TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/8 W195 2175636-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.04.2021
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Entscheidungsdatum

08.04.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W195 2175636-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch seinen Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde des ( XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch XXXX , Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116/17?19, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.10.2017, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.03.2021 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und ( XXXX der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Es wird festgestellt, dass ( XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 27.12.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen einer am Tag der Antragstellung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgten niederschriftlichen Erstbefragung gab der BF zu seinen Fluchtgründen an, politische Probleme gehabt zu haben. In seiner Ortschaft habe es immer wieder politische Treffen und Demonstrationen gegeben. Der BF sei gezwungen gewesen, mit den Leuten aus dem College bei politischen Gegendemonstrationen mitzumachen. Es habe zwischen den Gruppen (Shivir und Chatro League) immer wieder Kämpfe gegeben. Der BF sei „von den Leuten“ geschlagen worden und später auch von der Polizei. Er sei mit dem Tod bedroht worden. Er habe auch einen Drohbrief erhalten.

Nach erfolgter Rückübersetzung gab der BF an, homosexuell zu sein und deshalb geflohen zu sein. Seine Familie und seine Freunde hätten ihn gesehen, als er mit Männern sympathisiert habe. Ein Freund habe ihn dabei gesehen, als er mit einem anderen Mann Sex gehabt habe. Der Freund habe jedem davon erzählt. Die Leute hätten den BF verabscheut und diskriminiert und manchmal hätten sie dem BF auf lächerliche Art zugezwinkert. Der BF sei hauptsächlich geschlagen worden aufgrund seiner sexuellen Orientierung.

I.2. Am 13.07.2017 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen.

Dabei gab er zunächst befragt, wieso er nach Österreich gekommen sei, an, er habe nicht gewusst, dass hier Homosexualität erlaubt sei. Deshalb habe er Angst gehabt, alles zu erzählen. Er habe nicht die Absicht gehabt, hierher zu kommen. Am Anfang, als er die Information bekommen habe, habe er gesehen, dass bei Homosexualität ein „Hackerl“ sei. Da habe er nachgefragt und er habe dann gesagt, dass das alte Fluchtvorbringen stimme und das neue auch.

Aufgefordert, seine persönlichen Fluchtgründe darzulegen, führte der BF soweit wesentlich aus, in Bangladesch viele Probleme gehabt zu haben. Er sei homosexuell und das werde dort nicht akzeptiert. Das sei eine „Strafe“ dort. Seit der achten Klasse habe er erfahren, dass er homosexuell sei. Er habe nicht so viel Kontakt mit Mädchen gehabt. Er habe nur Kontakte zu „Jungs“ gehabt.

Zusammengefasst gab der BF an, dass er mit einem Mitschüler homosexuellen Kontakt hatte, aber deswegen oft gehänselt und geschlagen wurde. Nachdem er sich auch gegenüber einem anderen Mitschüler erklärte, habe dieser von ihm auch Schweigegeld erpresst. In weiterer Folge schilderte der BF einen Vorfall, bei dem er mit seinem Freund erwischt wurde und sie von mehreren Personen erniedrigt und geschlagen wurden. Nachdem sie sie stundenlang geschlagen hätten, seien sie gegangen. Die ganze Stadt habe dann davon gewusst. Alle seien besorgt gewesen und hätten herumgeschrien.

Auch die Eltern des BF hätten es erfahren, zuvor hätten sie nur einen Verdacht gehabt. Am nächsten Tag habe der BF eine Prüfung ablegen müssen, ihm sei es sehr peinlich gewesen. Er sei nur körperlich anwesend gewesen, mental sei er wo anders gewesen. Nach der Prüfung hätten es auch seine Eltern erfahren. Seine Eltern hätten ihn mit in deren Dorf genommen. Dem BF habe gar nichts ohne ihn gefallen. Sein Leben sei ohne ihn einsam gewesen. Der BF habe sich nur eingesperrt. Seine Mutter habe gesagt, er solle raus, aber der BF habe nicht gewollt. Er sei ja nur ausgelacht worden. Dann seien die Prüfungsergebnisse gekommen und der BF habe nicht bestanden. Alle hätten gesagt, dass der Grund dafür sei, dass er Schwul sei.

