TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/31 W153 2238790-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.03.2021
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Entscheidungsdatum

31.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch


W153 2238790-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. VR China, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.12.2020, Zl. 1268257904-200844180, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. – VII. wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VI. zu lauten hat: "Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF), eine Staatsangehörige der VR China, reiste im Oktober 2019 nach Österreich ein. Am 09.09.2020 stellte die BF einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Diesen begründete sie im Wesentlichen mit der Angst vor Verfolgung durch die Polizei, weil sie im Herkunftsstaat Falun Gong praktiziert habe.

Die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) fand am 27.10.2020 statt. Sie habe in der VR China Falun Gong praktiziert und werde deswegen von der Polizei verfolgt. Sie habe ihren Herkunftsstaat am 29.10.2019 legal im Besitz eines litauischen Visums per Flugzeug verlassen. Sie sei von Peking über Moskau nach Wien gereist.

Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten und des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat VR China abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Es wurde der BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung in die VR China zulässig sei (Spruchpunkte III. bis V.). Weiters wurde unter Spruchpunkt VI. ausgeführt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise der BF bestehe. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen die BF ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Der Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VIII.)

Begründend führte das BFA aus, dass die BF ihre Fluchtgründe, wonach sie aufgrund der Ausübung der Falun Gong verfolgt worden sei, nicht habe glaubhaft machen können.

Die BF erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde. Sie brachte im Wesentlichen vor, dass sie bei einer Rückkehr in die VR China aufgrund ihrer Mitgliedschaft zu Falun Gong Verfolgung, Gefängnis und unmenschliche Behandlung fürchte.

Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.01.2021, GZ W153 2238790-1/3Z, wurde der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt VIII. des Bescheides stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.

Am 17.03.2021 wurde das Bundesverwaltungsgericht darüber informiert, dass die BF aus der GVS entlassen und in das Quartier „unstet“ verschoben worden sei, da sie laut einem Auszug aus dem ZMR ihren Hauptwohnsitz nach Wien verlegt habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person der BF:

Die BF ist Staatsangehörige der VR China und Angehörige der Volksgruppe der Han. Sie ist konfessionslos. Ihre Muttersprache ist Chinesisch. Sie ist geschieden und hat einen volljährigen Sohn.

Die BF reiste am 29.10.2019 legal mittels litauischem Visums per Flugzeug via Moskau nach Wien. Sie stellte am 09.09.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Die BF wurde der Provinz XXXX , Stadt XXXX , Kreis XXXX , Gemeinde XXXX geboren und lebte dort bis zu ihrer Ausreise. Der Sohn der BF lebt mit seiner Familie in der Stadt Meihekou. Auch der Vater der BF ist in der Stadt Meihekou wohnhaft. Die Geschwister der BF (zwei Brüder und eine Schwester) leben in der Stadt Yanbian.

Die BF besuchte die Grundschule in der VR China und war zuletzt als Abwäscherin tätig.

Die BF ist gesund und arbeitsfähig. Sie leidet an einer Lebensmittelunverträglichkeit und hat gutartige Abszesse in beiden Brüsten, welche jährlich medizinisch untersucht werden. Die BF befand sich diesbezüglich bereits in der VR China in Behandlung. Die BF steht in Österreich nicht in durchgehender ärztlicher oder medikamentöser Behandlung. Die BF leidet an keinen schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen.

Zu den Fluchtgründen der BF:

Die BF konnte ihr Fluchtvorbringen, aufgrund der Praktizierung von Falun Gong von der Polizei verfolgt zu werden, nicht glaubhaft machen. Insbesondere gibt es aktuell keine glaubwürdigen Hinweise, dass die BF mit hoher Wahrscheinlichkeit einer diesbezüglichen Verfolgung ausgesetzt ist.

Die BF war in der VR China keinen gegen sie gerichteten Verfolgungshandlungen ausgesetzt. Sie hat die VR China weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Es kann darüber hinaus nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle ihrer Rückkehr in die VR China eine Verfolgung aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus ihrer politischen Gesinnung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

Zum (Privat)Leben der BF in Österreich:

Die BF reiste bereits am 29.10.2019 nach Österreich ein und hält sich seither durchgehend in Österreich auf. Sie ist nach ihrem Antrag auf internationalen Schutz vom 09.09.2020 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG rechtmäßig aufhältig.

Die BF besuchte in Österreich keine Deutschkurse.

Die BF bezog bist inklusive Februar 2021 Leistungen aus der Grundversorgung. Sie ist am österreichischen Arbeitsmarkt nicht integriert und geht keiner Erwerbstätigkeit nach. Sie verfügt über keine verbindliche Arbeitszusage.

Die BF verfügt in Österreich über keine relevanten schützenswerten familiären oder privaten Bindungen. Sie verfügt weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen, wie Ehemann oder Kinder, in Österreich.

Die BF ist weder ehrenamtlich tätig noch hat sie gemeinnützige Tätigkeiten geleistet. Sie ist weder Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation.

Die BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Zu einer möglichen Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat:

Die BF muss im Falle ihrer Rückkehr mit keinem gänzlichen Entzug ihrer Lebensgrundlage rechnen und würde nicht in eine existenzbedrohende oder medizinische Notlage geraten.

Sie ist jung, gesund und im arbeitsfähigen Alter. Die BF verfügt über eine Schulausbildung und hat in der VR China diverse Hilfstätigkeiten, zuletzt als Abwäscherin, ausgeführt. Es liegen daher keine Anhaltspunkte vor, dass die BF in ihrem Heimatland nicht in der Lage wäre, ihrem Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten, notfalls auch über Gelegenheitsjobs oder wenig attraktive Hilfstätigkeiten.

Zudem wohnen in der VR China noch Familienangehörige und Freunde der BF (zumindest Vater, Geschwister und Sohn samt Familie), deren Unterstützung sie sich erforderlichenfalls bedienen könnte. Festgestellt wird, dass in der VR China ausreichende medizinische Behandlungsmöglichkeiten vorhanden sind und diese der BF auch zugänglich sind bzw. bereits waren.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in die VR China für die BF eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Staatliche Repressionen im Falle der Rückkehr in die VR China allein wegen der Beantragung von Asyl können nicht festgestellt werden.

Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie kein Rückkehrhindernis darstellt. Die BF fällt nicht unter die Risikogruppe der Personen über 65 Jahren und der Personen mit Vorerkrankungen. Ein bei einer Überstellung der BF in die VR China vorliegendes „real risk“ einer Verletzung des Art. 2 oder 3 EMRK ist hierzu nicht erkennbar.

Zur Lage im Herkunftsstaat

Zur Situation im Herkunftsstaat werden auszugsweise die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen aus dem BFA-Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur VR China zitiert:

Politische Lage

Letzte Änderung: 4.6.2020

Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,385 Milliarden Einwohnern (Stand 2020) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 20.5.2020).

