Entscheidungsdatum
09.04.2021Norm
BFA-VG §21 Abs7Spruch
I403 2239999-2/9E
I403 2240000-2/9E
I403 2240001-2/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , seiner Ehefrau XXXX und des gemeinsamen Sohnes XXXX , alle Staatsangehörige der Bundesrepublik Deutschland und vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Roland GRILC, Mag. Rudolf VOUK, Dr. Maria SKOF, MMag. Maja RANC und Mag. Sara GRILC, Karfreitagstraße 14/III, 9020 XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2021, Zl. XXXX , XXXX und XXXX zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und die angefochtenen Bescheide werden behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um XXXX (Erstbeschwerdeführer) seine Ehefrau XXXX (Zweitbeschwerdeführerin) und den gemeinsamen Sohn XXXX (Drittbeschwerdeführer).
Die Familie zog am 28.02.2020 von der Bundesrepublik Deutschland nach Österreich. Am 12.03.2020 wurde allen drei Beschwerdeführern eine Anmeldebescheinigung ausgestellt.
Die Zweitbeschwerdeführerin stellte am 09.09.2020 für ihren Sohn beim Marktgemeindeamt XXXX einen „Antrag auf berufliche Eingliederung“ in der „Heimstätte XXXX “. Voraussetzung für die Aufnahme ist die Gewährung einer Leistung nach dem Kärntner Chancengleichheitsgesetz.
Die Bezirkshauptmannschaft XXXX ersuchte die belangte Behörde, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, am 19.10.2020 um die Prüfung aufenthaltsbeendender Maßnahmen.
Mit „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ vom 11.12.2020 teilte die belangte Behörde den Beschwerdeführern mit, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen geprüft würden, da der Antrag auf berufliche Eingliederung als Antrag auf eine Sozialleistung zu sehen sei und somit die Voraussetzungen des § 51 Abs 1 Z 2 NAG nicht gegeben seien, da der Rückschluss zulässig sei, dass die Familie nicht (mehr) über ausreichende Existenzmittel verfüge. Die Existenz ausreichender finanzieller Mittel sei innerhalb von 4 Wochen nachzuweisen.
Am 16.12.2020 langte beim BFA eine schriftliche Stellungnahme der Beschwerdeführer ein, in welcher auf die zur Verfügung stehenden Existenzmittel verwiesen wurde.
Mit den gegenständlich angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde vom 05.02.2021 wurden die Beschwerdeführer gemäß „§ 66 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF iVm § 55 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (NAG) idgF“ aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß „§ 70 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz“ wurde ihnen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der weitere Aufenthalt der Beschwerdeführer „aufgrund des Grades der irreversiblen Behinderung“ des Drittbeschwerdeführers „eine erhebliche und dauerhafte finanzielle Belastung für das österreichische Sozialsystem“ darstellen würde. Die Betreuung des Drittbeschwerdeführers in der Einrichtung XXXX würde zu jährlichen Sozialleistungen zwischen 21.000 und 70.000 Euro führen. Das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht sei aufgrund der Annahme, es würden ausreichende finanzielle Existenzmittel vorliegen, sodass der Aufenthalt der gesamten Familie ohne Zuhilfenahme von Sozialleistungen finanziert werden könne, bescheinigt worden. Die finanziellen Mittel der Familie würden aber nicht ausreichen, um die benötigte Betreuung des Sohnes aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Mit dem Antrag der Zweitbeschwerdeführerin auf Leistungen nach dem Kärntner-Chancengleichheitsgesetz sei aufgezeigt worden, dass nicht ausreichend Existenzmittel für die Familie zur Verfügung stehen würden. Die der Familie zur Verfügung stehenden Existenzmittel würden „nicht annähernd ausreichen“, um die Betreuung des Sohnes in Österreich zu finanzieren, ohne Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen.
Mit Schriftsatz vom 23.02.2021 wurde gegen die Bescheide Beschwerde eingelegt und erklärt, dass es der Familie nach ihrer Übersiedelung nach Österreich möglich gewesen sei, ohne Inanspruchnahme anderer Mittel für den Unterhalt aufzukommen. Man sei sich bewusst gewesen, dass es nicht möglich sei, für den Drittbeschwerdeführer die (österreichische) Mindestsicherung bzw. die (deutsche) Grundsicherung zu beantragen. Die Familie habe sich um eine berufliche Eingliederung für den Drittbeschwerdeführer bemüht, allerdings sei sie nicht darüber informiert worden, dass es sich bei dem Antrag auf Leistungen gemäß dem Kärntner Chancengleichheitsgesetz um Sozialhilfeleistungen handle, deren Bezug ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht verhindere; anderenfalls hätte man den Antrag, der inzwischen zurückgezogen worden sei, gar nicht gestellt. Die Behörden hätten es unterlassen, die Beschwerdeführer, denen in Deutschland die Obdachlosigkeit drohe, auf den möglichen Verlust ihrer Aufenthaltsberechtigung hinzuweisen. Die Beschwerdeführer würden zur Kenntnis nehmen, dass es derzeit nicht möglich sei, dem Drittbeschwerdeführer eine betreute Beschäftigung zu ermöglichen. Die Ausweisung verletze die Beschwerdeführer, die immer schon ihre Pension in Österreich verbringen wollten, in ihrem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK und die Zweitbeschwerdeführerin, in deren Eigentum das Wohnhaus stehe, in ihrem Recht auf Schutz des Eigentums. Das Vorgehen der Behörde stelle zudem eine Diskriminierung des Drittbeschwerdeführers als Person mit besonderen Bedürfnissen dar.
Die Beschwerde wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 08.03.2021 vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.
Die Beschwerdeführer sind deutsche Staatsbürger; seit 28.02.2020 befinden sie sich im Bundesgebiet.
Das Haus, in dem die Familie lebt, wurde 1967 vom Großvater der Zweitbeschwerdeführerin erbaut; seit 2002 steht es im Eigentum der Zweitbeschwerdeführerin und wurde es von der Familie als Zweitwohnsitz genützt. Seit 03.03.2020 ist es der Hauptwohnsitz der Familie. Die Betriebskosten betragen 401,73 Euro monatlich. Daneben fällt eine jährliche Grundsteuer von etwa 200 Euro an.
Der Erstbeschwerdeführer befindet sich seit 15.01.2019 in „Frührente“, die Zweitbeschwerdeführerin war bis 17.09.2019 in Deutschland als Küchenhilfe tätig und ist seither ohne Beschäftigung. Der Drittbeschwerdeführer war nach dem Besuch einer Förderschule von August 2018 bis Februar 2019 bei der Lebenshilfe XXXX tätig.
