Entscheidungsdatum
01.04.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W200 2182643-2/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SCHERZ als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. 01.01. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch: BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH gegen den Bescheid des BFA, Erstaufnahmestelle West (EASt-West) vom 09.03.2021, Zl. 1104144710-201246595, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkte I. – VII. wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1.1. Der (damals minderjährige) afghanische Beschwerdeführer (in der Folge BF) tadschikischer Volksgruppenzugehörigkeit sunnitischen Glaubens, reiste gemeinsam mit seiner volljährigen Schwester und deren Ehemann irregulär und schlepperunterstützt nach Österreich ein und stellte am 01.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. In seiner am 02.02.2016 durchgeführten Erstbefragung nannte er als Fluchtgrund den des Krieg in Afghanistan. Seine Eltern, eine Schwester und ein Bruder würden weiterhin in Afghanistan leben
Mit Erklärung vom 22.03.2016 gab der BF bekannt, dass er das österreichische Bundesgebiet freiwillig verlassen und in sein Heimatland zurückkehren wolle.
Aus einem Polizeibericht vom 30.05.2016 geht hervor, dass die Polizei aufgrund der Anzeige einer Betreuerin in der Asylunterkunft des BF mit diesem und weiteren Jugendlichen wegen einer Rauferei Gespräche geführt habe. In einem weiteren Polizeibericht vom 21.07.2016 wurde festgehalten, dass es in der Unterkunft des BF regelmäßig zu disziplinären bzw. strafrechtlich relevanten Vorfällen komme und der BF von den Betreuungspersonen als einer der Rädelsführer bezeichnet werde. Der BF wurde – ebenso wie sechs weitere Personen – nach einem besonders massiven Vorfall, im Zuge dessen mehrere Gegenstände beschädigt sowie ein Betreuer verletzt wurden, als Deeskalationsmaßnahme in eine andere Unterkunft verlegt.
1.3. Im Rahmen der Einvernahme des BFA am 16.10.2017 führte der BF zu seinen Lebensumständen im Wesentlichen aus, dass er aufgrund des Krieges nie zur Schule gegangen sei und seit seinem 11. Lebensjahr seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen habe. Seine Familie halte sich nunmehr seit einigen Monaten im Iran auf, er habe häufig mit ihnen Kontakt. Sein Vater sei Hilfsarbeiter, seine Mutter Hausfrau. In Afghanistan habe er noch eine Tante väterlicherseits in Kabul. Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass in Afghanistan Krieg herrsche und es dort unsicher sei. Er sei ausgereist, weil seine Schwester und ihr Ehemann ausgereist seien.
Mit Meldung vom 19.10.2017 informierte die Landespolizeidirektion Niederösterreich das BFA darüber, dass beim BF ein als Taschenlampe getarnter Elektroschocker gefunden worden sei und über den BF ein Waffenverbot verhängt worden sei. Es sei Anzeige an die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt wegen Besitzes einer verbotenen Waffe erstattet worden.
1.4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 30.11.2017 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 01.02.2016 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt IV. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
Im Rahmen der aufgrund der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde durchgeführten mündlichen Beschwerdeverhandlung wiederholte der BF im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und gab zu seinen persönlichen Lebensumständen in Afghanistan an, dass er nach der Hochzeit seiner Schwester bei ihr gelebt habe und von seinem Schwager versorgt worden sei. Er habe zwei Jahre die Schule besucht. Seine Eltern und Geschwister seien vor etwa eineinhalb Jahren in den Iran gezogen, er habe mit ihnen keinen Kontakt mehr. Er habe Afghanistan wegen des Krieges verlassen, weiters hätten sie Feinde gehabt und er habe Angst vor diesen Leuten. Zu seinen Straftaten befragt gab der BF an, dass er einmal betrunken und sonst mit falschen Leuten in Kontakt gewesen sei.