Der BF habe dann die Wiederholungsprüfung gemacht. Dann habe er es bestanden. Es sei im September 2015 gewesen, wo er die Prüfung bestanden habe. Er habe dann nicht gewusst, was er weiter machen solle. Er habe lange keinen Kontakt mit seinem Freund gehabt. Sie hätten sich aber heimlich getroffen, aber nur ein paar Mal. Im Jänner sei er dann zu XXXX ins Dorf. Es sei ca. 70 km entfernt von Dhaka. Es sei Nachmittag gewesen, sie hätten sich getroffen. Sein Schwager sei sehr wütend auf den BF gewesen. In seinem Dorf habe man von der Beziehung gewusst. Sein Schwager habe dem BF dann von hinten angegriffen. Er habe ihn gepackt und die anderen aufgefordert, den BF zu schlagen. Den BF hätten ca. 20 Personen geschlagen. Im Dorf seien sie noch brutaler gewesen. XXXX sei auch geschlagen worden. Dem BF sei es dann sehr schlecht gegangen, er habe auch nicht mehr gehen können. Sie hätten alle seine Kleider zerrissen. Der BF sei dann nachhause gegangen. Die Familie von XXXX habe dann der Familie des BF erzählt, dass sie eine sexuelle Beziehung hätten. Als der BF zu Hause angekommen sei, habe seine Mutter geweint. Seine Mutter habe dann gesagt, entweder der BF würde sterben oder sie wollte ihn nicht mehr sehen. Nach ein paar Tagen sei der BF nach XXXX gegangen. Der BF sei dann immer auf der Flucht gewesen. Der BF habe dort einen „Jungen“ kennengelernt. Dieser habe gesagt, dass er im Ausland studieren würde. Der BF habe ihm von seinen Problemen erzählt. Der BF habe noch vergessen zu sagen, dass er, als er nachhause gekommen sei, zwei Tage später einen Brief bekommen habe. In dem sei gestanden, dass er eine Schande für die Gesellschaft wäre, er wäre eine Schande für die Religion. Es sei aber kein Absender auf dem Brief gewesen. Es sei auch eine Drohung dabei gewesen. Es sei gestanden, dass es geplant wäre, dass der BF bald umgebracht würde. Daher sei er nach XXXX gegangen. Dieser „Junge“ habe gesagt, dass in Europa homosexueller Kontakt erlaubt wäre. Der BF sei gestresst gewesen und habe nicht gewusst, was er tun solle. Sie hätten ihm auch gedroht, ihn zur Polizei zu führen. Er habe dann ein paar Kuhführer kennengelernt, die ihm die Reise bis Indien organisiert hätten. Davor habe er seiner Mutter gesagt, dass er das Land verlassen würde. Sie habe ihm das Geld gegeben. Seine Mutter habe nicht gewollt, dass er das Land verlasse. Dann habe er das Geld bekommen. In Indien habe er einen anderen „Jungen“ kennengelernt, der habe dem BF die Reise weiter organisiert. Im Iran sei der BF ausgeraubt worden. In der Türkei habe er kein Geld mehr gehabt. Er habe nicht mehr weitergewusst. Er habe dann wieder seine Mutter angerufen und geweint.

I.3 Mit Schreiben vom 24.07.2017 erstattete der BF durch den Verein XXXX eine Stellungnahme. Darin wurde im Wesentlichen die Homosexualität des BF hervorgestrichen und eine „rechtliche Beurteilung“ unternommen. Darüber hinaus wurden Länderberichte und Judikate zitiert.

I.4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 02.10.2017, XXXX , wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.

I.5. Mit Schriftsatz vom 02.11.2017 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des – im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung durch den XXXX vertretenen – BF wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze angefochten.

