TE Bvwg Beschluss 2021/4/20 W201 2238406-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.04.2021
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Entscheidungsdatum

20.04.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W201 2238406-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Angela SCHIDLOF als Vorsitzende und die Richterin Mag. Julia Stiefelmeyer sowie den fachkundigen Laienrichter
Franz GROSCHAN als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien vom 04.11.2020, OB XXXX , in Form der Ausstellung eines unbefristeten Behindertenpasses beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Beschwerdeführerin, hat am 25.11.2019 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) unter Vorlage eines Befundkonvolutes einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gem. § 29b StVO gestellt, welcher auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gilt, sofern die Antragstellerin noch nicht im Besitz eines solchen ist.

2.       Zur Überprüfung des Antrages hat die belangte Behörde ein Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 10.02.2020, mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung 50 vH betrage.

In diesem Gutachten wird im Wesentlichen zusammengefasst Folgendes festgehalten:

„Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Position

GdB

01

Eosinophile Granulomatose mit Polyangitiis – vormals Churg-Strauss-Syndrom

Oberer Rahmensatz, da unter dauerhafter Kortisontherapie erhöhte Infektanfälligkeit, ohne schwerwiegende Infektionen, keine stationären Aufenthalte, inkludiert fibromyalgieforme Beschwerden im Rahmen der Grunderkrankung, Wirbelkörpereinbrüche nach Kortisontherapie.

10.03.13

40 vH

02

Erschöpfungsdepressives Syndrom

Zwei Stufen über dem unteren Rahmensatz, da somatisierend, unter Medikation stabil, keine stationären Aufenthalte erforderlich.

03.06.01

30 vH

03

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule

Oberer Rahmensatz, da funktionelle Einschränkungen bei Drehbewegung, kein Hilfsmittel, keine Schmerztherapie erforderlich.

02.01.01

20 vH

04

Varikositas beidseits

Unterer Rahmensatz, da retikuläre Ausprägung ohne funktionelle Einschränkung, ohne antikoagulative Therapie, ohne dauerhaft erforderliche Kompressionstherapie.

05.08.01

10 vH

05

Funktionseinschränkung im rechten Schultergelenk

02.06.01

10 vH

06

Funktionseinschränkung im rechten Handgelenk bei Z.n. Sturz und Radiusfraktur

02.06.20

10 vH

07

Analprolaps

Unterer Rahmensatz, da geringe Auswirkungen

07.04.04

10 vH

 

Gesamtgrad der Behinderung

50 vH

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: Leiden 1 wird durch Leiden 2 um eine Stufe erhöht, da maßgebliche wechselseitige Leidensbeeinflussung gegeben ist. Die übrigen Leiden erhöhen mangels maßgeblicher wechselseitiger ungünstiger Leidensbeeinflussung nicht weiter. Dauerzustand.

3.       Im Rahmen des gemäß § 45 Abs. 3 AVG am 19.02.2020 erteilten Parteiengehörs wurde von der Beschwerdeführerin unter Vorlage weiterer Beweismittel im Wesentlichen zusammengefasst vorgebracht, dass der Grad der Behinderung mit 50 vH zu gering beurteilt sei. Es wurden weder das Zusammenwirken der Leiden noch deren Auswirkungen auf das alltägliche Leben berücksichtigt. Ihr Allgemeinzustand im Rahmen der Untersuchung sei keinesfalls normal gewesen. Auch kenne die Sachverständige sich mit dem bestehenden Leiden Churg Strauss nicht aus. Aus diesem Leiden resultiere Osteoporose und Fibromyalgie. Durch die vielen Wirbeleinbrüche und die Rippenfrakturen sei sie massiv in der Beweglichkeit eingeschränkt. Es bestehe massive Sturzgefahr. Durch die venöse Insuffizienz bestünden oft Lähmungen in den Beinen. Auch sei es ihr nach Trümmerfraktur der rechten Hand nicht einmal möglich eine Flasche zu öffnen. Auch bestehe ein erhöhtes Infektionsrisiko wegen der Hypoeosinophilie weshalb sie Abstand zu anderen Menschen halten müsse. Es sei ihr von der Benützung von Massenverkehrsmittel abgeraten worden. Sie leide an massiver Erschöpfung, Bluthochdruck und Bronchospasmus.