Der Erstbeschwerdeführer erhält monatlich 500 Euro Berufsunfähigkeitsrente einer privaten Versicherung und 1.153,65 Euro Rente der Deutschen Rentenversicherung, insgesamt somit 1.653,65 Euro. Zudem wurden ihm von der privaten Versicherung 11.585,85 Euro ausgezahlt. Aufgrund dieser Nachweise und dem Nachweis eines umfassenden Versicherungsschutzes wurden den Beschwerdeführern am 12.03.2020 von der Bezirkshauptmannschaft XXXX - XXXX Anmeldebescheinigungen ausgestellt.
Der Drittbeschwerdeführer leidet an einer Intelligenzminderung mit Verhaltensbesonderheiten, an Valproat-Embryopathie, an Epilepsie, an einer Enzwicklungsstörung von Sprache und Motorik und musste er als Kleinkind wegen eines Vorhofseptumdefekts am Herzen operiert werden. Er ist nicht in der Lage, einen eigenen freien Willen zu bilden und eigene Entscheidungen zu treffen. Die Behinderung wird langfristig bestehen. Seine Eltern wurden am 07.06.2017 zu Betreuern (vergleichbar der österreichischen Einrichtung des Erwachsenenvertreters) für die folgenden Aufgabenkreise bestellt: Sorge für die Gesundheit, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Vertretung gegenüber der Einrichtung, Regelung behördlicher und sozialrechtlicher Angelegenheiten.
Für den Drittbeschwerdeführer fallen monatliche Kosten von rund 150 bis 250 Euro an, etwa für Nahrung, Kleidung und Hygiene. Er erhält monatlich 545 Euro Pflegegeld von einer deutschen Versicherung.
Für den Drittbeschwerdeführer wird der Zweitbeschwerdeführerin eine Ausgleichszahlung auf Basis des § 4 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 in Verbindung mit der Verordnung 883/2004 und der Durchführungsverordnung 987/2009 als Differenz der österreichischen Familienbeihilfe zur ausländischen Familienleistung in Höhe von 175 Euro monatlich vom österreichischen Finanzamt bezahlt. Zudem wurde ein noch nicht abschließend bearbeiteter Antrag auf Kindergeld (vergleichbar der österreichischen Familieneihilfe) in Deutschland gestellt.
Die Beschwerdeführer sind bei der Österreichischen Gesundheitskasse krankenversichert.
Die Beschwerdeführer sind strafgerichtlich unbescholten.
Die „Heimstätte XXXX “ ist eine sozialpädagogische Berufsanlehre-, Bildungs- und Werkgemeinschaft. Der gemeinnützige Trägerverein ist seit 1961 Partner der Kärntner Landesregierung. Aufgenommen werden Jugendliche, die zur beruflichen Eingliederung einer dreijährigen Unterstützung bedürfen. Angeboten wird eine berufliche Ausbildung und bei Bedarf auch betreutes Wohnen. Die Voraussetzung ist ein Bescheid der Sozialabteilung der Landesregierung des Wohnsitzbundeslandes. Eine niederschwellige Betreuung am XXXX kostet 58,72 Euro pro Tag, die maximalen Kosten betragen 195,07 Euro pro Tag.
Der Drittbeschwerdeführer stellte (im Wege seiner Mutter als Betreuerin) am 09.09.2020 einen Antrag nach dem Kärntner Chancengleichheitsgesetz. Dies ist Voraussetzung, um – nach Maßgabe der freien Plätze – eine Aufnahme in der Heimstätte XXXX zu bekommen. Der Antrag wurde inzwischen zurückgezogen.
2. Beweiswürdigung:
Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Dass das Haus, in dem die Beschwerdeführer leben, im Eigentum der Zweitbeschwerdeführerin ist, ergibt sich aus der Stellungnahme vom 16.12.2020 und dem der Beschwerde beigelegten Grundbuchsauszug. Dass es seit 2002 als Zweitwohnsitz genützt wird, wird auch durch das Zentrale Melderegister gestützt, wonach die Beschwerdeführer von 02.07.2002 bis 08.07.2002 sowie von 02.06.2003 bis 10.06.2003 im nunmehrigen Haus der Familie in Kärnten mit einem Nebenwohnsitz gemeldet waren. Die Höhe der Betriebskosten sowie der Grundsteuer ergibt sich aus einer Stellungnahme vom 30.03.2021.
Die Ausstellung der Anmeldebescheinigungen ergibt sich aus den im Akt einliegenden Kopien der Bescheinigungen (AS 47-49) und einem Schreiben der BH XXXX - XXXX vom 23.12.2020, wonach die nachgewiesenen Existenzmittel der Familie bei der Antragstellung für ausreichend befunden wurden.
Der Erhalt der Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 500 Euro monatlich sowie die einmalige Zahlung ergibt sich aus der Stellungnahme vom 16.12.2020 und dem Schreiben der VGH-Versicherungen vom 24.03.2020. Der Erhalt der Rente ergibt sich aus der Stellungnahme vom 16.12.2020 und dem Schreiben der Deutschen Rentenversicherung.
Die Behinderung des Drittbeschwerdeführers ergibt sich aus dem am 01.04.2010 ausgestellten „Schwerbehindertenausweis“ und einem Sachverständigengutachten vom 25.04.2017 und einem sozialmedizinischen Befund von Dezember 2020. Die Bestellung seiner Eltern als Betreuer (nach deutschem Recht) für ihren Sohn ergibt sich aus dem Beschluss des Amtsgerichtes Stolzenau zu GZ. 6 XVII 8771 vom 07.06.2017.
Die monatlichen Kosten des Drittbeschwerdeführers ergeben sich aus einer Stellungnahme vom 30.03.2021, der Erhalt des Pflegegeldes aus einem Schreiben der deutschen AOK-Gesundheitskasse vom 14.05.2020, aus der Stellungnahme vom 16.12.2020 und jener vom 30.03.2021. Der Bezug der Ausgleichszahlung ergibt sich aus einem Schreiben des Finanzamts XXXX vom 13.08.2020, die Höhe aus der Stellungnahme vom 16.12.2020.
Die Versicherung bei der Österreichischen Gesundheitskasse ergibt sich aus einem Auszug des AJ-WEB des Dachverbands der österreichischen Sozialversicherungen.
