Entscheidungsdatum
23.04.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I411 2163730-1/8E
I411 2163730-2/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Robert POLLANZ als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria alias Südsudan, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Dr. Gregor KLAMMER, Jordangasse 7/4, 1010 Wien,
1. gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX vom 19.05.2017, Zl. XXXX und
2. gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX vom 19.06.2017, Zl. XXXX
nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.03.2021 zu Recht erkannt:
A)
1. Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als die gegen den Beschwerdeführer verhängte Mutwillensstrafe in der Höhe von EUR 363,-- festgesetzt wird.
2. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 08.04.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Dazu erfolgte am 10.04.2014 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Erstbefragung des BF. Hinsichtlich seiner Staatsangehörigkeit gab er an, aus dem Südsudan zu stammen. Befragt nach seinem Fluchtgrund führte der BF aus, der Vizepräsident vom Südsudan habe geplant, den Präsidenten zu ermorden. Dieser habe davon erfahren und es sei zu Kämpfen gekommen. Überall in Malakal seien Leute Ende 2012 erschossen worden und habe der BF Angst gehabt, dass auch er getötet werde, weshalb er den Südsudan verlassen habe.
3. Am 18.10.2016 erfolgte vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde, BFA) die niederschriftliche Einvernahme des BF. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe gab er im Wesentlichen zu Protokoll, er sei vor dem Krieg im Südsudan geflohen und gebe es in Malakal Kämpfe zwischen dem Sudan und dem Südsudan. Viele Menschen seien geflüchtet, dem BF persönlich sei nichts passiert. Er habe Angst gehabt und sei geflüchtet.
4. Eine neuerliche niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem BFA erfolgte am 16.12.2016, in dessen Zuge eine direkte Sprachanalyse durch die Firma XXXX per Telefon durchgeführt wurde. Dabei ergab der Sprachanalysebericht vom 29.12.2016 mit einem hohen Sicherheitsgrad, dass der BF aus Ghana und/oder Nigeria stamme.
5. Aufgrund dieses Ergebnisses fand am 21.03.2017 eine ergänzende niederschriftliche Einvernahme des BF statt, in dessen Zuge der BF nach wie vor ausführte, aus dem Südsudan zu stammen.
6. Mit selbigen Tag beauftragte die belangte Behörde die Firma XXXX mit der Erstellung einer weiteren Sprachanalyse, welche schließlich am 26.04.2017 erstellt wurde. Diese ergab, dass der BF eindeutig aus Westafrika und höchstwahrscheinlich aus Nigeria stamme, definitiv nicht jedoch aus dem Südsudan.
7. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 19.05.2017, Zl. XXXX , wurde gegen den BF „wegen offenbar mutwillig die Tätigkeit einer Behörde in Anspruch nehmen, absichtlicher Verschleppung der Angelegenheit und unrichtigen Angaben“ eine Mutwillenstrafe in der Höhe von EUR 726,-- verhängt.
8. Am 08.06.2017 fand eine ergänzende niederschriftliche Einvernahme des BF vor der belangten Behörde statt. Dabei führte der BF aus, er habe bereits gesagt, dass er aus dem Südsudan komme.
9. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 19.06.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III.). Ihm wurde keine Frist für seine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).
10. Gegen den Bescheid des BFA vom 19.06.2017, Zl. XXXX erhob der BF rechtszeitig durch seinen damaligen Rechtsvertreter Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Vorbringen des BF, aus dem Südsudan zu stammen, erweise sich als zutreffend, außerdem stelle eine Sprachanalyse keinen tauglichen Nachweis seiner Herkunft dar. Es sei wohl nur in seltenen Fällen eindeutig von der Sprachfärbung des Englischen auf eine Herkunft aus Nigeria zu schließen, zumal auch in Afrika der Videomarkt von in Nigeria, „Nollywood“, hergestellten Filmen beherrscht werde. Zudem habe der BF die an ihn gestellten Fragen zu Malakal und zum Südsudan überwiegend richtig beantwortet. Er habe nicht desinteressiert gewirkt, sondern habe angegeben, sich nicht mehr an die Fluchtroute erinnern zu können. Die belangte Behörde habe daher zu Unrecht seine Herkunft aus Nigeria angenommen und hätte sie die Herkunft aus dem Südsudan annehmen müssen, wo abgesehen von den im Südsudan wütenden Bürgerkrieg auch Dürre und Hungersnot herrsche, sodass diesfalls ein anderslautender Bescheid zu erlassen gewesen wäre.
11. Auch gegen den Bescheid vom 19.05.2017, Zl. XXXX , erhob der BF durch seinen damaligen Rechtsvertreter das Rechtsmittel der Beschwerde, wobei im Wesentlichen auf die Ausführungen der Beschwerde gegen den Bescheid vom 19.06.2017, Zl. XXXX , verwiesen und erneut ausgeführt wurde, dass der BF aus dem Südsudan stamme. Mutwillen liege damit nicht vor und bedürfe es dazu eines Bewusstseins der Grund- und Aussichtslosigkeit der behördlichen Beschäftigung, was selbst bei falschen Identitätsangaben nicht der Fall sei. Im Übrigen könne dem BF selbst im Falle einer unrichtigen Herkunftsangabe Verschleppungsabsicht nicht vorgeworfen werden, da gerade eine offenkundige Falschangabe zur Herkunft im Regelfall zu einem raschen ablehnenden Bescheid führe. Die Verfahrensdauer sei ihm nicht anzulasten und würden selbst die Einholung von Sprachgutachten nicht zu einer dreijährigen Verfahrensdauer führen. Auch die Höhe der Mutwillenstrafe sei nicht nachvollziehbar, zumal der Bescheid nicht darlege, aus welchem konkreten Grund der Höchstbetrag verhängt worden sei, auch habe die unterdurchschnittliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des BF keine Berücksichtigung erfahren. Im Übrigen wäre die Mutwillenstrafe verspätet verhängt worden.
12. Mit Schriftsatz vom 05.07.2017, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 10.07.2017, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.
13. Am 07.03.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Meldung hinsichtlich des BF in Zusammenhang mit einem Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz ein.
14. Am 22.03.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des BF und einer Dolmetscherin für englische Sprache abgehalten. Ein Vertreter der belangten Behörde ist nicht erschienen. Auch der nunmehrige Rechtsvertreter des BF, dem die Ladung nachweislich zugestellt wurde und welcher dem BF auch dessen Verhandlungstermin mitgeteilt hat, blieb der mündlichen Beschwerdeverhandlung ohne Angabe von Gründen fern. In Zuge der mündlichen Verhandlung wurde erstmalig seitens des BF vorgebracht, dass er sich in einer Lebensgemeinschaft befinde sowie Vater eines am 04.10.2019 geborenen Kindes sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige BF ist nigerianischer Staatsangehöriger und christlichen Glaubens. Seine Identität steht nicht fest. Er versuchte während seines Aufenthalts im Bundesgebiet, seinen Herkunftsstaat zu verschleiern und hat damit vorsätzlich und mutwillig österreichische Behörden durch falsche Angaben sowie in der Absicht einer Verfahrensverschleppung, um dadurch eine Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet zu erlangen, behindert und in Anspruch genommen und dabei sowohl die personellen als auch die finanziellen Ressourcen des BFA erheblich belastet.
