TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/6 W154 2241926-1

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Veröffentlicht am 06.05.2021
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Entscheidungsdatum

06.05.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77
FPG §80

Spruch


W154 2241926-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft von XXXX , geb. XXXX , StA. Algerien alias Libyan Arab Jamahiriya, zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 13.10.2019 unter der Identität XXXX , geb. am XXXX in Libyen, Staatsangehöriger Libyens, einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge der am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung begründete er seinen Asylantrag zusammengefasst damit, dass er aus Angst vor dem Krieg in seinem Heimatland und wegen seiner Armut und Arbeitslosigkeit geflohen sei.

2. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA; belangte Behörde) vom 18.12.2019 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 AsylG der Verlust seines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet wegen Verhängung der Untersuchungshaft (§§ 173 ff StPO) mitgeteilt.

3. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10.01.2020, Zl. 115 Hv 124/19a, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.

4. Am 06.03.2020 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers betreffend seinen Antrag auf internationalen Schutz durch das BFA statt. Er machte neuerlich geltend, libyscher Staatsangehöriger zu sein und seine Heimat wegen des Krieges verlassen zu haben. Dabei kamen Zweifel an der behaupteten Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers auf.

5. Am 30.06.2020 wurde eine forensisch-afrikanistische Befunderhebung zu den Sprachkompetenzen und den Landeskenntnissen des Beschwerdeführers durch den Gutachter Dr. Peter Gottschligg durchgeführt. In seinen gutachterlichen Feststellungen vom 10.07.2020 kam dieser zu dem Schluss, dass eine Hauptsozialisierung des Probanden in Libyen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei. Der Beschwerdeführer sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Algerien hauptsozialisiert worden. Es gebe keine tragfähigen Hinweise auf eine Hauptsozialisierung des Beschwerdeführers in einem anderen Land als Algerien.

6. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10.06.2020, Zl. 042 Hv 16/20h, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Abs. 1 Z 1 StGB sowie des Vergehens des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach §§ 15, 229 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt.

7. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 23.07.2020, Zl. 1249071105/191039870, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 13.10.2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Algerien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gleichzeitig wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde weiters festgestellt, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Es besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.). Gegen den Beschwerdeführer wurde ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.) Zuletzt wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 11.12.2019 verloren habe (Spruchpunkt IX.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.08.2020, I415 2234259-1/3E, wurde die Beschwerde mit der Maßgabe, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 12.12.2019 verloren habe, abgewiesen.

8. Mit Bescheid des BFA vom 04.01.2021, Zl. 1249071105/200882286, wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Die Rechtsfolgen des Bescheides sollten nach Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft eintreten.

Die belangte Behörde stützte die Fluchtgefahr dabei auf § 76 Abs. 3 Z 3 und 9 FPG sowie § 76 Abs. 2a FPG und bezog des Weiteren ein, dass der Beschwerdeführer bereits während laufenden Asylverfahrens sich durch Untertauchen dem Verfahren entzogen habe. Der Sicherungsbedarf sei zu bejahen gewesen, weil sich der Beschwerdeführer als nicht vertrauenswürdig erwiesen habe, des Weiteren liege aufgrund der Wohn- und Familiensituation, der fehlenden Verankerung in Österreich sowie des bisherigen strafrechtlichen Verhaltens des Beschwerdeführers im Falle der Haftentlassung ein beträchtliches Risiko des Untertauchens vor. Verhältnismäßigkeit und Haftfähigkeit des Beschwerdeführers stünden der Anhaltung in Schubhaft ebenfalls nicht entgegen. Die Anordnung eines gelinderen Mittels sei bereits aufgrund dessen, dass sich der Beschwerdeführer als besonders vertrauensunwürdig gezeigt habe, und dieses Verhalten für ein Untertauchen nach einer Freilassung aus der Schubhaft, um sich der Abschiebung zu entziehen, sprechen würde, zu versagen gewesen. Aufgrund des bislang gezeigten Verhaltens des Beschwerdeführers bestehe ein beträchtliches Risiko des Untertauchens, weshalb der Schubhaftzweck, nämlich die Sicherung der Abschiebung, vereitelt würde.

9. Der Beschwerdeführer wird seit 07.01.2021 in Schubhaft angehalten. Diese wird gegenwärtig im Polizeianhaltezentrum Wien, Hernalser Gürtel, vollzogen.

10. Am 28.04.2020 legte das BFA den gegenständlichen Schubhaftakt gemäß § 22 Abs 4 BFA-VG dem Gericht vor.

In der erstatteten Stellungnahme wurde nach Darlegung des Sachverhaltes im Wesentlichen ausgeführt, dass das BFA erstmals am 17.09.2020 die Botschaft von Libyen um Ausstellung eines Heimreisezertifikates ersucht habe. Der vorgesehene Termin für die Identitätsprüfung am 02.10.2020 sei aufgrund des Covid-Lockdowns storniert worden. Eine Anfrage betreffend einen neuerlichen Interviewtermin zwecks Identitätsprüfung sei am 30.12.2020 ergangen. Ein neuer Termin sei für 25.01.2021 fixiert worden. Am 25.01.2021 sei die Ablehnung der libyschen Botschaft beim BFA eingelangt.

