Entscheidungsdatum
28.04.2021Norm
BBG §40Spruch
W261 2241086-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Maga Karin RETTENHABER-LAGLER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr.in Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Dr. Martin ALT, Rechtsanwalt in 1010 Wien, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 30.03.2021, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 23.09.2020 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses mit Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (auch Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde) und legte ein Konvolut an medizinische Befunden bei.
2. Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 14.12.2020 erstatteten Gutachten vom 12.01.2021 stellte der medizinische Sachverständige beim Beschwerdeführer die Funktionseinschränkung „Chronisch lymphatische Leukämie, ED 06/19 – Position 10.03.03. mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 30% fest. Es bestehe kein Therapieerfordernis, ein normaler Allgemein- und Ernährungszustand und kein Hinweis auf eine Progredienz.
3. Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 13.01.2021 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesem eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.
4. Der Beschwerdeführer führte in seiner Stellungnahme vom 24.01.2021 im Wesentlichen aus, dass das medizinische Gutachten leider nicht vollständig sei. Der Gutachter habe Sachfragen mit Rechtsfragen vermischt, weswegen dieses Gutachten im Rahmen der Beweiswürdigung nicht verwendet werden könne. Auch berücksichtige der medizinische Sachverständige nicht die bereits seit 11 Monaten bestehende Pandemie, welche zu einer Neueinschätzung gängiger Rechtsprechung im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bei Personen mit Immunsystemschäden führen müsse. Er ersuche dies zu berücksichtigen und über seinen Antrag auf Vornahme einer Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass positiv zu entscheiden. Man solle sich einfach die Frage stellen, ob man persönlich mit einer Krankheit, die eine Sterblichkeitswahrscheinlichkeit von > 38% habe, mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren würde (mit dem Risiko, sich anzustecken), wenn als Alternative die Möglichkeit bestünde, mit einem Auto zu fahren. Der Gutachter schreibe korrekt, dass gehäufte und wiederkehrende Infekte mit einem Therapieerfordernis an einer dafür geeigneten Krankenanstalt nicht dokumentiert seien. Er habe dabei nicht erwähnt, dass der Beschwerdeführer regelmäßig über schwere Infektionserkrankungen berichtet habe, die nach typischerweise 6 – 8 Wochen durch Antibiotikaeinnahme beherrschbar geworden seien. Da er diese Infekte, welche er mit dem Sachverständigen besprochen habe, regelmäßig durchmache, gehe er für eine Therapie schon lange nicht mehr in eine dafür geeignete Krankenanstalt, da ja damit ein extrem hohes zusätzliches Ansteckungsrisiko verbunden sei. Als Beweis hierfür könne auch seine namentlich genannte Ehefrau als Zeugin aussagen. Der Gutachter beachte nicht, dass CLL Patienten auch in der Phase der Beobachtung im Falle der Erkrankung mit COVID-19 mit 90% Wahrscheinlichkeit hospitalisiert werden würden. Die Wahrscheinlichkeit daran zu versterben sei sehr groß, wie dies aus der beiliegenden, auch für einen medizinischen Laien verständlichen, wissenschaftlichen Studie hervorgehe. CLL Patienten in Beobachtung würden keineswegs mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an Grippe versterben, würden jedoch mit einer > 38% Wahrscheinlichkeit eher an COVID-19 versterben, wie dies diese Studie belegen würde. Dies sei bei der Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu berücksichtigen. Der Gutachter gebe in seinem Gutachten an, dass kein höheres Infektionsrisiko als in Ämtern, Ordinationen und Supermärkten bestehen. Diese Feststellung sei zweifelsfrei von der Größenordnung der Gefährdung her richtig. Dies impliziere jedoch nicht den Schluss, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei. Hier überschreite der Gutachter eindeutig seine Fachkompetenz und beginne über eine Rechtsfrage zu sprechen. Er besuche aufgrund des Ansteckungsrisikos keine Supermärkte