Seit der Stellung seines Asylantrages im April 2014 ist der BF im Bundesgebiet aufhältig, wobei er mehrere Jahre hinweg obdachlos gemeldet war. Seit 10.10.2019 ist der BF an derselben Adresse mit Hauptwohnsitz erfasst wie seine nigerianische Lebensgefährtin und der am 04.10.2019 geborene gemeinsame Sohn, ebenfalls ein nigerianischer Staatsangehöriger. Die Lebensgefährtin des BF verfügt seit 07.12.2020 über eine Aufenthaltsberechtigung nach § 55 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 AsylG, der Sohn über eine Aufenthaltsberechtigung plus gemäß § 55 Abs 1 Z 1 und 2 AsylG. Der Antrag der Lebensgefährtin auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des BFA hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und erwuchs dieser Bescheid in Rechtskraft.
Im September 2017 wurde beim BF Diabetes mellitus Typ II diagnostiziert, wobei er gegenwärtig die Medikamente Diamicron MR 30 mg, Steglatro 5 mg und Janumet 50 mg/1000 mg zur Senkung des Blutzuckerspiegels einnimmt. Eine medizinische Versorgung in Nigeria wäre möglich, auch entsprechende Medikamente sind dort erhältlich. Der BF ist arbeitsfähig.
Er bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung und bestreitet seinen Lebensunterhalt durch seine Lebensgefährtin, welche Grundversorgung bezieht, weiters durch die Vornahme unregelmäßiger Tätigkeiten, beispielsweise Helfen bei Umzügen sowie beim Be- und Entladen von Containern. Einer legalen sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit ging der BF in Österreich zu keinem Zeitpunkt nach.
In seinem Heimatland hat der BF die Grundschule besucht, eine Berufsausbildung jedoch nicht ergriffen.
Mit Urteil zu XXXX des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 17.04.2019, rechtskräftig seit selbigem Tag, wurde der BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 8. Fall und Abs 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten verurteilt, wobei ein Teil von sechs Monaten bedingt nachgesehen wurde.
Der BF weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf. Die Deutschkenntnisse des BF bewegen sich auf einem äußerst niedrigen Niveau. Er hat keine Deutsch-Sprachprüfung abgelegt, auch besucht er keine Kurse in Österreich, zudem ist er nicht Mitglied in einem Verein. Sonstige erwähnenswerte sozialen Kontakte pflegt er nicht, er besucht jedoch die Kirche.
1.2. Zum Fluchtvorbringen und zur individuellen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers:
Der BF wird in seinem Herkunftsland Nigeria weder aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe noch aufgrund seiner politischen Gesinnung verfolgt und ist in seinem Herkunftsstaat nicht gefährdet, aus solchen Gründen verfolgt zu werden.
Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Nigeria eine Verletzung von Art 2, Art 3 oder auch der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der BF ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.
Im Falle einer Rückkehr nach Nigeria ist dem BF nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen.
1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:
Die aktuelle Situation im Herkunftsstaat (letzte Änderung: 23.11.2020) des BF stellt sich in seinen gegenständlich wesentlichen Auszügen wie folgt dar:
Das politische System Nigerias orientiert sich stark am System der Vereinigten Staaten; in der Verfassungswirklichkeit dominieren der Präsident und die ebenfalls direkt gewählten Gouverneure. Die lange regierende People´s Democratic Party (PDP) musste nach den Wahlen 2015 erstmals seit 1999 in die Opposition; seither ist die All Progressives´ Congress (APC) unter dem am 23.02.2019 wiedergewählten Präsidenten Muhammadu Buhari an der Macht.
In Nigeria herrscht keine Bürgerkriegssituation; es gibt keine Bürgerkriegsgebiete oder –parteien. Allerdings sind der Nordosten, der Middle Belt, das Nigerdelta und der Bundesstaat Zamfara von Unruhen und Spannungen geprägt. Im Südosten bestehen zudem Spannungen wegen Gruppen von Igbo, die für ein unabhängiges Biafra eintreten. Spannungen bestehen auch zwischen der Armee und dem Islanic Movement in Nigeria (IMN). Für einzelne Teile Nigerias (insbesondere für die nordöstlichen Bundesstaaten) besteht eine Reisewarnung, insbesondere aufgrund des hohen Entführungsrisikos.
Im Norden und Nordosten Nigerias hat sich die Sicherheitslage verbessert; in den ländlichen Teilen der Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa kommt es aber weiterhin zu Anschlägen der Boko Haram. Es gelang den Sicherheitskräften zwar, Boko Haram aus den meisten ihrer Stellungen zu vertreiben. Seitens des Präsidenten wurde bereits der „technische Sieg“ über Boko Haram proklamiert, wobei es tatsächlich gelungen ist, Boko Haram aus einigen Gebieten zu vertreiben. Nach Rückzug in unwegsames Gelände und dem Treueeid einer Splittergruppe gegenüber dem sog. Islamischen Staat ist Boko Haram mittlerweile zu ursprünglichen Guerillataktik von Überfällen auf entlegenere Dörfer und Selbstmordanschlägen oft auch durch Attentäterinnen zurückgekehrt. doch war es kaum möglich, die Gebiete vor weiteren Angriffen durch die Islamisten zu schützen. Einige Gebiete stehen immer noch unter der Kontrolle der verschiedenen Fraktionen der Gruppe, wobei JAS im Nordosten in Richtung Kamerun am aktivsten ist, während ISIS-WA hauptsächlich in der Nähe der Grenze zu Niger operiert. Boko Haram kontrolliert einige Dörfer nahe des Tschad-Sees. Im Jahr 2019 führten Boko Haram und ISIS-WA Angriffe auf Bevölkerungszentren und Sicherheitskräfte im Bundesstaat Borno durch. Boko Haram führte zudem in eingeschränktem Ausmaß Anschläge im Bundesstaat Adamawa durch, während ISIS-WA Ziele im Bundesstaat Yobe angriff. Boko Haram kontrolliert zwar nicht mehr so viel Territorium wie zuvor, jedoch ist es beiden Gruppen im Nordosten des Landes weiterhin möglich, Anschläge auf militärische und zivile Ziele durchzuführen. Im Nordosten hat sich die Sicherheitslage nach zeitweiliger Verbesserung (2015-2017) seit 2018 wieder verschlechtert. Die nigerianischen Streitkräfte sind nicht in der Lage, ländliche Gebiete zu sichern und zu halten und beschränken sich auf das Verteidigen einiger urbaner Zentren im Bundesstaat Borno.
Der nigerianischen Armee und der zivilen Bürgerwehr Joint Task Force wird vorgeworfen, im Kampf gegen Boko Haram zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben; die von Präsident Buhari versprochene Untersuchung blieb bisher aber folgenlos.