Neben Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes, der behaupteten Fluchtgründe und weitwendiger Zitierung von Länderberichten führt die Beschwerde im Wesentlichen aus, das BFA habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt. Die vom BFA getroffene Beweiswürdigung sei mangelnd (gemeint: mangelhaft), unschlüssig und verletze § 60 AVG. Daraus resultiere eine falsche rechtliche Beurteilung.

Die Beschwerde stellt die Anträge, eine mündliche Verhandlung gem. § 24 VwGVG durchzuführen, den Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt I. zu beheben und dem BF Asyl zuzuerkennen, in eventu, den Bescheid zu beheben und dem BF subsidiären Schutz zu gewähren, in eventu, festzustellen, dass seine Abschiebung nach Bangladesch auf Dauer unzulässig sei, sowie, die erlassene Rückkehrentscheidung ersatzlos zu beheben, in eventu, den Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

I.6. Mit Schreiben vom 06.11.2017 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

I.7. Mit Schreiben vom 16.02.2021 wurde zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht geladen und damit dem BF auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 10.03.2021 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.

I.8. Mit Schreiben vom 04.03.2021 gab der BF durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter, XXXX , das Bestehen einer Vollmacht bekannt, stellte den Antrag, einen namentlich genannten Zeugen zu befragten und brachte Urkunden in Vorlage.

I.9. Am 10.03.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und eines Rechtsanwaltsanwärters des ausgewiesenen Rechtsvertreters des BF, XXXX , eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde. Ebenfalls einvernommen wurde der beantragte (siehe I.8.) Zeuge.

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF zusammengefasst an, homosexuell zu sein. Mit seinem „Boyfriend“ habe sich der BF in Bangladesch im Verborgenen getroffen und sexuelle Kontakte unterhalten. Im März 2012 habe der BF diesen Umstand seinem Freund XXXX im Vertrauen verraten. Dieser habe die Homosexualität des BF publik gemacht und seitdem habe er den BF erpresst, viele Dinge vom BF ergattert und nicht zurückgegeben. Einen Tag vor der Abschlussprüfung seien der BF und sein „Boyfriend“ von XXXX bei sexuellen Handlungen betreten worden. Dieser habe in der Folge Leute gerufen, die den BF dann „extrem geschlagen“ hätten. Sie hätten auf den Körper des BF und seines Freundes uriniert, auf den Boden gespuckt und den BF zum Auflecken aufgefordert. Diese Vorfälle hätten sich 2014 zugetragen. 2016 habe der BF Bangladesch verlassen. Den letzten Kontakt zu seinem ehemaligen Sexualpartner habe der BF 2018 gehabt.

Der BF habe seine Homosexualität in Bangladesch nicht ausleben können. Viele Leute hätten ihn geschlagen. Er habe sich nicht an die Polizei wenden können, weil ihn diese ins Gefängnis gebracht hätte. Homosexualität sei in Bangladesch ein scheußliches Verbrechen. Wenn sie ihn nicht wegen seiner Homosexualität einsperren würden, würden sie ihn wegen anderen Sachen einsperren.

Weiters habe der BF einen Drohbrief erhalten. Darin sei gestanden, dass der homosexuelle BF umgebracht würde, wenn er nicht das Land verlasse. Er wäre gesellschaftlicher Abschaum, würde die Gesellschaft zerstören und er wäre schlecht für das Land und die moslemische Gesellschaft.

In Österreich habe der BF seit 15.12.2020 eine homosexuelle Beziehung mit XXXX . Sie sähen sich drei- bis fünfmal die Woche. Er sei der „Boyfriend“ des BF. Sie hätten sich im Integrationskurs kennengelernt.

XXXX wurde im Rahmen der Beschwerdeverhandlung einer zeugenschaftlichen Einvernahme unterzogen. Dieser bestätigte im Wesentlichen die Angaben der BF, wonach eine homosexuelle Beziehung, eine Lebenspartnerschaft, bestünde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali (gleichlautende Angaben in der Erstbefragung AS 15 sowie bei der Einvernahme vor dem BFA AS 84).