mehr und Ordinationen betrete er nur mit einer FFP3 Maske. Der einzig sichere Ort, sich von A nach B zu bewegen, sei ein PKW, denn an diesem Ort habe der Gesetzgeber keine FFP2 Maskenpflicht vorgeschrieben. Dies habe der medizinische Sachverständige bei der Beurteilung der Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht berücksichtigt. Er leide an einer weiteren Zusatzerkrankung, weswegen der Grad der Behinderung jedenfalls zu erhöhen sein werde. Es bestehe bei ihm eine Schädigung des Verdauungssystems, nämlich des Ösophagus (Speiseröhre), welches sein Risiko, an Speiseröhrenkrebs zu erkranken, massiv erhöhe. Da wissenschaftlich bekannt sei, dass CLL ebenfalls eine deutliche Erhöhung der Anfälligkeit für Speiseröhrenkrebs bedeute, stelle er den Antrag, diese Erkrankung als mit CLL zusammenwirkende, kombinierte Erkrankung bei der Festsetzung des Grades der Behinderung zu berücksichtigen. Er verweise zudem darauf, dass ihm die Gallenblase entnommen worden sei, weswegen er Medikamente einnehme, sodass sehr wohl eine Gallen-, Leber- oder Nierenerkrankung vorliege. Er bitte daher, die Rechtssprechungspraxis vor dem Hintergrund einer neu hinzukommenden pandemischen Erkrankung dahingehend abzuändern, dass CLL Patienten, die eine Sterbewahrscheinlichkeit von > 38% im Falle einer Erkrankung mit COVID-19 besitzen, die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zuzuerkennen und diesen die Alternative der Benützung eines PKWs rechtlich zuzugestehen. Der Beschwerdeführer schloss seiner Stellungnahme einen Gastroskopiebefund vom 12.08.2019 an, wonach bei diesem eine kleine Hiatushernie (Zwerchfelldurchbruch), Gastritis (Magenschleimhautentzündung) und Ösophagitis (Speiseröhrenentzündung) diagnostiziert worden sei.
5. Die belangte Behörde nahm diese umfangreiche Stellungnahme zum Anlass, um den befassten medizinischen Sachverständigen mit einer Gutachtenserstellung aufgrund der Aktenlage zu beauftragen. In seinem Gutachten aufgrund der Aktenlage vom 15.02.2021 kommt der medizinische Sachverständige zusammenfassend zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer an den Funktionseinschränkungen „crhonisch-lymphatische Leukämie, ED 06/19 – Position 1.03.03 – Gdb 30%“ und an einer „kleinen Hiatushernie – Position 07.08.01 – GdB 10%“ leide. Der Gesamtgrad der Behinderung betrage 30 v.H., da das führende Leiden 1 durch das Leiden 2 nicht weiter erhöht werde, da dieses von zu geringer funktioneller Relevanz sei.
Zu den Ausführungen in der Stellungnahme des Beschwerdeführers führte der medizinische Sachverständige zusammenfassend aus, dass ein rezentes Geschehen betreffend die Gastritis/Speiseröhrenentzündung nicht befundbelegt sei. Die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ seien nach objektiven Kriterien geprüft worden. Die in der Stellungnahme angegebenen, subjektiven Empfindungen mit teilweise medizinisch nicht nachvollziehbaren Schlussfolgerungen des Beschwerdeführers würden zur Kenntnis genommen, hätten jedoch, soweit die behinderungsrelevante Defizite für die beantragte Zusatzeintragung betreffen würden, anhand der aktuellen Untersuchung, unter Berücksichtigung aufliegender Befunde, gerade eben nicht bestätigt werden können. Die Durchführung einer derzeitigen, gezielten Therapie der CLL-Erkrankung sei nicht befundbelegt. Es seien mittels aussagekräftiger Facharztbefunde mit nachvollziehbarer Verlaufs- und Behandlungsdokumentation weder eine erhöhte Infektanfälligkeit, noch wiederholte, außergewöhnliche Infekte, wie z.B. atypische Pneumonien dokumentiert. Die entfernte Gallenblase sei bei der Anamnese nicht angegeben worden, zudem führe diese bei normalem Allgemein- und Ernährungszustand sowie ohne Hinweis auf relevante funktionelle Einschränkungen zu keinem GdB. Ansonsten ergebe sich – außer die die Neuaufnahme des Leidens 2 – keine Änderung des festgestellten Untersuchungsergebnisses.
6. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30.03.2021 wies die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab und stellte einen Grad der Behinderung in Höhe von 30 v.H. fest. Die belangte Behörde legte dem Bescheid das eingeholte Sachverständigengutachten auf Grund der Aktenlage vom 15.02.2021 in Kopie bei.
7. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer bevollmächtigt vertreten durch Dr. Martin ALT, Rechtsanwalt in 1010 Wien, fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass er sich in seinen subjektiven Rechten beschwert erachte. Es liege Rechtsverletzung in Folge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie eine inhaltliche Rechtswidrigkeit vor. Die Begutachtung sei durch einen Sachverständigen für Allgemeinmedizin und nicht durch einen Sachverständigen der Onkologie sowie Virologie erfolgt. Der Beschwerdeführer habe dem Sachverständigen seine persönliche Situation genau dargelegt, dass und aus welchen – dem Stand der medizinischen Forschung entsprechenden – Gründen, eine Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar sei. Er legte dar, dass er bei einer COVID-Erkrankung einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko ausgesetzt sei, weswegen es ihm nicht zumutbar sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, was der medizinische Sachverständige nicht ausreichend berücksichtigt habe.
Der Beschwerdeführer befinde sich seit 2019 laufend in ständiger fachärztlicher Behandlung und Betreuung, unter anderem im XXXX . Er leide an CLL und gehöre der COVID-19 Risikogruppe an. Richtig sei, dass derzeit keine gezielte Therapie infolge der CLL- Erkrankung erforderlich sei. Hintergrund sei der, dass sich der Beschwerdeführer derzeit (noch) in der sogenannten „watch-and-wait“ Phase befinde. Es erfolge eine regelmäßige (halbjährige) Kontrolle des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers. Eine Änderung des Gesundheitszustandes könne jederzeit – und ohne Vorankündigung – erfolgen.
In weiterer Folge beurteile der Sachverständige die Tatsache jedoch unrichtig. Unabhängig davon überschreite er mit seiner Darstellung, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zulässig sei, nicht nur seinen Fachbereich, sondern treffe tatsächlich eine rechtliche Beurteilung. Es folgen umfangreiche Ausführungen zu erhöhten Sterblichkeitsrisiken von CLL PatientInnen und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Es sei die Schädigung des Verdauungssystems – konkret des Ösophagus – nicht berücksichtig worden. Aus medizinischer Sicht sei dazu festzuhalten, dass diese (permanente) Schädigung des Ösophagus die Anfälligkeit des Beschwerdeführers für Speiseröhrenkrebs signifikant erhöhe. Die CLL Erkrankung bedinge jedoch ebenfalls eine Erhöhung der Anfälligkeit für Speiseröhrenkrebs. Somit sei bei der Feststellung des Grades der Behinderung sehr wohl eine Kumulation des Behindertengrades vorzunehmen, da die beiden Behinderungen einander verstärken und nicht unabhängig voneinander zu werten seien. Ergänzend sie auch die Entfernung der Gallenblase nicht entsprechend der Festsetzung des Grades der Behinderung erfolgt.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände hätte eine Einstufung jedenfalls unter 10.03.04 erfolgen müssen, sodass von einem Grad der Behinderung von zumindest 50 % auszugehen sei.
Der angefochtene Bescheid weise grobe Begründungsmängel auf, es sei nicht nachvollziehbar, welche Feststellungen die belangte Behörde treffe, es gebe keine Beweiswürdigung und auch keine rechtliche Beurteilung. Die belangte Behörde habe es unterlassen, den Sachverhalt hinreichend festzuhalten und sich mit der Stellungnahme des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen. In rechtlicher Hinsicht sei darauf zu verweisen, dass die ausschließliche Beurteilung des Grades der Behinderung entsprechend der Einschätzungsverordnung den gesetzlichen Erfordernissen nicht genüge. Insbesondere im Zusammenspiel mit der für den Beschwerdeführer besonders signifikant erhöhten Sterbewahrscheinlichkeit sowie der seit März 2020 in Österreich – amtsbekannt – grassierenden COVID-19 Pandemie ist mit dem schlichten Abstellen auf standardisierten Prozentsätze die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht abbildbar. Die Beurteilung des Behindertengrades ohne Berücksichtigung des Einzelfalles in der Situation des Betroffenen genüge nicht dem gesetzlich verankerten Schutz behinderter Menschen. Entweder sei die Einschätzungsverordnung verfassungswidrig oder auch das Bundesbehindertengesetz. Es liege jedenfalls ein Verstoß gegen das Legalitätsprinzip sowie gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor. Die Festlegung des Grades der Behinderung erfolge willkürlich und nehme keinen Bedacht auf den Einzelfall. Der Beschwerdeführer sei in seiner Teilnahme am gesellschaftlichen und beruflichen Leben erheblich eingeschränkt. Es werde die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Onkologie und Virologie zum Beweis dafür beantragt, dass der Beschwerdeführer einem erhöhten und unzumutbaren Risiko unterliege.
