TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/29 W216 2240682-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.04.2021
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Entscheidungsdatum

29.04.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W216 2240682-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marion STEINER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Benedikta TAURER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch ihre Mutter XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, vom 12.03.2021, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass die Zitierung des Grades der Behinderung im Spruch entfällt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Die minderjährige Beschwerdeführerin hat durch ihre Mutter am 15.11.2019 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; im Folgenden: belangte Behörde) unter Vorlage medizinischer Befunde einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gestellt.

1.1.    Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 18.06.2020, mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung in Höhe von 10 vH bewertet wurde.

1.2.    Im Rahmen des seitens der belangte Behörde gemäß § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs zum Ergebnis der Beweisaufnahme wurden von der Beschwerdeführerin – unter Vorlage medizinischer Unterlagen – mit Schreiben vom 09.09.2020 Einwendungen erhoben.

1.3.    Zur Überprüfung der Einwendungen wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Chirurgie sowie Arztes für Allgemeinmedizin mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung ebenfalls in Höhe von 10 vH bewertet wurde.

1.4.    Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 BBG abgewiesen und einen Grad der Behinderung in Höhe von 10 vH festgestellt.

Dem Bescheid wurde der zuletzt eingeholte Sachverständigenbeweis beigelegt.

2.       Gegen diesen Bescheid wurde von der Beschwerdeführerin durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin mit Schreiben vom 19.03.2021 fristgerecht Beschwerde erhoben. Ohne Vorlage von Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin nunmehr in Behandlung bei einem Spezialisten stehe, bei dem jährliche Kontrollen nötig seien, solange der Schmerzzustand sich nicht verschlechtere. Weiters seien zahlreiche Nebenuntersuchungen fällig gewesen. Die Beschwerdeführerin habe einen Kompressionshandschuh verordnet bekommen, der einerseits zur Schmerzlinderung, anderseits als Verletzungsschutz diene. Dieser müsse aufgrund ihres Wachstums alle zwei bis drei Monate angepasst werden. Für einen verordneten Handschuh seien zwischen vier und sechs Fahrten zum sich 19 km entfernt befindenden Bandagisten nötig, weil der Handschuh nie beim ersten Mal passe. Weiters solle die Beschwerdeführerin eine dauerhafte Lymphdrainage machen. Durch die regelmäßige Lymphdrainage gehe die Schwellung bei der AV-Malformation zurück. Das Gewebe sei dort nicht mehr so fest, sondern viel weicher. Bei längeren Pausen mit der Lymphdrainage, werde es jedoch wieder schlechter. Durch den Kompressionshandschuh werde die Bewegung der Finger bzw. Hand eingeschränkt. Bei der Lymphdrainage falle auf, dass vor allem der Daumen nicht mehr den gleichen Bewegungsradius habe, wie jener an der gesunden Hand. Eine Ergotherapie sei verordnet worden. Diese Therapien und Fahrten seien alle sehr kostenintensiv. Es gebe kaum Vertragstherapeuten für Kinder, die in einem noch halbwegs moderaten Radius erreichbar seien bzw. überhaupt in absehbarer Zeit freie Kapazitäten hätten. Im Rahmen der letzten Untersuchung beim Sachverständigen seien keine weiteren Fragen zu Therapien, Schmerzen oder Änderungen seit der ersten Untersuchung gestellt worden. Auch sei auf die neueren Befunde nicht eingegangen worden. Dieser genetische Defekt sei sehr selten und es gebe kaum jemanden, der sich damit wirklich auskenne. Daher sollte man glauben, dass hier doch einige Fragen diesbezüglich gestellt würden. Die Vorgehensweise des Sachverständigen sei befremdend gewesen und ersuche sie daher, um erneute Überprüfung und neuerlicher Einstufung.

2.1.    Mit dem im Bundesverwaltungsgericht am 23.03.2021 eingelangten Schreiben selben Datums hat die belangte Behörde den Verwaltungsakt und die Beschwerde vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Da sich die Beschwerdeführerin mit dem im angefochtenen Bescheid festgestellten Grad der Behinderung nicht einverstanden erklärt hat, war dieser zu überprüfen.