China ist in 22 Provinzen, fünf Autonome Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) untergliedert (AA 5.3.2020). Hongkong ist seit 1. Juli 1997 eine Sonderverwaltungsregion (SVR) der Volksrepublik China. Die SVR untersteht gemäß Artikel 31 der chinesischen Verfassung der Zentralregierung in Peking. Das am 1. Juli 1997 in Kraft getretene Basic Law, Hongkongs „Mini-Verfassung“, räumt der SVR im Rahmen des Prinzips „Ein Land - Zwei Systeme“ einen hohen Grad an Autonomie und eine weitgehende exekutive, legislative und judikative Unabhängigkeit ein. Ausnahmen sind Außen- und Verteidigungspolitik (AA 5.3.2020a). Macau ist nach einem ähnlichen Abkommen seit 20. Dezember 1999 ebenfalls eine Sonderverwaltungsregion (SVR) der Volksrepublik China (AA 5.3.2020b), Die Vereinigung mit Taiwan zur „Wiederherstellung der nationalen territorialen Integrität“ bleibt eines der erklärten Kernziele chinesischer Politik (5.3.2020c).

Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein „sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht“ (BMBF 2020; vgl. Heilmann 2016). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 11.3.2020). Zentral für das politische System Chinas ist der Führungsanspruch der Kommunistischen Partei Chinas, der auch in der Verfassung verankert ist. Andere politische Organisationen, Medien, Zivilgesellschaft und religiöse Aktivitäten haben sich den Zielen der Partei unterzuordnen und werden streng reguliert. An der Spitze der Partei steht das Zentralkomitee (ZK). Im ZK sind Organe der Parteizentrale und der Zentralregierung durch ihre jeweiligen Leiter repräsentiert. Das ZK wiederum wählt das Politbüro (25 Mitglieder) und den Ständigen Ausschuss des Politbüros (derzeit sieben Mitglieder). Der Ständige Ausschuss ist das ranghöchste Parteiorgan und gibt die Leitlinien der Politik vor (AA 5.3.2020 vgl. USDOS 11.3.2020, Heilmann 2016). Ministerpräsident Li Keqiang leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem „inneren Kabinett“ aus vier Stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung (BMBF 2020; vgl. Heilmann 2016).

Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt (FH 4.3.2020; vgl. BMBF 2020). Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 4.3.2020; vgl. BMBF 2020) und ist formal das gesetzgebende Organ der VR China. Er tagt als Plenum einmal jährlich und beschließt mit einer Legislaturperiode von fünf Jahren nationale Gesetze (LVAk 9.2019).

Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig (FH 4.3.2020). Eine parlamentarische Opposition zur KP Chinas gibt es nicht (AA 22.12.2019). Seit dem Massaker von Tiananmen im Jahr 1989, als die Volksbefreiungsarmee (PLA) gewaltsam gegen eine von Studenten geführte pro-demokratische Bewegung vorgegangen ist, hat es keine Versuche gegeben, den politischen Wettbewerb zu erhöhen. Nach dem „Vorfall“, der nach wie vor in China ein Tabuthema ist, wurden die politischen Reformer von der KP-Führung gesäubert (BTI 29.4.2020). Zwar sind acht sogenannte demokratische Parteien offiziell anerkannt, jedoch sind alle der KP Chinas unterstellt (BTI 29.4.2020). Chinas Einparteiensystem unterdrückt die Entwicklung einer organisierten politischen Opposition rigoros. Selbst innerhalb der KPCh hat Xi Jinping seit 2012 seine eigene Macht und Autorität stetig ausgebaut, sowie eine selektive Antikorruptionskampagne geführt, um potenzielle Rivalen auszuschalten (FH 4.3.2020).

Der Nationale Volkskongress, in dem die Armee massiv überrepräsentiert ist (Heilmann 2016), hat mit seiner ersten Sitzung der 13. Legislaturperiode im März 2018 Xi Jinping erneut zum Staatspräsidenten gewählt (BMFA 2020). Xi Jinpings innenpolitische Position wurde gefestigt (BTI 29.4.2020). Er ist Vorsitzender der Zentralen Militärkommission (ZMK) der Kommunistischen Partei Chinas und Oberkommandierender der Streitkräfte). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 11.3.2020).

Durch die Kommunistische Partei Chinas wurde 2019 in jenen von ihr als kritisch eingestuften gesellschaftlichen Bereichen der Einsatz repressiver Maßnahmen intensiviert (HRW 14.1.2020; vgl. BTI 29.4.2020).

Die chinesische Regierung bedient sich regelmäßig kollektiver Erinnerungen, wie den westlichen "Imperialismus" oder den japanischen "Militarismus", um mit Hilfe dieser verbindenden, kollektiven Elemente eine nationale Einheit zu fördern und Zustimmung für ihre politischen Ziele einer nationalen Entwicklung und Größe zu gewinnen. Der von der Administration Xi Jinping konzipierte „Chinesische Traum" stellt dafür ein neues politisches Beispiel dar, mit welchem die Regierung Xi verspricht, dass China den Status einer Weltmacht wiedererlangen werde. Die chinesische Regierung verfolgt gesellschaftliche Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung als zwei zentrale Anliegen in ihrer Agenda. Demgegenüber stellt eine Transformation zur Demokratie auf der Grundlage der Herrschaft des Rechts keines der langfristigen strategischen Ziele der Regierung dar. Vielmehr verfolgt die Regierung als bewusste Strategie, einer Bedrohung durch pro-demokratische Tendenzen und Herausforderungen für die politische Hegemonie der Partei entgegenzuwirken (BTI 24.4.2020).

Zu Beginn der Tagung des Volkskongresses im Mai 2020 kündigte die Regierung an, dass trotz der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie sowie des Handelskonflikts mit den Vereinigten Staaten der Verteidigungshaushalt im laufenden Jahr abermals deutlich erhöht werden soll. Diese Ankündigung erfolgte vor dem Hintergrund der in den vergangenen Jahren gewachsenen Spannungen zwischen China und mehreren Nachbarstaaten sowie den USA wegen der von Peking erhobenen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer (FAZ 21.5.2020; vgl. WKO 12.5.2020).

Ungeachtet internationaler Proteste hat Chinas Nationaler Volkskongress die Einführung eines Sicherheitsgesetzes für Hongkong gebilligt, mit dem nach Ansicht von Kritikern die Bürgerrechte in der Sonderverwaltungszone massiv beschnitten werden. Zum Abschluss der Jahrestagung beauftragten die Abgeordneten den Ständigen Ausschuss des Parlaments, das Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Chinas Sonderverwaltungsregion zu erlassen (ZO 28.5.2020). Peking reagiert mit dem Sicherheitsgesetz auf die monatelangen, mitunter gewalttätigen Proteste der Hongkonger Demokratiebewegung im vergangenen Jahr. Das Gesetz soll „Abspaltung“, „Subversion“, „Terrorismus“ und die „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ unter Strafe stellen und den offenen Einsatz festlandchinesischer Sicherheitsbehörden in Hongkong ermöglichen. Die Pekinger Pläne haben neue Proteste in Hongkong ausgelöst, bei denen es zu gewalttätigen Konfrontationen mit der Polizei kommt (ARTE 28.5.2020).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 4.6.2020

Seit Dezember 2019 wurden in Wuhan (Hauptstadt der Provinz Hubei) und in weiteren Provinzen zahlreiche Fälle einer unbekannten Lungenkrankheit diagnostiziert. Bei den Erkrankten wurde eine Infektion mit einem neuartigen Coronavirus nachgewiesen (BMEIA 3.6.2020a). Im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Coronavirus sind Einschränkungen der Reise- und Bewegungsfreiheit unterschiedlichen Ausmaßes verhängt worden (AA 28.1.2020). Umfangreiche Schutzvorkehrungen in und bezogen auf die Provinz Hubei und Wuhan bleiben in Kraft (AA 3.6.2020).