4.       Zur Überprüfung der Einwendungen hat die belangte Behörde ein Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Fachärztin für Innere Medizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 23.06.2020, mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung 30 vH betrage.

In diesem Gutachten wird im Wesentlichen zusammengefasst Folgendes festgehalten:

„Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Position

GdB

01

Eosinophile Granulomatose

Zwei Stufen über dem unteren Rahmensatz, da systemische Symptomatik sowie Erschöpfung, bei bestehenden Therapieoptionen.

10.03.13

30 vH

02

Generalisierte degenerative Erkrankung des Bewegungsapparates

Oberer Rahmensatz, da geringfügige funktionelle Beeinträchtigung.

02.02.01

20 vH

03

Somatisierende Depression

Zwei Stufen über dem unteren Rahmensatz, da medikamentös stabilisiert.

03.095.01

20 vH

04

Varikositas

Unterer Rahmensatz, da keine wesentliche Schwellungsneigung

05.08.01

10 vH

05

Analprolaps

Unterer Rahmensatz, da geringe Auswirkungen

07.04.04

10 vH

 

Gesamtgrad der Behinderung

30 vH

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: Das führende Leiden 1 wird von Leiden 2 und 3 wegen Leidens-Überschneidung nicht weiter erhöht. Leiden 4 und 5 erhöhen den Gesamtgrad der Behinderung nicht weiter, da von geringer funktioneller Relevanz. Dauerzustand.

Stellungnahme zu gesundheitlichen Veränderungen im Vergleich zum Vorgutachten: Leiden 1 ist seit 2013 dokumentiert und im Wesentlichen stabil, eine definitive körperliche Verschlechterung des Leidens ist nicht befundbelegt, der letzte Laborbefund (aus dem Gutachten vom 10.02.2020, Laborbefund vom 16.12.2019) sogar weitgehend unauffällig unter der laufenden Therapie, sodass Leiden 1 aus internistischer Sicht um eine Stufe niedriger eingestuft wird. Die vormaligen Leiden 3, 5 und 6 werden unter Leiden 2 zusammengefasst, da vor allem durch die Therapie bedingt und daher systemisch. Leiden 3 wird wegen der somatisierend – überschneidenden Symptomatik zu Leiden 1 um eine Stufe niedriger eingestuft.“

5.       Im Rahmen des gemäß § 45 Abs. 3 AVG am 23.07.2020 erteilten Parteiengehörs wurde von der Beschwerdeführerin unter Vorlage weiterer Beweismittel im Wesentlichen zusammengefasst vorgebracht, dass das Dr. XXXX kein ausreichendes Fachwissen – insbesondere von Churg-Strauss aufweise und ihr Gutachten unrichtig und mangelhaft sei. Sie habe im Rahmen des Einspruches ein weiteres Sachverständigengutachten beantragt um den tatsächlichen Grad der Behinderung von mehr als 50 vH feststellen zu lassen. Dr. XXXX habe den Grad der Behinderung ohne Begründung willkürlich von 50 vH auf 30 vH herabgesetzt. Die Sachverständige habe sich nicht eingelesen und sei sehr laut gewesen, was zeige, dass sie selbst psychische Probleme habe. Auch habe sie sich keine Zeit genommen. Ihr Gesundheitszustand habe sich nicht verbessert. Auf die vorliegenden Befunde sei nicht eingegangen worden. Ihre körperlichen Leiden würden ihr große Beschwerden bereiten und würde sie es nicht schaffen öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Auf Grund der Erkrankung des Immunsystems sei sie sehr geschwächt und könne öffentliche Verkehrsmittel keinesfalls benützen und sei ihr von Ärzten davon abgeraten worden. Auch habe sich die Sachverständige mit der Tatsache der besehenden Pandemie nicht auseinandergesetzt. Sie gehöre zu den besonders gefährdeten Personen. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei ihr daher keinesfalls zumutbar. Auf Grund der Pandemie und den mangelnden Sozialkontakten verschlechtere sich ihr Gemütszustand in Richtung Depression. Zusammenfassend sie in der Beweglichkeit massiv eingeschränkt und die Stiegen zur Wohnung im 1. Stock seien mit körperlichen Mühen verbunden. Es sei ihr insofern auch nicht möglich öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Ein Stehen im Zug sei wegen der Sturzgefahr nicht möglich. Sie könne die Wege zum öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr bewältigen und müssen aufgrund der Sturzgefahr und der Immunschwäche Menschengedränge meiden. Auch habe sie eine kaputte HWS mit Knochenmarkseinengung welche nicht berücksichtigt worden sei, aber zu wahnsinnigen Kopfschmerzen und Schwindel führe. Sie beantrage die Einholung eines weiteren Gutachtens durch einen Sachverständigen der sich mit
Churg -Strauss auskenne.