1.       Feststellungen:

1.1.    Die Beschwerdeführerin erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz im Inland.

Der Verwaltungsakt ist unter Anschluss der Beschwerdeschrift am 23.03.2021 im Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

1.2.    Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 10 vH.

1.2.1.  Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen:

Allgemeinzustand: gut. Ernährungszustand: gut.

Freie, altersentsprechend gute Beweglichkeit der Gelenke

Fingergelenke: frei beweglich, Faustschluss bds. möglich, Pinzettengriff bds. möglich, linker Daumen - gute Funktion, dieser minimal geschwollen im Vergleich zu rechts, gering überwärmt

Wirbelsäule: im Lot

Gesamtmobilität – Gangbild: unauffällig

Status Psychicus: altersentsprechend

1.2.2.  Beurteilung der Funktionseinschränkungen:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Angeborene Fehlbildung des peripheren Gefäßsystems im Bereich des linken Daumens (ED 07/2019)

g.Z. bei geringer Größendifferenz zur rechten Seite und Schwellneigung, gutes Ansprechen auf Lymphdrainage, Physiotherapie und Kompression mittels Handschuh

fixer Rahmensatz

05.03.01

10 vH

Gesamtgrad der Behinderung

10 vH

2.       Beweiswürdigung:

Zu 1.1.) Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.

Zu 1.2.) Die Feststellungen zu Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen gründen sich – in freier Beweiswürdigung – im nachstehend ausgeführtem Umfang auf die eingeholten und vorgelegten Beweismittel:

Die beiden eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin und eines Facharztes für Chirurgie sowie Arztes für Allgemeinmedizin sind vollständig, schlüssig, nachvollziehbar und frei von Widersprüchen. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin erhobenen klinischen Befund, entsprechen unter Berücksichtigung der vorgelegten Beweismittel der festgestellten Funktionseinschränkung.

Die vorgelegten Beweismittel sind in die Beurteilungen eingeflossen, die beiden Sachverständigen haben sich im Rahmen der Gutachtenserstellung damit auseinandergesetzt und halten zu diesen unter "Zusammenfassung relevanter Befunde" nachvollziehbar wie folgt fest:

?        "AKH Wien, Abt. für plastische Chirurgie, ambulanter Besuch am 9.5.2019: … flächige Rötung des linken Daumens, kommt aus dem UK St. Pölten, … seit 1. Geburtstag ist die Rötung aufgefallen, Überwärmung wurde im Thermoscan bestätigt … ansonsten noch keine andere Bildgebung bisher ... blass rötliche, gut abgegrenzte Zeichnung über dem linken Thenar bis zur Handgelenksfurche reichend, Daumenlängendifferenz links mehr als rechts, tastbare Pulsation am Thenar, dezentes Schwirren ... keine Blutung, keine Ulzeration ... Verdacht auf vaskuläre Malformation mit Beteiligung der arteriellen Gefäße … hochauflösender Duplex US, ev. MR Angio erbeten, Besprechung in der interdisziplinären Konferenz, ...

?        Ambulanz Abteilung für Kinder-und Jugendheilkunde UK St. Pölten, Besuch vom 12.2.2019: ... Naevus roseus linker Daumen DD zusätzliche Gefäßmalformation ... seit 05/2017, bei Hitze oder Fieber prominenter ... derzeit von proc styloideus bis Daumenspitze 8,5cm beidseits, Messungen alle 6 Monate ... Kontrolle St. Anna Kinderspital bei Dr (..), interdisziplinäre Gefäßambulanz des AKH Wien.

?        MR Hand links, 11.7.2019: ... 4,5x3,5x0,5cm haltende hyperintense subkutane Läsion vom linken Thenar bis in das linke Handgelenk, es zeigt sich ein früh (arteriell) beginnendes, sowie kontinuierlich zunehmendes diffuses Enhancement der Läsion, kein eindeutiger Nachweis von Low Voids, der arterielle Feeder aus der Arteria radialis ... kompatibel mit einer AVM ...

