive der Ring Road (Highway 1) welche die fünf größten Städte Afghanistans - Kabul, Herat, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Jalalabad miteinander verbindet.
Der Highway zwischen Kabul und Kandarhar gilt als unsicher. Aufständische sind auf dem Highway aktiv und kontrollieren Teile der Straße und es wurde von Straßenblockaden und Kontrollen durch Aufständische berichtet, die sich gegen Regierungsmitglieder und Sicherheitskräfte richten.
Der Kabul-Jalalabad-Highway ist eine wichtige Handelsroute, die oft als "eine der gefährlichsten Straßen der Welt" gilt (was sich auf die zahlreichen Verkehrsunfälle bezieht, die sich auf dieser Straße ereignet haben) und durch Gebiete führt, in denen Aufständische aktiv sind.
Es wird berichtet, dass 20 Kilometer der Kabul-Bamyan-Autobahn, welche die Region Hazarajat mit der Hauptstadt verbindet, unter der Kontrolle der Taliban stehen und Berichten zufolge haben die sicherheitsrelevanten Vorfälle auf der Autobahn, die Kabul mit den Provinzen Logar und Paktia verbindet, im Juli 2020 zugenommen.
In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit Stand November 2020 für die Abwicklung von internationalen und nationalen Passagierflügen geöffnet ist.
Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den „jüngsten Einwanderern“ (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert, mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs.
Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen. Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher. In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine negative Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man „seine Nachbarn nicht mehr kenne“.
Nichtsdestotrotz, ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalem oder ethnischem Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art „Dorfgesellschaft“ entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls. Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar, aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig; Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße.
2.2. Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul und alle Distrikte gelten als unter Regierungskontrolle, dennoch finden weiterhin High-Profile-Angriffe - auch in der Hauptstadt - statt, wie Angriffe auf schiitische Feiernde und einen Sikhtempel in März sowie auf Bildungseinrichtungen wie die Universität in Kabul oder ein Selbstmordattentat auf eine Schule in Kabul im Oktober 2020 für die alle der Islamische Staat die Verantwortung übernahm. Den Angriff auf eine Geburtenklinik im Mai 2020 reklamierte bislang keine Gruppierung für sich, wobei die Taliban eine Verantwortung abstritten. Bei Angriffen in Kabul kommt es oft vor, dass keine Gruppierung die Verantwortung übernimmt oder es werden diese von nicht identifizierten bewaffneten Gruppen durchgeführt.
Das USDOD beschreibt die Ziele militanter Gruppen, die in Kabul Selbstmordattentate verüben, als den Versuch internationale Medienaufmerksamkeit zu erregen, den Eindruck einer weit verbreiteten Unsicherheit zu erzeugen und die Legitimität der afghanischen Regierung sowie das Vertrauen der Bevölkerung in die afghanischen Sicherheitskräfte zu untergraben. Afghanische Regierungsgebäude und -beamte, die afghanischen Sicherheitskräfte und hochrangige internationale Institutionen, sowohl militärische als auch zivile, gelten als die Hauptziele in Kabul-Stadt.
Aufgrund öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an. So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind. Die Anlage wird von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern schwer bewacht. Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden - so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und britische Einrichtungen und der von hohen Mauern umgeben ist.
Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Straßen-Kriminalität in Kabul ein Problem. Im vergangenen Jahr wurden in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif Tausende von Fällen von Straßenraub und Hausüberfällen gemeldet. Nach einem Anstieg der Kriminalität und der Sicherheitsvorfälle in Kabul kündigte der Vizepräsident Amrullah Saleh im Oktober 2020 an, dass er auf Anordnung von Präsident Ashraf Ghani für einige Wochen die Verantwortung für die Sicherheit in Kabul übernehmen und hart gegen Kriminalität in Kabul vorgehen werde. Die Regierung kündigte einen Sicherheitsplan mit der Bezeichnung "Security Charter" an, um das Sicherheitspersonal in die Gewährleistung der Sicherheit Kabuls und anderer Großstädte des Landes zu integrieren. Als Teil dieses Plans wies Präsident Ghani die Sicherheitsbehörden an, gegen schwere Verbrechen in der Stadt vorzugehen.