Es werde beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, in der Sache selbst zu entscheiden und dem Antrag des Beschwerdeführers vollinhaltlich stattzugeben, in eventu, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Erstbehörde zurückzuverweisen.
In einem regte der Beschwerdeführer an, dass das Bundesverwaltungsgericht beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Verordnungs- bzw. Gesetzesprüfung hinsichtlich der Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) in der Fassung BGBl II Nr. 261/2010 bzw. BGBl. II Nr. 251/2012 bzw. Bundesgesetzes vom 17.05.1990 über die Beratung, Betreuung und besondere Hilfe für behinderte Menschen (Bundesbehindertengesetz – BBG), BGBl. Nr. 283/1990 in der Fassung BGBL I Nr. 100/2018 und Aufhebung der genannten Verordnung zur Gänze bzw. des genannten Gesetzes zur Gänze als gesetzes- und verfassungswidrig stelle.
Der Beschwerdeführer legte der Beschwerde keine ärztlichen Befunde bei.
8. Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 06.04.2021 vor, wo dieser am selben Tag einlangte.
9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 07.04.2021 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist, und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses langte am 23.09.2020 bei der belangten Behörde ein.
Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland.
Ausmaß der Funktionseinschränkungen:
Anamnese:
Chronisch-lymphatische Leukämie seit 2019, lt. eigenen Angaben derzeit keine spezifische Therapie, alle 6 Monate Blutbefund.
Derzeitige Beschwerden:
"Ich habe CLL, alle 6 Monate bin ich beim Blutbefund, 1x jährlich mache ich auch ein MRT, ansonsten derzeit keine konkrete Therapie. Ich bin etwas psychisch alteriert, ansonsten keine konkreten Beschwerden. Gegen Grippe und Pneumokokken bin ich geimpft. Derzeit traue ich mich nicht, mit Öffis in die Arbeit zu fahren, derzeit bin ich quasi im Home-Office, mache über Internet Fernunterricht. Gehäufte, schwerwiegende und oft wiederkehrende Infekte kann ich heute mit aktuellen ärztlichen Befunden nicht belegen. Die CLL ist im Mai 2019 festgestellt worden."
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Zinktabletten lt. eigenen Angaben. Keine aktuelle, ärztliche Medikationsliste vorliegend.
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
05.06.2019, 17.09.2020 AKH: Laborbefund, kompatibel mit CLL.
12.8.2019 Chirurgie XXXX (schlecht leserlich): kl. Hiatushernie, Gastritis, Ösophagitis.
31.03.2020 Klin. Institut f. Labormed.: Laborbefund.
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand: Normal. Ernährungszustand: Normal.
Größe: 183,00 cm Gewicht: 84,00 kg Blutdruck: 135/75
Klinischer Status – Fachstatus:
KOPF, HALS:
Keine Stauungszeichen, keine Atemnot, weder in Ruhe, noch bei Bewegung im Zimmer, Pupillen unauffällig, Lidschluss komplett, kein Nystagmus. Sprache gut verständlich, kein inspiratorischer oder exspiratorischer Stridor.
THORAX / LUNGE / HERZ:
Sonorer Klopfschall, Vesiculäratmen, normale Atemfrequenz. Reine, rhythmische Herztöne, normofrequent.
ABDOMEN:
Weich, kein Druckschmerz, Peristaltik auskultierbar.
WIRBELSÄULE:
Keine relevanten Funktionseinschränkungen.
EXTREMITÄTEN:
Kreuz / Nacken / Pinzetten / Spitzgriff beidseits regelrecht und vollständig durchführbar, vollständiger Faustschluß beidseits, links etwas kraftvermindert. Greiffunktion beidseits erhalten. Blande Narbe linker Unterarm.
Hüftgelenke frei beweglich, Kniegelenke beidseits aktiv im Sitzen 0-0-120°, blande Narbe rechtes Kniegelenk, Sprunggelenke frei beweglich. Stehen und Gehen im Untersuchungszimmer ohne Hilfsmittel möglich, Einbeinstand wird durchgeführt. Zehen / Fersengang beidseits möglich. Keine Varizen, keine Ödeme, Fußpulse tastbar.