Das Nigerdelta (Bundesstaaten Ondo, Edo, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo, Abia, Akwa Ibom und Cross River) ist seit Jahren von gewalttätigen Auseinandersetzungen und Spannungen rund um die Verteilung der Einnahmen aus den Öl- und Gasreserven geprägt. Von 2000 bis 2010 agierten in der Region militante Gruppen, die durch ein im Jahr 2009 ins Leben gerufene Amnestieprogramm zunächst beruhigt wurden. Nach dem Auslaufen des Programmes Ende 2015 brachen wieder Unruhen aus, so dass eine weitere Verlängerung beschlossen wurde. Zwischen der Regierung und den Delta-Interessensgruppen laufen Dialogprozesse und wird ein fallweise gebrochener Waffenstillstand grundsätzlich gehalten. Die Lage hat sich seit November 2016 wieder beruhigt, doch bleibt sie volatil. Insbesondere kam es zum Wiederaufleben von Angriffen auf die Ölinfrastrukturen, die die Stabilität der Erdölproduktion bedrohen. Gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta geht zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force unter Federführung des Militärs zT sehr effektiv vor, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelte es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen zur Durchsetzung finanzieller Partikularinteressen solcher Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften, die einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen darstellen. Entführungen zur Lösegelderpressung sind im Nigerdelta und in den südöstlichen Bundesstaaten Abia, Imo und Anambra besonders häufig.
In Zentralnigeria (Middle Belt bzw. Jos Plateau) kommt es immer wieder zu lokalen Konflikten zwischen ethnischen, sozialen und religiösen Gruppen. Der Middle Belt bildet eine Brücke zwischen dem vorwiegend muslimischen Nordnigeria und dem hauptsächlich christlichen Süden. Der Ursprung dieser Auseinandersetzungen, etwa zwischen (überwiegend muslimischen nomadischen) Hirten und (überwiegend christlichen) Bauern, liegt oft nicht in religiösen Konflikten, entwickelt sich aber häufig dazu.
Die Justiz Nigerias hat ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht, doch bleibt sie politischem Einfluss, Korruption und einem Mangel an Ressourcen ausgesetzt. Eine systematisch willkürliche bzw nach Rasse, Nationalität oä diskriminierende Strafverfolgung und Strafzumessungspraxis ist nicht erkennbar, doch werden aufgrund der herrschenden Korruption tendenziell Ungebildete und Arme, die sich nicht von Beschuldigungen freikaufen oder eine Freilassung auf Kaution oder sich einen Rechtsbeistand leisten können, benachteiligt. Elementare prozessuale Rechte (Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über Anklagepunkte, Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren, Recht auf einen Anwalt und auf ausreichende Vorbereitung der Verteidigung, Verbot der Selbstbezichtigung, Fragerecht usw) sind gesetzlich vorgesehen, werden aber mitunter nicht gewährleistet. Das Institut der Pflichtverteidigung gibt es erst in einigen Bundesstaaten. Im Allgemeinen hat der nigerianische Staat Schritte unternommen, um ein Strafverfolgungssystem zu etablieren und zu betreiben, im Rahmen dessen Angriffe von nicht-staatlichen Akteuren bestraft werden. Er beweist damit in einem bestimmten Rahmen eine Schutzwilligkeit und -fähigkeit, die Effektivität ist aber durch einige signifikante Schwächen eingeschränkt. Effektiver Schutz ist in jenen Gebieten, wo es bewaffnete Konflikte gibt (u.a. Teile Nordostnigerias, des Middle Belt und des Nigerdeltas) teils nicht verfügbar. Dort ist auch für Frauen, Angehörige sexueller Minderheiten und Nicht-Indigene der Zugang zu Schutz teilweise eingeschränkt. In insgesamt zwölf mehrheitlich muslimisch besiedelten, nördlichen Bundesstaaten wird die Scharia angewendet. Es gilt nur für Muslime. Christen steht es aber frei, sich einem staatlichen Gerichtsverfahren zu unterwerfen. Nicht-Muslime haben aber jedenfalls das Recht auf ein Verfahren vor einem säkularen Gericht. Den rigorosen Strafandrohungen der Scharia stehen ebenso rigorose Beweisanforderungen gegenüber, sodass bei prozedural einwandfreien Scharia-Verfahren ein für eine Verurteilung ausreichender Zeugenbeweis oft nicht zu führen ist. In der Vergangenheit ist es aufgrund der Komplexität des auch für viele Richter zunächst noch neuen islamischen Beweisrechts insbesondere in der Eingangsinstanz oft zu mit Rechtsfehlern behafteten Urteilen gekommen. Dabei erregten Ermittlungen und Anklagen wegen sogenannter Hudud-Straftatbestände (z.B. außerehelicher Geschlechtsverkehr, Diebstahl, Straßenraub, Alkoholgenuss) in den letzten Jahren weit weniger öffentliche Aufmerksamkeit als noch in den ersten Jahren nach der Wiedereinführung des islamischen Strafrechts. Die Scharia-Berufungsgerichte wandeln konsistent Steinigungs- und Amputationsurteile in andere Strafen um. Im Jahr 2019 gab es keine Berichte über ausgeführte Prügelstrafen.
Der (Bundes-)Polizei (National Police Force – NPF) obliegen die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben. Sie umfasst rund 360.000 Personen, die durch geringe Besoldung und schlechte Ausrüstung eingeschränkt ist, wird oftmals die Armee zur Seite gestellt. Insgesamt ist trotz der zweifelsohne vorhandenen Probleme im Allgemeinen davon auszugehen, dass die nigerianischen Behörden gewillt und fähig sind, Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten. Problematisch ist aber insbesondere, dass Gefangene häufig Folterung und Misshandlung ausgesetzt sind. Disziplinarrechtliche oder strafrechtliche Folgen hat dies kaum. Die Bedingungen in den Haftanstalten sind hart und lebensbedrohlich. Nigeria hält an der Todesstrafe fest, diese ist seit 2006 de facto ausgesetzt, wobei es in den Jahren 2013 und 2016 in Edo State aber zu einzelnen Hinrichtungen gekommen war 2019 gab es keine Berichte über Hinrichtungen, auch 2018 ist es zu keinen Exektutionen gekommen, allerdings wurden mindestens 46 Todesurteile verhängt. Die Regierung Buharis hat der Korruption den Kampf erklärt, doch mangelt es ihr an effektiven Mechanismen.
In verschiedenen Regionen des Landes haben sich bewaffnete Organisationen in Form von ethnischen Vigilantengruppen gebildet, z.B. der Odua People’s Congress (OPC) im Südwesten oder die Bakassi Boys im Südosten. Bei diesen Gruppen kann man sich gegen Zahlung eines Schutzgeldes „Sicherheit“ erkaufen. Die Polizei geht teilweise gegen diese Gruppen vor, teilweise arbeitet sie aber auch mit ihnen zusammen. Im Kampf gegen Boko Haram hat sich unter Federführung der Armee im Nordosten eine interethnische Vigilantengruppe – die Civilian Joint Task Force (CJTF) – herausgebildet, die eng mit dem Militär kooperiert und auch von der Regierung unterstützt wird. Vigilantengruppen verletzen durch Verhaftungen von Personen regelmäßig persönliche Freiheiten der Bürger. Aufgrund eines im September 2017 vereinbarten Aktionsplanes zur Unterbindung der Rekrutierung und Verwendung von Kindern kommt es nicht mehr zur Rekrutierung von Kindern und zur Reintegration von ehemaligen Kindersoldaten.