1.5. Mit Stellungnahme seiner Vertreterin vom 09.03.2020 brachte der BF erstmals vor, dass er aufgrund seiner liberal-egalitären Orientierung in Afghanistan dem Risiko unterliege, Opfer von Übergriffen und Einschränkungen zu werden. Er habe eine ausgeprägte westliche Orientierung und Lebensweise angenommen, die in Gesamtbetrachtung mit anderen fallspezifischen Umständen zu einer maßgeblich wahrscheinlichen asylrelevanten Verfolgung führen würde. Des Weiteren machte der BF allgemeine Ausführungen zur (Rückkehr-) Situation in Afghanistan.
Mit Erkenntnis des BVwG vom 07.04.2020, W191 2192643-1/35E wurde die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis V. gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005, § 9 BFA-VG sowie §§ 46, 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen und der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides insoweit stattgegeben, als die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 2 und 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 mit 13 Wochen festgesetzt wurde.
Folgende Feststellungen wurden zur Person des BF getroffen:
„3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am 01.01. XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari. Er ist ledig und hat keine Kinder.
Der BF stammt aus einem Dorf in der Provinz Kunduz. Er lebte dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in einem Haus, das im Eigentum der Familie steht. Der BF besuchte ca. zwei Jahre lang die Schule und half seinem Vater seit seinem 11. Lebensjahr in der Landwirtschaft. Die Eltern und der Bruder des BF halten sich im Iran auf, eine Schwester ist unbekannten Aufenthaltes. Der BF hat in Kabul eine Tante väterlicherseits und einen Onkel. Etwa einen Monat vor seiner Ausreise übersiedelte der BF zu seiner älteren Schwester und deren Ehemann in die Provinz Badakshan.
3.1.2. Der BF verließ gemeinsam mit seiner Schwester und deren Ehemann Afghanistan aus angegebenen Gründen und reiste schlepperunterstützt bis nach Österreich, wo er am 02.02.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Der Schwester des BF und ihrem Ehemann wurden mit Erkenntnissen des BVwG vom 30.07.2018, W261 2173982-1/17E u.a., der Status von Asylberechtigten zuerkannt. Zwischen den volljährigen Geschwistern liegt kein besonderes Nahe- oder ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis vor, und wurde ein solches auch nicht behauptet. Ein gemeinsamer Haushalt im Bundesgebiet bestand nur wenige Monate von Juli bis November 2018.
3.1.3. Der BF ist jung, gesund und im erwerbsfähigen Alter. Er hat den Großteil seines Lebens in Afghanistan verbracht und ist mit den kulturellen Traditionen und Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut.
3.1.4. Der BF wurde in Österreich seit Dezember 2017 insgesamt viermal strafgerichtlich verurteilt und verbrachte mehrere Monate in Haft. Vor der ersten strafgerichtlichen Verurteilung des BF trat die Staatsanwaltschaft bereits zweimal von der Verfolgung wegen begangener Suchtmitteldelikte zurück.
Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 11.01.2018, 48 HV 116/2017x, wurde der BF wegen § 27 Abs. 2a zweiter Fall und § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 02.10.2018, 48 HV 66/2018w, wurde der BF wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB sowie wegen des Vergehens der versuchten Köperverletzung nach den §§ 15, 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, die unter Anordnung von Bewährungshilfe und Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Mit Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 15.07.2019, 36 HV 35/2019a, wurde der BF wegen des (teils) versuchten Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach den §§ 27 Abs. 1 und 2 sowie §§ 27 Abs. 2a SMG und 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt, die unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 04.09.2019, 46 HV 32/2019g, wurde der BF wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a SMG sowie § 27 Abs. 1 Z1 zweiter Fall SMG, des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB sowie des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.
Der BF ist zudem wegen mehrerer disziplinärer Verstöße in mehreren Unterbringungseinrichtungen aufgefallen und wurde aus diesem Grund auch als Deeskalationsmaßnahme verlegt. Zudem wurde über den BF ein Waffenverbot verhängt, nachdem bei ihm ein als Taschenlampe getarnter Elektroschocker sichergestellt wurde.
3.1.5. Der BF besuchte im Jahr 2017 mehrere Deutschkurse und einige Seminare und legte am 14.02.2018 die A1-Deutschprüfung ab. Seitdem zeigte er jedoch keine relevanten Integrationsbemühungen mehr.