GROB NEUROLOGISCH:
Keine relevanten motorischen Defizite, Sensibilitätsstörungen Fingerbereich links angegeben, grobe Kraft weitgehend seitengleich, gute und kräftige Vorfußhebung beidseits, kein Rigor, kein Tremor, Feinmotorik regelrecht. PSR, ASR mittellebhaft auslösbar.
Gesamtmobilität – Gangbild:
Unauffällig, keine Hilfsmittel, Setzen und Erheben unbehindert möglich.
Status Psychicus:
Voll orientiert, Ductus kohärent, kognitive Funktionen erhalten.
Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1. Chronisch lymphatische Leukämie, ED 06/19
2. Kleine Hiatushernie
Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 30 v. H.
Leiden 1 wird durch Leiden 2 nicht weiter erhöht, da dieser von zu geringer funktioneller Relevanz ist.
Dauerzustand.
Der Zustand nach Entfernung der Gallenblase, nach einer Gastritis und einer Speiseröhrenentzündung im Jahr 2019 erreichen keinen Grad der Behinderung, da es keine Hinweise auf ein rezentes Geschehen bzw. aktuelle Beschwerden gibt.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen hinsichtlich der Antragsstellung basieren auf dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland basieren auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.
Der Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf die seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 12.01.2021, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 14.12.2020 und aufgrund der Aktenlage vom 15.02.2021.
Darin wird auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Der medizinische Gutachter setzt sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden sowie mit der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussungen und dem Zusammenwirken der zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen auseinander. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befunden, entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen; die Gesundheitsschädigungen sind nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.
Der Sachverständige geht insbesondere in seinem Gutachten aufgrund der Aktenlage vom 15.02.2021 ausführlich auf sämtliche Einwendungen und den neu vorgelegten Befund des Beschwerdeführers ein.
Es steht unbestritten fest, dass das Beschwerdeführer seit Juni 2019 an einer chronisch lymphatischen Leukämie (kurz CLL), einem niedrigmalignen, leukämisch verlaufendes B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom, leidet. Wie aus den Angaben des Beschwerdeführers in der Anamnese bei der Untersuchung am 14.12.2020 ersichtlich, ist der Beschwerdeführer derzeit zwar etwas psychisch alteriert, hat aber keine konkreten Beschwerden. Die in seiner Stellungnahme vom 24.01.2021 angeführten und wegen der CLL Erkrankung notwendigen laufenden Therapien mit Antibiotika sind nicht durch entsprechende medizinische Befunde objektivierbar. Der medizinische Sachverständige stellt zum aktuellen Krankheitsverlauf des Beschwerdeführers nach einer eingehenden persönlichen Untersuchung am 14.12.2020 fest, dass keine wesentliche Progredienz der CLL bzw. aktuell kein spezifisches Therapieerfordernis vorliegt.
Die vom Beschwerdeführer sowohl in seiner Stellungnahme vom 24.01.2021 als auch in seiner Beschwerde angeführten Risikofaktoren und Sterblichkeitswahrscheinlichkeiten für CLL PatientInnen sind – wie er richtig ausführt – durch vorgelegte medizinisch-wissenschaftliche Studien theoretisch belegt, was jedoch nichts daran ändert, dass sich der Beschwerdeführer aktuell in der sogenannten „watch-and-wait“ Phase dieser CLL Erkrankung befindet, wie er selbst in seiner Beschwerde angibt.
Daraus folgt, dass der Beschwerdeführer zwar an CLL, einem Non Hodgkin Lymphom leidet, dieses jedoch bedingt dadurch, dass sich der Beschwerdeführer in der oben genannten „watch-and wait“ Phase befindet, derzeit mit keinen wesentlichen Beschwerden verbunden ist, keine Allgemeinsymptome aufweist, keine Therapiebedürfnis besteht, bzw. dieses nicht befundbelegt sind und aktuell keine wesentliche Progredienz vorliegt.
Der medizinische Sachverständige hat, entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers, bei der Einschätzung des Grades der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung ausschließlich den aktuellen klinischen Status zu berücksichtigen, und nicht allfällige Risiken, welche mit einer COVID-19 Pandemie bei Personen, welche an CLL erkrankt sind, theoretisch einhergehen können. Der aktuelle Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ist nach eigenen Angaben weitgehend beschwerdefrei. Das war es, was der medizinische Sachverständige in seine Beurteilung einzufließen zu lassen hatte. Demgemäß erfolgte die Einschätzung des Leidens 1 richtig entsprechend der Einschätzungsverordnung, diesbezüglich wird auf die Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung verwiesen.