Zur Einhaltung von religiösen Vorschriften besteht in einigen Bundesstaaten die Hisbah-Polizei, welche in den Bundesstaaten Zamfara, Niger, Kaduna und Kano mit erweitertem Scharia-Geltungsbereich zur Rechtsdurchsetzung va bei Verkehrsdelikten und der Marktaufsicht ermächtigt sind. Hisbah verhaftet auch Straßenbettler und Prostituierte sowie beschlagnahmt und vernichtet Alkohol. Das Oberste Gericht hat Hisbah, die in Kano direkt vom Bundesstaat betrieben wurde, als verfassungswidrig bezeichnet und wurde daher umorganisiert.
Folter und unmenschliche Behandlung sind verboten und stehen auch seit 2017 unter Strafe. Dennoch bestehen Vorwürfe gegen nigerianische Streitkräfte, schwerste Menschenrechtsverletzungen, wie Folter, willkürliche Verhaftungen und Tötungen zu begehen. Im Rahmen des Kampfes gegen Boko Haram und ISIS-WA im Nordosten des Landes kommt es bei Anti-Terror-Operationen durch Sicherheitskräfte zu Menschenrechtsverletzungen. Die Special Anti-Robbery Squad (SARS) geht brutal gegen Verdächtige vor und es kommt zu Folter, gezwungenen Geständnissen und Tötungen. Gesicherte Erkenntnisse über systematisches Verschwindenlassen unliebsamer Personen durch staatliche Organe liegen nicht vor, es bestehen aber diesbezügliche Vorwürfe, insbesondere gegenüber dem Inlandsgeheimdienst und gegen die im Norden des Landes agierenden Sicherheitskräfte der Joint Task Force. Willkürliche Verhaftungen sind gesetzlich verboten. Dennoch werden solche Praktiken, insbesondere im Kampf gegen Boko Haram praktiziert. Betroffene sind insbesondere auch Frauen, Kinder und Jugendliche, die festgehalten werden, weil sie im Verdacht stehen, mit Mitgliedern von Boko Haram verwandt zu sein. Boko Haram entführte andererseits viele Mädchen und Frauen, wobei bisweilen diese wieder freigelassen werden. Boko Haram setzt sie als Lastenträger sowie für Selbstmordattentate ein. Außerdem werden sie häufig sexuell missbraucht und an Mitglieder von Boko Haram zwangsverheiratet.
Auch wenn Korruption verboten ist, ist dieses Problem weit verbreitet. Eine effektive Umsetzung der Gesetze gegen die Korruption erfolgt nicht. Korruption betrifft alle Ebenen in den Behörden, der Justiz und bei den Sicherheitskräften. Die Korruptionsbekämpfung ist seit 1999 wenig erfolgreich. Die Independent Corrupt Practices and Other Related Offenses Commission (ICPC) hält ein breites Mandat bezüglich der Verfolgung fast aller Formen von Korruption, während die Economic and Financial Crimes Commission (EFCC) auf Finanzdelikte beschränkt ist. Obwohl die Bemühungen der EFCC und der ICPC sich auf Regierungsbeamte mit niedrigem und mittlerem Rang konzentrieren, haben beide Organisationen mit Ermittlungen und Anklagen gegen verschiedene hochrangige Regierungsbeamte begonnen.
Die Menschenrechtssituation in Nigeria hat sich in den letzten 20 Jahren verbessert, schwierig bleiben aber die allgemeinen Lebensbedingungen. Die Versammlungsfreiheit ist verfassungsrechtlich garantiert, wird aber gelegentlich durch das Eingreifen von Sicherheitsorganen bei politisch unliebsamen Versammlungen eingeschränkt. Die politische Opposition kann sich aber grundsätzlich frei betätigen; es gibt auch keine Erkenntnisse über die Verfolgung von Exilpolitikern durch die nigerianische Regierung. Gelegentlich gibt es aber, vor allem bei Gruppen mit sezessionistischen Zielen, Eingriffe seitens der Staatsgewalt. Dabei ist insbesondere die Bewegung im Süden und Südosten Nigerias zu nennen, die einen unabhängigen Staat Biafra fordert. Dafür treten sowohl das Movement for the Actualisation of the Sovereign State of Biafra (MASSOB) und die Indigenous People of Biafra (IPOB) ein. Seit der Verhaftung des Leiters des inzwischen verbotenen Radiosenders „Radio Biafra“ im Oktober 2015 kommt es vermehrt zu Demonstrationen von Biafra-Anhänger, gegen die laut verschiedenen Berichten, unter anderem von Amnesty International, von den nigerianischen Sicherheitskräften mit Gewalt vorgegangen worden sein soll. Zur Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wurden Truppen entsandt und die IPOB zur terroristischen Organisation erklärt und – wie auch die schiitische Islamische Bewegung Nigerias (IMN), die im Juli 2019 zur illegalen Organisation erklärt wurde – verboten. Die Polizei geht gegen Mitglieder der IPOB und der IMN mittels Inhaftierungen vor. Die Sicherheitskräfte nahmen im Verlauf des Jahres 2019 mindestens 200 Mitglieder und Unterstützer der IPOB fest, zehn Personen wurden getötet. In Abia wurden mutmaßliche IPOB-Mitglieder etwa wegen Mordes, Brandstiftung und anderen Verbrechen verhaftet. Seither hat es seitens IPOB und MASSOB nur noch vereinzelt Versuche gegeben, in der Öffentlichkeit für die (verfassungswidrige) Unabhängigkeit eines fiktiven Staates „Biafra“ zu werben. Diese wurden von den nigerianischen Sicherheitsbehörden regelmäßig unterbunden. Insgesamt können diese Bewegungen als relativ unbedeutende Randgruppen angesehen werden. Auch wenn der IPOB Führer Nnamdi Kanu vom Ausland aus für die Biafra Bewegung agiert, ist in Nigeria selbst IPOB derzeit nicht mehr aktiv.
Im Vielvölkerstaat Nigeria ist Religionsfreiheit einer der Grundpfeiler des Staatswesens. Etwa 50% der Bevölkerung sind Muslime, 40 % bis 45 % Christen und der Rest Anhänger von Naturreligionen. Im Norden dominieren Muslime, im Süden Christen. Religiöse Diskriminierung ist verboten. In der Praxis bevorzugen die Bundesstaaten aber in der Regel die jeweils durch die lokale Mehrheitsbevölkerung ausgeübte Religion. Insbesondere in den Scharia-Staaten ist die Situation für Christen sehr schwierig. Die Toleranz zwischen den Glaubensgemeinschaften ist nur unzureichend ausgeprägt, mit Ausnahme der Yoruba im Südwesten Nigerias, unter denen auch Ehen zwischen Christen und Muslimen verbreitet sind. Speziell in Zentralnigeria kommt es zu lokalen religiösen Auseinandersetzungen, die auch zahlreiche Todesopfer gefordert haben. In Nigeria gibt es auch noch Anhänger von Naturreligionen („Juju“); eine Verweigerung der Übernahme einer Rolle als Priester kann schwierig sein, doch wird dies nicht als Affront gegen den Schrein empfunden und sind auch keine Fälle bekannt, in denen dies zu einer Bedrohung geführt hätte. Im Süden Nigerias sind auch Kulte und Geheimgesellschaften vorhanden; insbesondere im Bundesstaat Rivers überschneiden sich Kulte häufig mit Straßenbanden, kriminellen Syndikaten etc. Mafiöse Kulte prägen trotz ihres Verbotes das Leben auf den Universitäten; es wird auch über Menschenopfer berichtet. Das Secret Cult and Similar Activities Prohibition Gesetz aus dem Jahr 2004 verbietet ca. 100 „Kulte“, darunter kriminelle Banden sowie: spirituell und politisch motivierte Gruppen auf der Suche nach Macht und Kontrolle.