3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
3.2.1. Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nicht politisch tätig und gehörte keiner politischen Partei an.
3.2.2. Der BF hat im Wesentlichen angegeben, Afghanistan wegen der allgemein schlechten Sicherheitslage bzw. wegen nicht näher definierter „Feinde“ verlassen zu haben, er hat eine tatsächliche Bedrohungs- oder Verfolgungssituation nicht näher dargestellt.
Ebensowenig hat der BF glaubhaft gemacht, dass er in Afghanistan aufgrund seiner „liberal-egalitären Orientierung“ in Afghanistan dem Risiko unterliege, Opfer von Übergriffen und Einschränkungen zu werden. Er hat sohin nicht glaubhaft gemacht, dass er im Herkunftsstaat begründete Furcht vor Verfolgung aus asylrelevanten Gründen habe.
3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
3.3.1. Dem BF würde derzeit bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Kunduz aufgrund der dort vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
3.3.2. Dem BF steht im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif als zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.
Er hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm dabei ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde oder er Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Der BF ist jung, im erwerbsfähigen Alter und männlich. Dass sein allgemeiner Gesundheitszustand erheblich beeinträchtigt wäre, hat er im Verfahren nicht belegt.
Es ist daher anzunehmen, dass der BF im Herkunftsstaat in der Lage sein wird, sich notfalls mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes Auskommen zu sichern und daher nicht in eine hoffnungslose Lage zu kommen, zumal er über etwas Schulbildung und Berufserfahrung in der Landwirtschaft verfügt. Zudem leben Verwandte von ihm in Kabul. Des Weiteren kann der BF auch von seinen Familienangehörigen in Österreich und im Iran beim Aufbau einer Existenz in Afghanistan finanziell unterstützt werden.
3.3.3. Der BF kann von Österreich aus die Stadt Kabul und weiter von dort Mazar-e Sharif sicher mit dem Flugzeug erreichen.“
Das Erkenntnis ist in Rechtskraft erwachsen. In weiterer Folge war der BF unbekannten Aufenthalts.
Am 22.07.2020 langte ein Aufnahmegesuch der deutschen Behörden beim BFA ein. Aus dem Schreiben geht hervor, dass der BF in Deutschland am 02.06.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte. Am 11.12.2020 wurde der BF von der deutschen Polizei beim Grenzübergang Freilassing festgenommen und an die österreichische Polizei übergeben.
Am selben Tag stellte er den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Einvernahme am 29.12.2020 gab er an in Deutschland mit einer Afghanin „fast verlobt“ zu sein. Sie wollen heiraten. Er sei keine bekannte Persönlichkeit in Afghanistan und sei nicht krank.
Nach dem Grund für den neuerlichen Antrag befragt, gab er an, dass seine Familie im Heimatdorf in Afghanistan ein kleines Haus mit Grundstück hätte. Bevor er Afghanistan verlassen hätte, gab es dort einige Probleme, weil einige Leute auftauchten und das Grundstück beschlagnahmen wollten. Zu der Zeit sei er schon auf dem Weg nach Europa oder sogar in Österreich gewesen. Die Männer hätten behauptet, dass das Grundstück ihnen gehöre. Sein Vater hätte entschieden mit der Familie Afghanistan Richtung Europa zu verlassen. Sie konnten dann aber den Iran nicht verlassen. Im Iran hätte jemand um die Hand seiner etwa 15jährigen Schwester angehalten. Sowohl die XXXX als auch die Familie hätte das abgelehnt. Die andere afghanische Familie hätte dann die Familie bedroht. Später hätten dann mehrere Männer das Haus gestürmt und es kam zu einem heftigen Streit und die Schwester wurde mit Messern verletzt. Sie sei ins Krankenhaus gekommen und die Angreifer seien geflüchtet. Nach dem Vorfall habe er von seiner Familie nichts mehr gehört. Seine Schwester sei jetzt in Gewahrsam dieser anderen Familie, praktisch entführt. Wo seine Familie sei, wisse er nicht und das bedeute, dass er in Afghanistan niemand mehr habe. Er habe Unterlagen und Fotos über ihren Krankenhausaufenthalt vor etwa 2 ½ Jahren. Er habe psychische Probleme, nehme deswegen keine Medikamente. Eine Tante ms lebe in Kabul. Den Vorhalt, dass die Fluchtgründe für gegenständlichen Antrag dieselben Gründe seien, welche er bereits im Erstverfahren angegeben habe, und diese Entführung der Schwester vor etwa 2 ½ Jahren neu sei, bejahte er. Die Familie der Entführer sei eine große mächtige Familie, die seine Schwester im Iran oder in Afghanistan festhielte. Wenn er zurückkehre, werde ihn diese Familie töten.