Des Weiteren habe das BFA am 21.09.2020 einen Antrag auf Ausstellung eines Heimreisezertifikates bei der Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Algerien gestellt und mit Schreiben vom 03.12.2020, 18.02.2021 und 15.03.2021 urgiert. Eine Antwort der algerischen Botschaft sei noch ausständig.

Das BFA betreibe weiterhin das Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates (HRZ) bei der Botschaft von Algerien. Es werde seitens des BFA mit einer Ausstellung eines Heimreisezertifikates gerechnet. Im Verfahren hätten sich keine Umstände ergeben, die gegen die rechtliche und faktische Durchführbarkeit einer Abschiebung innerhalb der Schubhafthöchstdauer sprächen. Es sei beabsichtigt, den Beschwerdeführer nach der Ausstellung eines Heimreisezertifikates im Zuge einer Einzelrückführung in seinen Herkunftsstaat abzuschieben. Es bestehe dringende Fluchtgefahr, Gefahr des Untertauchens und Gefahr eines Verstoßes gegen die österreichische Rechtsordnung. Die Schubhaft sei weiterhin jedenfalls wegen erheblicher Fluchtgefahr aufrechtzuerhalten, weil aus dem vergangenen und aktuellen Verhalten des Fremden mit Sicherheit geschlossen werden könne, dass der Beschwerdeführer seine Abschiebung mit allen Mitteln zu verhindern oder jedenfalls zu behindern beabsichtige.

Zwar sei der Flugverkehr und die transnationale Bewegungsfreiheit durch die COVID-19 Pandemie weiterhin eingeschränkt, Anhaltspunkte, dass innerhalb der Schubhafthöchstdauer von 18 Monaten keine Abschiebung des Fremden möglich wäre, seien jedoch nicht gegeben.

Somit sieht das BFA die Verhältnismäßigkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft über einen längeren Zeitraum als vier Monate als gegeben. Dass die algerischen Behörden Heimreisezertifikate ausstellen würden, sei amtsbekannt.

Gemäß § 80 Abs 4 letzter HS FPG könne eine Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet habe, abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden, sofern einer der in Z 1 bis 4 leg cit genannten Tatbestände erfüllt sei. In gegenständlichem Fall lägen die maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft auch über eine Anhaltedauer von 6 Monaten hinaus vor, zumal § 80 Abs 4 Z 1 und 4 FPG erfüllt seien. Bis dato sei die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit zur Erlangung eines Heimreisezertifikates mangels Vorlage oder Beischaffung von Unterlagen bzw. Dokumenten durch den Fremden noch nicht möglich gewesen und mangels eines gültigen Ersatzreisedokumentes würde im gegenständlichen Fall die für die Einreise erforderliche Bewilligung des Zielstaates fehlen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Betreffend den Beschwerdeführer liegt eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung vor. Der Beschwerdeführer ist nicht Asylwerber; es kommt ihm kein faktischer Abschiebeschutz zu.

Für den Beschwerdeführer wurden HRZ-Verfahren eingeleitet, das HRZ-Verfahren mit Libyen wurde am 25.01.2021 beendet, da der Beschwerdeführer nicht als libyscher Staatsangehöriger seitens der libyschen Botschaft identifiziert werden konnte, das Verfahren mit Algerien ist gegenwärtig noch im Laufen. Aufgrund falscher Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Identität musste das Verfahren auf mehrere Länder ausgeweitet werden.

Der Beschwerdeführer war in Österreich fast ausschließlich in Polizeianhaltezentren und Justizanstalten gemeldet.

Der Beschwerdeführer weist folgende strafgerichtliche Verurteilungen auf:

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10.01.2020, Zl. 115 Hv 124/19a, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10.06.2020, Zl. 042 Hv 16/20h, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Abs. 1 Z 1 StGB sowie des Vergehens des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach §§ 15, 229 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt.

Der Beschwerdeführer befand sich zuletzt vom 22.02.2020 bis zu seiner Inschubhaftnahme am 07.01.2021 durchgehend in Strafhaft.

Der Beschwerdeführer zeigte sich während seines Asylverfahrens nicht kooperativ und machte bewusst tatsachenwidrige Angaben zu seiner Identität (Herkunftsstaat).

Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat (innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft) besteht weiterhin. Das Erfordernis einer HRZ-Ausstellung und die dadurch bedingte Anhaltedauer sind dem Beschwerdeführer zuzurechnen.