Insgesamt gibt es (je nach Zählweise) mehr als 250 oder 500 Ethnien in Nigeria. Die wichtigsten sind die Hausa/Fulani im Norden, die Yoruba im Südwesten und die Igbo im Südosten. Generell herrscht in Nigeria Bewegungsfreiheit und ist Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie verboten. Allerdings diskriminieren Gesetze jene ethnischen Gruppen, die am jeweiligen Wohnort nicht eigentlich indigen sind. So werden etwa Angehörige der Volksgruppe Hausa/Fulani im Bundesstaat Plateau diskriminiert.
Generell besteht aufgrund des fehlenden Meldewesens in vielen Fällen die Möglichkeit, Verfolgung durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen. Dies kann aber mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn man sich an einen Ort begibt, in dem keinerlei Verwandtschaft oder Bindung zur Dorfgemeinschaft besteht.
Nigeria verfügt über sehr große Öl- und Gasvorkommen, der Großteil der Bevölkerung ist aber in der Landwirtschaft beschäftigt. Abgesehen vom Norden gibt es keine Lebensmittelknappheit. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben in absoluter Armut. Offizielle Arbeitslosenstatistiken gibt es nicht, allerdings gehen verschiedene Studien von einer Arbeitslosigkeit von 80% aus. Die Großfamilie unterstützt beschäftigungslose Angehörige.
Die medizinische Versorgung ist mit jener in Europa nicht vergleichbar, sie ist vor allem im ländlichen Bereich problematisch. Leistungen der Krankenversicherung kommen nur etwa 10 % der Bevölkerung zugute. In den Großstädten ist eine medizinische Grundversorgung zu finden, doch sind die Behandlungskosten selbst zu tragen. Medikamente sind verfügbar, können aber teuer sein.
Besondere Probleme für abgeschobene Asylwerber nach ihrer Rückkehr nach Nigeria sind nicht bekannt. Das „Decree 33“, das eine Doppelbestrafung wegen im Ausland begangener Drogendelikte theoretisch ermöglichen würde, wird nach aktueller Berichtslage nicht angewandt.
Gefälschte Dokumente (Geburts- und Heiratsurkunden, Zeugnisse von Schulen und Universitäten etc.) sind in Lagos und anderen Städten ohne Schwierigkeiten zu erwerben. Sie sind professionell gemacht und von echten Dokumenten kaum zu unterscheiden. Inhaltlich unwahre, aber von den zuständigen Behörden ausgestellte (Gefälligkeits-)Bescheinigungen sowie Gefälligkeitsurteile in Familiensachen kommen vor. Vorgelegte angebliche Fahndungsersuchen nigerianischer Sicherheitsbehörden sind in der Form oft fehlerhaft oder enthalten falsche Darstellungen behördlicher Zuständigkeiten und sind dadurch als Fälschungen zu erkennen. Aufrufe von Kirchengemeinden – z.B. genannten Asylbewerbern Zuflucht und Schutz zu gewähren – sind oft gefälscht. Es sind auch so gut wie keine gefälschten nigerianischen Pässe im Umlauf. Allerdings ist es aufgrund des nicht vorhandenen Meldewesens, verbreiteter Korruption in den Passbehörden sowie Falschangaben der Antragsteller ohne weiteres möglich, einen nigerianischen Reisepass zu erhalten, der zwar echt, aber inhaltlich falsch ist – u.a. unter Vorlage gefälschter Dokumente.
Eine nach Nigeria zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.
2. Beweiswürdigung:
Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:
2.1. Zum Verfahrensgang
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.2. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF vor dieser, in die bekämpften Bescheide und in die Beschwerdeschriftsätze sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria (letzte Änderung am 23.11.2020). Auskünfte aus dem Strafregister, der Grundversorgung, dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister sowie ein Sozialversicherungsdatenauszug wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt, ebenso zur Lebensgefährtin und zum Sohn des BF.
Zudem wurde der BF am 22.03.2021 in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht einvernommen. In diesem Zuge brachte der BF erstmalig vor, dass er sich in einer Lebensgemeinschaft befinde sowie Vater eines am 04.10.2019 geborenen Kindes sei.
2.3. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Volljährigkeit und zur Glaubenszugehörigkeit ergeben sich aus den diesbezüglich übereinstimmenden Ausführungen des BF vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Protokoll vom 10.04.2014, AS 3), der belangten Behörde (Protokoll vom 18.10.2016, AS 69) und dem erkennenden Richter im Zuge der mündlichen Verhandlung (Protokoll vom 22.03.2021, S 4). Zumal der BF den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest.
In Zusammenhang mit dem Herkunftsstaat des BF bleibt Folgendes festzuhalten: Der BF behauptete während seines Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz vor der belangten Behörde, somit im Zeitraum von April 2014 bis Juni 2017 wiederholt – trotz Hinweis auf die rechtlichen Konsequenzen und trotz des Vorliegens zweier Sprachgutachten – aus dem Südsudan zu stammen. Obgleich sowohl der Sprachanalysebericht der Firma XXXX vom 29.12.2016 dem BF mit einem hohen Sicherheitsgrad ob der Phonologie, Prosodie, Morphologie, Syntax und lexikalischer Merkmale einen ghanaischen und/oder nigerianischen Hintergrund attestierte und auch die Firma XXXX mit Bericht vom 26.04.2017 feststellte, dass die Sozialisierung des BF eindeutig in Westafrika, mit hoher Wahrscheinlichkeit in Nigeria, und auf keinen Fall im Südsudan stattgefunden hat, blieb der BF bis zum Schluss, so auch bei seiner mündlichen Beschwerdeverhandlung am 22.03.2021 bei seiner Angabe, aus dem Südsudan zu stammen. Dabei ist insbesondere bemerkenswert, dass der BF, welcher angab der Volksgruppe der Dinka anzugehören, weder die Erstsprache Dinka dieser Volksgruppe sprechen vermochte, noch irgendeine andere südsudanesische Sprache, darüber hinaus auch kein südsudanesisches Englisch. Das Beschwerdeargument, wonach eine Sprachanalyse keinen tauglichen Nachweis der Herkunft darstelle, vermag ob des Vorliegens zweier Sprachanalysen, welche beide zum Ergebnis einer Sozialisierung des BF in Westafrika gelangen, wobei beide Male schließlich eine Konkretisierung zu Nigeria erfolgte, keine Relevanz entfalten. Dem Argument, wonach die in Nigeria hergestellten „Nollywood“- Videos die Sprachfärbung des BF beeinflusst hätten, steht entgegen, dass eine Sozialisierung bzw. Sprachfärbung vielmehr durch das familiäre Umfeld bzw. auch durch die Schule erfolgt als durch Videos. Auch ein „überwiegendes Beantworten der Fragen“, wie in der Beschwerde ausgeführt, gestaltet sich ob der nachfolgenden Auszüge aus der niederschriftlichen Einvernahme des BF als nicht zutreffend (Protokoll vom 18.10.2016, AS 72 f):
F: Wie heißt die Hauptstadt vom Südsudan?