Die Informationen zum „ XXXX “ wurden von der Homepage der Einrichtung (abrufbar unter XXXX ; Zugriff am 05.04.2021) übernommen. Die Kosten für die Betreuung wurden einem Schreiben der Bezirkshauptmannschaft XXXX - XXXX vom 22.12.2020, gerichtet an die belangte Behörde, entnommen. Dass der Antrag zurückgezogen wurde, ergibt sich aus einem der Beschwerde beigelegten Schreiben der Beschwerdeführer an ihre Rechtsvertretung vom 19.02.2021. Laut Stellungnahme der Rechtsvertretung vom 30.03.2021 wurde das Schreiben an die zuständige Behörde weitergeleitet. Dies wurde seitens der Bezirkshauptmannschaft XXXX - XXXX auf entsprechende Nachfrage der erkennenden Richterin auch per Email bestätigt.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Rechtsgrundlagen der Ausweisung:
§ 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF BGBl. I Nr. 27/2020 regelt die Ausweisung:
„(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“
§ 55 Abs. 3 NAG lautet:
„(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.“
§ 2 Abs. 1 Z 9 NAG lautet:
„9. Familienangehöriger: wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner; Ehegatten und eingetragene Partner müssen das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben; lebt im Fall einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet, so sind die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels;“
Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" überschriebene § 51 NAG lautet:
„(1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.
(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er
1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;
2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;
3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder
4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.
(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“
Art. 2 ("Begriffsbestimmungen") Z 2 lit. d der Richtlinie 2004/38 („Freizügigkeitsrichtlinie“) lautet:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
[…]
2. „Familienangehöriger“
[…]
d) die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), denen von diesen Unterhalt gewährt wird;
[…]“
Art. 7 ("Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate") Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 („Freizügigkeitsrichtlinie“) lautet:
„(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er
a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder
b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder
c) bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und
- über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder
d) ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstaben a, b oder c erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.“
Gemäß § 70 Abs. 1 FPG werden die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen.
Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.
3.2. Zum unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführer gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 NAG:
§ 51 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) regelt in Umsetzung der Richtlinie 2004/38 Fälle der Freizügigkeit von Bürgern aus anderen EWR-Staaten, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen und sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten. Dieses Recht auf Freizügigkeit und somit auf Aufenthalt über drei Monate ist nach § 51 Abs. 1 Z 1 NAG gegeben, wenn der Betroffene in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständiger ist. Weder der Erstbeschwerdeführer noch die Zweitbeschwerdeführerin gehen in Österreich einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit nach.
Es stellt sich die Frage, ob der Drittbeschwerdeführer, der um einen der 36 Arbeitsplätze bei der „Heimstätte XXXX “ angesucht hatte, damit einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgehen wollte, wodurch er auf Grundlage des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG zum Aufenthalt in Österreich berechtigt wäre. Geboten wird am XXXX eine dreijährige Berufsintegration für Jugendliche und Erwachsene mit besonderem Förderbedarf. Auch wenn der Begriff des Arbeitnehmers weit auszulegen ist und etwa jemand, der im Rahmen einer Berufsausbildung ein Praktikum ableistet, unionsrechtlich als Arbeitnehmer anzusehen ist, wenn das Praktikum unter den Bedingungen einer tatsächlichen und echten Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis durchgeführt wird (vgl. EuGH 21.02.2013, C-46/12), so kann es aber nicht als eine Vergütung angesehen werden, wenn eine Person im Rahmen einer geförderten Maßnahme zur Erhaltung, Wiederherstellung oder Förderung der Arbeitsfähigkeit eingesetzt wird. Die im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ausgeübten Tätigkeiten wurden vom EuGH nicht als tatsächliche und echte wirtschaftliche Leistungen angesehen, sondern als Mittel der Rehabilitation oder Wiedereingliederung (EuGH 31.05.1989, C-344/87). Auch beim XXXX überwiegt der Integrations- und Förderaspekt und stellt sich die Teilnahme an der geförderten Maßnahme nicht als Berufsausbildung unter den Bedingungen einer tatsächlichen Tätigkeit im Entgeltverhältnis dar (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall VGH München, Beschluss vom 16.10.2017 – 19 C 16.1719). Somit geht auch der Drittbeschwerdeführer in Österreich keiner selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit nach und befindet sich auch nicht auf Arbeitssuche.
Ein unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 NAG ist im Falle der Beschwerdeführer daher nicht gegeben.
3.3. Zum unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführer gemäß § 51 Abs. 1 Z 2 NAG:
In weiterer Folge ist gegenständlich zu prüfen, ob die Beschwerdeführer den Tatbestand des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG erfüllen. Im Rahmen dieser Prüfung ist zu beurteilen, ob sie über ausreichende Existenzmittel für sich und ihre Familienangehörigen sowie über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, sodass sie während ihres Aufenthaltes weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen.
Den Beschwerdeführern wurden am 12.03.2020 Anmeldebescheinigungen gemäß § 51 Abs. 1 Z 2 NAG ausgestellt, da sie zu diesem Zeitpunkt über eine umfassende Krankenversicherung verfügten und nachweisen konnten, dass sie über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes verfügten.
Am 09.09.2020 stellte die Zweitbeschwerdeführerin einen Antrag auf berufliche Eingliederung am XXXX für den Drittbeschwerdeführer. Dabei handelt es sich um einen Antrag auf Leistungen nach dem Kärntner Chancengleichheitsgesetz. Die belangte Behörde folgerte daraus, dass ein Antrag auf eine Sozialleistung gestellt worden sei, sich die finanzielle Lage der Familie geändert habe und sie nunmehr nicht mehr in Besitz ausreichender Existenzmittel sei.
3.3.1. Zum unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 51 Abs. 1 Z 2 NAG:
Dazu ist zunächst festzuhalten, dass sich durch die Antragstellung jedenfalls nichts an der finanziellen Situation des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin geändert haben kann, da alleine der Drittbeschwerdeführer Antragsteller ist (vgl. dazu auch das Schreiben der Bezirkshauptmannschaft XXXX - XXXX vom 04.01.2021).
Wie den seitens des Erstbeschwerdeführers im Verfahren in Vorlage gebrachten Unterlagen entnommen werden kann, bezieht er eine monatliche (deutsche) Rente in der Höhe von etwa 1.150 Euro und zusätzlich über eine private Berufsunfähigkeitsrente von monatlich 500 Euro. Zudem verfügt er über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz. Auch hat er im Bundesgebiet weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage bezogen.
Bei der Beurteilung, ob ein Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt, um ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie - in Österreich umgesetzt durch § 51 Abs. 1 Z 2 NAG - in Anspruch nehmen zu können, ist eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation jedes Betroffenen vorzunehmen (vgl. EuGH 11.11.2014, Dano, C-333/13; EuGH 19.09.2013, Brey, C-140/12; überdies VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0047). Nach Art. 8 Abs. 4 der Freizügigkeitsrichtlinie dürfen die Mitgliedstaaten keinen festen Betrag für die Existenzmittel festlegen, die sie als ausreichend betrachten, sondern ist die persönliche Situation des Betroffenen zu berücksichtigen. Die Mitgliedstaaten können zwar einen bestimmten Betrag als Richtbetrag angeben, sie können aber nicht ein Mindesteinkommen vorgeben, unterhalb dessen ohne eine konkrete Prüfung der Situation des einzelnen Betroffenen angenommen würde, dass er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt (vgl. EuGH 19.9.2013, Brey, C-140/12). Es bedarf also bei der Frage, ob ausreichende Existenzmittel zur Verfügung stehen, einer konkreten Einzelfallbeurteilung (vgl. VwGH 15.03.2018, Ra 2017/21/0222; 10.4.2014, 2013/22/0034).
Hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers wäre jedenfalls vom Vorhandensein ausreichender Existenzmittel auszugehen, doch spricht § 51 Abs. 1 Z 2 NAG von ausreichenden Existenzmitteln für „sich und seine Familienangehörigen“. Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG gilt „im Sinne dieses Bundesgesetzes“ als „Familienangehöriger“, wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner.
Es müssen daher jedenfalls ausreichend Mittel für den Erstbeschwerdeführer und seine Ehefrau, die Zweitbeschwerdeführerin, gegeben sein.
Die Zweitbeschwerdeführerin erhält 175 Euro monatlich als Ausgleichzahlung im Sinne des § 4 Familienlastenausgleichsgesetzes. Der Vollständigkeit halber ist aber darauf zu verweisen, dass diese Ausgleichszahlung keine Sozialhilfeleistung im Sinne des Unionsrechts darstellt. Gemäß § 4 Abs. 6 Familienlastenausgleichsgesetz gilt sie als Familienbeihilfe. Die Familienbeihilfe wiederum ist eine Familienleistung im Sinn des Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 (vgl. etwa das die österreichische Familienbeihilfe betreffende Urteil des EuGH vom 26. November 2009 in der Rs. C-363/08, Romana Slanina). Die österreichische Familienbeihilfe stellt eine Transferleistung dar, welche die von der Verfassung geforderte steuerliche Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen für den Regelfall verwirklicht. Sie soll die im Vergleich zu einer nicht unterhaltspflichtigen Person verminderte Leistungsfähigkeit durch entsprechende Verminderung der Steuerlast berücksichtigen, wobei dem Gesetzgeber der rechtspolitische Spielraum eingeräumt ist, dies nicht durch eine unmittelbare Berücksichtigung bei der Einkommensteuerfestsetzung durch einen Absetz- oder Freibetrag umzusetzen, sondern eben durch direkt ausgezahlte Transferleistungen wie die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag (vgl. insbesondere das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. November 2000, B 1340/00, VfSlg 16.026). Bei diesem Charakter der Familienbeihilfe kann aber nicht davon gesprochen werden, dass die Familienbeihilfe eine Sozialhilfe auch im unionsrechtlichen Sinn darstellt (VwGH 29.09.2011, 2011/16/0065). Zugleich ist die Ausgleichszahlung bei der Einkommensberechnung nicht zu berücksichtigen, da ein Rechtsanspruch auf diese Leistung der öffentlichen Hand erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entsteht.
Die Zweitbeschwerdeführerin stellt der Familie die Unterkunft in ihrem Eigentumshaus zur Verfügung. Nachdem daher (abgesehen von den Betriebskosten und der Grundsteuer) keine Kosten für den Wohnraum anfallen, sind die Einkünfte des Erstbeschwerdeführers von 1.650 Euro monatlich als ausreichend für das Ehepaar anzusehen. Entsprechend war ihnen auch eine Anmeldebescheinigung ausgestellt worden. Eine den Erstbeschwerdeführer und seine Ehefrau, die Zweitbeschwerdeführerin, betreffende Änderung der finanziellen Situation wurde auch von der belangten Behörde nicht behauptet.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob der Erstbeschwerdeführer auch für seinen Sohn ausreichende Existenzmittel nachweisen muss, um die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG zu erfüllen, ob der Drittbeschwerdeführer also unter den im § 51 Abs. 1 Z 2 NAG verwendeten Begriff des „Familienangehörigen“ fällt.
Im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) findet sich eine Definition des Begriffs des „Familienangehörigen“ in § 2 Abs. 1 Z 9 NAG. Danach ist ein Familienangehöriger „wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie); (…)“
Der Drittbeschwerdeführer wurde am XXXX .1999 geboren und ist daher zum aktuellen Zeitpunkt 20 Jahre alt. Die Volljährigkeit ist bereits eingetreten, er ist nicht mehr minderjährig. Damit fällt der Drittbeschwerdeführer aber nicht mehr in die Definition als „Familienangehöriger“ im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG. Daher ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer auch nicht als „Familienangehöriger“ im Sinne des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG anzusehen ist und seine Eltern daher nicht, um selbst in den Genuss des Aufenthaltsrechts nach der betreffenden Bestimmung zu kommen, auch für ihn ausreichende Existenzmittel vorweisen müssen.
Die belangte Behörde ging dagegen davon aus, dass die Beschwerdeführer als „Familienverband“ zu betrachten seien und daher die Eltern für ihren Sohn ausreichend Existenzmittel vorzuweisen hätten. Die Behörde scheint sich dabei auf die fehlende Eigenständigkeit des Drittbeschwerdeführers zu stützen. Allerdings fallen nach der Rechtsprechung des OGH 23.05.2018, Zl. 10ObS51/18z nicht selbsterhaltungsfähige volljährige Kinder nicht unter die Definition des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG.
Nachdem der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hatte, dass in bestimmten Konstellationen auch im Anwendungsbereich des NAG der Begriff des "Familienangehörigen" von der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG „abzukoppeln“ ist (VwGH, 04.08.2016, Ra 2016/18/0123 bzw. 11.02.2016, Ra 2015/22/0145), war aber noch zu prüfen, ob hinsichtlich des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG ebenfalls davon auszugehen ist, dass die Legaldefinition des „Familienangehörigen“ nicht anzuwenden ist. Der Verwaltungsgerichtshof hatte dies allerdings nur hinsichtlich des § 46 Abs. 4 NAG 2005 festgestellt und mit einer ansonsten vorliegenden Verletzung des Art. 8 EMRK begründet (vgl. VwGH, 13. November 2012, Zl. 2011/22/0074). Eine analoge Herangehensweise für den § 51 Abs. 1 Z 2 NAG verbietet sich allerdings, weil nicht erkenntlich nicht ist, inwieweit durch die Verwendung der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 9 leg. cit. für § 51 Abs. 1 Z 2 leg. cit. eine Verletzung der in der EMRK geschützten Rechte erfolgen könnte. Daher geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass die Definition des Familienangehörigen in § 2 Abs. 1 Z 9 NAG für den in § 51 Abs. 1 Z 2 NAG verwendeten Begriff heranzuziehen ist.