Auf Regierungsseite befindet sich die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train Advise Assist Command - Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps. Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei geschaffen, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren.
Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet. Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung. Er gilt als unter Regierungskontrolle, wenn auch unsicher. Die Taliban fokussieren ihre Angriffe auf die Straße zwischen Surubi und Jagdalak und konnten diesen Straßenabschnitt auch kurzzeitig unter ihre Kontrolle bringen. Im Juli 2020 wurde über eine steigende Talibanpräsenz im Distrikt Paghman berichtet.
Es wird berichtet, dass der Islamische Staat in der Provinz aktiv und in der Lage ist, Angriffe durchzuführen. Aufgrund des anhaltenden Drucks der ANDSF (Afghan National Security Forces), die Aktivitäten des Islamischen Staates zu stören, zeigte sich die militante Gruppe jedoch nur eingeschränkt in der Lage, 2019 in Kabul öffentlichkeitswirksame Anschläge zu verüben.
2.3. Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 1.563 zivile Opfer (261 Tote und 1.302 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 16% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen.
Im letzten Quartal des Jahres 2019 (LI 22.1.2020) sowie in den ersten Monaten des Jahres 2020 (UNGASC 3.2020) wurden in der Hauptstadt weniger Anschläge verübt. Seit dem zweiten Quartal 2020 hat die Gewalt Berichten zufolge wieder zugenommen.
Selbstmordanschläge und IEDs finden statt und es wurde von gezielten Tötungen und Angriff auf militärische Einrichtungen bzw. Sicherheitskräfte sowohl in Kabul-Stadt wie auch in den Distrikten der Provinz berichtet. Es gibt Berichte über Straßenblockaden und Angriffe auf Highways durch bewaffnete Gruppierungen.
Seit Herbst 2018 haben die ANDSF-Kräfte eine konzertierte Anstrengung zur Auflösung militanter Gruppen begonnen, die im und um den Großraum Kabul herum aktiv sind. Die ANDSF setzen gemeinsam mit einem neuen Kommando der Gemeinsamen Streitkräfte, das im Juni 2020 eingerichtet wurde ihre Aktivitäten im Jahr 2020 fort. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen Operationen gegen aufständische Gruppierungen und kriminelle Banden sowie Luftschläge durch und konnten hochrangige Mitglieder der Taliban und des IS festnehmen, sowie zwei IS-Mitglieder verhaften, die angeblich Angriffe auf ein Krankenhaus und ein Medienunternehmen planten.
3. Balkh
Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari.
Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Balkh im Zeitraum 2020-21 auf 1,509.183 Personen, davon geschätzte 484.492 Einwohner in Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern, sunnitischen Hazara (Kawshi) sowie Mitgliedern der kleinen ethnischen Gruppe der Magat bewohnt wird.
Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum. Die Ring Road (auch Highway 1 genannt) verbindet Balkh mit den Nachbarprovinzen Jawzjan im Westen und Kunduz im Osten sowie in weiterer Folge mit Kabul. Rund 30 km östlich von Mazar-e Sharif zweigt der National Highway (NH) 89 von der Ring Road Richtung Norden zum Grenzort Hairatan/Termiz ab. Dies ist die Haupttransitroute für Warenverkehr zwischen Afghanistan und Usbekistan.
Entlang des Highway 1 westlich der Stadt Balkh in Richtung der Provinz Jawzjan befindet sich der volatilste Straßenabschnitt in der Provinz Balkh, es kommt dort beinahe täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen. Auch besteht auf diesem Abschnitt in der Nähe der Posten der Regierungstruppen ein erhöhtes Risiko von IEDs - nicht nur entlang des Highway 1, sonder