?        Logopädischer Befundbericht M. (…), BSc, 11.5.2020: … es ist eine Behandlung bei Dyslalie nach Abklärung in Bezug auf die geschilderte Ungeschicklichkeit etc. geplant...akustische Überempfindlichkeit, unsichere Stifthaltung auffällig, ... ebenso die "Ungeschicklichkeit", (…) [Beschwerdeführerin] fällt bei der Diagnostik-Einheit beinahe vom Sessel ...."

?        "Sachverständigengutachten Dr. (…) vom 18.06.2020: GdB 10%

?        Befundbericht Dr. (…), Radiologie vom 20.10.2020: fachärztliche Diagnose

?        Physiotherapeutischer Befund, (…) vom 26.02.2021: Verbesserung der Symptome durch Lymphdrainage

?        Befundbericht Dr. (…), Kinderheilkunde vom 04.12.2020: Herzecho unauffällig

?        Arztbrief Dr. (…), HNO vom 15.12.2020: St.p. Locus Kisselbachi Blutung"

Die vorgelegten Beweismittel stehen nicht im Widerspruch zum Ergebnis der eingeholten Sachverständigenbeweise, es wird kein höheres Funktionsdefizit beschrieben, als gutachterlich festgestellt wurde und sie enthalten auch keine neuen fachärztlichen Aspekte, welche unberücksichtigt geblieben sind.

Die bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Gesundheitsschädigungen wurden in den eingeholten Sachverständigengutachten dem befunddokumentierten Ausmaß der Funktionseinschränkung entsprechend beurteilt und im Einklang mit den vorgelegten Befunden und dem im Rahmen der persönlichen Untersuchungen erhobenen klinischen Status unter die entsprechende Positionsnummer der Anlage zur Einschätzungsverordnung korrekt eingeschätzt.

Die berichteten Beschwerden infolge der diagnostizierten angeborenen Fehlbildung des peripheren Gefäßsystems im Bereich des linken Daumens (ED 07/2019) wurden unter Positionsnummer 1 berücksichtigt. Auch wurden in der Einschätzung der angeborenen Fehlbildung des peripheren Gefäßsystems die laut Stellungnahme der Mutter der Beschwerdeführerin bestehenden Einschränkungen, die notwendigen Lymphdrainagen, Physiotherapien und die Notwendigkeit eines Kompressionshandschuhs ausreichend hoch berücksichtigt. Somit erfolgte die Beurteilung dieses Leidens im Einklang mit der Anlage zur Einschätzungsverordnung, welche Richtsatzposition 05.03.01 für Erkrankungen des arteriellen Gefäßsystems mit Funktionseinschränkungen leichten Grades vorsieht, wobei ein Grad der Behinderung in Höhe von 10 vH anzuwenden ist, wenn eine arterielle Verschlusskrankheit des Stadiums I vorliegt. Die nächsthöhere Rahmensatzposition mit 20 vH wurde nicht herangezogen, da keine arterielle Verschlusskrankheit des Stadiums II a vorliegt. Es konnten insgesamt keine Funktionseinschränkungen mittleren oder schweren Grades festgestellt werden.

Beide Sachverständigengutachten stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den vorgelegten Beweismitteln kein überzeugender Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

Den – nicht als unschlüssig zu erkennenden – Sachverständigengutachten nämlich weder dem erhobenen klinischen Befund, noch den daraus gezogenen Schlussfolgerungen bzw. der Beurteilung der Funktionseinschränkung, sind die Verfahrensparteien ausreichend substantiiert entgegengetreten. Die Krankengeschichte der Beschwerdeführerin wurde umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern berücksichtigt. Die Angaben der Mutter der Beschwerdeführerin konnten somit nicht über den erstellten Befund hinaus objektiviert werden.

Dem Gutachten eines Sachverständigen kann zwar auch ohne Gegengutachten in der Weise entgegengetreten werden, als die Parteien Unschlüssigkeiten oder Unvollständigkeiten des Gutachtens aufzeigen. Die Beschwerdeführerin bringt jedoch nicht ausreichend konkret zum Ausdruck, inwiefern eine Fehleinschätzung vorliegt bzw. ob, gegebenenfalls welche, gutachterlichen Ausführungen nicht dem tatsächlichen Leidensausmaß entsprechen. Die Beschwerdeführerin erstattet somit kein Vorbringen, welches der sachverständigen Beurteilung konkret und substantiiert entgegentritt.