Österreich hätte er nach der ersten Antragstellung wegen seiner Verlobten verlassen. In Österreich sei seine Schwester XXXX und ihr Mann XXXX , die ihn im Anlassfall finanziell oder auch nicht finanziell unterstützen. Ende 2018 hätten sie sechs Monate im selben Haushalt gelebt.
In Österreich habe er seit der Rechtskraft des Vorverfahrens nicht gearbeitet, Deutschkurse besucht oder irgendwelche sonstige Ausbildungen absolviert. Er habe die Prüfung für A1 bestanden, glaube, dass er auch B1 schaffen könnte. Die Frage, ob er arbeitsfähig sei, bejahte er. In Österreich würde er gerne als Automechaniker arbeiten.
Er wolle sich für sein Verhalten in Ö entschuldigen. Derzeit befinde er sich in Schubhaft und werde versorgt. Wenn er entlassen werde, müsse er eine Arbeit finden. Er habe keine finanziellen Mittel, um selbstständig für seinen Unterhalt zu sorgen, könne aber auf seine Schwester zählen.
Er sei vom 25.02.2019 bis zum 02.05.2019 und vom 13.06.2019 bis zum 15.02.2020 in Haft gewesen, seit der Rechtskraft des Erstverfahrens (17.04.2020) sei er nicht von einem zivil- oder strafrechtlichen Gerichtsverfahren oder eine (einstweiligen) gerichtlichen Verfügung in Österreich oder von einer gerichtlichen Untersuchung als Zeuge oder Opfer in Österreich betroffen gewesen oder noch einmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen.
Am 22.02.2021 wurde der BF im AHZ Vordernberg per Videoeinvernahme vom BFA, Erstaufnahmestelle West, erneut niederschriftlich einvernommen. Er habe Beweismittel über den Überfall auf seine Familie im Iran.
Die gegnerische Familie sei ein sehr großer Clan und die Familie im Iran nicht in Ruhe gelassen, obwohl sie wussten, dass der Angriff im Iran Konsequenzen haben könnte. In Afghanistan hätten sie freie Hand. Sie hätten auch gesagt, dass sie in Afghanistan Möglichkeiten haben. Aus welcher Provinz die Familie stamme, wisse er nicht. Nicht aus Kunduz. Seine Schwester in Österreich wisse mehr. Von ihr habe er erfahren, dass sie wahrscheinlich aus Takhar stammten und momentan im Iran seien.
Er wisse den Familiennamen des Clans wirklich nicht, glaube, dass der Mann der Familie, das Oberhaupt der Familie, XXXX heiße. Es gebe bis jetzt nur zwei Kontakte insgesamt mit der Schwester im Iran und der Schwester in Österreich. Die Schwester im Iran meinte, dass sie sehr vorsichtig sein müsse. Sie sei damals noch im Krankenhau gewesen.
Auf den Hinweis, dass ein Angriff auf die Familie und der Krankenhausaufenthalt der Schwester grundsätzlich glaubhaft erscheine und daher auf die Beweismittel verzichtet werden könne, beharrte er darauf, sie trotzdem vorlegen zu wollen. Sie würden beweisen, dass im Falle der Rückkehr sein Leben in Gefahr sei.
Am 25.02.2021 langten Fotos von Unterlagen der Schwester ein, die belegen sollen, dass diese im Iran angegriffen und verletzt wurde.