Der BF ist im Ort XXXX geboren (AS 15, 84). Zuletzt hat er in Dhaka gewohnt (AS 17, 86). Er hat in seinem Heimatland für zehn Jahre die Schule besucht und war zwei Jahre auf einem College (AS 15, 85, Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht Verhandlungsschrift [im Folgenden: VS] 15).

Der BF ist ledig und hat keine Kinder (AS 15 ff., 87; VS 7). In Bangladesch halten sich die Eltern und ein Bruder des BF auf (AS 17, 86; VS 5). Zwischen dem BF und seiner Mutter besteht aufrechter regelmäßiger Kontakt (VS 4 f.).

Der BF ist im Dezember 2016 nicht legal in das Bundesgebiet eingereist. Er ist nicht in die Grundversorgung einbezogen. In Österreich stellt der BF für XXXX Speisen zu, womit er € 1.500,? bis € 2.200,? ins Verdienen bringt (VS 6, 10). Er hat die freien Gewerbe Werbemittelverteiler (GISA-Auszug vom 15.04.2019) und Botendienst (GISA-Auszug vom 25.09.2019) angemeldet. Der BF besucht regelmäßig Veranstaltungen des XXXX (AS 81, 86). In Österreich unterhält der BF mit dem XXXX eine homosexuelle Partnerschaft. Sie leben nicht in gemeinsamen Haushalt, streben aber an, zusammenzuziehen (insb. VS 25).

Mit dem BF ist eine Konversation in deutscher Sprache hinsichtlich einer Basisverständigung möglich. Der Sprachwortschatz ist jedoch begrenzt. Die Antworten erfolgen zumeist nicht in vollen Sätzen (VS 7). Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

Der BF ist gesund. Er nimmt keine Medikamente (AS 84, VS 4).

II.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Festgestellt wird, dass der BF homosexuell ist. Festgestellt wird, dass er deshalb in Bangladesch misshandelt wurde. Festgestellt wird, dass sich der BF nicht an die Polizei hätte wenden können. Festgestellt wird, dass die Homosexualität des BF in seinem Herkunftsdorf offenkundig ist. Festgestellt wird, dass sich der BF aus wohlbegründeter Furcht, in seinem Herkunftsland verfolgt, verletzt oder getötet zu werden, außerhalb Bangladeschs befindet. Festgestellt wird, dass der BF in Österreich seine Homosexualität offen auslebt. Festgestellt wird, dass er dies auch im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch täte. Festgestellt wird, dass er im Falle eines offenen Auslebens seiner Homosexualität in Bangladesch verfolgt würde.

II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:

SOGI - Sexuelle Orientierung und Genderidentität:

Letzte Änderung: 13.11.2020

Homosexuelle Handlungen sind illegal und können nach § 377 des „Bangladesh Penal Code, 1860“ (BPC) mit lebenslangem Freiheitsentzug (ILGA 3.2019), mit einer Haftstrafe von bis zu zehn Jahren, inklusive der Möglichkeit einer Geldstrafe, bestraft werden (ILGA 3.2019; vgl. AA 21.6.2020). Traditionell tendiert die Bevölkerung zu einer gemäßigten Ausübung des Islam, die Sexualmoral ist allerdings konservativ (ÖB 9.2020). Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft (Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender und Intersex) berichteten, dass die Polizei das Gesetz als Vorwand benutzt, um LGBTI-Personen sowie feminine Männer, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, zu schikanieren (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 21.6.2020).

Homosexualität ist gesellschaftlich absolut verpönt und wird von den Betroffenen nicht offen gelebt. Wo Homosexuelle als solche erkannt werden, haben sie mit gesellschaftlicher Diskriminierung, in Einzelfällen auch mit Misshandlungen bis hin zum Mord zu rechnen (ÖB 9.2020; vgl. HRW 14.1.2020). Jedes Jahr wird über dutzende Angriffe auf Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft berichtet (FH 2020). Bei einem durch das Human Rights Forum Bangladesh (HRFB) eingereichten Bericht beim UN-Ausschuss gegen Folter vom 29.6.2019 wurden für den Zeitraum 2013 bis 2018 insgesamt 434 Beschwerden wegen schikanöser Behandlungen oder Misshandlungen angeführt. Davon betrafen 294 Fälle Angriffe gegen Angehörige sexueller Minderheiten (HRFB 22.6.2019).

Eine besondere Rolle kommt dem „dritten Geschlecht“ zu, den sogenannten „Hijras“, Eunuchen und Personen mit unterentwickelten oder missgebildeten Geschlechtsorganen. Diese Gruppe ist aufgrund einer langen Tradition auf dem indischen Subkontinent im Bewusstsein der Gesellschaft präsent und quasi etabliert. Dieser Umstand schützt sie jedoch nicht vor Übergriffen und massiver gesellschaftlicher Diskriminierung (AA 21.6.2020), auch wenn viele Hijras in klar definierten und organisierten Gemeinschaften leben, die sich seit Generationen erhalten haben. Obwohl sie eine anerkannte Rolle in der Gesellschaft Bangladeschs innehaben, bleiben sie trotzdem marginalisiert (DFAT 22.8.2019). Die Regierung verabsäumte es, den Schutz der Rechte von Hijras ordnungsgemäß durchzusetzen (HRW 14.1.2020).

LGBT-Organisationen, insbesondere für Lesben, sind selten (USDOS 11.3.2020). Es gibt keine NGO für sexuelle Orientierung und Geschlechteridentität in Bangladesch, dafür aber NGOs wie „Boys of Bangladesh“, die „Bhandu Social Welfare Society“ und Online-Gemeinschaften wie „Roopbaan“, das lesbische Netzwerk „Shambhab“ und „Vivid Rainbow“ (ILGA 3.2019).

2019 wurde erstmals eine Vertreterin der Hijras ins Parlament gewählt. Ein sog. drittes Geschlecht wird z.T. amtlich anerkannt (AA 21.6.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade (22.8.2019): DFAT Country Information Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2016264/country-information-report-bangladesh.pdf, Zugriff 13.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 9.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 9.11.2020

?        HRFB - Human Rights Forum Bangladesh (22.6.2019): veröffentlicht von CAT – UN Committee Against Torture: Stakeholders' Submission to the United Nations Committee against Torture, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014744/INT_CAT_CSS_BGD_35310_E.docx, Zugriff 11.11.2020

?        ILGA – International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (3.2019): State Sponsored Homophobia 2019 (Autor: Mendos, Lucas Ramon), https://www.ecoi.net/en/file/local/2004824/ILGA_State_Sponsored_Homophobia_2019.pdf, Zugriff 11.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 10.11.2020

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Hinsichtlich der Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des BF sowie zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und seiner Muttersprache wird den bereits im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen des BFA gefolgt, an denen sich im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht keine Zweifel ergeben haben, zumal diese Feststellungen, die auf den im Verfahren vor dem BFA getätigten eigenen Angaben des BF gründen (AS 15 ff., 84 ff.), im vorliegenden Beschwerdeschriftsatz auch nicht beanstandet wurden.

Die Identität des BF konnte – mangels Vorliegens geeigneter Identitätsnachweise – seitens des Bundesverwaltungsgerichts nicht festgestellt werden und der im Spruch angeführte Name und das angeführte Geburtsdatum des BF dienen lediglich zur Identifizierung des BF als Verfahrenspartei. Auch das BFA bediente sich der im Spruch angegeben Daten lediglich zur Zuordnung des BF im Administrativverfahren (vgl. AS 149) und dies wurde in der Beschwerde ebenso nicht moniert.

Die Feststellungen zur Herkunft des BF (geboren in XXXX , zuletzt gelebt in Dhaka, AS 15 ff., AS 84 ff.), seiner absolvierten Schulausbildung, seinem Familienstand und seinen in Bangladesch aufhältigen Familienangehörigen legte ebenso bereits das BFA dem angefochtenen Bescheid zu Grunde, diese decken sich mit dem vom BF im Verfahren mehrfach übereinstimmend getätigten Angaben (vgl. AS 15 ff., 86 f.) und wurden im Beschwerdeschriftsatz nicht bestritten.