Sollte sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers wegen seiner CLL Erkrankung für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten nachweislich verschlechtern, bzw. sollten in Zukunft Therapien notwendig werden, so steht es diesem frei, einen neuen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bei der belangten Behörde zu stellen. In diesem Fall wird, wie im Beschwerdefall auch, eine Einschätzung seiner Funktionsbeeinträchtigungen und Leiden aufgrund des Leidens 1 entsprechend seinem individuellen Gesundheitszustand zu diesem Zeitpunkt erfolgen.
Das neue Leiden 2, die kleine Hiatushernie, das ist ein kleiner Zwerchfellbruch, wurde entsprechend dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom 24.01.2021 und dem von ihm vorgelegten medizinischen Befund aus dem Jahr 2019, neu aufgenommen und mit einem GdB von 10% bewertet. Nachdem der Beschwerdeführer hinsichtlich dieses Leidens keine maßgeblichen Beschwerden vorbrachte, erfolgte die Einschätzung des GdB richtig nach der Einschätzungsverordnung, diesbezüglich wird auch auf die Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung verwiesen.
Bei einer Gastritis und einer Speiseröhrenentzündung handelt es sich um Erkrankungen, welche bei entsprechender medizinischer Behandlung nach einigen Wochen bzw. Monaten wieder geheilt werden können, daher ist es zur allfälligen Berücksichtigung dieser Leiden bei der Bemessung des Grades der Behinderung erforderlich, dass diese durch aktuelle medizinische Befunde objektivierbar sind. Der vom Beschwerdeführer mit seiner Stellungnahme vom 24.01.2021 vorgelegte Gastroskopiebefund vom 12.08.2019 belegt nicht, dass die beiden Leiden einen chronischen Verlauf haben, aktuelle Befunde liegen nicht vor. Hinzu kommt, dass vom Beschwerdeführer bei diesen Leiden durch entsprechende medizinische Befunde nachzuweisen ist, dass diese Leiden mit Funktionseinschränkungen verbunden sind, welche länger als sechs Monate andauern. Ein damit einhergehendes theoretisch erhöhtes Krebsrisiko, wie dies der Beschwerdeführer darstellt, ist dabei nach der Einschätzungsverordnung ebenfalls nicht von Relevanz, weil, wie oben schon ausgeführt, eben nur aktuell bereits bestehende Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers und nicht theoretisch in der Zukunft allenfalls eintretende Krankheitsfolgen bei der Einschätzung des Grades der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung zu berücksichtigen sind.
Hinsichtlich der Entfernung der Gallenblase ist dem medizinischen Sachverständigen zu folgen, der dazu ausführt, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich bei der medizinischen Untersuchung am 14.12.2020 keine Beschwerden angab. Derartige Beschwerden sind ebenso wenig durch medizinische Befunde objektiviert, wie die Behauptung, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich Medikamente einnehmen müsse.
Daher waren die entsprechenden Feststellungen zu treffen.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers bezieht sich im gegenständlichen Verfahren über weite Strecken nicht auf den eingeschätzten GdB der beiden Leiden, sondern vielmehr darauf, dass ihm die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar sei. Dabei übersieht der Beschwerdeführer, dass für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung die Ausstellung eines Behindertenpasses erforderlich ist, was erst ab einem Gesamtgrad der Behinderung von mehr als 50 v.H. zu erfolgen hat (diesbezüglich wird auf die Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung verwiesen). Nachdem schon die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses mit einem festgestellten Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. beim Beschwerdeführer nicht vorliegen, ist gar nicht weiter darauf einzugehen, ob diesem die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, oder nicht. Diese Frage ist auch nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, sondern nur die Frage, ob der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfüllt, oder nicht.
Der Beschwerdeführer ist damit den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen nicht und damit insbesondere auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).
Seitens des Bundesverwaltungsgericht bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit der vorliegenden Sachverständigengutachten vom 12.01.2021 und vom 15.02.2021. Es wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
Insoweit in der Beschwerde beanstandet wird, der Beschwerdeführer sei nicht durch Fachärzte für Onkologie und Virologie untersucht worden, ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24.06.1997, 96/08/0114 ausgeführt hat, dass die Behörden im Zusammenhang mit der Einschätzung des Grades der Behinderung verpflichtet sind, zur Klärung medizinischer Fachfragen ärztliche Gutachten einzuholen. Es besteht jedoch kein Anspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt vielmehr auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist ausschließlich die Frage, ob die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses durch den angefochtenen Bescheid zu Recht erfolgte, oder nicht.
Die beantragte Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass ist nicht Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens, weswegen auch aus rechtlicher Sicht nicht auf das diesbezüglich umfangreiche Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
„§ 40 (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
…
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41 (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
…
§ 42 (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
…
§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
§ 46 Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung der Beschwerdevorentscheidung beträgt 12 Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.“
Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung, BGBl. II. Nr. 261/2010 idgF BGBl II. Nr. 251/2012) lauten auszugsweise wie folgt:
"Behinderung
§ 1 Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Grad der Behinderung
§ 2 (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.
Gesamtgrad der Behinderung
§ 3 (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.
Grundlage der Einschätzung
§ 4 (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.
...“
Zunächst ist rechtlich festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war, was im Verfahren auch unbestritten geblieben ist.
Beim Leiden 1 des Beschwerdeführers handelt es sich um eine chronisch-lymphatische Leukämie, ED 06/2019, welches der medizinische Sachverständige richtig im unteren Rahmensatz der Position 10.03.03 der Einschätzungsverordnung als Non Hodgkin Lymphom mit geringen Auswirkungen mit einem GdB von 30 % einstufte. Eine laufende Therapie, welche eine Einstufung dieses Leidens nach Position 10.03.04 der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung von 50 % bis 100 % ermöglicht hätte, ist nicht durch medizinische Befunde objektivierbar.
Das Leiden 2 des Beschwerdeführers ist eine kleine Hiatushernie, welche der medizinische Sachverständige richtig im unteren Rahmensatz der Position 07.08.01 der Einschätzungsverordnung mit einem GdB von 10 % einstufte, weil kein Hinweis auf eine relevante funktionelle Einschränkung besteht.
Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung hat bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 der Einschätzungsverordnung, sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN).
Wie oben unter Punkt 2. (Beweiswürdigung) ausgeführt, werden der gegenständlichen Entscheidung die seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 12.01.2021, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 14.12.2020 und auf Grund der Aktenlage vom 15.02.2021 zu Grunde gelegt.
Der medizinische Sachverständige stellt insbesondere im Sachverständigengutachten vom 15.02.2021 fest, das führende Leiden 1 durch das Leiden 2 nicht weiter erhöht wird, da dieses Leiden von zu geringer funktioneller Relevanz ist, woraus sich ein Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. ergibt.
Die vom Beschwerdeführer im Rahmen der Beschwerde vorgebrachten Beschwerdegründe waren nicht geeignet, die durch den medizinischen Sachverständigen getroffenen Beurteilungen zu widerlegen oder zusätzliche Dauerleiden bzw. eine zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterung des Zustandes zu belegen.
Da der Sachverhalt feststeht und die Sache daher entscheidungsreif ist, war dem in der Beschwerde gestellten Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich Onkologie und Virologie nicht Folge zu geben, zumal bereits ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt wurde und der Entscheidung zu Grunde gelegt wird. Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass kein Rechtsanspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes besteht.
Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, aktuell nicht erfüllt.
Das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Veranlassung, der Anregung des Beschwerdeführers, den Verfassungsgerichtshof wegen eines Verordnungs- bzw. Gesetzesprüfungsverfahrens anzurufen, zu folgen.
Im Übrigen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.
Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und insbesondere auf die von der der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten, wovon jenes vom 12.01.2021 auf einer persönlichen Untersuchung beruht, und jenes vom 15.02.2021 auf alle Einwände und die im Verfahren vorgelegten Atteste des Beschwerdeführers in fachlicher Hinsicht eingeht, und welchem der Beschwerdeführer nicht substantiiert entgegengetreten ist.
Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Der Beschwerdeführer selbst hat in seiner Beschwerde angeführt, dass derzeit sein Leiden 1, die CLL, keine maßgeblichen Beschwerden verursacht, weil er sich in einer „watch-and-wait“ Phase befindet. Er erhält nach seinen eigenen Angaben derzeit keine Therapien, sodass eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung auch bei Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung zu keinem anderen Entscheidungsergebnis führen kann. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Grad der Behinderung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W261.2241086.1.00Im RIS seit
25.06.2021Zuletzt aktualisiert am
25.06.2021