Mit Bescheid des BFA vom 09.03.2021 wurde unter Spruchpunkten I. und II. der Antrag auf internationalen Schutz vom 11.12.2020 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Unter Spruchpunkt III. wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und festgestellt, dass gemäß § 55 Absatz 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.). Unter Spruchpunkt VII. wurde gegen ihn gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 1, 4 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, ein auf die Dauer von 6 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.
Beweiswürdigend stützte sich das BFA darauf, dass der vom BF nunmehr vorgebrachte Fluchtgrund betreffend den Grundstückstreit seines Vaters einerseits keinen glaubhaften Kern aufgewiesen hätte - selbst wenn dieser Streit mit diesen Männern tatsächlich stattgefunden hätte, sei nicht nachvollziehbar, dass ihm nach mehreren Jahren noch eine Verfolgung in Afghanistan drohe, zumal er nicht in seine Herkunftsregion zurückkehre, sondern in eine größere Stadt wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, und er zum Zeitpunkt des Streits nicht mehr in Afghanistan gewesen sei, die Männer ihn nie gesehen hätten und er nur vage Angaben zu diesen Personen machen konnte und nicht zu erwarten sei, dass diese Personen ihn in einer größeren Stadt wie Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat nach vielen Jahren finden könnten, darüber hinaus sei nicht er, sondern sein Vater der Besitzer des Grundstücks gewesen - und andererseits – unabhängig von der mangelnden Glaubhaftigkeit - bereits im Zuge des letzten Asylverfahrens dem BF bekannt gewesen sei.
Zum Fluchtgrund der Vorfälle im Iran, die eine strafrechtliche Verfolgung im Iran auslösen, wurde begründet, dass diese keine Relevanz zu seiner Rückkehr nach Afghanistan hätten. Er könne sich in Afghanistan bei einer eventuellen dortigen Bedrohung unter den Schutz der Behörden stellen. Er machte keine Angabe, dass dies nicht möglich wäre. Der Vorfall im Iran hätte auch keinen direkten Bezug zu seiner Person, er sei der gegnerischen Familie völlig unbekannt. Er hätte weder Angaben gemacht, dass diese Familie nach ihm suche noch, dass diese Familie plane wieder nach Takhar/Afghanistan zurückzukehren. Zudem kehre er weder nach Takhar noch nach Kunduz zurück, sondern in eine größere Stadt wie Kabul, Herat oder Mazar -e- Sharif. Er hätte keine Angaben gemacht, wie diese Familie ihn finden könnte. Dies lasse nur den Schluss zu, dass es sich hier um ein weiteres konstruiertes Vorbringen und eine erneute Steigerung des ursprünglichen Vorbringens handelt. Unabhängig von der fehlenden Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens, hätte auch dieser Sachverhalt vor dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens stattgefunden.
Zur Schwester könne im Sinne von Art. 8 EMRK, kein schützenswertes Familienleben in Österreich festgestellt werden. – der Beschwerdeführer befinde sich seit seiner Rückkehr aus Deutschland in Schubhaft. Weitere familiäre oder private Bindungen in Österreich hätte er nicht.
Er sei völlig mittellos und nicht in der Lage Mittel für seinen Lebensunterhalt aufzukommen (z.B. durch eine gemäß einschlägige arbeitsmarktrechtliche Bestimmung erteilte Beschäftigungsbewilligung). Damit sei eine auf legale Möglichkeiten der Lebenssicherung fußende Erwerbstätigkeit nicht möglich, weshalb damit ebenso eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit anzunehmen ist.
Er sei mehrfach wegen gleicher schädlicher Neigungen verurteilt wurden. Sein Verhalten zeige, dass er offensichtlich nicht gewillt sei, sich an die österreichischen Gesetze zu halten, weshalb damit eine massive Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit anzunehmen sei.
Die beeinträchtigen öffentlichen Interessen seien maßgeblich für das Wohlergehen und Wohlbefinden der Bevölkerung und könnten daher als erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung bezeichnet werden, weshalb besagtes Einreiseverbot erlassen werde.