Anmerkung: Die Hauptstadt heißt „Juba“
A: Juba.
[…]
F: Wo befindet sich der Flughafen in Malakal?
A: Im Norden von Malakal, aber ich bin mir nicht sicher.
F: Wo befindet sich der Nil? Nördlich, südlich, östlich oder westlich der Stadt?
Anmerkung: Der AW macht einen Plan und zeichnet den Nil südlich der Stadt ein. Er befindet sich nördlich der Stadt.
A: Ich weiß es nicht.
F: Wann trennte sich der Südsudan vom Sudan?
Anmerkung: „Am 9. Juli 2011 trennte sich der Süden vom Norden, ein neuer Staat entstand.“
A: 09. Juni 2011.
F: Wie schaut die Flagge vom Südsudan aus?
Anmerkung: Es ist dieselbe Flagge wie vom Sudan (3 Balken, von oben: schwarz, rot und grün mit einem blauen Dreieck am linken Rand) aber mit einem gelben Sterin in der Mitte des blauen Dreiecks.
A: Grün oben, schwarz in der Mitte und rot am unteren Rand mit einem blauen Dreieck und einem gelben Stern in der Mitte.
F: An welchem Fluss liegt Malakal?
Anmerkung: Am „Weißen Nil“.
A: Der „Upper Nile River“ geht durch Malakal.
F: Wie Schaut das Wappen des Südsudan aus und was ist darauf geschrieben?
Anmerkung: Ein Adler mit einem Speer und einer Schaufel hinter einem Schild und auf einem Band steht „Justice, Liberty, Prosperity“
A: Das weiß [ich] leider nicht.
F: Kennen Sie eine Zeile der Nationalhymne vom Südsudan?
A: Nein, daran kann ich mich nicht erinnern.
F: Wo und wann genau waren die Kämpfe die Sie miterlebt haben?
A: In Malakal, mehr weiß ich nicht.
[…]
Der erkennende Richter schließt sich gegenständlich ob der beiden Sprachanalysen und den soeben wiedergegebenen Ausführungen des BF vor der belangten Behörde der Ansicht des BFA an, dass der BF nicht aus dem Südsudan, sondern vielmehr aus Nigeria stammt. Der am 08.04.2014 gestellte Antrag auf internationalen Schutz wurde damit im vollen Bewusstsein der Grund- und Erfolglosigkeit seines Anbringens gestellt. In der Folge hat der BF damit durch dieses rechtsmissbräuchliche prozessuale Verhalten das Verfahren auf internationalen Schutz unnötig in die Länge gezogen bzw. behindert, was sowohl die personellen als auch die finanziellen Ressourcen des BFA erheblich belastet hat.
In Zusammenhang mit dem Aufenthalt des BF im Bundesgebiet seit April 2014 bleibt auf das Datum seiner Asylantragstellung zu verweisen (AS 5), seine melderechtliche Erfassung samt Zeiten der Obdachlosigkeit lassen sich einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister zu seiner Person entnehmen. Obgleich der BF im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung behauptet hat, dass es sich bei seiner Lebensgefährtin um eine ghanaische Staatsangehörige handle (Protokoll vom 22.03.2021, S 5), war einem Auszug aus dem Fremdenregister zu ihrer Person und dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem zu entnehmen, dass sie eine nigerianische Staatsangehörige ist, ebenso der gemeinsame Sohn. Auch die jeweiligen Aufenthaltstitel gehen aus deren Auszügen aus dem Zentralen Fremdenregister hervor. Dem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister zur Person der Lebensgefährtin war des Weiteren zu entnehmen, dass ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde und dieser Bescheid in Rechtskraft erwuchs. Der Umstand, dass der BF der Vater ihres Kindes ist, ergibt sich aus der im Zuge der mündlichen Verhandlung vorgelegten Geburtsurkunde sowie der Beurkundung der Anerkennung der Vaterschaft.
Hinsichtlich der Diabetes mellitus Typ II Erkrankung brachte der BF eine Ambulanzkarte des Krankenhauses XXXX vom 25.10.2017, eine Ambulanzkarte des Krankenhauses XXXX vom 30.10.2017, einen Kumulativbefund vom 30.10.20217, einen Patientenbrief XXXX vom 09.11.2017 sowie einen mit selbigen Tag datierten Entlassungsbrief in Vorlage, zudem auch seine gegenwärtige Medikation. Der Umstand, wonach eine medizinische Versorgung von Diabetes mellitus Typ II in Nigeria möglich ist, ergibt sich aus den Länderfeststellungen unter besonderer Berücksichtigung der „Country Policy and Information Note Nigeria: Medical and healthcare issues“ mit Stand Januar 2020. Die Feststellung der Verfügbarkeit entsprechender Medikamente in Nigeria in Zusammenhang mit Diabetes mellitus II ergibt sich aus einer Liste des nigerianischen Gesundheitsministeriums mit Stand 2020 (https://www.health.gov.ng/doc/Nigeria-Essential-Medicine-List-2020.pdf), wobei Medikamente mit den Wirkstoffen Sitagliptin und Gliclazide, welche zwei der drei gegenwärtig eingenommenen Medikamente des BF beinhalten, aufgelistet sind. Darüber hinaus besteht ein Zugang auch zu weiteren oral einzunehmende Antidiabetika-Medikamenten mit den Arzneistoffen Vildagliptin, Metformin, Glimepirid und Glibenclamid. Zumal die Diabetes-Erkrankung des BF eine entsprechende Behandlung erfährt und weder den vorgelegten Urkunden noch dem Akteninhalt Gegenteiliges zu entnehmen war, konnte unter Mitberücksichtigung des erwerbsfähigen Alters des BF auf dessen Erwerbsfähigkeit geschlossen werden. Darüber hinaus vermeinte der BF auch selbst, unregelmäßigen Tätigkeiten nachzugehen (Protokoll vom 22.03.2021, S 9).
Die Feststellung, wonach der BF keine Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, ist im Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem zu seiner Person dokumentiert, seine unregelmäßigen Tätigkeiten gab er – wie bereits ausgeführt – im Zuge der mündlichen Verhandlung zu Protokoll (Protokoll vom 22.03.2021, S 9). Auch hinsichtlich der Lebensgefährtin des BF wurde ein Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem eingeholt und ergibt sich daraus deren Bezug der Grundversorgung. Einem Sozialversicherungsdatenauszug zur Person des BF war zu entnehmen, dass dieser im Bundesgebiet noch nie einer legalen sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist.
