TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/15 W278 2228387-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.04.2021
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Entscheidungsdatum

15.04.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §35

Spruch


W278 2228387-1/17E

T E I L E R K E N N T N I S

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HABITZL als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX geb., StA Afghanistan, vertreten durch Dr. Axel Anderl, RA in 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.02.2020, XXXX , sowie die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft von 03.02.2020 bis 12.02.2020 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG stattgegeben, der Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.02.2020, Zl. XXXX aufgehoben und die Anhaltung in Schubhaft von 03.02.2020 bis 12.02.2020 für rechtswidrig erklärt.

IV. Der Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

A. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF), ein afghanischer Staatsbürger, stellte am 19.10.2016 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, nachdem er illegal ins österreichische Bundesgebiet eingereist war.

2. Mit medizinischem Sachverständigengutachten wurde ein spätestmögliches „fiktives“ Geburtsdatum mit XXXX festgestellt.

3. Mit Bescheid vom 27.09.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 19.10.2016 gemäß §§ 3 und 8 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw. des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs.1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG) erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise des BF betrage gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.)

4. Mit Erkenntnis vom 15.11.2018, Zahl XXXX , wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des BF gegen den Bescheid vom 27.09.2017 „gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 55 FPG idgF“ als unbegründet ab. Das Erkenntnis des BVwG erwuchs mit 20.11.2018 in Rechtskraft.

5. Mit Schreiben vom 29.01.2019 stimmte Österreich der Rückübernahme des BF von Frankreich zu, nachdem er am 18.01.2019 in Frankreich aufgegriffen wurde.

6. Mit Schreiben vom 23.09.2019 stimmte Österreich der Rückübernahme des BF aus Deutschland zu, nachdem er am 11.09.2019 in Deutschland aufgegriffen wurde.

7. Am 08.01.2020, um 11:00 Uhr, wurde der BF von der deutschen Polizei an Beamte einer Polizeiinspektion übergeben. Am selben Tag stellte der BF einen Asylfolgeantrag in Österreich.

8. Mit, dem BF nachweislich am 27.01.2020 übergebener, Verfahrensanordnung teilte das BFA dem BF gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mit, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vorliege. Zudem sei beabsichtigt, den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid aufzuheben (§ 12a Abs. 2 AsylG).

9. Mit mündlich verkündeten Bescheid des XXXX , Zl.: XXXX , vom 03.02.2020 wurde der faktische Abschiebeschutz des BF gemäß § 12a Abs. 2 AsylG aufgehoben. Am 03.02.2020, unmittelbar im Anschluss an die erfolgte mündliche Verkündung des Bescheides nach § 12a Abs. 2 AsylG im Asylverfahren, wurde der BF festgenommen.

10. Mit verfahrensgegenständlichem Mandatsbescheid, Zl.: XXXX , vom 03.02.2020 wurde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG über den BF die gegenständliche Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Im Bescheid wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF aufgrund seines Vorverhaltens die Kriterien der Fluchtgefahr iSd § 76 Abs. 3 Z 1, 3, 4, 5, 8 und 9 FPG erfüllt habe, und die Verhängung der Schubhaft auch verhältnismäßig sei. Die privaten Interessen an der Schonung der persönlichen Freiheit hätten dem Interesse des Staates an einem reibungslosen Funktionieren der öffentlichen Verwaltung hintanzustehen. Die Verhängung eines gelinderen Mittels käme aufgrund des bisherigen Verhaltens nicht in Frage, da dies zur Sicherung der Ausreise nicht ausreichen würde. Die gegenständliche Verhängung der Schubhaft sei daher rechtmäßig erfolgt. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am selben Tag durch persönliche Übergabe (gemeinsam mit der Verfahrensanordnung betreffend die Beigabe eines Rechtsberaters) zugestellt.

11. Am 07.02.2020 langte beim BVwG die verfahrensgegenständliche Beschwerde ein. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Anhaltung des Beschwerdeführers bis 06.02.2020 jedenfalls rechtwidrig sei, da nach Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes jedenfalls mit der Durchführung der Abschiebung bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages nach Einlangen der Verwaltungsakte beim Bundesverwaltungsgericht zugewartet werden müsse. Der BF hätte aufgrund des ihm zumindest bis 06.02.2020 nach Art. 3 der AufnahmeRL zukommenden Bleiberechts ausschließlich unter den Voraussetzungen der Ziffer 1 in Haft genommen werden dürfen. Darüber hinaus liege eine Fluchtgefahr gemäß § 76 Abs 3 Z 1, 5, 8 und 9 FPG nicht vor, da sich der BF dem Verfahren seit seiner Überstellung aus Deutschland nicht mehr entzogen und er Anspruch auf Grundversorgung habe. Weiters wurde moniert, dass ein gelinderes Mittel nicht zur Anwendung gekommen sei. Die angeordnete Unterkunftnahme oder eine periodische Meldeverpflichtung seien ausreichend, um die Sicherung der Abschiebung des BF zu gewährleisten. Der BF sei unbescholten und darüber hinaus die verhängte Schubhaft auch unverhältnismäßig. Da es bis dato auch keinen Botschaftstermin gegeben habe, sei insbesondere § 80 Abs. 5 FPG zu berücksichtigen und die Dauer der höchstzulässigen Schubhaft auf 10 Monate beschränkt. Beantragt werde daher a) eine mündliche Verhandlung durchzuführen; b) den Schubhaftbescheid zu beheben und diesen sowie die Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig zu erklären; c) auszusprechen, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vorliegen würden; d) der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendungen aufzuerlegen.

12. Am 07.02.2020 langte der Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein. In einer Stellungnahme verwies das Bundesamt im Wesentlichen auf das Vorverhalten des Beschwerdeführers. Der faktische Abschiebeschutz sei vom Bundesamt aufgehoben und nach Anordnung der Schubhaft die Vorführung zur Afghanischen Botschaft zur Identitätsfeststellung für den 14.02.2020 veranlasst worden. Den Ausführungen der Beschwerde trat das Bundesamt insofern entgegen, als es ausführte, dass der BF ab Erlassung eines Bescheides durch das Bundesamt gem. § 12a Abs. 2 AsylG nicht mehr unter die Aufnahme-RL sondern die Rückführungs-RL falle. Beantragt wurden die Abweisung der Beschwerde; die Feststellung, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen würden; sowie Kostenersatz.


13. Am 11.02.2020 wurde vom BVwG mit Beschluss zur Zl: XXXX , dem BF zugestellt am 12.02.2020, die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes bestätigt.

14. Mit Erkenntnis vom 13.02.2020, Zl. XXXX , wies das BVwG die Beschwerde des BF gegen den Mandatsbescheid des BFA vom 03.02.2020 sowie die darauf gegründete Anhaltung gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). Es stellte weiters gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 FPG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen (Spruchpunkt A.II.). Zudem wies es den Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG ab (Spruchpunkt A.III.) und verpflichtete ihn, auf Basis eben dieser Rechtsvorschrift, zu Kostenersatz an den Bund (Spruchpunkt A.IV.). Zuletzt erklärte das BVwG die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

Gegen dieses Erkenntnis erhob der BF, durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter, außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

15. Mit Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) vom 15.02.2021, Zl XXXX , erkannte der Gerichtshof die Rechtswidrigkeit der Spruchpunkte A.I. (Abweisung der Schubhaftbeschwerde) und A.IV. (Kostenzuspruch an den Bund) und behob diese (Spruchpunkt 1.). Im Übrigen wurde die Revision beschlussmäßig zurückgewiesen (Spruchpunkt 2.).

Im Wesentlichen führte der VwGH aus, das Bundesverwaltungsgericht sei hinsichtlich der Frage, ob bei einem ersten Folgeantrag für die Anwendbarkeit des § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG die bescheidmäßige Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes – ohne gerichtliche Bestätigung – ausreiche, von der Rechtsprechung des VwGH abgewichen. Im Fall eines ersten Folgeantrages sei ein Fremder vor einer gerichtlichen Bestätigung nach § 22 BFA-VG – im Lichte der Verfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) nach wie vor Asylwerber, dem ein Bleiberecht zukomme. Das stehe einer Schubhaft auf der Grundlage von § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG entgegen. Im Fall eines ersten Folgeantrages könne, vor der genannten gerichtlichen Bestätigung, nur das Vorliegen von Missbrauchsabsicht iSd Art. 41 Abs. 1 lit. a der Verfahrens-RL zu einem anderen Ergebnis führen. Eine solche Missbrauchsabsicht sei im konkreten Fall jedoch nicht festgestellt worden. [Rn 13 des genannten VwGH-Erkenntnisses]

B. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

I. Feststellungen:

1. Zur Person und zum Verfahren (1.1.-1.5.):

1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX und ist Staatsangehöriger der islamischen Republik Afghanistan. Er spricht Dari und auch etwas Paschtu, Urdu, Englisch und Deutsch. Er ist ledig und kinderlos. Der BF ist Fremder i.S.d. Diktion des FPG.

1.2. Der BF stellte in Österreich bisher zwei Anträge auf internationalen Schutz, sowie einen in Frankreich und einen in Deutschland. Bislang erhielt der BF keinen gültigen dauerhaften Aufenthaltstitel in Österreich und es wurde eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen.

1.3. Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Schubhaftanordnung und während seiner Anhaltung grundsätzlich gesund und haftfähig. Es gibt keinen stichhaltigen Hinweis für substanzielle gesundheitliche Probleme körperlicher oder psychischer Natur.

1.4. Der BF befand sich von 03.02.2020 bis 12.02.2020 auf Basis des bekämpften Schubhaftbescheides, welcher auf § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG gestützt war, in Schubhaft.

1.5. Mit Erkenntnis vom 13.02.2020, Zl. XXXX , dem BF zugestellt am selben Tag, wies das BVwG die Beschwerde des BF gegen den Mandatsbescheid des BFA vom 03.02.2020 sowie die darauf gegründete Anhaltung gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). Es stellte weiters gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 FPG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen (Spruchpunkt A.II.). Zudem wies es den Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG ab (Spruchpunkt A.III.) und verpflichtete ihn, auf Basis derselben Rechtsvorschrift, zum Kostenersatz an den Bund (Spruchpunkt A.IV.). Zuletzt erklärte das BVwG die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. Der VwGH behob mit Erkenntnis vom 15.02.2021 die Spruchpunkte A.I. und A.IV. dieses Erkenntnisses. Im Übrigen wurde die Revision des BF gegen das Erkenntnis beschlussmäßig zurückgewiesen.

2. Zu den allgemeinen Voraussetzungen der Schubhaft (2.2.-2.4.):

2.1. Der erste Antrag auf internationalen Schutz des BF wurde rechtskräftig mit Erkenntnis des BVwG vom 15.11.2018, Zahl XXXX , abgewiesen sowie die Rückkehrentscheidung bestätigt. Der BF tauchte nach Abschluss seines Verfahrens unter. Er musste jeweils einmal von Deutschland und von Frankreich nach Österreich rücküberstellt werden.

2.2. Am 08.01.2020, im Zuge seiner Rücküberstellung aus Deutschland, stellte der BF einen ersten Asylfolgeantrag in Österreich. Dass dieser Antrag in Missbrauchsabsicht, also nur zur Verzögerung oder Behinderung der Durchsetzung einer Entscheidung, die zu seiner unverzüglichen Abschiebung führen würde, gestellt wurde, hat das BFA im angefochtenen Bescheid nicht festgestellt.

2.3. Mit mündlich verkündetem Bescheid des XXXX , Zl.: XXXX ,vom 03.02.2020 wurde der dem BF zukommende faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG aufgehoben. Das Bundesamt legte den Verwaltungsakt unverzüglich dem BVwG vor, wo dieser am 04.02.2020 einlangte. Mit Aktenvermerk vom 04.02.2020, XXXX , hielt das BVwG fest, dass nach dem Ergebnis einer unverzüglichen Prüfung seitens des BVwG nicht zu entscheiden gewesen wäre, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtmäßig gewesen wäre.

2.4. Am 11.02.2020 wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss XXXX die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes bestätigt. Dieser Beschluss wurde dem BF am 12.02.2020 nachweislich zugestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt kam dem BF daher als Asylwerber ein Bleiberecht iSd Verfahrens-RL zu.

3. Zum Sicherungsbedarf (3.1.- 3.4.):

3.1. Gegen den BF lag eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

3.2. Die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes aufgrund der Folgeantragstellung wurde am 12.02.2020 gerichtlich bestätigt.

3.3. Der BF war nach Abschluss seines ersten Asylverfahrens im November 2018 überwiegend unkooperativ und verstieß gegen seine Mitwirkungspflicht. Er verließ die ihm zur Verfügung gestellte Unterkunft ohne Abmeldung und tauchte unter. Der BF stellte in Deutschland und Frankreich Asylanträge und musste demgemäß zweimal nach Österreich rücküberstellt werden. Nach seiner ersten Rücküberstellung aus Frankreich tauchte er in Österreich erneut, für die Behörden unerreichbar, ab und setzte sich abermals ins Ausland, nach Deutschland, ab. Der BF ist als höchst mobil einzustufen. Er bereiste neben Österreich, Deutschland und Frankreich auch Ungarn, wo er bereits vor seiner ersten Asylantragstellung in Österreich aufhältig war.

3.4. Am 13.01.2020 verhielt sich der BF beim Frühstück im Speisesaal einer Mitarbeiterin der Betreuungsstelle gegenüber aggressiv, beschimpfte alle anwesenden Mitarbeiter und verließ den Speisesaal. Am selben Tag wurde ein anderer Asylwerber bewusstlos in seinem Zimmer in seinem Bett liegend aufgefunden. Der BF war am Gang anwesend, leistete den Aufforderungen der Polizei, sich in die Zimmer zurückzuziehen, nicht Folge, schrie einen Polizisten an, schlug sich selbst ins Gesicht und lief gegen einen Feuerlöschkasten. Er musste von vier Polizisten auf den Boden gelegt werden, ihm wurden Handschellen und ein Gurt angelegt. Er wurde vom Arzt zwangsweise in das Krankenhaus eingewiesen. Er war nicht vertrauenswürdig und nicht rückkehrwillig. Es bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich der BF den Behörden entzogen und seinen Aufenthalt im Verborgenen fortsetzt hätte.

4. Zur familiären/sozialen Komponente (4.1.-4.3.):

4.1. Der BF war in Österreich nicht relevant integriert und konnte keine sozialen beruflichen oder aber familiären Bezugspunkte in Österreich darlegen oder gar nachweisen.

4.2. Der BF ging im Inland keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und war daher nicht selbsterhaltungsfähig und mittellos.

4.3. Er verfügte, mit Ausnahme der Zuweisung im Rahmen der Grundversorgung, nicht über einen gesicherten Wohnsitz.

II. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes zur Zl. XXXX . Auch wurde Beweis durch Einsicht in den Beschluss des BVwG vom 11.02.2020, Zl.: XXXX (OZ 6) 15.02.2021, XXXX , sowie durch Anfragen im Zentralen Melderegister, der Anhaltedatei des BMI, im Strafregister und in der GVS Datenbank genommen.

1. Zur Person und zum Verfahren:

1.1. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest, unstrittig ist seine afghanische Staatsbürgerschaft. Seine Volljährigkeit und seine Sprachkenntnisse wurden im Zuge seines ersten Asylverfahrens sowie aufgrund der Angaben in den Einvernahmen zur Schubhaftanordnung und seiner Folgeantragstellung festgestellt. In der Beschwerde wird nichts Gegenteiliges ausgeführt.

1.2. Die beiden Asylantragstellungen des BF in Österreich sowie der rechtskräftige Abschluss des Vorverfahrens ergeben sich aus den Verwaltungsakten. Die Asylantragstellungen in Frankreich und Deutschland ergeben sich aus den vorliegenden EURODAC Treffern. Diesen Feststellungen wurde in der Beschwerde nicht entgegengetreten.

1.3. Für substanzielle gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers gibt es keinen Hinweis und solche sind auch im Verfahren nie behauptet worden. Die Feststellung hinsichtlich der Haftfähigkeit des BF gründen sich darauf, dass keine Anhaltspunkte für das Fehlen einer Haftfähigkeit vorlagen und auch keine entgegensprechenden Einträge in der Anhaltedatei vorgefunden werden konnten.

1.4. Dass sich der Beschwerdeführer von 03.02.2020 bis 12.02.2020 durchgehend in Schubhaft befand, ergibt sich aus der Anhaltedatei des BMI.

1.5. Das Erkenntnis vom 13.02.2020 liegt im Akt ein, ebenso die Entscheidung des VwGH vom 15.02.2021.

2. Zu den allgemeinen Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Das Vorliegen der rechtskräftigen Entscheidung im ersten Asylverfahrens ist unstrittig. Der Umstand, dass der BF nach Verfahrensabschluss untergetaucht ist und zweimal nach Österreich rücküberstellt werden musste, ergibt sich aus der Aktenlage und aus der Anfrage des Zentralen Fremdenregisters.

2.2. Die Asylfolgeantragstellung des BF ergibt sich aus der Aktenlage. Sämtliche Verfahrensschritte zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes aufgrund des Asylfolgeantrages sind im gegenständlichen Verwaltungsakt dokumentiert. Dass eine Missbrauchsabsicht nicht festgestellt wurde ergibt sich aus dem bekämpften Bescheid.

2.3./2.4. Die Niederschrift vom 03.02.2020 sowie eine Kopie des Beschlusses des BVwG XXXX und des entsprechenden Zustellnachweises liegen im Gerichtsakt (OZ6) ein.

3. Zum Sicherungsbedarf:

3.1. Das Vorliegen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme ergibt sich, wie bereits erwähnt, aus den Angaben im vorliegenden Akt.

3.2. Aufgrund der, einen Aktenbestandteil darstellenden, Niederschrift vom 03.02.2020 ergibt sich, dass der faktische Abschiebeschutz aufgrund der Folgeantragsstellung bescheidmäßig (mündlich verkündet) aufgehoben wurde. Das BVwG hat die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes mit Beschluss vom 11.02.2020, dem BF zugestellt am 12.02.2020, bestätigt (Siehe diesbezüglich gegenständlichen Beschluss OZ6 sowie Zustellnachweis).

3.3. Die Mobilität und mangelnde Kooperationsbereitschaft des BF ergibt sich aus der Aktenlage und aufgrund der Abfrage des Zentralen Fremdenregisters wodurch festgestellt werden konnte, dass der BF nach rechtskräftig negativem Abschluss seines ersten Asylverfahrens untertauchte und nach weiteren Asylanträgen in Frankreich und Deutschland jeweils rücküberstellt werden musste. Sein Aufenthalt in Ungarn wird durch einen weiteren EURODAC belegt.

3.4. Das dokumentierte aggressive Verhalten des BF ist der Vorfallsmeldung vom 13.01.2020 entnommen. Die Vertrauensunwürdigkeit und Rückkehrunwilligkeit des BF ergibt sich aufgrund einer Gesamtbetrachtung des bisherigen Vorverhaltens des BF, insbesondere durch seine Aussagen im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 27.01.2020. Auf die Frage, warum er einen neuerlichen Antrag stelle, sagte der BF: „Ich habe in Österreich eine negative Asylentscheidung erhalten. Ich habe verstanden, dass man mich hier nicht will, und ich habe das Land verlassen. Ich habe aber in Frankreich und auch in Deutschland von der Behörde gehört, dass Österreich mich zurückverlangt hat. Wenn Sie das machen, dann müssen Sie mir einen Aufenthaltstitel geben.“ Nach Frankreich sei er gereist, weil er nach der negativen Entscheidung keine andere Wahl gehabt hätte (siehe Beschluss des BVwG vom 11.02.2020 Zl.: XXXX (OZ 6). Das Vorbringen der Beschwerde, dass der BF seit 08.01.2020 kooperativ sei, relativiert sich in Anbetracht des bereits zuvor vom BF gezeigten Verhaltens und seinen in den Einvernahmen getätigten Aussagen. Die Frage, ob er freiwillig in seinen Heimatstaat zurückkehren will, beantwortete der BF im Zuge der Einvernahme vor dem Bundesamt mit: „Nein. Wenn ich sowas vorhätte, warum bin ich dann nach Frankreich weitergereist. Vielleicht hätte ich das früher akzeptiert.“ Das Gericht geht daher auch nicht davon aus, dass der Beschwerdeführer tatsächlich in irgendeiner Form die Absicht hegen würde, freiwillig nach Afghanistan zurückzukehren. Sein Verhalten und seine Aussagen zeigten bisher nur Gegenteiliges.

4. Zur familiären/sozialen Komponente:

4.1.-4.3. Hinweise für das Bestehen von relevanten Bindungen auf sozialer, beruflicher oder familiärer Ebene in Österreich waren dem Verfahren nicht zu entnehmen. Ein darüberhinausgehendes Vorbringen findet sich auch in der Beschwerdeschrift nicht. Die Mittellosigkeit des Beschwerdeführers ist aus dem Eintrag in der Anhaltedatei ersichtlich. Richtig ist jedoch, dass der BF aufgrund der Asylfolgeantragstellung im Rahmen der Grundversorgung ein Quartier hätte. Aufgrund der Unsicherheit des Ausgangs des offenen Asylverfahrens, in Zusammenschau mit dem vom BF bisher gezeigtem Verhalten, kann jedoch diesbezüglich nicht von einem gesicherten Wohnsitz im Sinne des § 76 Abs. 3 Z. 9 FPG ausgegangen werden. Die fehlenden familiären und beruflichen Anknüpfungspunkte an das Bundesgebiet wurden auch in der Beschwerde nicht bestritten. Alleine aus dem unsubstantiierten Vorbringen, dass der BF sehr wohl über eine soziale Verankerung in Österreich verfüge und Wohnmöglichkeiten bei Freunden habe, kann nichts gewonnen werden, da ihn aufgrund seiner ausführlich beschriebenen mangelnden Vertrauenswürdigkeit auch eine private Unterkunftsmöglichkeit nicht ein weiteres Mal am Untertauchen hindern würde.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

III. Rechtliche Beurteilung:

Mit Erkenntnis des BVwG vom 13.02.2020, Zl. XXXX , wurde die Beschwerde des BF gegen den Mandatsbescheid des BFA vom 03.02.2020 sowie die darauf gegründete Anhaltung seit 03.02.2020 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A.I.). Weiters wurde gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 FPG festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen (Spruchpunkt A.II.). Zudem wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG abgewiesen (Spruchpunkt A.III.) und der BF, auf Basis derselben Rechtsvorschrift, zum Kostenersatz an den Bund verpflichtet (Spruchpunkt A.IV.). Zuletzt erklärte das BVwG die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision des BF wurde, soweit sie sich gegen den Fortsetzungsausspruch (Spruchpunkt II.) sowie die Abweisung des Kostenersatzantrages des BF (Spruchpunkt III.) richtete, mit Beschluss des VwGH vom 15.02.2021, XXXX , zurückgewiesen (Spruchpunkt 2. der VwGH-Entscheidung), sodass diese Spruchpunkte weiterhin Bestand haben.