Die im Dezember 2016 erfolgte illegale Einreise des BF ist aktenkundig. Dass der BF nicht in die Grundversorgung einbezogen ist und er strafrechtlich unbescholten ist, geht aus einer Einsichtnahme in die österreichischen amtlichen Register (Grundversorgungs-Informationssystem, Fremdeninformationssystem, Zentrales Melderegister, Strafregister) hervor.

Dass der BF in Österreich zum Verein XXXX geht, gab dieser vor der Behörde zu Protokoll (AS 86) und ein diesbezügliches Bestätigungsschreiben liegt im Akt (AS 81).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF gründen ebenso auf dessen eigenen Angaben vor dem BFA bzw. dem Bundesverwaltungsgericht (AS 84). Im Laufe des Verfahrens wurden auch keine ärztlichen Unterlagen vorgelegt, die gesundheitliche Beeinträchtigungen des BF nachweisen würden.

II.2.2. Das Bundesverwaltungsgericht schenkt dem Fluchtvorbringen des BF glauben. Der BF brachte gleichbleibend seit der Erstbefragung, vor, homosexuell zu sein. Auch von dem erhaltenen Drohbrief berichtete der BF durchgehend seit der Erstbefragung. Dass der BF in der Erstbefragung seine Homosexualität erst im Rahmen der Rückübersetzung angab, tut seiner persönlichen Glaubwürdigkeit keinen Abbruch, weil die höchstgerichtliche Judikatur – insbesondere bei behaupteter Homosexualität – dem Fluchtvorbringen in der Erstbefragung kaum Gewicht zumisst.

Der XXXX , der in der Beschwerdeverhandlung zeugenschaftlich befragt wurde, sagte unter Wahrheitspflicht aus, mit dem BF eine homosexuelle Beziehung zu pflegen. Auch gaben XXXX und der BF übereinstimmend an, sich im 24.02.2020 beim Integrationskurs kennengelernt zu haben. Der BF vermochte die Wohnadresse von XXXX zu beschreiben. Nahezu übereinstimmend gaben der BF und XXXX an, wie oft sie sich wöchentlich sähen (BF: „[d]rei- bis fünfmal“, VS 9, XXXX : „vier-, fünfmal“, VS 26). Dass der BF und der XXXX ein homosexuelles Paar sind, deckt sich schließlich mit dem persönlichen Eindruck, den das Bundesverwaltungsgericht in öffentlicher mündlicher Beschwerdeverhandlung gewinnen konnte.