Das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz kennt im Übrigen neben dem Begriff des „Familienangehörigen“ auch jenen des „Angehörigen“, der einen weiteren Kreis von Verwandten abdeckt (vgl. etwa § 47 Abs 3 NAG und § 52 NAG; OGH, 23.05.2018, Zl. 10ObS51/18z). Auch dies spricht dafür, dass für § 51 Abs. 1 Z 2 NAG bewusst die Verwendung des Begriffs des Familienangehörigen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG gewählt wurde.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt allerdings nicht, dass die österreichische Regelung des § 51 Abs 1 Z 2 NAG damit von Art. 7 der Richtlinie 2004/38 (den § 51 Abs. 1 Z 2 NAG umsetzen soll) abweicht. Laut Art 2 Abs 2 lit c der Richtlinie 2004/38 versteht man unter „Familienangehörigen“ nämlich auch „die Verwandten in gerader absteigender Linie (…), die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird;“. Damit ist der im NAG verwendete Begriff des „Familienangehörigen“ enger als jener in der Richtlinie 2004/38.
Eine direkte Anwendung der Richtlinie 2004/38 ist gegenständlich aber nicht geboten, da eine gegenüber § 2 Abs. 1 Z 9 NAG erweiterte Definition des „Familienangehörigen“ in § 51 Abs 1 Z 2 NAG (hinsichtlich Kindern unter 21 bzw. Kindern über 21, denen von den Eltern Unterhalt gewährt wird) für den Unionsbürger, der von seiner Freizügigkeit Gebrauch machen will, eine Schlechterstellung bedeuten würde, müsste er doch für einen weiteren Personenkreis ausreichend Existenzmittel nachweisen können. Die Berufung auf eine unmittelbare Anwendung einer Richtlinie, deren vollständige Umsetzung in innerstaatliches Recht unterblieben ist bzw. die fehlerhaft umgesetzt wurde, nur zu Lasten eines Einzelnen oder zur Vorenthaltung von Rechten eines Einzelnen kommt nicht in Frage. Gegenüber einem Einzelnen können sich staatliche Einrichtungen in einer solchen Konstellation somit nicht auf eine Richtlinie berufen (VwGH, 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).
Auch wenn dadurch, dass in § 51 Abs 1 Z 2 NAG durch die Verwendung des im NAG enger als in der Richtlinie 2004/38 definierten Begriffs der „Familienangehörigen“ somit eine fehlerhafte Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie erfolgt sein mag, kann dies nicht durch unionskonforme Auslegung (gegen den Wortlaut) oder unmittelbare Anwendung der Richtlinie „korrigiert“ werden. Daher ist der Drittbeschwerdeführer aufgrund seiner Volljährigkeit nicht als „Familienangehöriger“ anzusehen, für den der Erstbeschwerdeführer gemäß § 51 Abs. 1 Z 2 NAG ausreichend Existenzmittel nachweisen müsste.
Soweit in den angefochtenen Bescheiden die Rede davon ist, dass die Zweitbeschwerdeführerin einen Antrag nach dem Kärntner Chancengleichheitsgesetz gestellt habe und „daran festhalte“, ist dem entgegenzuhalten, dass der Antragsteller der Drittbeschwerdeführer ist und die Zweitbeschwerdeführerin als seine Betreuerin den Antrag für ihn gestellt hat und dass der Antrag zudem inzwischen zurückgezogen wurde. Die Zweitbeschwerdeführerin selbst hat daher jedenfalls keinen Antrag auf Gewährung einer Sozialhilfeleistung gestellt.
Dies führt zu dem Ergebnis, dass dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin aufgrund des Nachweises ausreichender Existenzmittel und dem Vorliegen eines Krankenversicherungsschutzes ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht für das Bundesgebiet zukommt.
3.3.2. Zum unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht des Drittbeschwerdeführers gemäß § 51 Abs. 1 Z 2 NAG:
Da der Drittbeschwerdeführer in Österreich keiner selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgeht bzw. auch keine begründete Aussicht auf eine entsprechende Arbeitsstelle hat, ist gegenständlich auch bei ihm zu prüfen, ob er den Tatbestand des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG erfüllt. Im Rahmen dieser Prüfung ist zu beurteilen, ob er über ausreichende Existenzmittel für sich sowie über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt, sodass er während seines Aufenthaltes keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen muss.
Dass vom Drittbeschwerdeführer ein Antrag nach dem Kärntner Chancengleichheitsgesetz gestellt wurde, steht vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union dem Bestand eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts noch nicht zwingend entgegen. Demnach ist nämlich bei der Beurteilung, ob ein Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt, um ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie - in Österreich umgesetzt durch § 51 Abs. 1 Z 2 NAG - in Anspruch nehmen zu können, eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation jedes Betroffenen vorzunehmen, ohne die beantragten Sozialleistungen zu berücksichtigen, was notwendig impliziert, dass die Beantragung von Sozialleistungen und allenfalls ein Bezug derselben nicht schon per se bedeutet, dass keine ausreichenden Existenzmittel vorliegen (VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0132, Rn. 10, mit Verweis auf EuGH 11.11.2014, Dano, C-333/13, Rn. 80, und EuGH 19.9.2013, Brey, C-140/12, Rn. 63 ff).
Es stellt sich daher die Frage, ob der Drittbeschwerdeführer über ausreichende Existenzmittel verfügt – dass er bei der Österreichischen Gesundheitskassa versichert ist und somit über einen umfassenden Versicherungsschutz verfügt, steht unbestritten fest.