Aufgrund einer massiven Präsenz von Sicherheitskräften in besonders gefährdeten Regionen ist eine Wahrscheinlichkeit von Terroranschlägen in China generell niedrig (GW 25.2.2020). Dennoch kann es vereinzelt zu Demonstrationen und Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften kommen. Auch sind In den letzten Jahren in China Anschläge verübt worden. (EDA 3.6.2020). Die Risiken beschränken sich hauptsächlich auf die Autonome Region Xinjiang. Konflikte und mutmaßliche Diskriminierung und Ungleichbehandlung durch die Han-Mehrheitsbevölkerung, wie auch weit verbreitete „Anti-Halal“ Kampagnen [Anmerkung d. Staatendokumentation: dem Verbot einer Etikettierung von Waren mit den arabischen Schriftzeichen für „Halal“] und die anhaltende harte Linie der lokalen Regierung, können die laufende Problematik der muslimischen Gemeinschaft ethnischer Minderheiten über die uigurischen Minderheiten hinaus noch verschärfen (AA 28.1.2020; vgl. GW 25.2.2020).

Zwar gibt es in China noch keine unversöhnlichen ethnischen, sozialen oder religiösen Spaltungen, soziale Unruhen sind allerdings an der Tagesordnung. Auch wenn die meisten Demonstrationen als Ausdruck der Unzufriedenheit mit die Regierungspolitik personell meist gering ausfallen, betreffen sie dennoch existentiellen Fragen wie Lohnrückstände, dem Abriss von Häusern und der Umsiedlung oder Enteignung (BTI 29.4.2020). Landerwerb ohne volle Einbeziehung der örtlichen Betroffenen stößt zunehmend auf Proteste, insbesondere in Guangdong, Fujian, Zhejiang, Jiangsu, Shandong und Sichuan. Proteste wegen der Modalitäten von Zwangsumsiedlungen wie auch Entschädigungsleistungen sind an der Tagesordnung und die Behörden verfolgen einige der Anführer solcher Proteste strafrechtlich. Die Wahrscheinlichkeit von Protesten, vor allem in Form von Demonstrationen und Blockaden, wird in Bezug auf den Bau größerer Infrastrukturprojekte, dem Bergbau, etc. auch weiterhin hoch eingeschätzt (GW 25.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, BTI 29.4.2020).

China hat anhand der Vorkommnisse der späten 1980er Jahre gelernt, dass soziale Spannungen zu einer ernsthaften Gefährdung des Systems führen können. Infolgedessen wurde ein engmaschiges Kontroll- und Regulierungssystem (z.B. Social Credit System) sowohl in urbanen Kerngebieten als auch in den peripheren Siedlungsgebieten der Minderheiten aufgebaut (LVAk 9.2019). Die staatliche Kontrolle durch eine massive, sichtbare Polizeipräsenz an strategischen Punkten und wichtigen Orten wird aufrechterhalten (BTI 29.4.2020).

Auf der Tagung des Volkskongresses im Mai 2020 kündigte der Ministerpräsident an, dass auch trotz der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie sowie des Handelskonflikts mit den Vereinigten Staaten, der Verteidigungshaushalt im laufenden Jahr abermals deutlich steigen soll. Die Ankündigung erfolgte vor dem Hintergrund der in den vergangenen Jahren gewachsenen Spannungen zwischen China und mehreren Nachbarstaaten sowie die USA wegen der von Peking erhobenen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer (SN 22.5.2020, FAZ 21.5.2020; vgl. WKO 12.5.2020).

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 4.6.2020

Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen (AA 22.12.2019). Auf der Plenartagung des Zentralausschusses der KPCh im Oktober 2019 wurde die Notwendigkeit betont, die Macht der KPCh zu festigen und ihre Kontrolle über alle Ebenen der chinesischen Gesellschaft auszuweiten (FH 4.3.2020). Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden abgelehnt (DP 27.6.2019). Im März 2018 wurden neue Kontroll- und Ausgleichsmechanismen in die Verfassung aufgenommen, um die Umsetzung zentraler Richtlinien und Vorschriften durchzusetzen. Die Zentralregierung verlässt sich zunehmend auf große Datenmengen, die sie zur Überwachung und Kontrolle der Umsetzung der Reformpolitik auf den verschiedenen Verwaltungsebenen einsetzt. Darüber hinaus verlässt sich die Ernennung, wie auch die Rückstufung von Beamten auch auf die Leistungsbewertung und die Berichte der Bürger vor Ort. Das System arbeitet daher mit einer Kombination aus hierarchischen und vertikalen Kontrollmechanismen (BTI 2020). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 22.12.2019; vgl. FH 4.3.2020). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2019). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen (FH 4.3.2020; vgl. AI 30.1.2020). Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders offensichtlich in politisch heiklen Fällen. Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen solche, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, der politisch-juristischen Ausschüsse (FH 4.3.2020). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines „sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung“ unter dem Motto „den Gesetzen entsprechend das Land regieren“. Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, d.h. der Kommunistischen Partei (KP), keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2019).

Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter-Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2019).

Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahme seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen „Unabhängigkeit“ von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es – vor allem auf unterer Gerichtsebene – noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2019).

Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll „Fehlverhalten“ von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) und die Oberste Staatsanwaltschaft haben wiederholt gefordert, „Falschurteile“ der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die tatsächliche Gerichtspraxis ist allerdings davon noch weit entfernt (AA 22.12.2019).

Das umstrittene System der „Umerziehung durch Arbeit“ („laojiao“) wurde 2013 offiziell abgeschafft. Missbräuchliche Einweisungen politisch missliebiger Personen (vor allem Petitionäre oder Dissidenten) in psychiatrische Anstalten aber auch willkürliche Festsetzungen in sogenannten schwarzen Gefängnissen („black jails“ bzw. „legal education center“) ohne faires Gerichtsverfahren oder aufgrund falscher oder gefälschter medizinischer Gutachten kommen weiterhin vor (AA 22.12.2019).

Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt die „Hochachtung und der Schutz der Menschenrechte“ an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden – in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine „Behinderung der Ermittlung“ bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befinden, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein (ÖB 11.2019).

Das Strafprozessgesetz sieht zudem vor, dass Verdächtige, die die staatliche Sicherheit gefährden, an einem „designierten Ort“ bis zu 6 Monate unter „Hausarrest“ gestellt werden können – eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern – einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften – zu unterbinden (ÖB 11.2019; vgl. AA 22.12.2019, AI 22.2.2018).

Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem „Verwaltungsstrafen“ verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer „Verwaltungshaft“ (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten „schwarzen Gefängnissen“ kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 22.12.2019).

Das 2019 erneut revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert dem Wortlaut nach die Stellung des Beschuldigten/Angeklagten und des Verteidigers im Ermittlungs- und Strafprozess. Die Umsetzung steht aber in jedem Fall unter dem politischen Eingriffsvorbehalt der jeweiligen Parteiorgane, die fester integrierter Bestandteil auch bei den Strafgerichten sind (AA 22.12.2019).