II.2.3. Die allgemeine Lage im Herkunftsland des BF ergibt sich aus dem bereits vom BFA herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – das dem BF im Beschwerdeverfahren in der aktuellsten Fassung erneut zu Stellungnahme übermittelt wurde – und den darin angeführten Quellen. Darin wird eine Vielzahl von Berichten verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen zusammengefasst, die ein ausgewogenes Bild betreffend die allgemeine Situation in Bangladesch zeigen. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal der BF durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter in der Beschwerdeverhandlung zum Länderinformationsblatt überzeugend Stellung genommen und dargetan hat, dass Homosexualität in Bangladesch gesellschaftlich verpönt und das Setzen von homosexuellen Geschlechtshandlungen außerdem illegalisiert und mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahre bedroht ist. Es gibt keine ausreichenden Anlaufstellen für LGBT-Personen und es gibt zahlreiche Berichte von Gewalt und Misshandlungen bis zu Tötungen von schwulen Männern. Von einer Schutzfähigkeit und –willigkeit der bengalischen Behörden kann nicht gesprochen werden. Laut den SOGI-Richtlinien des UNHCR lässt bereits eine lllegalisierung homosexueller Handlungen auf das Fehlen einer solchen Bereitschaft schließen. Der BF hat in Bangladesch zu keinem Zeitpunkt seine sexuelle Orientierung frei und offen ausleben können. Er hatte zu jedem Zeitpunkt begründeterweise Angst vor Verfolgung, sowohl durch nicht staatliche Akteure als auch durch die Polizei selbst. Jedenfalls wurde er kein einziges Mal durch die Polizei in Schutz genommen oder ist ihm bekannt, dass jene Personen, die gegen ihn gewalttätig wurden, Probleme mit der Polizei bekommen haben. Die Höchstgerichte, als auch der EUGH, judizieren in ständiger Rechtsprechung, dass es einer Person nicht zugemutet werden darf, die eigene sexuelle Orientierung zu verstecken, bzw. nicht offen auszuleben. Das offene Ausleben der eigenen sexuellen Orientierung ist nicht auf das öffentliche Austauschen von Zärtlichkeiten beschränkt, zu denen es in einem streng muslimischen Land wie Bangladesch auch nicht oft kommen mag. Damit ist vielmehr gemeint, dass es einer Person möglich sein muss, die eigene sexuelle Orientierung nicht geheim halten zu müssen und eine allfällige gleichgeschlechtliche Beziehung verstecken zu müssen. Eben dazu war der BF in Bangladesch jedoch gezwungen. In Anbetracht der aktuellen Berichtslage und der durch den BF erlebten gewalttätigen Ausschreitungen gegen ihn war diese Furcht auch begründet und ist sie es auch für die Zukunft, im Falle einer Rückkehr. Abschließend ist festzuhalten, dass der VfGH bereits darauf hingewiesen hat, dass die bloße Tatsache, dass keine oder nur wenige Fälle strafgerichtlicher Verurteilungen von homosexuellen Personen nicht dazu führen darf, dass die von nicht staatlichen Akteuren ausgehende Bedrohungslage nicht relevant ist. Laut Berichten von ACCORD ist es durchaus bekannt, dass die Polizei in Bangladesch auch andere Straftatbestände dazu nützt, Männer, deren homosexuelle Orientierung bekanntgeworden ist, anzuhalten bzw. festzunehmen. Der BF lebe seine sexuelle Orientierung in Österreich erstmals offen und angstfrei aus. Er lebe in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung und sei in seinem befreundeten Umfeld weitgehend geoutet. Er sei auch Mitglied der XXXX und Teil der übersichtlichen LGBT-Community in Wien. Im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch könnte er sein Leben nicht so leben, wie er es hier tue. Nicht nur könne er nicht heiraten, ein Kind adoptieren oder angstfrei öffentlich Zärtlichkeiten austauschen (darin liegt nicht die Asylrelevanz), sondern er müsse so große Angst vor dem Bekanntwerden seiner sexuellen Orientierung haben, dass er diese entweder gar nicht oder auch im privaten Bereich nur geheim und versteckt leben könne. Andernfalls drohe ihm Verfolgung durch nicht staatliche Akteure und auch durch die staatlichen Behörden selbst. Damit sei der BF der Gefahr asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA. Somit ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

II.3.1. Zu A) I.:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates oder wegen Schutzes in einem EWR-Staat oder in der Schweiz zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Ausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) – deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – ist ein Flüchtling, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist somit die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.).

Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der „wohlbegründeten Furcht“ vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht gemäß § 3 AsylG 2005 setzt positiv getroffene Feststellungen von Seiten der Behörde und somit die Glaubhaftigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, 95/01/0627). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers die zentrale Entscheidungsgrundlage dar. Dabei genügen aber nicht bloße Behauptungen, sondern bedarf es, um eine Anerkennung als Flüchtling zu erwirken, hierfür einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch den Asylwerber (vgl. VwGH 04.11.1992, 92/01/0560).