Der Drittbeschwerdeführer erhält monatlich 545 Euro Pflegegeld von einer deutschen Versicherung (aufgrund der Leistung aus der Bundesrepublik Deutschland erübrigt sich diesbezüglich von vornherein eine Prüfung, ob es sich um eine Sozialhilfeleistung handelt). Wenn er allerdings, wie ursprünglich von ihm beantragt, eine teilstationäre Leistung nach dem Kärntner Chancengleichheitsgesetz in Anspruch nehmen würde, würden gemäß § 6 Abs. 5 Kärntner Chancengleichheitsgesetz 25% des Pflegegeldes einbehalten werden. Ihm würden dann nur mehr rund 408 Euro monatlich zur Verfügung stehen. Es stellt sich die Frage, ob dies als ausreichend erachtet werden kann. Ihm steht eine kostenlose Unterkunft zur Verfügung und es fallen monatliche Kosten von rund 150 bis 250 Euro an, etwa für Nahrung, Kleidung und Hygiene. Damit würde er mit seinem Einkommen aus dem Pflegegeld das Auslangen finden. Den Erkenntnissen des VwGH vom 23. April 1998, 97/19/1075, und vom 28. Oktober 1998, 96/19/0918, ist zu entnehmen, dass die Hinzurechnung des Pflegegeldes zum verfügbaren Einkommen nicht von vornherein als unzulässig angesehen wird. Wenn das Pflegegeld erforderlich ist, um den in § 1 Bundespflegegeldgesetz umschriebenen Aufwand einschließlich einer Betreuung durch Dritte abzudecken, ist dies allerdings ausgeschlossen. Wenn krankheitsbedingt aber kein besonderer Sachaufwand anfällt, mit dem Pflegegeld daher die erforderlichen persönlichen Pflegeleistungen abgegolten werden können und diese Leistungen nicht von Dritten erbracht werden, kann dieser Betrag für die Bestreitung des Unterhalts verwendet werden (VwGH 18.03.2010, 2008/22/0632). Nachdem beim Beschwerdeführer, abgesehen vom Wunsch nach einer betreuten Arbeitsstätte (für welche nach dem Kärntner Chancengleichheitsgesetz 25% des Pflegegeldes einbehalten würden), kein besonderer in Kosten abzubildender Betreuungsbedarf besteht und die Betreuung durch seine Eltern, die beide keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, übernommen wird, ist, unter Berücksichtigung der kostenlosen Unterkunft, davon auszugehen, dass der Drittbeschwerdeführer über ausreichende Existenzmittel für die Deckung seines tatsächlichen Lebensunterhaltes verfügt.
Die belangte Behörde stellte in den angefochtenen Bescheiden allerdings fest, dass eine „dauerhafte häusliche Betreuung“ durch seine Eltern im Fall des Drittbeschwerdeführers ausgeschlossen sei; dies ergebe sich durch den Umstand, dass der Drittbeschwerdeführer in Deutschlang bereits in einer betreuten Werkstatt tätig gewesen sei und durch „eine ärztliche Untersuchung“. In einem sozialmedizinischen Erhebungsbericht vom 03.12.2020 wurde eine berufliche Eingliederung in der Heimstätte XXXX aus medizinischer Sicht „absolut befürwortet“. Ebenso wird in einem Sachverständigengutachten aus dem Jahr 2017 eine „Verselbständigung“ des Drittbeschwerdeführers befürwortet. In keinem dieser Befunde wird aber, wie die belangte Behörde anzunehmen scheint, eine außerhäusliche Betreuung für notwendig erachtet. Vielmehr wurden auf Basis des Gutachtens aus dem Jahr 2017 die Eltern des Drittbeschwerdeführers zu Betreuern bestellt, denen daher die alleinige Entscheidungsbefugnis unter anderem für die Bereiche Gesundheitssorge und Wohnungsangelegenheiten zukommt. Es steht daher, solange sie als Betreuer bestellt sind, alleine dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin zu, zu beurteilen, ob eine außerhäusliche Betreuung notwendig ist. Wenn die belangte Behörde in einer an das Bundesverwaltungsgericht gerichteten „Information im Beschwerdeverfahren“ vom 01.03.2021 ausführt, dass die Zurückziehung des Antrages und der damit verbundene Verzicht auf die berufliche Eingliederung des Drittbeschwerdeführers eine Verletzung des Kindeswohls darstelle, da die Zweitbeschwerdeführerin ihre Interessen an einem Verbleib in Österreich über jene ihres Sohnes an einer beruflichen Eingliederung, welche er in Deutschland unmittelbar erfahren würde, stelle, fehlt es auch hierzu an einer fundierten Grundlage, um eine Kindeswohlverletzung hinsichtlich des (im Übrigen volljährigen) Drittbeschwerdeführers annehmen zu können; nochmals ist hier darauf zu verweisen, dass sowohl der Gutachter wie auch das zuständige deutsche Gericht die Eltern als die geeignetsten Personen für die Betreuung des Drittbeschwerdeführers befanden und daher ihre Entscheidung, was für ihren Sohn am besten ist (auch ein erneutes Verlassen der inzwischen gewohnten Umgebung in Kärnten kann im Übrigen eine Belastung darstellen), grundsätzlich zu respektieren ist. Zudem war der Drittbeschwerdeführer das letzte Jahr seines Aufenthaltes in Deutschland auch nicht in einer betreuten Werkstatt, so dass nicht davon auszugehen ist, dass es zu den absoluten Grundbedürfnissen des Drittbeschwerdeführers gehört, eine Einrichtung der beruflichen Eingliederung zu besuchen.
Durch den Widerruf des nach dem Kärntner Chancengleichheitsgesetz gestellten Antrags ist die Ausgangslage zudem wieder jene, in welcher allen drei Beschwerdeführern eine Anmeldebescheinigung erteilt wurde und kann vom Bundesverwaltungsgericht die von der belangten Behörde behauptete Änderung der finanziellen Verhältnisse nicht erkannt werden. Die Feststellung der belangten Behörde, eine Betreuung (gemeint: über jene durch die Eltern hinausgehend) sei notwendig, wird durch nichts gestützt und verbietet sich daher, insbesondere nach der Zurücknahme des Antrags, die Hinzurechnung der (zweifelsohne beträchtlichen) Kosten für die Heimstätte XXXX zu den nachzuweisenden Existenzmitteln im Sinne des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG.
Zudem stellt sich die generelle Frage, ob es sich bei dem gestellten Antrag nach dem Kärntner Chancengleichheitsgesetz um eine Sozialhilfeleistung im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG bzw. des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG handelt.