6.       Zur Überprüfung der Einwendungen hat die belangte Behörde eine ergänzende, auf der Aktenlage basierende, mit 05.10.2020 datierte medizinische Stellungnahme von der bereits befassten Sachverständigen Dr. XXXX eingeholt, in welcher im Wesentlichen Folgendes festgehalten wurde:

„Wie bereits im Gutachten ausführlich festgehalten, ist Leiden 1 seit 2013 ohne wesentliche funktionelle Verschlechterung befundbelegt. Hierorts präsentierte sich die AW mit freiem und unauffälligem Gangbild sowie ausreichender körperlicher Beweglichkeit. Aus internistischer Sicht ist daher eine Änderung/Erhöhung des Grades der Behinderung nicht begründbar. Die persönlichen Attacken der AW gegen meine Kollegen und mich möchte ich nicht kommentieren.“

7.       Auf Grund eines von der Beschwerdeführerin an das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gerichteten Emails – hat die belangte Behörde in der Folge das gegenständliche Verfahren dem BMSGPK vorgelegt, wo eine Prüfung der Sachverständigengutachten durch die dortige medizinische Fachabteilung erfolgte.

In der, auf der Aktenlage basierenden medizinischen Stellungnahme Dr. XXXX (undatiert) wird Folgendes festgehalten:

„Das Sachverständigengutachten Dr.in XXXX vom 13.02.2020 ist äußerst ausführlich und aussagekräftig. Es enthält einen umfangreichen Untersuchungsbefund. Die Grade der Behinderung (GdB) der einzelnen Leiden sind nachvollziehbar aus den erfassten Funktionsdefiziten, untermauert von einer umfassenden Befundwürdigung, abgeleitet. Auch der ausreichend begründete Gesamt- GdB von 50% ist aus h. o. ärztlicher Sicht korrekt.

Das Sachverständigengutachten Dr.in XXXX vom 22.07.2020 ist inhaltlich wesentlich komprimierter als das Vorgutachten. Den Beurteilungen der GdBs der einzelnen Leiden und dem festgestellten Gesamt- GdB von 30% wird seitens der medizinischen Fachabteilung nicht beigepflichtet, da eine wesentliche Verbesserung des Gesundheitszustands der Antragstellerin gegenüber dem Vorgutachten nicht ablesbar ist. Auch die darin vorgenommenen Änderungen und Zusammenfassungen einzelner Leiden und GdBs sind bei weitestgehend stabilem Erkrankungsmuster und –ausmaß nicht nachvollziehbar.

Zusammenfassend ist anhand vorliegender Gutachten und Befunde von einem Gesamt-GdB von 50% auszugehen. Eine höhere Einschätzung, wie in den Einwendungen der Antragstellerin gefordert, ist anhand der im äußerst ausführlichen Gutachten Dr.in XXXX vom 13.02.2020 dargestellten Funktionseinschränkungen derzeit nicht nachvollziehbar zu

begründen.

Den, in beiden vorliegenden Gutachten getroffenen, nachvollziehbar begründeten Beurteilungen der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wird aus ho. Ärztlicher Sicht beigepflichtet. Aufgrund der dargelegten Funktionseinschränkungen ist der Antragstellerin das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Einsteigen in öffentliche Verkehrsmittel, das Aussteigen aus öffentlichen Verkehrsmitteln und der sichere Transport in diesen möglich und zumutbar.