Der Umstand, dass der BF in seinem Heimatland die Grundschule besucht, jedoch keinen Beruf erlernt hat, war den diesbezüglich gleichlautenden Ausführungen desselben im Zuge des Verfahrens zu entnehmen (Protokoll vom 10.04.2014, AS 3; Protokoll vom 18.10.2016, AS 69; Protokoll vom 22.03.2021, S 5). Zumal der BF jedoch die Dauer seines Schulbesuchs stets unterschiedlich geschildert hat, konnten keine konkreteren Feststellungen diesbezüglich getroffen werden. Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes vermeinte der BF dazu noch, 11 Jahr lang die Schule besucht und diese 2001 abgebrochen zu haben, wobei er später auf Nachfrage ausführte, die Schule nach 11 Jahren im Jahr 2008 abgebrochen zu haben (Protokoll vom 10.04.2014, AS 3 & AS 11). Vor der belangten Behörde gab er hingegen zu Protokoll, die Grundschule nur drei Jahre lang, nämlich von 2001 bis 2004 besucht zu haben (Protokoll vom 18.10.2016, AS 69).
Hinsichtlich seiner strafgerichtlichen Verurteilung in Zusammenhang mit Suchtgiftdelinquenz bleibt auf den amtswegig eingeholten Strafregisterauszug zur Person des BF zu verweisen.
Die entsprechenden Feststellungen zu den nicht maßgeblichen Integrationsmerkmalen des BF in sprachlicher Hinsicht basieren auf dessen eigenen Ausführungen bzw. seinem Sprachverhalten vor dem erkennenden Richter, wie folgender Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll belegt (Protokoll vom 22.03.2021, S 9):
RI: Sprechen Sie deutsch?
BF: Langsam.
RI: Ist es Ihnen lieber, wenn wir weiter mit der Dolmetscherin die Verhandlung fortsetzen?
BF schweigt.
RI: ersucht die D die Frage zu übersetzen.
BF: Ich verstehe einige Dinge ganz gut, aber das geht zu weit.
RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?
BF: Aktuell besuche ich keinen Deutschkurs, aber in Imst habe ich einmal einen besucht, das ist aber lange her.
RI: Haben Sie eine Deutsch-Sprachprüfung erfolgreich abgelegt?
BF: Nein.
RI: Keine Einzige, A1, A2?
BF: Nein.
Es war damit festzustellen, dass sich die Deutschkenntnisse des BF trotz seines mittlerweile knapp siebenjährigen Aufenthalts auf einem äußerst geringen Niveau bewegen. Des Weiteren vermeinte der BF, keine Kurse zu besuchen, nicht Mitglied in einem Verein zu sein und erwähnte er auch keine sonstigen sozialen Kontakte. Einzig und alleine seine Kirchenbesuche konnte der BF in Anschlag bringen (Protokoll vom 22.03.2021, S 10).
2.4. Zum Fluchtvorbringen und zur individuellen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers:
Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.
Zur Glaubwürdigkeit eines Vorbringens ist dabei auszuführen, dass eine Aussage grundsätzlich dann als glaubhaft zu qualifizieren ist, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist; der BF sohin in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über von ihm relevierte Umstände bzw. Erlebnisse zu machen. Weiters muss das Vorbringen plausibel sein, d.h. mit überprüfbaren Tatsachen oder der allgemeinen Lebenserfahrung entspringenden Erkenntnissen übereinstimmen. Hingegen scheinen erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt einer Aussage angezeigt, wenn der BF den seiner Meinung nach, seinen Antrag stützenden Sachverhalt bloß vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt. Weiteres Erfordernis für den Wahrheitsgehalt einer Aussage ist, dass die Angaben in sich schlüssig sind; so darf sich der BF nicht in wesentlichen Passagen seiner Aussage widersprechen.
Es ist anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines BF und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten – z.B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z.B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z.B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) – zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.
Laut der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Richtigkeit der Angaben des Asylwerbers über seine Identität und seine Herkunft grundsätzlich maßgebliche Bedeutung für die Frage zu, ob die von ihm angegebenen - aus seiner behaupteten Abstammung resultierenden - Verfolgungsgründe überhaupt zutreffen können. Entsprächen - auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens - die Angaben des Asylwerbers über eine Bedrohungssituation in dem von ihm als seinen Herkunftsstaat bezeichneten Staat offensichtlich nicht den Tatsachen, weil seinem Vorbringen insbesondere wegen eines Täuschungsversuches über seine wahre Identität keinerlei Glaubwürdigkeit zukommt, so läge in Ermangelung eines "sonstigen Hinweises" auf eine asylrelevante Verfolgung ein offensichtlich unbegründeter Asylantrag im Sinne des § 6 Z 3 AsylG 1997 vor (Hinweis E vom 30.11.2000, 99/20/0590, und vom 30.01.2001, 2000/01/0106 sowie 27.09.2001, 2001/20/0393).
Das bedeutet, dass im Asylverfahren neben der Person des Asylwerbers auch dem Herkunftsstaat eine zentrale Bedeutung zukommt: Der Asylwerber determiniert mit der Bekanntgabe seines Herkunftsstaates in seinem Antrag auf internationalen Schutz - im Zusammenhalt mit dem geltend gemachten, individuellen Fluchtgrund - den Verfahrensgegenstand des Asylverfahrens, wobei es sich bei der Gewährung von Asyl bzw. von subsidiärem Schutz nicht um einen amtswegig zu erlassenden, sondern um einen antragsbedürftigen Verwaltungsakt handelt (vgl. VwGH 30.03.2006, Zl. 2003/20/0345). Sowohl der Herkunftsstaat als auch der persönliche Fluchtgrund müssen also vom BF in seinem Antrag auf internationalen Schutz behauptet und zumindest glaubhaft gemacht werden.
Obgleich der BF im Verwaltungsverfahren mehrmals über seine Mitwirkungspflicht zu wahrheitsgemäßen Angaben belehrt wurde und sich der Bedeutung von wahrheitsgemäßen bzw. der Konsequenzen von falschen Angaben bewusst musste, behauptete der BF bis zuletzt trotz Vorliegens zwei Sprachgutachten, welche zum Ergebnis einer Sozialisierung des BF in Westafrika, konkretisierend Nigeria, gelangten, aus dem Südsudan zu stammen.
Aufgrund dessen, dass sich der BF bei der Stellung seines Antrages auf internationalen Schutz auf eine falsche, nämlich südsudanesische Staatsbürgerschaft stützte, ist seinem Fluchtvorbringen, insbesondere wegen des Täuschungsversuches über seine wahre Identität jegliche Glaubwürdigkeit versagen.
Der Vollständigkeit halber bleibt an dieser Stelle noch festzuhalten, dass sich auch das Fluchtvorbringen des BF hinsichtlich Kämpfen des Präsidenten und Vizepräsidenten im Südsudan Ende 2012 als nicht glaubhaft herausstellt, zumal ein entsprechender Konflikt in Zusammenhang um die politische Führung des Landes erst Ende 2013 ausgebrochen ist (vgl. beispielsweise https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/suedsudan-node/politisches-portraet/244278; https://www.spiegel.de/politik/ausland/suedsudan-buergerkrieg-toetete-fast-400-000-menschen-a-1230259.html; https://www.deutschlandfunk.de/buergerkrieg-im-suedsudan-ein-friedensplan-mit-fragezeichen.799.de.html?dram:article_id=421723; https://www.dw.com/de/s%C3%BCdsudan-weg-frei-f%C3%BCr-einheitsregierung/a-52389484), worauf auch die belangte Behörde bereits in ihrer niederschriftlichen Einvernahme hingewiesen hat, wie folgender Auszug aus dem Protokoll belegt (Protokoll vom 18.10.2016, AS 73):
F: Was war der konkrete Grund, warum Sie die Heimat verlassen haben? Erzählen Sie bitte möglichst chronologisch über alle Ereignisse, die Sie zum Verlassen der Heimat veranlasst haben (freie Erzählung):
A: Es herrscht Krieg im Südsudan und ich flüchtete vor dem Krieg. In Malakal gab es Kämpfe zw. dem Sudan und dem Südsudan, es ging um Erdöl. Viel[e] Menschen sind geflüchtet, mir persönlich ist nichts passiert, ich hatte Angst und bin geflüchtet.
F: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals, ob Sie noch etwas Asylrelevantes angeben möchten oder etwas vorbringen möchten, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe?
A: Nein, ich habe alles erzählt. Ich habe keine weiteren Gründe mehr vorzubringen.
[…]
F: Können Sie beschreiben, wer gegen wen gekämpft hat?
A: Der Präsident und der Vizepräsident kämpften gegeneinander.
[…]
F: Sind Sie auf Grund von wirtschaftlichen Gründen aus dem Südsudan geflüchtet?
A: Nein, es gab den Krieg zw. dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten.
Vorhalt: Die Auseinandersetzungen zwischen Präsident und Vizepräsident begannen 2013, als Sie bereits das Land verlassen haben. Was sagen Sie dazu?
F: nichts.
Vorhalt: Bei den Fluchtgründen gaben Sie an, dass Sie wegen dem Krieg zw. Sudan und Südsudan geflüchtet sind – dieser Krieg war bereits im Juli 2011 beendet (Unabhängigkeit des Südsudan). Jetzt geben Sie an, dass es Krieg zwischen dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten gab und Sie deshalb flüchteten – dieser Krieg begann 2013. Sie flüchteten aber 2012. Was sagen Sie dazu?
A: Nein, ich habe nichts zu sagen.
F: Gab es jemals auf Sie irgendwelche Übergriffe oder ist an Sie persönlich jemals irgendwer herangetreten?
A: Nein.
Das Vorbringen des BF erweist sich somit sowohl hinsichtlich seines Herkunftsstaates entsprechend den unter Punkt II. 2.3. getroffenen Erwägungen als auch in Hinblick auf das diesbezüglich vermeintliche Fluchtvorbringen bezogen auf den Südsudan als unglaubwürdig. Dieser Eindruck verfestigte sich zudem noch im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wobei auf folgenden Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll hingewiesen wird (Protokoll vom 22.03.2021, S 6 f):
RI: Sie wurden bereits vom Bundesamt zu Ihren Fluchtgründen befragt. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein. Erinnern Sie sich noch an Ihre Angaben und halten Sie diese aufrecht? Oder wollen Sie etwas ergänzen oder berichtigen?
BF: Ich kann mich an meine Angaben vor dem BFA nicht erinnern.
RI: Erzählen Sie mir die Gründe, warum Sie in Österreich Asyl beantragt haben?
BF: Wegen der Krise und der Kämpfe dort.
RI: Etwas ausführlicher bitte.
BF: Ich bekam keine gute Ausbildung, das Essen war auch schlecht und auch die Krankenhäuser. Außerdem gab es Kämpfe.
RI: Wo gab es diese Kämpfe?
BF: Im Südsudan.
RI: Wo genau?
BF: Im Land.
RI: Wo haben Sie gelebt? In welcher Stadt?
BF: Malakay (phon.)
RI: Gab es dort auch Kämpfe?
BF: Ja.
RI: Haben Sie diese Kämpfe selber erlebt?
BF schweigt und nickt mit dem Kopf.
RI: Was war dann der ausschlaggebende Grund, dass Sie entschlossen haben Ihr Heimatland zu verlassen?
BF: Wegen der Kämpfe.
RI: Gibt es irgendetwas wichtiges, was Sie mir noch zu Ihrem Fluchtgrund sagen möchten?
BF: Ich habe das früher ja schon einmal gesagt, vielleicht kann ich mir mein Interview ja nochmals ansehen.
RI: Wenn jemand seine Heimat verlässt, weil er Angst hat, dass ihm etwas zustößt, bzw. wenn man Angst im eigenen Heimatland hat, die so groß ist, dass man Land verlässt dann kann man sich daran eigentlich schon erinnern. Daher wäre es wichtig, dass Sie mir diese Gründe nennen, auch wenn in der Zwischenzeit etwas Zeit vergangen ist.
BF: Es ging um einen Kampf zwischen den Vizepräsidenten und den Präsidenten. Der Vizepräsident hat gegen den Präsidenten rebelliert und es kam zur Auseinandersetzung.
Damit wird deutlich, dass die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen ist, dass der BF ein unglaubhaftes Fluchtvorbringen erstattet hat und dem BF diesbezüglich auch die persönliche Glaubwürdigkeit zu versagen war.
Seinem Vorbringen war auch keine konkrete Rückkehrgefährdung zu entnehmen. Generell liegt es am Fremden, die Umstände aufzuzeigen, welche zur realen Gefahr einer unmenschlichen Behandlung oder existenzbedrohenden Notlage führen würden. Der Umstand alleine, dass der BF an Diabetes mellitus Typ II leidet, vermag für sich betrachtet dies jedenfalls nicht aufzuzeigen. Eine Behandlung seiner Erkrankung ist auch in Nigeria möglich und die gängigen Medikamente dort verfügbar. Ob der BF im Falle einer Rückkehr etwa mit einer Unterstützung durch seine Familie zu rechnen hat oder nicht, konnte aufgrund seiner fehlenden Mitwirkung nicht festgestellt werden. Allgemein bleibt diesbezüglich jedoch ohnedies festzuhalten, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe in Anspruch genommen wird. Weiters ist der BF auch angesichts der weitgehend stabilen Sicherheitslage nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.
2.5. Zum Herkunftsstaat:
Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser, handelt es sich nach Ansicht des erkennenden Gerichts bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH, 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).
Der BF trat den Quellen und deren Kernaussagen zu Nigeria im Beschwerdeverfahren nicht entgegen.
Die obgenannten Länderfeststellungen konnten daher der gegenständlichen Entscheidung bedenkenlos zugrunde gelegt werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerden
Zur Abweisung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 19.05.2017,
Zl. XXXX (Mutwillenstrafe):
Rechtslage
§ 35 AVG lautet:
„Gegen Personen, die offenbar mutwillig die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder in der Absicht einer Verschleppung der Angelegenheit unrichtige Angaben machen, kann die Behörde eine Mutwillensstrafe bis 726 Euro verhängen.“