Seit 2014 wurden schrittweise Reformen zur Verbesserung der Justizleistung unter Wahrung der Parteivormachtstellung durchgeführt. Die Änderungen konzentrierten sich auf die Erhöhung der Transparenz, Professionalität und Autonomie gegenüber den lokalen Behörden (FH 4.3.2020).

Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen „konterrevolutionären Straftaten“ abgeschafft und im Wesentlichen durch „Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden“ (Art. 102-114 chin. StGB) ersetzt. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 22.12.2019). Der Handlungsraum für Menschenrechtsanwälte zur Ausübung ihrer Tätigkeit wird immer weiter eingeschränkt. Menschenrechtsanwälte sind behördlicher Überwachung, Belästigungen, Einschüchterungen und Inhaftierungen ausgesetzt (AI 30.1.2020). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder „Verrat von Staatsgeheimnissen“ lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang in der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. Unter anderem wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 22.12.2019).

Das mehrjährige harte Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte hat den Zugang der Angeklagten zu unabhängigem Rechtsbeistand geschwächt (FH 4.3.2020). Anwälten, Mitarbeiter von Kanzleien und Aktivisten, droht bei öffentlicher Kritik am System Festnahme und Haft (AI 1.10.2019; vgl. ZO 29.1.2019, DP 19.1.2018). Von schikanösen Maßnahmen können auch Familienangehörige betroffen sein (AI 1.10.2019; vgl. TAZ 29.3.2016).

Seit der offiziellen Abschaffung des Systems der „Umerziehung durch Arbeit“ werden Menschenrechtsaktivisten nicht mehr in administrativer Haft angehalten, sondern systematisch auf Basis von Strafrechtstatbeständen wie Staatsgefährdung, Separatismus, Volksverhetzung, oder gemeiner Vergehen oder Verbrechen verurteilt, womit der Anschein der Rechtsstaatlichkeit erweckt werden soll. Aufgrund der vagen Tatbestände, des Zusammenhalts der einzelnen Institutionen und des Mangels an unabhängiger engagierter anwaltlicher Vertretung, kann ein strafrechtlich relevanter Sachverhalt relativ leicht „geschaffen“ werden (ÖB 11.2019). Eine neue Form der außergerichtlichen Inhaftierung für Ziele von Antikorruptions- und offiziellen Fehlverhaltensuntersuchungen, die als „Liuzhi“ bekannt ist, wurde 2018 zusammen mit der Einrichtung der National Supervisory Commission (NSR) eingeführt. Einzelpersonen können unter Anwendung dieser Maßnahmen bis zu sechs Monate lang ohne Zugang zu Rechtsbeistand inhaftiert werden (FH 4.3.2020). Häufig wurden Anklagen wegen „Untergrabung der staatlichen Ordnung“, „Anstiftung zum Separatismus" oder „Terrorismus“, „Anstiftung zu Subversion" oder „Weitergabe von Staatsgeheimnissen“, wie auch „Streitsucht und Unruhestiftung“ erhoben und langjährige Gefängnisstrafen verhängt (ÖB 11.2019; vgl. AI 22.2.2018).

Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Millionen Eingaben [Petente] eingereicht. Petitionäre, die Vergehen von lokalen Behörden und Kadern anzeigen wollen, werden häufig von angeheuerten Schlägertrupps aufgegriffen und ohne Kontakt zur Außenwelt in Gefängnissen festgehalten. Diese Art des Verschwindenlassens ist eine weit verbreitete, von der Regierung aber stets verleugnete Methode, um unliebsame Personen aus dem Verkehr zu ziehen (AA 22.12.2019).

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 4.6.2020

Zivile Behörden haben die Kontrolle über Militär- und Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020). Die Zentrale Militärkommission (ZMK) der Partei leitet die Streitkräfte des Landes (Heilmann, 2016). Xi Jinping, der Vorsitzende der ZMK der Kommunistischen Partei Chinas, ist Oberkommandierender der Streitkräfte, welche seit 1997 direkt der Kommunistischen Partei Chinas unterstellt sind (GX 10.11.2019). Die Ausgaben für die innere Sicherheit sind in allen Provinzen und Regionen im Zeitraum von 2007 bis 2016 um 215 Prozent angestiegen und erhöhten sich 2018 insbesondere in sensiblen Minderheitenregionen wie Xinjiang und Tibet weiter (DFAT 3.10.2019).

Sicherheitsbehörden sind das Ministerium für Staatssicherheit, das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, und die Bewaffnete Volkspolizei (BVP) der Volksbefreiungsarmee. Das Ministerium für Staatssicherheit soll vor Staatsfeinden, Spionen und konterrevolutionären Aktivitäten zur Sabotage oder dem Sturz des chinesischen sozialistischen Systems schützen. In die Zuständigkeit dieses Ministeriums fallen auch der Inlands- und Auslandsgeheimdienst. Die BVP ist in 45 Divisionen unterteilt, bestehend aus Innensicherheitspolizei, Grenzüberwachung, Regierungs- und Botschaftsbewachung, sowie Funk- und Kommunikationsspezialisten. Ein wesentlicher Anteil der in den letzten Jahren vorgenommenen Truppenreduktionen in der Volksbefreiungsarmee war in Wahrheit eine Umschichtung von den Linientruppen zur BVP. Darüber hinaus beschäftigen zahlreiche lokale Kader u.a. entlassene Militärangehörige in paramilitärischen Schlägertrupps. Diese Banden gehen häufig bei Zwangsaussiedlung im Zuge von Immobilienspekulation durchaus auch im Zusammenspiel mit der BVP gegen Zivilisten vor. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit beaufsichtigt alle innerstaatlichen Aktivitäten der zivilen Sicherheitsbehörden (außer derjenigen, die in die Zuständigkeit des Staatssicherheitsministeriums fallen), sowie die BVP. Konkret umfassen seine Aufgaben innere Sicherheit, Wirtschaft und Kommunikationssicherheit, neben der Zuständigkeit für Polizeieinsätze und Gefängnisverwaltung. Die Organisationseinheit auf niedrigster Ebene sind die lokalen Polizeikommissariate, die für den alltäglichen Umgang mit der Bevölkerung verantwortlich sind und die Aufgaben von Polizeistationen erfüllen (ÖB 11.2019).

Im Juni 2017 wurde mit dem Aufklärungsgesetz ("Intelligence Law", 2017; geändert 2018), durch das Ständige Komitee des Nationalen Volkskongresses Chinas ein neues Gesetz erlassen, welches über die staatlichen Sicherheitsbehörden hinaus jedes einzelne Mitglied der chinesischen Gesellschaft aufruft, zur nationalen Aufklärungsarbeit beizutragen und nachrichtendienstlich relevante Informationen über Dritte, die an Aktivitäten beteiligt sind, welche der nationalen Sicherheit Chinas oder seinen Interessen schaden können, an die Behörden weiterzugeben (DFAT 3.10.2019). Darüber hinaus besteht ein enges Netz an lokalen Partei-Büros welche mittels freiwilliger „Blockwarte“ die Bewegungen der Bewohner einzelner Viertel überwachen und mit der Polizei zusammenarbeiten (ÖB 11.2019).