Eine schwere Erkrankung des Immunsystems im Sinne der Einschätzungsverordnung liegt aufgrund der vorliegenden Unterlagen bei der Antragstellerin nicht vor.

Speziell im Gutachten Dr.in XXXX wird darauf ausführlich eingegangen und die diesbezügliche Entscheidung nachvollziehbar begründet.

An dieser Beurteilung ergibt sich auch unter Einbeziehung der Einwendungen der Antragstellerin und aller im Akt vorliegenden Befunde inklusive der Ärztlichen Bestätigung von Prim. Dr. XXXX (nicht datiert) und der Ambulanten Visite vom 4.6.2020, Klinik XXXX , Prim. Univ. Doz. Dr. XXXX aus Sicht der medizinischen Fachabteilung keine Änderung.“

8.       Mit Schreiben vom 28.10.2020 hat das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz die Beschwerdeführerin vom Ergebnis der erfolgten Überprüfung in Kenntnis gesetzt.

9.       Mit Bescheid vom 04.11.2020, OB 49526359000040 hat die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 BBG abgewiesen.

10.     Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 BBG stattgegeben und einen Grad der Behinderung in Höhe von 50 vH in den Behindertenpass eingetragen.

11.      Gegen diesen Bescheid wurde von der Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage weiterer Beweismittel, wurden die bisherigen Vorbringen wiederholt. Die beigezogenen Sachverständigen seien zur Beurteilung des bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Leidens nicht qualifiziert. Sie leide an Urticaria. Es liege entgegen den Ausführungen der Sachverständigen sehr wohl eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor. Auch sei ein weiteres Leiden hinzugekommen. Sie leide am rechten Knie an schwerer Arthrose, Meniskusruptur mit einem reaktiven Knochenmarksödem einem Erguss und einem Knorpelschaden 3. Grades. Sie könne nur mit 2 Krücken und gehen, müsse das Knie schonen und habe zu Hause eine Motorschiene. Sie müsse ständig mit Schmerzen leben, da sie aufgrund der multiplen Medikamentenunverträglichkeiten keine Schmerzmittel einnehmen könne. Aus all diesen Gründen sei ihr die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel keinesfalls möglich. Der Grad der Behinderung betrage jedenfalls mehr als 50 vH. Als Beweis würden einzuholende Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Innere Medizin/Rheumatologie/ Pneumologie sowie Orthopädie und Dermatologie genannt.

12.      Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte der Aktenlage nach am 05.01.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

13.      Da aufgrund der Formulierung der Beschwerde nicht eindeutig zu erkennen war, ob sich die Beschwerde nur gegen die Ausstellung des Behindertenpasses oder auch gegen die Abweisung des beantragten Zusatzvermerkes richtet, wurde der Beschwerdeführerin die Verbesserung der Beschwerde aufgetragen. In der fristgerecht eingebrachten Verbesserung wurde von der Beschwerdeführerin - unter neuerlicher Wiederholung der bisherigen Vorbringen - mitgeteilt, dass die Beschwerde sich sowohl gegen die Ausstellung des Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung in Höhe von 50 vH als auch gegen die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ richte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Mai 1990 über die Beratung, Betreuung und besondere Hilfe für behinderte Menschen (Bundesbehindertengesetz - BBG), BGBl. Nr. 283/1990 idgF, hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen. Für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs. 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1.       wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) „in der Sache selbst“ zu entscheiden.

Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner Judikatur zur Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 28 VwGVG (vgl. VwGH vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063) grundsätzlich von einem prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus. Eine meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes liegt jedenfalls gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG vor, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde. Davon ist auszugehen, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Die verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidung in der Sache selbst sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum beschränkt. Die in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG verankerte Zurückverweisungsentscheidung stelle eine solche Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte dar. Normative Zielsetzung ist, bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken von der Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch zu machen. Davon ist auszugehen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wird das Treffen einer meritorischen Entscheidung verneint, hat das Verwaltungsgericht auch nachvollziehbar zu begründen, dass die Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 VwGVG nicht vorliegen.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Die belangte Behörde hat zur Beurteilung der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Gesundheitsschädigungen ein auf persönlicher Untersuchung basierendes Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Allgemeinmedizin eingeholt und - nach im Rahmen des Parteiengehörs erhobenen Einwendungen - den Sachverständigenbeweis erweitert und zusätzlich ein ebenfalls auf persönlicher Untersuchung basierendes Sachverständigengutachten der Fachrichtung Innere Medizin erstellen lassen. Diese Gutachten kamen hinsichtlich der Höhe des Grades der Behinderung zu unterschiedlichen Ergebnissen.