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

So entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes bzw. Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens – niederschriftlichen Einvernahmen – unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen, oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, 95/20/0650; vgl. auch Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2004/83/EG – StatusRL, ABl. L Nr. 304, 12, sowie Putzer, Leitfaden Asylrecht2, [2011], Rz 31). Allgemein gehaltene Behauptungen reichen jedenfalls für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Grundsätzlich obliegt es dem Asylwerber, alles Zweckdienliche, insbesondere seine wahre Bedrohungssituation in dem seiner Auffassung nach auf ihn zutreffenden Herkunftsstaat, für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (Vgl. VwGH 31.05.2001, 2001/20/0041; VwGH 23.07.1999, 98/20/0464). Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 28 AsylG 1997 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. VwGH 14.12.2000, 2000/20/0494; VwGH 06.10.1999, 98/01/0311; VwGH 14.10.1998, 98/01/0222). Die Ermittlungspflicht der Behörde geht auch nicht soweit, den Asylwerber zu erfolgversprechenden Argumenten und Vorbringen anzuleiten (vgl. VwGH 21.09.2000, 98/20/0361; VwGH 04.05.2000, 99/20/0599).

Wie der Beweiswürdigung zu entnehmen ist, ist es dem BF mit seinem Vorbringen gelungen, eine in seinem Herkunftsstaat bestehende konkrete Bedrohungssituation aus homosexuellen Gründen für seine Person glaubhaft zu machen.

Auch wenn dem Vorbringen des BF die Glaubhaftigkeit zugesprochen wurde, ist der Vollständigkeit halber – wie oben bereits ausgeführt – dennoch darauf hinzuweisen, dass auf Grundlage der getroffenen Länderfeststellungen – auch wenn das rechtsstaatliche System Bangladeschs nicht mitteleuropäischen Standards entspricht – in Bangladesch nicht von einer generellen Schutzunfähigkeit des Staates oder einer flächendeckenden Inhaftierung oder Benachteiligung von Personen, die homosexuelle Neigungen entwickeln, auszugehen ist. Auch die Übergriffe von einzelnen radikalen Gruppierungen werden, sehr bewusst vom Staat entgegengetreten, weil dieser auch kein Interesse an radikal-islamistischen Strömungen hat.

Darüber hinaus stellen Übergriffe von Sympathisanten einer strengen, islambezogenen Ausrichtung bzw. gesellschaftspolitischen Gruppierungen im Hinblick auf die zitierte Judikatur keine staatliche Verfolgung oder eine in Bangladesch staatlich geduldete bzw. nicht mit Sanktionen verbundene Vorgangsweise dar (vgl. dazu erneut die seitens des BF nicht ausreichend bestrittenen Länderfeststellungen).

Da aber im Falle des BF außergewöhnliche Umstände vorliegen, wonach es ausreichend wahrscheinlich wäre, dass der BF in seiner Heimat in asylrelevanter Weise bedroht wäre, der BF insbesondere bereits stattgefundene Verfolgungshandlugen in der Vergangenheit glaubhaft machen konnte und er in Österreich seine Homosexualität offen auslebt, was er in Bangladesch im Falle einer Rückkehr ebenfalls würde und weshalb Verfolgungshandlungen gegen seine Person im Falle einer Rückkehr wahrscheinlich wären, liegt ein besonderer Fall vor, in dem dem BF der Satus eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

Zwar ist nicht von vornherein davon auszugehen, dass eine Gruppenverfolgung homosexueller Personen in Bangladesch erfolgt. Diese Einschätzung erfolgt auch in Hinblick auf die im aktuellsten Länderbericht dargestellte Situation. Es wird dabei nicht übersehen, dass die Lage von homosexuellen Männern in Bangladesch, mit einer überwiegend moslemischen Bevölkerung, nicht vergleichbar ist mit der Situation von homosexuellen Männern in Österreich. Die Einvernahme des BF hat allerdings hervorgebracht, dass der BF seine Homosexualität offen auslebt, unabhängig von Strafverfolgung oder gesellschaftlicher Ächtung. Letztlich ist davon auszugehen, dass der BF deshalb in Bangladesch aus Gründen der sexuellen Orientierung verfolgt würde.

Daher sind die anderen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides ebenfalls zu beheben.

II.3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides ausführlich wiedergegeben.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung befristete Aufenthaltsberechtigung Homosexualität sexuelle Orientierung soziale Gruppe wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W195.2175636.1.00

Im RIS seit

28.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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