Die Behörde für Staatssicherheit kann seit Mitte April 2017 Beträge zwischen 10.000 und 500.000 Yuan (etwa 68.000 Euro) für nützliche Hinweise an Informanten auszahlen, welche durch ihre Mitarbeit bei der Enttarnung von ausländischen Spionen helfen. Informationen können über eine speziell eingerichtete Hotline, Briefe oder bei einem persönlichen Besuch bei der Behörde gegeben werden. So sich die Hinweise als zweckdienlichen herausstellen, soll der Informant das Geld erhalten (FAZ 11.4.2017).

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 4.6.2020

China ratifizierte bereits 1988 die UN-Konvention gegen Folter. Nach Art. 247 und 248 StGB wird Folter zur Erzwingung eines Geständnisses oder zu anderen Zwecken in schweren Fällen mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, in besonders schweren Fällen mit bis zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe oder Todesstrafe geahndet (AA 22.12.2019). In den letzten Jahren wurden außerdem einige Verordnungen erlassen, die formell für Tatverdächtige im Ermittlungsverfahren einen besseren Schutz vor Folter bieten sollen. Ein großes Problem bleibt jedoch die mangelnde Umsetzung dieser Rechtsinstrumente, die Sicherheitsbehörden genießen weiterhin auch aufgrund des Mangels an Kontrolle und Transparenz einen großen Handlungsspielraum. Sicherheitskräfte setzen sich routinemäßig über rechtliche Schutzbestimmungen hinweg. Für die Polizei stellt Straflosigkeit im Falle von Brutalität und bei verdächtigen Todesfällen in Gewahrsam die Norm dar (ÖB 11.2019; vgl. FH 4.3.2020, AI 30.1.2020). 2019 kam es landesweit zu einer ungewöhnlich hohen Zahl gut dokumentierter Fälle, in denen politische und religiöse Gefangene in der Haft oder kurz nach ihrer Entlassung aufgrund der Verweigerung angemessener medizinischer Versorgung starben. Bürger, die Wiedergutmachung für Misshandlungen in der Haft oder Aufklärung verdächtiger Todesfälle von Familienmitgliedern einfordern, werden oft mit Repressalien oder mit Gefängnisstrafen belegt (FH 4.3.2020).

Menschenrechtsaktivisten äußern Besorgnis darüber, dass Rechtsanwälte und Aktivisten weiterhin nach Inhaftierung verschiedenen Formen von Folter, Misshandlung oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt sind (USDOS 11.3.2020). Angehörige der ethnischen Minderheit der Uiguren berichten von systematischer Folter und anderer erniedrigender Behandlung durch im Strafvollzug und in den Internierungslagern beschäftigte Beamte (USDOS 11.3.2020; vgl. DFAT 3.9.2019).

Die chinesische Führung erklärte 2014 das Ziel, die Rechtsstaatlichkeit zu verbessern und Folter, Misshandlungen und Missstände in der Justiz zu verhindern. Gleichzeitig wird radikal gegen unabhängige Rechtsanwälte, Menschenrechtsverteidiger, und Medien vorgegangen, sodass das Ziel einer Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt wird. Neben politischen Absichtserklärungen und einigen wenigen „Vorzeigefällen“, in denen Fehlurteile - etwa nach vollzogener Todesstrafe posthum - revidiert wurden, oder einzelne Polizisten nach tödlicher Folter (und öffentlicher Empörung) entlassen werden, ist jedoch nicht bekannt, dass strukturelle Maßnahmen getroffen werden, um das Risiko von Folter und Misshandlungen zu vermindern (ÖB 11.2019; vgl. AI 22.2.2018).

Das revidierte Strafverfahrensrecht verbietet die Verwendung von Geständnissen und Zeugenaussagen, die unter Folter oder anderweitig mit illegalen Mitteln zustande gekommen sind (neuer Art. 53), sowie sonstiger illegal erlangter Beweismittel (Art. 54) im Strafprozess. Trotzdem soll Folter in der Untersuchungshaft häufiger vorkommen als in regulären Gefängnissen (AA 22.12.2019). Die Anwendung von Folter ist nach wie vor weit verbreitet und wird eingesetzt, um Geständnisse zu erhalten oder politische und religiöse Dissidenten zu zwingen, ihre Überzeugungen zu widerrufen (FH 4.3.2020).

Soweit die chinesische Regierung und die staatlich gelenkte Presse Folterfälle einräumen, stellen sie diese als vereinzelte Übergriffe „unterer Amtsträger“ dar, gegen die man energisch vorgehe (AA 22.12.2019).

Korruption

Letzte Änderung: 4.6.2020

Korruption stellt nach wie vor ein großes Problem im Land dar (USDOS 11.3.2020). China scheint im Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index) von Transparency International (TI) für das Jahr 2019 mit einer Bewertung von 41 (von 100) (0 sehr korrupt, 100 kaum korrupt) auf dem 80. Rang von 180 Staaten (TI 2020) auf. 2018 erreichte China eine Reihung auf dem 87. Rang von 180 Staaten mit 39 Punkten (TI 2019). 2017 wurde China mit 41 Punkten (Rang 77 von 180 Staaten) bewertet (TI 2018). Trotz diverser Anti-Korruptionsmaßnahmen bewirken Korruption und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes nach wie vor deutliche Zeichen von Unzufriedenheit in der Bevölkerung (LVAk 9.2019). Die weitest verbreiteten Formen von Korruption in China sind Bestechung, Veruntreuung öffentlicher Gelder und Günstlingswirtschaft durch Regierungsvertreter. Korruption, politische Einmischung und Vermittlungsleistungen sind beim Erwerb öffentlicher Dienstleistungen und im Umgang mit dem Rechtssystem üblich (DFAT 3.10.2019). Gemäß der Auswertung des Globalen Korruptions-Barometers für China zum Jahre 2017, haben 26 Prozent der Befragten Vermittlungszahlungen geleistet, um Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, einschließlich Bildung, Leistungen im Gesundheitswesen und der Strafverfolgungsbehörden zu erhalten (TI 2.3.2017). Auch die von der Regierung stark regulierten Bereichen wie Landnutzung, Immobilien, Bergbau und Entwicklung der Infrastruktur sind anfällig für Betrug, Bestechung und Schmiergeldzahlungen (USDOS 11.3.2020).

Bei seinem Amtsantritt startete Präsident Xi eine landesweite Anti-Korruptionskampagne (DFAT 3.10.2019; vgl. FH 4.3.2020). Ziel dieser Kampagne war, hochrangige und niederrangige korrupte Beamte zu fassen. 2013 wurden von den Behörden 172.000 Anti-Korruptionsuntersuchungen durchgeführt, im Jahre 2015 waren es 330.000. 2017 wurden 527.000 Untersuchungen durchgeführt und im ersten Halbjahr 20178 waren es 302.000 Untersuchungen (DFAT 3.10.2019). Mehr als eine Million Beamte wurden nach offiziellen Angaben bisher überprüft und bestraft (FH 4.3.2020). Bis Mitte 2017 sind durch das behördliche Durchgreifen über 1.800 Beamte dingfest gemacht worden, darunter 182 Beamte auf Ebene der stellvertretenden Provinz- oder stellvertretenden Ministerialebene bzw. darüber. Die erfolgten Untersuchungen führten zu Verhaftungen, Ausschlüssen aus der Partei und der Verurteilung von 1.130 Beamten (darunter 139 hoher Beamter) wegen Korruption (DFAT 30.10.2019). Unter den Gemaßregelten befinden sich hochrangige Staats- und Parteifunktionäre aus dem Sicherheitsapparat, dem Militär, dem Außenministerium, staatlichen Unternehmen und den staatlichen Medien (DFAT 3.10.2019; vgl. FH 4.3.2020).