In der Folge ist eine Überprüfung des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens durch die medizinische Fachabteilung des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz erfolgt.

In der, auf der Aktenlage basierenden medizinischen Stellungnahme von Dr. XXXX , Sachverständiger der medizinischen Fachabteilung des BMSGPK wird im Wesentlichen dargestellt, dass hinsichtlich der Höhe des Grades der Behinderung dem Gutachten
Dris. XXXX zu folgen sei, da dieses einen umfangreichen Untersuchungsbefund enthalte, aussagekräftig und ausführlich sei, wohingegen das Gutachten Dris. XXXX hinsichtlich des erhobenen Grades der Behinderung nicht nachvollziehbar sei. Es sei somit von einem Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 50 vH auszugehen.

Wie konkret der Sachverständige zu dieser Beurteilung kommt wird nicht dargestellt. Weder wird auf einzelne der vorliegenden Beweismittel Bezug genommen, noch wird konkret beschrieben, auf Grund welcher Funktionsdefizite Leiden 1 mit einem Grad der Behinderung in Höhe von 40 vH zu beurteilen wäre, bzw. der Grad der Behinderung 50 vH betragen solle.

Die alleinige Einsichtnahme in zwei sich widersprechende Sachverständigengutachten ohne weitere persönliche Untersuchung ist somit nicht ausreichend zur Beurteilung des bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Gesamtleidenszustandes.

Zur Beurteilung des vorliegenden Beschwerdebildes und zur Objektivierung der tatsächlich vorliegenden Funktionsdefizite – welche für die Einschätzung des Grades der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung relevant sind – wäre jedenfalls die Einholung eines weiteren auf persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin basierenden Sachverständigengutachten erforderlich gewesen.

Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321).

Insbesondere wird in der Stellungahme Dris. XXXX ausgeführt, dass keine wesentliche Verbesserung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin gegenüber der Beurteilung Dris. XXXX eingetreten sei und daher der Beurteilung Dris. XXXX nicht gefolgt werden könne. Demgegenüber wird im internistischen Gutachten Dris. XXXX aber nicht von einer Verbesserung des Gesundheitszustandes gesprochen, sondern führt die Sachverständige aus, dass die Herabsetzung des Grades der Behinderung des Leidens „Eosinophile Granulomatose“ – gegenüber dem Gutachten Dris. XXXX - darauf basiere, dass dieses Leiden – befunddokumentiert – seit 2013 keine Veränderung erfahren habe und der Laborbefund aus 12/2019 weitgehend unauffällig sei wodurch dieses Leiden – entgegen den Ausführungen Dris. XXXX - mit nur 30 vH einzustufen sei.

Es kann somit nicht von einer Schlüssigkeit der, letztlich der Beurteilung zugrunde gelegten, lediglich auf der Aktenlage basierenden, Stellungnahme Dris. XXXX gesprochen werden.

Da die vorliegenden auf persönlicher Untersuchung basierenden Sachverständigengutachten sich hinsichtlich der Beurteilung der Höhe des Grades der Behinderung widersprechen, wäre jedenfalls die Einholung eines auf persönlicher Untersuchung basierenden Sachverständigenbeweises erforderlich gewesen, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung des aktuell vorliegenden Gesundheitszustandes und den resultierenden Funktionsdefiziten der Beschwerdeführerin zu gewährleisten.

Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag daher die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.

Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sohin unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens ein auf persönlicher Untersuchung basierendes Sachverständigengutachten zu den oben dargelegten Fragestellungen einzuholen und die Ergebnisse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben. Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird die Beschwerdeführerin mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden“ wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.

Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 46 BBG zweckmäßig.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der Beschwerdeführerin noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A) wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ausgeführt, warum die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen geboten war.

Schlagworte

Behindertenpass Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W201.2238406.1.00

Im RIS seit

30.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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