Zu Afghanistan wurde im Bescheid Folgendes festgestellt:
Covid-19
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. In der vorliegenden Länderinformation erfolgt lediglich ein Überblick und keine erschöpfende Berücksichtigung der aktuellen COVID-19-PANDEMIE, weil die zur Bekämpfung der Krankheit eingeleiteten oder noch einzuleitenden Maßnahmen ständigen Änderungen unterworfen sind. Besonders betroffen von kurzfristigen Änderungen sind Lockdown-Maßnahmen, welche die Bewegungsfreiheit einschränken und damit Auswirkungen auf die Möglichkeiten zur Ein- bzw. Ausreise aus / in bestimmten Ländern und auch Einfluss auf die Reisemöglichkeiten innerhalb eines Landes haben kann.
Insbesondere können zum gegenwärtigen Zeitpunkt seriöse Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitswesen, auf die Versorgungslage sowie generell zu den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Folgen nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt werden.
Die hier gesammelten Informationen sollen daher die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung (12.2020) wiedergeben. Es sei zu beachten, dass sich bestimmte Sachverhalte (zum Beispiel Flugverbindungen bzw. die Öffnung und Schließung von Flughäfen oder etwaige Lockdown-Maßnahmen) kurzfristig ändern können.
Quellen:
? ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (3.2020): ACLED Methodology and Coding Decisions around the Conflict in Afghanistan, https://acleddata.com/acleddatanew/wp-content/uploads/dlm_uploads/2019/01/ACLED_Methodology-and-Coding-Decisions-Around-the-Conflict-inAfghanistan_Mar2020_update.pdf Zugriff 29.10.2019
? FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (19.10.2017): Talibanangriff in Kandahar fordert zahlreiche Tote, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kandahartaliban-angriff-auf-militaerbasis-fordert-zahlreiche-tote-15253597.html,
? HE - Heise (5.5.2019): Afghanistan: Brutale CIA-Schattenmilizen, https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-Brutale-CIA-Schattenmilizen-4413419.html, Zugriff 22.8.2019
? NSIA - National Statistics and Information Authority (1.6.2020): Estimated Population of Afghanistan 2020-21, https://www.nsia.gov.af:8080/wpcontent/uploads/2020/06/??????-????-????-????-????-???.pdf,
? UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (2.2020): Afghanistan Annual Report On Protection Of Civilians In Armed Conflict: 2019, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/afghanistan_protection_of_civilians_annual_report_2019_-_22_february.pdf, Zugriff 5.11.2020
COVID-19
Letzte Änderung: 14.12.2020
Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan
Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Offiziellen Zahlen der WHO zufolge gab es bis 16.11.2020 43.240 bestätigte COVID-19 Erkrankungen und 1.617 Tote (WHO 17.11.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert. Mit dem Herannahen der Wintermonate deutet der leichte Anstieg an neuen Fällen darauf hin, dass eine zweite Welle der Pandemie entweder bevorsteht oder bereits begonnen hat (UNOCHA 12.11.2020).
Maßnahmen der Regierung und der Taliban
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 23.9.2020; vgl. WB 28.6.2020).
Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden. Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind aktuell geöffnet (IOM 23.9.2020).
Die Taliban erlauben in von ihnen kontrollierten Gebieten medizinischen Helfern den Zugang im Zusammenhang mit der Bekämpfung von COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020).
Gesundheitssystem und medizinische Versorgung
Mit Stand vom 21.9.2020 war die Zahl der COVID-19-Fälle in Afghanistan seit der höchsten Zahl der gemeldeten Fälle am 17.6.2020 kontinuierlich zurückgegangen, was zu einer Entspannung der Situation in den Krankenhäusern führte (IOM 23.9.2020), wobei Krankenhäuser und Kliniken nach wie vor über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten berichten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (UNOCHA 12.11.2020; vgl. AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Auch sind die Zahlen der mit COVID-19 Infizierten zuletzt wieder leicht angestiegen (UNOCHA 12.11.2020).
In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung die mit einer Infizierung einhergeht hierbei eine Rolle spielt (UNOCHA 12.11.2020).
Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).
Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt
Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der
Dürre von 2018 (UNOCHA 12.11.2020). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im
Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der
Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß des WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um zwischen 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).
Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 23.9.2020; vgl. WB 15.7.2020).
Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).
Bewegungsfreiheit
Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei aktuell alle Grenzübergänge geöffnet sind (IOM 23.9.2020). Im Juli 2020 wurden auf der afghanischen Seite der Grenze mindestens 15 Zivilisten getötet, als pakistanische Streitkräfte angeblich mit schwerer Artillerie in zivile Gebiete schossen, nachdem Demonstranten auf beiden Seiten die Wiedereröffnung des Grenzübergangs gefordert hatten und es zu Zusammenstößen kam (NYT 31.7.2020).
Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen wie jenem in Bamyan statt (Flightradar 24 18.11.2020). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 23.9.2020).
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Mit Stand 22.9.2020, wurden im laufenden Jahr 2020 bereits 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt - zuletzt jeweils 13 Personen im August und im September 2020 (IOM 23.9.2020).
Quellen:
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2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035827/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%
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20.9.2020
? AAN - Afghanistan Analysts Network (1.10.2020): Covid-19 in Afghanistan (7): The effects of the pandemic on the private lives and safety of women at home, https://www.afghanistan-analysts.org/en/reports/economy-development-environment/covid-19-in-afghanistan-7-the-effects-of-the-pandemic-on-the-private-livesand-safety-of-women-at-home/, Zugriff 18.11.20020
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? IMPACCT - IMPortation And Customs Clearance Together (14.8.2020): COVID-19 Afghanistan Bulletin n° 7-CIQP: 14 August 2020, https://wiki.unece.org/download/attachments/101548399/Afghanistan_-_COVID-19_-_CIQP_Bulletin_7.pdf?
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Sicherheitslage
Letzte Änderung: 14.12.2020
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2020). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF (Afghan National Defense Security Forces) aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen - wahrscheinlich um das US-TalibanAbkommen nicht zu gefährden. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 (zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Hauptfestung in der Provinz Nangarhar im November 2019) Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (USDOD 1.7.2020). Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).
Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) zum "vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte" gemacht (SIGAR 30.7.2020).
Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).
Für den Berichtszeitraum 1.1.2020-30.9.2020 verzeichnete UNAMA 5.939 zivile Opfer. Die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 13% zurückgegangen, das ist der niedrigste Wert seit 2012 (UNAMA 27.10.2020). Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu (SIGAR 30.7.2020).
Die Sicherheitslage bleibt nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurde in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die allesamt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen sind in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gehen die Kämpfe in den Wintermonaten - Ende 2019 und Anfang 2020 - zurück (UNGASC 17.3.2020).
Die Sicherheitslage im Jahr 2019
Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr
2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren
Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mission (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindliche Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020) . Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen - speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen - blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020). Es gab im letzten Jahr (2019) eine Vielzahl von Operationen durch die Sondereinsatzkräfte des Verteidigungsministeriums (1.860) und die Polizei (2.412) sowie hunderte von Operationen durch die Nationale Sicherheitsdirektion (RA KBL 12.10.2020).
Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu einem Anstieg feindlicher Angriffe um 6% bzw. effektiver Angriffe um 4% gegenüber 2018 (SIGAR 30.1.2020).
Zivile Opfer
Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die
Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte - insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).
Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite - insbesondere der Taliban - sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).
Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RSMission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direktem (25%) und indirektem Beschuß (5%) verantwortlich - dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).
Die erste Hälfte des Jahres 2020 war geprägt von schwankenden Gewaltraten, welche die Zivilbevölkerung in Afghanistan trafen. Die Vereinten Nationen dokumentierten 3.458 zivile Opfer (1.282 Tote und 2.176 Verletzte) für den Zeitraum Jänner bis Ende Juni 2020 (UNAMA 27.7.2020)
High-Profile Angriffe (HPAs)
Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 1.7.2020). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).
Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich fort. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten 'green-on-blue-attack': der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine
Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens sechs Personen getötet und mehr als zehn verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020). Seit Februar haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriff gegen Koalitionstruppen um Provinzhauptstädte - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden (USDOD 6.2020). Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.3.2020).
Anschläge gegen Gläubige, Kultstätten und religiöse Minderheiten
Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).
Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (TN 26.3.2020 vgl.; BBC 25.3.2020, USDOD 6.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 26.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020, USDOD 6.2020).
Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):
Taliban
Die Taliban positionieren sich selbst als Schattenregierung Afghanistans, und ihre Kommissionen und Führungsgremien entsprechen den Verwaltungsämtern und
-pflichten einer typischen Regierung (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020). Die Taliban sind zu einer organisierten politischen Bewegung geworden, die in weiten Teilen Afghanistans eine Parallelverwaltung betreibt (EASO 8.2020c; vgl. USIP 11.2019) und haben sich zu einem lokalen Regierungsakteur im Land entwickelt, indem sie Territorium halten und damit eine gewisse Verantwortung für das Wohlergehen der lokalen Gemeinschaften übernehmen (EASO 8.2020c; vgl. USIP 4.2020). Was militärische Operationen betrifft, so handelt es sich um einen vernetzten Aufstand mit einer starken Führung an der Spitze und dezentralisierten lokalen Befehlshabern, die Ressourcen auf Distriktebene mobilisieren können (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020).
Das wichtigste offizielle politische Büro der Taliban befindet sich in Katar (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020). Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor
Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. EASO 8.2020c, UNSC 27.5.2020, AnA 28.7.2020) - Stellvertreter sind der Erste Stellvertreter Sirajuddin Jallaloudine Haqqani (Leiter des Haqqani-Netzwerks) und zwei weitere: Mullah Mohammad Yaqoob [Mullah Mohammad Yaqub Omari] (EASO 8.2020c; vgl. FP 9.6.2020) und Mullah Abdul Ghani Baradar Abdul Ahmad Turk (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020).
Mitte Juni 2020 berichtete das Magazin Foreign Policy, dass Akhundzada und Jallaloudine Haqqani und andere hochrangige Taliban-Führer sich mit dem COVID19-Virus angesteckt hätten und dass einige von ihnen möglicherweise sogar gestorben seien sowie dass Mullah Mohammad Yaqoob Taliban- und HaqqaniOperationen leiten würde. Die Taliban dementierten diese Berichte (EASO 8.2020c; vgl. FP 9.6.2020, RFE/RL 2.6.2020).
Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler
Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020). Während der US-Taliban-Verhandlungen war die Führung der Taliban in der Lage, die Einheit innerhalb der Basis aufrechtzuerhalten, obwohl sich Spaltungen wegen des Abbruchs der Beziehungen zu Al-Qaida vertieft haben (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020). Seit Mai 2020 ist eine neue Splittergruppe von hochrangigen Taliban-Dissidenten entstanden, die als Hizb-e Vulayet Islami oder Hezb-e Walayat-e Islami (Islamische Gouverneurspartei oder Islamische Vormundschaftspartei) bekannt ist (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020). Die Gruppe ist gegen den US-Taliban-Vertrag und hat Verbindungen in den Iran (EASO 8.2020c; vgl. RFE/RL 9.6.2020). Eine gespaltene Führung bei der Umsetzung des US-Taliban-Abkommens und Machtkämpfe innerhalb der Organisation könnten den möglichen Friedensprozess beeinträchtigen (EASO 8.2020c; vgl. FP 9.6.2020).
Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017).
Die Taliban rekrutieren in der Regel junge Männer aus ländlichen Gemeinden, die arbeitslos sind, eine Ausbildung in Koranschulen haben und ethnisch paschtunisch sind (EASO 8.2020c; vgl. Osman 1.6.2020). Schätzungen der aktiven Kämpfer der Taliban reichen von 40.000 bis 80.000 (EASO 8.2020c; vgl. NYT 12.9.2019) oder
55.000 bis 85.000, wobei diese Zahl durch zusätzliche Vermittler und Nicht-Kämpfer auf bis zu 100.000 ansteigt (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020, UNSC
27.5.2020). Obwohl die Mehrheit der Taliban immer noch Paschtunen sind, gibt es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) innerhalb der Taliban (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend NichtPaschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).
Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll zwölf Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sei