In der Richtlinie 2004/38/EG selbst findet sich (ebenso wie im NAG) keine Definition einer Sozialhilfeleistung. Nach dem Zweck von Art. 7 Abs. 1 lit. b der Richtlinie kann ein dauerndes Aufenthaltsrecht nur erworben werden, wenn die Unionsbürger zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts nicht auf Leistungen aus öffentlichen Mitteln des Aufenthaltsstaates angewiesen sind; auf die rechtliche Einordnung dieser Leistungen nach nationaler Systematik kann es dagegen nicht ankommen. Entsprechend stellte der österreichische Gesetzgeber im Rahmen des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. I Nr. 111/2010, mit Wirkung ab 1.1.2011 klar, dass nach § 51 Abs. 1 Z 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie EWR?Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate nur dann berechtigt sind, wenn sie für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen. In den Erläuterungen wurde festgehalten: RV 981 BlgNR 24. GP, 160 (zu § 51 Abs 1 Z 2 NAG): „Die Ausgleichszulage stellt eine Mischleistung dar, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie zum Einen der sozialen Sicherheit dient und zum Anderen Sozialhilfecharakter aufweist. Auf Grund dieses „hybriden Charakters“ ist die Ausgleichszulage als Sozialhilfeleistung im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG zu sehen und ist daher die vorgeschlagene Gleichbehandlung der Ausgleichszulage mit Sozialhilfeleistungen unionsrechtlich zulässig.“
Der EuGH bestätigt im Urteil vom 19.09.2013 zur Rechtssache Brey diese Rechtsansicht und hält fest, dass grundsätzlich nichts dem entgegensteht, dass die Gewährung von Sozialleistungen an Unionsbürger, die wirtschaftlich nicht aktiv sind, von dem Erfordernis abhängig gemacht wird, dass diese die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat erfüllen (vgl. EuGH 19.09.2013, Brey, C- 140/12, Randnr. 39): „Daraus ergibt sich, dass die Verordnung Nr. 883/2004 zwar den Unionsbürgern, die von ihrem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch gemacht haben, die Beibehaltung des Anspruchs auf bestimmte Leistungen der sozialen Sicherheit, die in ihrem Ursprungsmitgliedstaat gewährt wurden, garantieren soll, aber es die Richtlinie 2004/38 ihrerseits dem Aufnahmemitgliedstaat erlaubt, Unionsbürgern, wenn sie die Arbeitnehmereigenschaft nicht oder nicht mehr besitzen, rechtmäßige Beschränkungen in Bezug auf die Gewährung von Sozialleistungen aufzuerlegen, damit diese die Sozialhilfeleistungen dieses Staates nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Unter diesen Umständen kann der Begriff der „Sozialhilfeleistungen“ in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht auf die sozialen Fürsorgeleistungen reduziert werden, die nach Art. 3 Abs. 5 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 nicht in deren Anwendungsbereich fallen.“ (vgl. EuGH 19.09.2013, Brey, C- 140/12, Randnr. 57 und 58). Bei der konkret beantragten Leistung nach § 11 des Kärntner Chancengleichheitsgesetzes (anders als beim Pflegegeld, vgl. dazu OGH 20.12.2016, 10 Ob S 83/16b) handelt es sich wohl um „soziale und medizinische Fürsorge“ im Sinne des Art. 3 Abs. 5 der Verordnung 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, welche nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt (vgl. EuGH 25.07.2018, C?679/16) wonach die persönliche Assistenz für einen Blinden nicht in den Geltungsbereich der Verordnung fällt) . Daraus ergibt sich aber nicht automatisch, dass die berufliche Eingliederung nach § 11 des Kärntner Chancengleichheitsgesetzes als Sozialhilfeleistung im Sinne der Richtlinie 2004/38 einzuordnen ist.
Vielmehr ist der Begriff der „Sozialhilfeleistungen“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 nicht anhand von formalen Kriterien, sondern anhand des mit dieser Bestimmung verfolgten Ziels zu bestimmen: „Folglich ist dieser Begriff so zu verstehen, dass er sich auf sämtliche von öffentlichen Stellen eingerichteten Hilfssysteme bezieht, die auf nationaler, regionaler oder örtlicher Ebene bestehen und die ein Einzelner in Anspruch nimmt, der nicht über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung seiner Grundbedürfnisse und derjenigen seiner Familie verfügt und deshalb während seines Aufenthalts möglicherweise die öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats belasten muss, was Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben kann, die dieser Staat gewähren kann.“ (vgl. EuGH 19.09.2013, Brey, C- 140/12, Randnr. 61).
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der EuGH hier von der Bestreitung der Grundbedürfnisse spricht und auch hinsichtlich der Ausgleichszulage (die als Sozialhilfeleistung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 gelten kann) in Randnr. 26 des Urteils Skalka (29.4.2004, Skalka, C-160/02) festgestellt hat, dass die österreichische Ausgleichszulage Sozialhilfecharakter hat, soweit sie dem Empfänger im Fall einer unzureichenden Rente ein Existenzminimum gewährleisten soll. An die „ausreichenden Existenzmitteln“ in § 51 Abs. 1 Z 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) darf daher keine überschießende Anforderung gestellt werden, sondern geht es um die Sicherung der Grundbedürfnisse. Nach dem Urteil des EuGH vom 11.11.2014 in der Rechtssache Dano soll Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 nicht erwerbstätige Unionsbürger daran hindern, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats „zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts“ in Anspruch zu nehmen (EuGH 11.11.2014, Dano, C-333/13, Randnr. 76).
Wie bereits ausgeführt kann sich das Bundesverwaltungsgericht der Ansicht der belangten Behörde, dass es sich beim Besuch der betreuten Werkstatt am XXXX um ein existentielles Grundbedürfnis handelt, nicht anschließen – auch wenn es zweifelsohne eine wünschenswerte Maßnahme für den Drittbeschwerdeführer wäre. Im Übrigen ist auch darauf hinzuweisen, dass in einer am 02.03.2021 der belangten Behörde übermittelten Stellungnahme des zuständigen Sozialamtes erklärt wurde, dass auch bei einer Behebung der Ausweisung und neuerlichen Antragstellung nicht feststehe, ob dem Antrag des Drittbeschwerdeführers stattzugeben wäre. Zudem wurde auch darauf hingewiesen, dass derzeit ohnehin keine freien Plätze in den Einrichtungen der Behindertenhilfe bestehen würden und die Warteliste 400 Personen betrage. Auch ergibt sich aus § 7 Abs. 2 des Kärntner Chancengleichheitsgesetz, dass auf die im gegenständlichen Fall beantragte Hilfe zur beruflichen Eingliederung nach § 11 leg. cit. kein Rechtsanspruch besteht, etwa im Gegensatz zur Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 8 leg. cit. Dass kein Rechtsanspruch auf die im gegenständlichen Fall beantragte Hilfe zur beruflichen Eingliederung besteht, spricht auch gegen die Einordnung als Sozialhilfeleistung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38, welche nach der zitierten EuGH-Judikatur zur Deckung der Grundbedürfnisse dienen.
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 29.4.2004, Skalka, C-160/02, Rn. 26, festgehalten, dass die österreichische Ausgleichszulage Sozialhilfecharakter hat, soweit sie dem Empfänger im Fall einer unzureichenden Rente ein Existenzminimum gewährleisten soll. Im Urteil vom 19.9.2013, Brey, C-140/12, Rn. 60 ff, hat der EuGH dargelegt, dass die Ausgleichszulage als "Sozialhilfeleistung" (im Sinn des Art. 7 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG) angesehen werden kann. Der Umstand, dass ein EWR-Bürger zum Bezug dieser Leistung berechtigt ist, könne einen Anhaltspunkt dafür darstellen, dass er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt (Rn. 63). Die Hilfe bei der beruflichen Eingliederung stellt sich dagegen anders dar: Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass jeder, dem diese Leistung zuteil wird, nicht über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung seiner Grundbedürfnisse.
Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass es sich bei dem gegenständlichen Antrag auf berufliche Eingliederung nach § 11 Kärntner Chancengleichheitsgesetz um keine Sozialhilfeleistung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 bzw. des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG handelt.
Es ist daher davon auszugehen, dass der Drittbeschwerdeführer über ausreichende Existenzmittel und somit über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach § 51 Abs. 1 Z 2 NAG verfügt.
Der Vollständigkeit halber wird darauf verwiesen, dass, selbst wenn man davon ausginge, dass es sich bei dem gegenständlichen Antrag auf berufliche Eingliederung nach § 11 Kärntner Chancengleichheitsgesetz um eine Sozialhilfeleistung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 bzw. des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG handelt, die belangte Behörde übertriebene Anforderungen in Bezug auf die nachzuweisenden Existenzmittel stellen würde. Sie ging (ohne Berücksichtigung, welche Betreuung der Drittbeschwerdeführer brauchen würde und dass diese nicht 365 Tage im Jahr stattfinden würde) davon aus, dass für die Betreuung an der Heimstätte XXXX zwischen 21.000 und 70.000 Euro jährlich zu bezahlen wäre. Damit müsste der Drittbeschwerdeführer – zusätzlich zu den normalen Unterhaltskosten - ein monatliches Einkommen zwischen 1.786 und 5.833 Euro nachweisen. Dies steht aber in Widerspruch zu Art. 8 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2004/38:
Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 lautet:
Die Mitgliedstaaten dürfen keinen festen Betrag für die Existenzmittel festlegen, die sie als ausreichend betrachten, sondern müssen die persönliche Situation des Betroffenen berücksichtigen. Dieser Betrag darf in keinem Fall über dem Schwellenbetrag liegen, unter dem der Aufnahmemitgliedstaat seinen Staatsangehörigen Sozialhilfe gewährt, oder, wenn dieses Kriterium nicht anwendbar ist, über der Mindestrente der Sozialversicherung des Aufnahmemitgliedstaats.
Die Sozialhilfe im Sinne des Kärntner Mindestsicherungsgesetz bzw. die Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 8 Kärntner Chancengleichheitsgesetz orientiert sich dabei am (Netto) -Ausgleichsrichtsatz für Alleinstehende ("Mindestpension"; bedarfsorientierte Mindestsicherung) in der Höhe von € 949,46 für das Jahr 2021. Im Falle von Sozialhilfeempfänger, die mit mindestens einer anderen erwachsenen Person in einem gemeinsamen Haushalt leben, ist der Richtsatz von 70 % des Ausgleichsrichtsatz für Alleinstehende anzuwenden. Im Falle des Drittbeschwerdeführers, der mit seinen Eltern im gleichen Haushalt lebt, wäre daher ein Betrag von rund 665 Euro jedenfalls monatlich als „ausreichendes Existenzmittel“ anzusehen (im konkreten Fall wurde von den Beschwerdeführern allerdings dargelegt, dass die tatsächlichen Kosten zur Bestreitung des Lebensunterhalts geringer sind) und kann von der belangten Behörde daher das Aufenthaltsrecht nach § 51 Abs. 1 Z 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) nicht alleine deswegen verneint werden, weil die Kosten für die Betreuung in der Heimstätte XXXX nicht zur Gänze vom Drittbeschwerdeführer getragen werden können.
In diesem Zusammenhang ist auch nochmals hervorzuheben, dass die Richtlinie 2004/38 keineswegs die Möglichkeit ausschließt, im Aufnahmemitgliedstaat den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten Sozialleistungen zu gewähren; vielmehr wird durch mehrere Bestimmungen dieser Richtlinie gerade vorgesehen, dass ihnen solche Leistungen gewährt werden können (EuGH 11.11.2014, Dano, C-333/13, Randnr. 66).
3.4. Zum unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht des Drittbeschwerdeführers gemäß § 52 Abs. 1 Z 2 NAG:
Auch wenn man entgegen der unter Punkt 3.3.2. vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Ansicht davon ausginge, dass das dem Drittbeschwerdeführer zukommende Pflegegeld nicht als ihm zustehendes Einkommen zu werten ist, käme man dennoch zum Ergebnis, dass ihm ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt, allerdings nicht nach § 51 Abs. 1 Z 2 NAG, sondern nach § 52 Abs. 1 Z 2 NAG.
Der mit "Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern" überschriebene § 52 NAG lautet:
„(1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. Ehegatte oder eingetragener Partner sind;
2. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;
3. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;
4. Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder
5. sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,
a) die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,
b) die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder
c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.
(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs. 1.“
Aufgrund seines aktuellen Alters fällt der Drittbeschwerdeführer jedenfalls unter § 52 Abs. 1 Z 2 erster Teil NAG; aber selbst nach Vollendung des 21. Lebensjahres wäre die Bestimmung anwendbar:
Nach § 37 (deutsches) Sozialgesetzbuch XI setzt der Anspruch von Pflegegeld in Deutschland voraus, dass der Pflegebedürftige auf eine häusliche Pflegehilfe verzichtet und mit dem Pflegegeld die erforderlichen körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung in geeigneter Weise selbst sicherstellt. Das Pflegegeld ist daher als finanzielle Anerkennung und Unterstützung für die pflegende Person gedacht. Wenn man dem folgt und davon ausgeht, dass das Pflegegeld des Drittbeschwerdeführers in erster Linie eine Anerkennung und Unterstützung für seine ihn pflegenden Eltern ist, könnte man zum Schluss kommen, dass dem Drittbeschwerdeführer keine ausreichenden Existenzmittel (konkret gar keine) zur Deckung seiner Grundbedürfnisse zur Verfügung stehen.
Bei Vertretung dieser Ansicht wäre davon auszugehen, dass die Kosten für die täglichen Bedürfnisse des Drittbeschwerdeführers zur Gänze von seinen Eltern abgedeckt werden.
Es wäre daher die Frage zu lösen, ob der demnächst über 21-jährige Beschwerdeführer, der – nach dieser Sichtweise - mit dem Pflegegeld über kein eigenes Einkommen verfügen würde, auf Grund der Unterhaltsgewährung durch seinen Vater und seine Mutter als deren Angehöriger im Sinn von Art. 2 Z. 2 lit. c der Richtlinie 2004/38 und § 52 Abs. 1 Z. 3 NAG anzusehen ist.
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat im Urteil vom 16. Jänner 2014, Flora May Reyes, C-423/12, zur Auslegung von Art. 2 Z. 2 lit. c der Richtlinie 2004/38 Stellung genommen und dazu in den Rz 20 bis 23 u.a. Folgendes ausgeführt: