TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/19 W137 2205887-1

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Veröffentlicht am 19.04.2021
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Entscheidungsdatum

19.04.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §76 Abs2 Z1
VwGVG §35

Spruch


W137 2205887-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Palästinensische Autonomiegebiete alias staatenlos, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.07.2018, Zl. 1195440607 – 180642376, sowie die Anhaltung in Schubhaft seit 09.07.2018 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.09.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid wird gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG (in der damals geltenden Fassung iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen und die Anhaltung in Schubhaft von 09.07.2018 bis 27.08.2018 für rechtmäßig erklärt.

II. Hinsichtlich der Anhaltung in Schubhaft ab 28.08.2018 bis 25.09.2018 wird der Beschwerde stattgegeben und die Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig erklärt.

III. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

IV. Der Antrag der belangten Behörde auf Ersatz des Verfahrensaufwands wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Der Beschwerdeführer ist „Staatsangehöriger“ der Palästinensischen Autonomiegebiete beziehungsweise staatenlos.

2. Über den Beschwerdeführer wurde mit Mandatsbescheid vom 09.07.2018 die Schubhaft angeordnet. Diese begründete das Bundesamt im Wesentlichen mit der Verschleierung der Identität und der fehlenden sozialen Verankerung im Bundesgebiet.

3. Mit Bescheid vom 10.07.2018 wurde betreffend den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem befristeten Einreiseverbot erlassen. Ein Verfahren mit Jordanien zur Erlangung eines Heimreisezertifikats wurde eingeleitet. Ergänzend wurde ein entsprechendes Verfahren mit palästinensischen Botschaft eingeleitet.

4. Am 18.09.2018 brachte der Beschwerdeführer durch seinen (damals) bevollmächtigten Vertreter eine Beschwerde gegen den Mandatsbescheid und die Anhaltung in Schubhaft ein. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer zur freiwilligen Ausreise bereit sei und bei allen verfahrensschritten mitgewirkt habe. Diese scheitere lediglich an den jordanischen Behörden. Die schubhaft sei daher jedenfalls nicht mehr verhältnismäßig. Beantragt werde a) die Behebung des Bescheides und der Anhaltung als rechtswidrig; b) die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

5. Am 19.09.2018 legte das Bundesamt den Verwaltungsakt vor. Im beigeschlossenen Vorlageschreiben verwies das Bundesamt auf den Verfahrensgang, insbesondere die Nutzung unterschiedlicher Identitäten. Seit 27.08.2018 würden bei der jordanischen Botschaft die Unterlagen zur Ausstellung eines Reisepasses vorliegen – dessen Ausstellung werde noch ein bis zwei Monate erfordern. Beantragt werde die Abweisung der Beschwerde sowie der Ersatz des Aufwandes.

6. Am 25.09.2018 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers durchgeführt. Das Bundesamt war bei der Verhandlung nicht erschienen.

Mit mündlich verkündetem Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid und die Anhaltung in Schubhaft bis 27.08.2018 abgewiesen. Hinsichtlich der Anhaltung ab 28.08.2018 wurde der Beschwerde stattgegeben und diese für rechtswidrig erklärt. Zudem wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die fortgesetzte Anhaltung in Schubhaft nicht vorliegen. Die Kostenentscheidung wurde der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten.

Der Beschwerdeführer wurde am 25.09.2018 aus der Schubhaft entlassen.

7. Das Vertretungsverhältnis wurde mit 31.12.2020 aufgelöst.

Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:

Über den Beschwerdeführer wurde am 09.07.2018 die Schubhaft angeordnet. Zuvor hatte der Beschwerdeführer abweichende Angaben zu seiner Identität gemacht.

Der Beschwerdeführer ist nicht Asylberechtigter und nicht subsidiär Schutzberechtigter; es kommt ihm kein faktischer Abschiebeschutz zu.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine familiären oder substanziellen sozialen Beziehungen im Bundesgebiet. Er spricht nicht Deutsch. Der Beschwerdeführer ist in Österreich nie einer legalen Beschäftigung nachgegangen. Er ist mittellos.

Seit 27.08.2018 steht fest, dass mit einer Abschiebung oder freiwilligen Rückkehr nicht vor Ende Oktober 2018 gerechnet werden kann. Der Beschwerdeführer ist ausreisewillig. Er hat stets an den Schritten zur Erlangung eines Reisedokuments beziehungsweise zur Ermöglichung seiner Rückkehr mitgewirkt. Die Verzögerungen sind weitgehend – seit 28.08.2018 ausschließlich – der jordanischen Botschaft zuzurechnen.

Der Beschwerdeführer war während der Anhaltung in Schubhaft grundsätzlich gesund und jedenfalls haftfähig. Es gibt keine Hinweise auf substanzielle gesundheitliche Probleme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

1.1. Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes betreffend den Beschwerdeführer.

Die abweichenden Angaben zur Identität und der asyl- wie fremdenrechtliche Status ergeben sich aus der Aktenlage.

1.2. Familiäre oder substanzielle Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet wurden vom Beschwerdeführer, ebenso wie eine legale Beschäftigung, nie behauptet. Im Verfahren sind auch keine legalen Beschäftigungsverhältnisse hervorgekommen. Die Mittellosigkeit ergibt sich aus der Anhaltedatei und den Angaben des Beschwerdeführers.

1.3. Der prognostizierbare Termin einer Rückkehr des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Schreiben des Bundesamtes vom 19.09.2018; an der Verhandlung hat das Bundesamt nicht teilgenommen und konnte daher in diesem Zusammenhang auch keine näheren Angaben machen. Unstrittig sind die Ausreisewilligkeit des Beschwerdeführers und seine bisherige Kooperation/Mitwirkung bei der Erlangung eines Reisedokuments. Aus dem Schreiben vom 19.09.2018 ergibt sich zudem zweifelsfrei, dass ab 28.08.2018 alle relevanten Unterlagen für die jordanische Botschaft vorhanden waren, diese allerdings insgesamt rund drei Monate („noch ein bis zwei Monate“) zur Bearbeitung benötigt.

1.4. Substanzielle gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers wurden in der Beschwerde nicht behauptet und sind auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

2. Rechtliche Beurteilung

2.1. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“

2.2. Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:

㤠22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1.       er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2.       er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3.       gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.

Zu Spruchteil A)

2.3. Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der damals geltenden Fassung, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

2.4. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

3. Zur Frage der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides und der Anhaltung in Schubhaft von 09.07.2018 bis 27.08.2018

3.1. Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann immer nur dann verhältnismäßig sein, wenn mit dem der Möglichkeit einer Abschiebung auch tatsächlich zu rechnen ist. Ergibt sich, dass diese fremdenpolizeiliche Maßnahme innerhalb der Schubhafthöchstdauer nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden bzw. ist – wenn sich das erst später herausstellt – umgehend zu beenden (VwGH 28.08.2012, 2010/21/0517; vgl. VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

Die „Fluchtgefahr“ ist in Österreich im § 76 Abs. 3 FPG (oben unter Punkt II.2. wiedergegeben) gesetzlich definiert. Über den Beschwerdeführer wurde nach Verhängung einer bedingten Freiheitsstrafe die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.

3.2. Die belangte Behörde begründete die festgestellte Fluchtgefahr im Wesentlichen mit widersprüchlichen Angaben zur Identität beim Aufgriff im Bundesgebiet sowie dem Fehlen familiärer sowie substanzieller sozialer und beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Das Bundesamt stützte sich dabei erkennbar auf die Ziffern 1 und 9 des § 76 Abs. 3 FPG. Dem Vorliegen der Kriterien der Ziffer 1 (wenn auch in geringer Ausprägung) wurde in der Beschwerde auch nicht substanziell entgegengetreten; vielmehr erweist sich deren Vorliegen auch im Zusammenhang mit der Beschwerde und der Aktenlage als unstrittig.

3.3. Die belangte Behörde stützt den angefochtenen Bescheid auch auf § 76 Abs. 3 Z 9 FPG, wonach der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen sind und kommt zutreffend zum Ergebnis, dass derartige Anknüpfungspunkte abseits einer staatlichen Unterbringungsmöglichkeit nicht vorhanden sind. Auch dem wurde in der Beschwerde inhaltlich nicht entgegen getreten.

Die Behörde geht auch richtigerweise von einem Überwiegen der Interessen des Staates an der Sicherstellung der Abschiebung gegenüber den Interessen des Beschwerdeführers auf Beendigung der Freiheitsentziehung zum Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft aus.

3.4. Auf Grund dieser Erwägungen ging das Bundesamt im Ergebnis zutreffend davon aus, dass im Falle des Beschwerdeführers insgesamt Fluchtgefahr in einem die Anhaltung in Schubhaft rechtfertigenden Ausmaß besteht.

3.5. Auf Grund der festgestellten Fluchtgefahr konnte auch nicht mit der Anwendung gelinderer Mittel das Auslangen gefunden werden: Dem Bundesamt ist darin beizupflichten, dass sich im Falle des Beschwerdeführers weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Auf Grund dieser Umstände und der bestehenden Fluchtgefahr, überwogen daher – wie im angefochtenen Bescheid richtig dargelegt - die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und eines geordneten Fremdenwesens die Interessen des Beschwerdeführers an der Abstandnahme von der Anordnung der Schubhaft und war diese als ultima-ratio-Maßnahme notwendig.

3.6. Das Bundesamt konnte aus den oben dargelegten Gründen zudem davon ausgehen, dass die Überstellung des Beschwerdeführers in zumutbarer Frist möglich ist. Auch die absehbare Dauer der Schubhaft war zum Zeitpunkt ihrer Anordnung nicht unverhältnismäßig: Mit der Durchführung der Überstellung war tatsächlich und innerhalb einiger Wochen zu rechnen.

3.7. Aus diesen Gründen ist die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid und die Anhaltung in Schubhaft ab 09.07.2020 abzuweisen.

4. Zur Frage der Rechtswidrigkeit der Anhaltung in Schubhaft ab 28.08.2018

Seit 27.08.2018 liegen – auch durch die belegte Mitwirkung des Beschwerdeführers – sämtliche erforderliche Unterlagen zur Ermöglichung einer Abschiebung/Rückkehr vor. Allerdings hat die jordanische Botschaft zu diesem Zeitpunkt auch mitgeteilt, dass eine Bearbeitung weitere zwei bis drei Monate (somit jedenfalls bis Ende Oktober 2018) dauern werde. Mit einer Abschiebung/Überstellung des Beschwerdeführers ist somit frühestens in mehr als einem Monat – nach einer Gesamtanhaltedauer von vier Monaten – zu rechnen.

Damit erweist sich die Schubhaft ab dem angeführten Zeitpunkt angesichts der insgesamt nicht besonders stark ausgeprägten Fluchtgefahr als nicht (mehr) verhältnismäßig. Auf diesen Umstand wurde auch in der Beschwerde hingewiesen und konnte dies auch in der Verhandlung – an der das Bundesamt trotz Ladung nicht teilgenommen hat - vertiefend erörtert werden.

Die Anhaltung in Schubhaft ab 28.08.2018 ist daher für rechtswidrig zu erklären.

5. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ist festzustellen, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen:

5.1. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Der VwGH hat zum Fortsetzungsausspruch gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG in der bis 31.12.2013 geltenden Fassung ausgesprochen, dass der Unabhängige Verwaltungssenat (UVS) im Rahmen seines Ausspruchs gemäß § 83 Abs. 4 FPG aF nicht an die im Schubhaftbescheid herangezogenen Rechtsgrundlagen gebunden ist, sondern die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft nach allen Richtungen zu prüfen hat; er ist auch nicht nur „ermächtigt“, einen „weiteren bzw. neuen Anhaltegrund für die Fortsetzung der Schubhaft zu schaffen“, sondern bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens zu einem positiven und (nur) bei deren Fehlen zu einem negativen Fortsetzungsausspruch verpflichtet. Verneint der UVS daher das Vorliegen der Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft, so bedeutet dieser Ausspruch von Gesetzes wegen die Unzulässigkeit der (Fortsetzung der) Schubhaft auf Grund jeglichen zum Bescheiderlassungszeitpunkt geltenden Schubhafttatbestandes, unabhängig davon, ob der UVS dessen Voraussetzungen (erkennbar) geprüft und dies seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (VwGH 15.12.2011, Zl. 2010/21/0292; 28.08.2012, Zl. 2010/21/0388 mwN). Diese Rechtsprechung des VwGH ist unverändert auf den Fortsetzungsausspruch des Bundesverwaltungsgerichtes nach der inhaltlich gleichlautenden Bestimmung des § 22a Abs. 3 BFA-VG übertragbar.

5.2. Wie oben dargelegt erweist sich die Schubhaft bereits seit 28.08.2020 als nicht (mehr) verhältnismäßig. Daran hat sich bis zum 25.09.2018 nichts geändert – insbesondere kann eine Abschiebung/Überstellung frühestens in 5 Wochen (Oktober 2018) erfolgen.

5.3. Es ist daher gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

6. Kostenersatz

6.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

6.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Die belangte Behörde hat als lediglich teilweise obsiegende Partei keinen Anspruch auf Kostenersatz. Dem Beschwerdeführer gebührt aus diesem Grund ebenfalls kein Kostenersatz; er hat diesen allerdings nicht einmal beantragt.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Dies liegt im gegenständlichen Fall nicht vor. Die Berücksichtigung eines unstrittigen oder zweifelsfrei belegten Vorverhaltens entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

falsche Angaben Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft Identität Kostenersatz Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf staatenlos Teilstattgebung Verhältnismäßigkeit Verzögerung Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W137.2205887.1.00

Im RIS seit

30.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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