Es war daher gegenständlich alleine über die vom VwGH mit Erkenntnis vom 15.02.2021 zur selben Zahl behobene Abweisung der Beschwerde (Spruchpunkt A.I. des BVwG-Erkenntnisses) und über den Kostenersatzantrag des BFA (Spruchpunkt A.IV. des BVwG-Erkenntnisses) abzusprechen:

1. Zu Spruchpunkt I. – Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft:

1.1. Gesetzliche Grundlagen:

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, lautet:
§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.

1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, „dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig“(VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu kommt, „weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese ’Einstellungsänderung’ durch Haftdauer zu erwirken. (VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595; vgl. dazu etwa auch VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

1.3. Rechtlich folgt daraus:

Aufgrund des gerichtlichen Beweisverfahrens sieht das Gericht im vorliegendem Fall Sicherungsbedarf für gegeben an. Der BF hält sich nicht rechtmäßig in Österreich auf und es besteht gegen den BF seit geraumer Zeit eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung. Aufgrund des erkennbaren Bestrebens des BF, sich in Deutschland oder Frankreich aufzuhalten, kann nicht von einer Rückkehrwilligkeit des BF ausgegangen werden. Das Gesamtverhalten des BF (Untertauchen, die Stellung mehrerer Asylanträge, Weiterreise in andere europäische Staaten, etc.) haben dem Gericht gegenüber keinen Glauben an die Vertrauenswürdigkeit des BF aufkommen lassen. Der BF ist nach dem Abschluss seines ersten Asylverfahrens untergetaucht und musste zweimal aus anderen EU Mitgliedstaaten rücküberstellt werden. Nach seiner ersten Rücküberstellung aus Frankreich, tauchte der BF abermals unter und reiste nach Deutschland, wo er abermals einen Asylantrag stellte. Auch aufgrund dieser Handlungen des BF kann dieser nach Ansicht des Gerichtes auch nicht als kooperativ angesehen werden. Der BF hat zumindest vier europäische Staaten (Ungarn, Österreich, Deutschland und Frankreich) bereist und sohin seine hohe Mobilität unter Beweis gestellt.

Das Beweisverfahren hat in keiner Weise ergeben, dass der BF in Österreich familiäre, soziale oder berufliche Verankerung erfahren hat. Auch war der BF im Inland nicht erwerbstätig und daher auch nicht selbsterhaltungsfähig. Das Verfahren ergab zudem keinen konkreten gesicherten Wohnsitz und das Gericht sieht daher, im Gleichklang mit der Behörde, Sicherungsbedarf im Sinne der Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des § 76 Abs. 3 Z. 1, 3, 4, 5, 8 und 9 FPG für gegeben an.

Nach dem Vorbringen in der Beschwerdeschrift unter Pkt. 2 hätte der bekämpfte Schubhaftbescheid im Zeitpunkt seiner Erlassung nicht auf § 76/2 Zi. 2 FPG gestützt werden dürfen, zumal zu diesem Zeitpunkt noch keine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes seitens des BVwG vorlag. Mit diesem Vorbringen war der BF – im Ergebnis – im Recht. Trotz des Vorliegens von Sicherungsbedarf, war der beschwerte Schubhaftbescheid demnach bereits aufgrund der Heranziehung der Rechtsgrundlage des § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG für rechtswidrig zu erklären:

Zur Aufhebung der Spruchpunkte A.I. hielt der VwGH in seiner Entscheidung vom 15.02.2021, XXXX , fest: Bereits im Erkenntnis VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0198, Rn. 18, hielt der VwGH fest, dass die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes in Bezug auf einen ersten Folgeantrag gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 jedenfalls dann, wenn sie vom Bundesverwaltungsgericht noch nicht im Wege des amtswegigen Überprüfungsverfahrens nach § 22 BFA-VG bestätigt worden ist, nichts daran ändert, dass der Fremde Asylwerber ist und ihm vor dem Hintergrund der Verfahrens-RL (Richtlinie 2013/32/EU) ungeachtet der innerstaatlichen Regelung des § 22 Abs. 2 zweiter Satz BFA-VG grundsätzlich - auch wenn man schon die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 als Entscheidung iS von Art. 40 Abs. 5 der Verfahrens-RL, den wiederholten Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zu betrachten, begreifen wollte - weiterhin ein Bleiberecht zukommt. Das steht einer Schubhaft auf Basis von Art. 15 der Rückführungs-RL (Richtlinie 2008/115/EG) und damit auf Grundlage von § 76 Abs. 2 Z 2 FPG entgegen (siehe auch VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0090, Rn. 17). Im Fall eines ersten Folgeantrags könnte, solange keine gerichtliche Bestätigung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ergangen ist, nur das Vorliegen von Missbrauchsabsicht im Sinn des Art. 41 Abs. 1 lit. a der Verfahrens-RL zu einem anderen Ergebnis führen (vgl. auch dazu VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0198, Rn. 19, und VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0090, Rn. 17). Eine solche wurde im vorliegenden Fall aber nicht festgestellt.

Aus der zitierten Judikatur des VwGH, XXXX , ist klar ersichtlich, dass im Fall eines ersten Folgeantrages, wie ihn auch der BF im Bundesgebiet vorliegend stellte, eine Anhaltung auf Basis des § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG – vor einer gerichtlichen Bestätigung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes – nur dann in Frage kommt, wenn eine Missbrauchsabsicht im Sinne des Art. 41 Abs. 1 lit. a der Verfahrens-RL (Richtlinie 2013/32/EU) vorliegt. Eine solche wurde im vorliegenden Fall durch das BFA jedoch nicht festgestellt.

Da somit die Anhaltung des BF auf Basis des § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG rechtswidrig war, war spruchgemäß zu entscheiden und der angefochtene Schubhaftbescheid aufzuheben.

1.4. Durch die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erweist sich auch die auf diesen Bescheid gestützte Anhaltung des BF vom 03.02.2020 bis 12.02.2020 – und somit bis zum rechtskräftigen Fortsetzungsausspruch des BVwG vom 13.02.2020 – als rechtswidrig.

1.5. Im vorliegenden Fall konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt werden konnte. Der Sachverhalt konnte aus den Akten abschließend ermittelt und beurteilt werden und in der Beschwerdeschrift wurde auch nicht über die bekannten Standardformulierungen hinaus fallbezogen näher dargelegt, weshalb die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung im konkreten Fall notwendig sein sollte. Gründe für die zwingende Abhaltung einer mündlichen Verhandlung lagen daher nicht vor.

2. Zu Spruchpunkt IV. Kostenentscheidung:

Beide Parteien begehrten den Ersatz der Kosten im gesetzlichen Ausmaß. Im ersten Rechtsgang obsiegte das BFA insofern, als das BVwG mit Erkenntnis vom 13.02.2020 feststellte, dass die maßgeblichen Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung des BF vorlagen.

Nunmehr obsiegte, mit dem im zweiten Rechtsgang ergangenen Erkenntnis, jedoch auch der BF zum Teil, da der Beschwerde gegen den angefochtenen Schubhaftbescheid stattgegeben und die darauf gegründete Anhaltung – bis zum Fortsetzungsausspruch des BVwG – für rechtswidrig erklärt wurde.

Das dargestellte Ergebnis muss sohin auf die Kostenentscheidungen durchschlagen, weil weder der BF noch das BFA als endgültig unterlegen zu betrachten sind, was einem Kostenersatz nach dem gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG auch im Schubhaftbeschwerdeverfahren anwendbaren § 35 VwGVG entgegensteht (vgl. VwGH 26.4.2018, Ra 2017/21/0240, Rn. 11).

Somit war nunmehr auch der Antrag des BFA auf Kostenersatz abzuweisen.

3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Es sind keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren hervorgekommen und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts auch nicht gegeben.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Asylwerber faktischer Abschiebeschutz Folgeantrag illegale Ausreise Kostenersatz Rechtsanschauung des VwGH Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Teilerkenntnis Untertauchen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W278.2228387.1.00

Im RIS seit

30.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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