Obwohl die Beamten mit strafrechtlichen Sanktionen wegen Korruption konfrontiert waren, setzen die Regierung und die KP Chinas das Gesetz nicht konsequent und transparent um (USDOS 11.3.2020), jedoch haben die Anti-Korruptionsbemühungen bei den Beamten eine abschreckende Wirkung erzeugt und die Zurschaustellung demonstrativen Reichtums verringert. Man geht davon aus, dass die Korruption auf allen Regierungsebenen nach wie vor weit verbreitet ist (FH 4.3.2020).

Eine stark auf Parteiloyalität und Verschwiegenheit fokussierte Antikorruptionskampagne kennzeichnet gegenwärtig die innenpolitischen Entwicklungen (AA 22.12.2019).

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Letzte Änderung: 4.6.2020

Unabhängige Menschenrechtsinstitutionen gibt es in China (mit zunehmend eingeschränkter Ausnahme Hongkongs) nicht. Die bestehenden strengen Regeln für NGOs machen deren Registrierung de facto unmöglich (AA 22.12.2019). Die Regierung schikaniert und schüchtert weiterhin Menschenrechtsverteidiger und unabhängige NGOs ein und verfolgt sie strafrechtlich. Die Familienmitglieder von Menschenrechtsverteidigern werden von der Polizei überwacht, schikaniert, inhaftiert und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt (AI 30.1.2020). Die wenigen staatlichen chinesischen Organisationen, die sich mit Menschenrechten befassen, sind im Sinne der Information über und Werbung für das staatliche Konzept der Menschenrechtspolitik aktiv. So ist das Führungspersonal der Society for Human Rights Studies gleichzeitig Personal des Informationsamts des Staatsrats (AA 22.12.2019). Es gibt laut offiziellen Zahlen Chinas (mit einer sehr breiten Definition) mehr als 460760.000 registrierte NGOs im Land. Nur ein sehr kleiner Teil davon kann als „unabhängig“ qualifiziert werden. Unabhängige NGOs erhalten keine staatliche Unterstützung und es besteht keine „Spendenkultur“ für solche Organisationen. Unabhängigen und manchen internationalen Organisationen (z.B. UNHCR) ist darüber hinaus das Spendensammeln verboten. In den letzten Jahren wurde es für NGOs aufgrund neuer Auflagen immer schwieriger, Spenden aus dem Ausland zu erhalten. Seit Xi Jinping im Amt ist, sind NGOs vermehrten Repressalien ausgesetzt, z. B. Inhaftierung ihrer Führungskräfte, Durchsuchungen sowie Einfrieren ihrer Konten, und Genehmigungsvorbehalt für die Projektarbeit (AA 22.12.2019; vgl. ÖB 11.2019, BTI 29.4.2020). In China selbst werden unabhängige Menschenrechtsorganisationen streng kontrolliert und oft unterdrückt. Die Rolle der Zivilgesellschaft wird von der KP nur in kleinteiliger Organisationsform bzw. in Bereichen wie Umwelt und Wohlfahrt zugelassen, wenn kein sozialer Aktivismus in Form von öffentlicher Kritik an Behörden, KP oder Politiken geübt wird (ÖB 11.2019).

2017 trat ein eigenes Gesetz zur Kontrolle von ausländischen NGOs und von Finanzierungen aus dem Ausland für heimische NGOs in Kraft („Foreign NGO Activity Management Law“), das ausländische NGOs fortan unter die Aufsicht des Ministeriums für öffentliche Sicherheit stellt (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020, ÖB 11.2019). Nach dem neuen Gesetz müssen alle Finanzierungen durch ausländische NGOs von den chinesischen Sicherheitsbehörden vor Erhalt genehmigt werden und dürfen ausländische NGOs in China nur gewisse Aktivitäten in Partnerschaft mit offiziellen Stellen ausüben. Zahlreiche Fragen zur Umsetzung sind noch offen. Obgleich dieses Gesetz dazu beitragen kann, das nebulöse Regelwerk der NGOs zu erhellen, wird befürchtet, dass das Gesetz eine weitere Möglichkeit für die Sicherheitsbehörden darstellt, die Zivilgesellschaft zur Selbstzensur und zu unkritischem Verhalten zu zwingen und den Einfluss von Regierung und der Kommunistischen Partei auf ausländische und inländische Nichtregierungsorganisationen weiter zu erhöhen (ÖB 11.2019; vgl. FH 4.3.2020). Durch den großen Ermessensspielraum der Polizei für die Kontrolle und Regulierung der Arbeit ausländischer NGOs erhöht sich das Risiko, dass das Gesetz dazu missbraucht werden könnte, Menschenrechtsverteidiger und NGO-Mitarbeiter einzuschüchtern und strafrechtlich zu verfolgen (AI 22.2.2018). Die Umsetzung des Gesetzes über ausländische NGOs aus dem Jahr 2017 und der erlassenen Richtlinien zur humanitären Hilfe im Jahr 2016 hat den Zugang von Bürgergruppen zu Finanzmitteln aus ausländischen Quellen erheblich eingeschränkt und die Aufsicht und Finanzierung durch die Regierung verstärkt. NGOs die versuchen, größtmöglich Unabhängigkeit zu bewahren, wie auch NGOs, die sich mit Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit befassen, werden zunehmend marginalisiert (FH 4.3.2020).

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 4.6.2020

Offiziell erkennt China die grundlegenden Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte an. Außerdem hat die VR China einer Reihe von Übereinkünften zum Schutz der Menschenrechte der Vereinten Nationen zugestimmt (GIZ 3.2020a).

Die Menschenrechtslage in China bietet jedoch auch weiterhin ein zwiespältiges und trotz aller Fortschritte im Ergebnis negatives Bild. 2004 wurde der Begriff „Menschenrechte“ in die Verfassung aufgenommen, die individuellen Freiräume der Bürger in Wirtschaft und Gesellschaft wurden in den letzten Jahren erheblich erweitert. Andererseits bleiben die Wahrung der inneren Stabilität und der Machterhalt der KPCh oberste Prämisse und rote Linie (AA 22.12.2019).

Die Menschenrechtslage ist weiterhin durch ein systematisches Vorgehen gegen jede Form von Dissens gekennzeichnet (AI 30.1.2020). Oberstes Ziel ist die Aufrechterhaltung „sozialer Stabilität“, die aus Sicht der chinesischen Führung unerlässlich für die weitere Entwicklung des Landes ist. Die chinesische Führung geht kompromisslos gegen jene vor, die als Bedrohung dieser Prioritäten angesehen werden, wie z. B. regierungskritische Schriftsteller, Blogger, Bürgerrechtsaktivisten, Menschenrechtsanwälte, Petitionäre oder Mitglieder nicht anerkannter Religionsgemeinschaften (Falun Gong, Hauskirchen etc.). Die seit 2008 zunehmende Repression hat sich seit Amtsantritt Xi Jinpings verstetigt und sich insbesondere nach dem 19. Parteitag im Oktober 2017 und dem 13. Nationalen Volkskongress im März 2018 nochmals verstärkt. Einschüchterungsmaßnahmen umfassen u.a. Hausarrest, willkürliche Haft in sogenannten schwarzen Gefängnissen („black jails“ bzw. „legal education center“), Folter, Berufsverbote und Druck auf Familienangehörige durch Bedrohungen bis hin zur „Sippenhaft“. Flankiert wird dies durch neue Gesetzgebung sowie eine Verschärfung von bestehenden Verordnungen und Gesetzen in den letzten Jahren (u. a. Gesetz zum Management von internationalen NGOs, Wohlfahrtsgesetz, Verordnung über die Regulierung von religiösen Angelegenheiten). Personen, die in Opposition zu Regierung und herrschender Ideologie stehen, setzen sich unmittelbar der Gefahr von Repression durch staatliche Stellen aus, wenn sie aus Sicht der Regierung die Kommunistische Partei, die Einheit des Staates oder das internationale Ansehen Chinas gefährden. Die Schwelle ist immer dann erreicht, wenn die chinesischen Sicherheitsbehörden annehmen, dass ein – noch so loses – Netzwerk gebildet werden könnte. Aus Sicht der Regierung geht von separatistischen Bestrebungen und Untergrundaktivitäten innerhalb Chinas die größte Gefahr aus (AA 22.12.2019).

Es gibt weiterhin besorgniserregende Verletzungen rechtsstaatlicher Mindeststandards in ganz China. So gibt es immer noch willkürliche Inhaftierungen durch die Regierung, erzwungenes Verschwindenlassen von Personen, sowie Folter und unrechtmäßige Tötungen durch die Regierung, harte und lebensbedrohliche Gefängnis- und Haftbedingungen, politische Gefangene, willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre, erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, Zensur und Sperrung von Webseiten, physische Angriffe und strafrechtliche Verfolgung von Journalisten, Anwälten, Schriftstellern, Bloggern, Dissidenten, Petitionären und anderen Personen sowie deren Familienangehörigen, Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, einer restriktiven Gesetzgebung gegenüber Nichtregierungsorganisationen (NGOs), strenge Einschränkungen der Religionsfreiheit, erhebliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Korruption, Geburtenbeschränkungen, in manchen Fällen Zwang zur Sterilisation oder Abtreibung, Menschenhandel und Kinderarbeit (USDOS 11.3.2020).

Häufig kommen Übergriffe lokaler Amtsträger bzw. von denen beauftragter Dritter vor, die im Ergebnis den Zielen der Regierungspolitik entsprechen oder der Wahrung des Einkommens dieser Personen dienen. Zumeist handelt es sich um Demonstranten bei Fällen mit wirtschaftlichem Hintergrund (illegale Landnahme, Korruption etc.). Auch Journalisten sind von solchen Fällen betroffen, zum Teil werden offen Kopfgelder ausgesetzt, ohne dass dies rechtliche Konsequenz hat (AA 22.12.2019).

Chinas wissenschaftliches Entwicklungskonzept hält auch Einzug in die „Soziale Steuerung“ durch und für die Partei. Umfassende Sicherheit, so erkannte die Parteiführung, benötigt Big Data über Einstellungen und Stimmungen innerhalb der Bevölkerung sowie deren analytische Aufarbeitung (LVAk 9.2019).

Die chinesische Regierung plant 2020 ein soziales Kreditsystem einzuführen, das Menschen in allen Lebenslagen bewertet und entsprechend belohnt oder bestraft (EuZ 29.8.2019; vgl. LVAk 9.2019). Als Datenquellen werden das Verhalten in den sozialen Medien, beim Online-Shopping, beim Verfassen von Kurznachrichten, aber auch Kranken- und Gerichtsakten, Verkehrsdelikte, Steuersünden, rüpelhaftes Verhalten in der Öffentlichkeit, Rauchen in öffentlichen Räumen etc. genutzt (EuZ 29.8.2019).

Haftbedingungen

Letzte Änderung: 4.6.2020

Die Haftbedingungen sind im Allgemeinen hart, mit unzureichender Ernährung, regelmäßigen Misshandlungen und Entzug von medizinischen Hilfeleistungen (FH 4.3.2020). Das Gesetz verbietet körperliche Misshandlungen und Herabwürdigungen von Häftlingen, wie auch die Erzwingung von Geständnissen (USDOS 11.3.2020). In vielen Fällen wird Inhaftierten in Untersuchungsgefängnissen anfänglich der Zugang zu Rechtsbeistand verwehrt (AI 2.8.2019; vgl. AI 22.8.2019), was mit dem „Verdacht auf Untergrabung der Staatsgewalt“ (AI 22.8.2019) oder der „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ begründet wurde (AI 22.2.2017).

Im Jahr 2018 waren rund 1.7 Millionen Verurteilte in den 752 Haftanstalten (683 Gefängnisse, 41 Frauengefangenenhäuser und 28 Jugendstrafvollzugsanlagen) inhaftiert. Gemäß Zurechnungen von Personen in Untersuchungshaft erhöht sich die Zahl der Gefangenen auf rund 2,36 Millionen Personen. Der Frauenanteil beträgt etwa 8,4 Prozent (WPB 2018).

Neben der Freiheitsstrafe existieren verschiedene Formen freiheitsentziehender Maßnahmen, sogenannte Administrativhaft: „Haft zur Erziehung“ (shourong jiaoyu), „Haft zur Umerziehung“ und „Zwangsmäßige Drogenrehabilitation in Isolation“. Sie zielen häufig auf Prostituierte und Drogenabhängige, aber auch politisch missliebige Personen (z.B. Anti-Falun Gong-Kampagne) ab. (AA 22.12.2019). Nach Abschaffung des Systems „Umerziehung durch Arbeit“ („laojiao“) wurden hunderte dieser Haftanstalten in sogenannte „legal education centers“ umbenannt. Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass diese Maßnahmen weder Rehabilitierungs-/Entzugshilfe bieten noch der Resozialisierung der Drogenabhängigen dienen. Vielmehr stehe der Freiheitsentzug (Minimum zwei Jahre) und die Verrichtung unbezahlter Arbeit im Vordergrund (AA 14.12.2018). Die ohne gesetzliche Basis operierenden Umerziehungs-Zentren für Prostituierte und Konsumenten der Prostitution (wobei letztere sich in der Regel per Korruption freikaufen können) wurden hingegen per 29.12.2019 abgeschafft (BBC 28.12.2019; vgl. ZO 29.12.2019).

Nach glaubhaften Berichten von NGOs sind mindestens 3.000 politischer Verbrechen angeklagte Personen in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Anstalten für „politisch Anormale“ festgehalten worden; ca. 1.000 Mitglieder von Falun Gong wurden gegen ihren Willen psychiatrischer Behandlung unterzogen. Es wird von Zwangsmedikation und Gewaltanwendung (Elektroschocks) berichtet (AA 14.12.2018).

Berichten zu Folge sind politische Gefangene, darunter Angehörige der Falun Gong, Uiguren, tibetische Buddhisten und im Untergrund ihren Glauben praktizierende Christen, in Haftanstalten der Gefahr von gewaltsamen Organentnahmen ausgesetzt (WSJ 5.2.2019).

Missbräuchliche Einweisungen politisch missliebiger Personen (vor allem Petitionäre oder Dissidenten) in psychiatrische Anstalten ohne faires Gerichtsverfahren oder aufgrund falscher oder gefälschter medizinischer Gutachten kommen weiterhin vor (AA 22.12.2019). Die Polizei kann in solchen Anstalten Personen nach eigenem Gutdünken ohne zeitliche Begrenzungen festhalten (ÖB 11.2019).

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 3.6.2020

Die chinesische Verfassung sieht Glaubensfreiheit vor, jedoch sind die einzig zugelassenen Religionsgemeinschaften Katholizismus, Protestantismus, Buddhismus, Islam und Taoismus (ÖB 11.2019; vgl. BAMF 10.2019).

Die seit 2008 zunehmende Repression hat sich seit Amtsantritt Xi Jinpings verstetigt und sich im Berichtszeitraum, insbesondere nach dem 19. Parteitag im Oktober 2017 und dem 13. Nationalen Volkskongress im März 2018 nochmals verstärkt (AA 22.12.2019).

Der Art. 36 der Verfassung unterscheidet zwischen der garantierten Glaubensfreiheit und der Freiheit „normaler“ Religionsausübung, welche die „öffentliche Ordnung, Gesundheit der Bürger und das staatliche Erziehungssystem nicht beeinträchtigen darf“. Sämtliche religiöse Aktivitäten – wie die Abhaltung von Gottesdiensten, der Besuch von Kirchen oder Moscheen und der Bau von Gotteshäusern – unterliegen staatlicher Kontrolle und Genehmigung (AA 22.12.2019). Die staatliche Aufsicht umfasst auch die tägliche Ausübung religiöser Aktivitäten, alle Ernennungen von Geistlichen und Postenbesetzungen (ÖB 11.2019; vgl. HRW 14.1.2020), wie auch die Einsetzung eines Rechtsvertreters sowie einem zugelassenen Rechnungsprüfer in den religiösen Einrichtungen (USCIRF 4.2020). Die Einfuhr von Print- und Bildmaterial religiösen Inhalts ist auf den Eigenbedarf beschränkt. Alle religiösen Gruppierungen müssen sich beim Staatlichen Amt für Religiöse Angelegenheiten (SARA) registrieren lassen und sich einer der folgenden offiziell anerkannten kirchlichen Dachverbände unterordnen:

?        Vereinigung der Buddhisten Chinas,

?        Chinesische Taoistenvereinigung,

?        Islamische Gesellschaft Chinas,

?        Patriotische Vereinigung der chinesischen Katholiken,

?        Chinesisches Christliches Patriotisches Komitee der "Drei-Selbst-Bewegung" und

?        Chinesischer Christlicher Verein/Christenrat (ÖB. 11.2019; vgl. AA 22.12.2019)

Andere Vereinigungen sind illegal und werden häufig drangsaliert sowie systematisch verfolgt, wenn sie in hochrangigen politischen Entscheidungen als staatliche Bedrohung qualifiziert wurden (ÖB 11.2019).

Peking verschärfte seinen Druck auf Muslime und Christen, viele Moscheen und Kirchen wurden auf Anweisung der Regierung beschädigt oder zerstört (AI 30.1.2020). Zeugen Jehovas zählen nicht zu den fünf offiziell anerkannten Religionen. Inwieweit sie ihren Glauben in China leben können, ist unklar. Eigenen nicht überprüfbaren Angaben zufolge wurden sie seit Mai 2018 verstärkt Ziel staatlicher Maßnahmen wie u.a. Razzien in Wohnungen, Befragungen, Festnahmen, Internierungen in Einrichtungen zur Umerziehung und Ausweisung ausländischer Ehepartner (BAMF 10.2019).

Durch das Regime ist ein vielschichtiger Apparat zur Kontrolle aller religiösen Tätigkeiten eingerichtet worden. Es erfolgt eine Überprüfung religiöser Führer auf politische Zuverlässigkeit, es erfolgt eine Begrenzung der Anzahl neuer Mönche oder Priester und die Manipulation der religiösen Lehre gemäß den Prioritäten der Partei (FH 4.3.2020).

Die Regierung bezeichnet religiöse Gruppen außerhalb ihrer Kontrolle als „Teufelskult“ (HRW 14.1.2020). Bestimmte religiöse oder spirituelle Gruppen sind gesetzlich verboten. Das Strafrecht definiert verbotene Gruppen als „Kult-Organisationen“. Es gibt keine öffentlich bekannten Kriterien für diese Einordnung oder Beschwerdemechanismen dagegen. Angehörige dieser Gruppen können zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt werden. Die Kommunistische Partei unterhält einen außergerichtlichen parteiamtlichen Sicherheitsdienst für die Beseitigung der Falun Gong-Bewegung und anderer Organisationen. Viele Mitglieder religiöser Minderheitengruppen in China - darunter Uiguren, Hui und kasachische Muslime, tibetische Buddhisten, Katholiken, Protestanten und Falun Gong - sind aufgrund ihres Glaubens mit schwerer Repression und Diskriminierung konfrontiert. Auch werden mehrere christliche Gruppen als „böse Kulte“ angesehen – unter anderen auch die „Rufer“ [Huhan Pai, auch Shouter] (USDOS 21.6.2019). Mehrere Lokalregierungen bieten finanzielle Belohnungen für Personen an, die Informationen über Untergrundkirchen an die Behörden weiterleiten (USCIRF 4.2020).

Unnachgiebig ist das Verhalten der Behörden gegenüber religiösen Aktivitäten dort, wo die chinesische Regierung die „Gefährdungs-Triade“ – Terrorismus, Extremismus und Separatismus – im Spiel wähnt. Dies betrifft vor allem Muslime in Xinjiang und Buddhisten in den tibetischen Gebieten. Im Übrigen variiert das Verhalten der Behörden von Provinz zu Provinz stark. Es gibt immer wieder Berichte über den Abriss von angeblich „nicht genehmigten“ Gotteshäusern, während andererseits einzelne „offizielle“ Kirchen mit teils staatlichen Mitteln renoviert oder gar neu gebaut werden (AA 22.12.2019).

Durch das chinesische Antiterrorgesetz wird „religiöser Extremismus“ als ideologische Grundlage des Terrorismus bezeichnet, der diese „verzerrte Religionslehren oder andere Mittel einsetzt, um Hass, Diskriminierung oder Gewalt zu schüren" (USDOS 21.6.2019). Durch die Behörden werden religiöse Führer, die von der Partei nicht anerkannt wurden, wegen „Gefährdung der Staatssicherheit"“ verfolgt (AI 30.1.2020).

Darüber hinaus variieren die Möglichkeiten der Gläubigen ihren Glauben zu leben, und sind sehr stark abhängig von der Religionsgemeinschaft, dem Wohnort und dem offiziellen Status der Glaubensgemeinschaft. Viele Gläubige erfahren kaum Einschränkungen, insbesondere, wenn sie dem chinesischen Buddhismus oder dem Taoismus angehören (FH 4.3.2020). Viele buddhistische und taoistische Tempel wurden auf Anweisung der Regierung beschädigt oder zerstört (AI 30.1.2020). In einigen Gegenden, etwa in Urumqi (Xinjiang), ist etwa auch di

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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