Die Sachverständigengutachten werden in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)
1.         Zur Entscheidung in der Sache:

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1.       ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4.       für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderten-einstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(§ 40 Abs. 1 BBG)

Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist. (§ 40 Abs. 2 BBG)

Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,

1.       in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,

2.       in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für die Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, für die von ihr umfassten Bereiche.

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen.

Zuständige Stelle ist:

–        Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947).

–        Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

–        In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

(§ 35 Abs. 2 Einkommensteuergesetz 1988)

Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376.

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2.       zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(§ 41 Abs. 1 BBG)

Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. (§ 42 Abs. 1 BBG)

Der Behindertenpass ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist. (§ 42 Abs. 2 BBG)

Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen. (§ 45 Abs. 1 BBG)

Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu. (§ 45 Abs. 2 BBG)

Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, sind weder das Beschwerdevorbringen noch die vorgelegten medizinischen Beweismittel geeignet darzutun, dass der in Höhe von 10 vH festgestellte Grad der Behinderung nicht dem tatsächlichen Leidensausmaß der Beschwerdeführerin entspräche.

Da ein Grad der Behinderung von zehn (10) vH festgestellt wurde und somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt sind, war spruchgemäß zu entscheiden.

Hinsichtlich des angefochtenen Spruchteiles, womit der Grad der Behinderung festgestellt wurde, wird angemerkt, dass § 43 Abs. 1 zweiter Satz BBG keine Ermächtigung für einen gesonderten Ausspruch der Behörde enthält, dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50 % besteht. (vgl. Ra 2018/11/0204 vom 13.12.2018)

Daher wird der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass die Zitierung des Grades der Behinderung im Spruch entfällt.

Falls sich der Leidenszustand der Beschwerdeführerin maßgebend verschlechtert hat bzw. sich die Funktionseinschränkungen künftig verschlechtern, ist es zulässig, abermals einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu stellen und kommt eine neuerliche Feststellung des Grades der Behinderung in Betracht. (vgl. dazu etwa VwGH vom 20.11.2012, Zl. 2011/11/0118 zu § 14 BEinstG). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass gemäß § 41 Abs. 2 BBG, falls der nochmalige Antrag innerhalb eines Jahres seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung gestellt wird, eine offenkundige Änderung des Leidenszustandes glaubhaft geltend zu machen ist, ansonsten der Antrag ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen ist.
2.         Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(§ 24 Abs. 1 VwGVG)

Die Verhandlung kann entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

(§ 24 Abs. 2 VwGVG)

Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)

Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)

Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. (§ 24 Abs. 5 VwGVG)

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über den Gesamtgrad der Behinderung sind die Art und das Ausmaß der bei der Beschwerdeführerin festgestellten Gesundheitsschädigungen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurden daher zwei ärztliche Sachverständigengutachten eingeholt. Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurden diese als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.

Im Rahmen des Parteiengehörs sowie der Beschwerdeerhebung hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit sich zu äußern. Das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens wurde jedoch nicht ausreichend substantiiert bestritten. Es wurden der Beschwerde auch keine Beweismittel beigelegt. Das Beschwerdevorbringen war – wie bereits ausgeführt – nicht geeignet, relevante Bedenken an den sachverständigen Feststellungen und Beurteilungen hervorzurufen. Die Beschwerdeführerin wurde im behördlichen Verfahren zweimal persönlich untersucht. Die vorgebrachten Argumente und vorgelegten Beweismittel wurden im eingeholten Sachverständigengutachten ausreichend berücksichtigt, soweit diese einschätzungsrelevante Aspekte enthalten bzw. noch aktuell sind und resultiert daraus keine geänderte Beurteilung. Das Vorbringen wird durch die beigebrachten Beweismittel nicht erhärtet, vielmehr stehen diese nicht im Widerspruch zum eingeholten Sachverständigenbeweis. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und unbestritten. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben. Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist auch kein absoluter. (VfGH vom 09.06.2017, E 1162/2017)

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützen.

Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W216.2240682.1.00

Im RIS seit

25.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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