Der Beschwerdeführer ist in besonderem Ausmaß nicht vertrauenswürdig. Er ist in Österreich in keiner Form integriert, verfügt über keine substanziellen sozialen, beruflichen oder familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Zudem verfügt er über keine gesicherte Unterkunft und über Barvermögen lediglich in Höhe von rund 300 €. Der Beschwerdeführer ist gesund und jedenfalls haftfähig.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus der Aktenlage im gegenständlichen Verfahren sowie den Gerichts- und Verwaltungsakten zum Asylverfahren des Beschwerdeführers (BVwG-GZ 2234259-1). Die Feststellungen bezüglich der Meldeadressen des Beschwerdeführers ergeben sich aus einem rezenten Auszug aus dem Zentralen Melderegister. Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen sind dem Strafregister entnommen. Der Beschwerdeführer hat im Asylverfahren nachweislich unterschiedliche Angaben zu seiner Identität und seinem Herkunftsstaat gemacht – was aus den Akten, insbesondere der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.08.2020, I415 2234259-1/3E, zur Beschwerde im Asylverfahren ersichtlich ist.

Die realistische Möglichkeit der Rücküberstellung ergibt sich aus der diesbezüglich grundsätzlich problemlosen Zusammenarbeit mit der Vertretung und den Behörden des möglichen Herkunftsstaates Algeriens, Interviewtermine werden voraussichtlich nach dem Lockdown stattfinden, Identifizierungen und HRZ-Ausstellungen aus Algier erfolgen, dies ergibt sich aus der Aussendung der BFA-Direktion, Abteilung für Rückführungen, vom 26.04.2021. Ebenso regelmäßig muss diesen ein Ermittlungsverfahren in den Herkunftsstaaten vorangehen, weil der Beschwerdeführer keine Personal- oder Reisedokumente vorweisen konnte. Diese benötigen üblicherweise einige Monate. Da aufgrund falscher Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Identität der seitens des Beschwerdeführers angegebene Herkunftsstaat Libyen die Ausstellung eines HRZ ablehnte, musste das Verfahren auf Algerien ausgeweitet werden. Die Ausstellung eines HRZ verzögert sich somit mangels kooperativen Verhaltens des Beschwerdeführers, jedoch erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Abschiebung innerhalb der Schubhafthöchstdauer als möglich.

Die Feststellungen zur fehlenden Integration des Beschwerdeführers und seiner Vermögenslage ergeben sich aus der Aktenlage. Die in besonderem Maße geminderte Vertrauenswürdigkeit ergibt sich aus den vom Beschwerdeführer im Asylverfahren bewusst getätigten falschen Angaben zu seiner Person sowie der Tatsache, dass er nicht gewillt ist, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten. Der Beschwerdeführer tauchte auch während laufenden Asylverfahrens unter und war für die Behörden nicht greifbar, in der Schubhaft begab er sich vom 08.01.2021 bis 15.01.2021 in den Hungerstreik und versuchte, sich aus der Schubhaft freizupressen.

Hinweise für ein Fehlen der Haftfähigkeit oder gröbere gesundheitliche Probleme sind im Verfahren nicht hervorgetreten. Zudem befand sich der Beschwerdeführer vor Anordnung der Schubhaft über 10 Monate lang in Strafhaft.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchpunkt A.:

3.1.1. Gesetzliche Grundlagen:

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 56/2018 idgF, lautet:

§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.

§ 77 Gelinderes Mittel

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Zur Dauer der Schubhaft:

Gemäß § 80 Abs. 4 FPG kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden, wenn ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden kann, weil

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.

die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck

der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2.

eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht
vorliegt,

3.

der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13)

widersetzt, oder

4.

die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen
oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint.

§ 22a Abs. 4 BFA-VG lautet:

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

3.1.2. Zur Judikatur:

Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auf Art 1 Abs. 3 PersFrSchG 1988 hinzuweisen, aus dem sich das für alle Freiheitsentziehungen geltende Gebot der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit ergibt, deren Prüfung im Einzelfall eine entsprechende Interessenabwägung verlangt. Für die Schubhaft ergibt sich das im Übrigen auch noch aus der Wendung "... wenn dies notwendig ist, um ..." in Art 2 Abs. 1 Z 7 PersFrSchG 1988. Dementsprechend hat der VfGH - nachdem er bereits in seinem Erkenntnis vom 24.06.2006, B 362/06, die Verpflichtung der Behörden betont hatte, von der Anwendung der Schubhaft jedenfalls Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und verhältnismäßig ist - in seinem Erkenntnis vom 15.06.2007, B 1330/06 und B 1331/06, klargestellt, dass die Behörden in allen Fällen des § 76 Abs. 2 FrPolG 2005 unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Der VwGH hat dazu beginnend mit dem Erkenntnis vom 30.08.2007, 2007/21/0043, mehrfach festgehalten, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FrPolG 2005 gestützt werden soll, stets nur ultima ratio sein dürfe." (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008)

Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich in Frage kommt. Die begründete Annahme, dass eine Aufenthaltsbeendigung erfolgen wird, ist dabei ausreichend. Dass die Effektuierung mit Gewissheit erfolgt, ist nicht erforderlich (vgl. dazu etwa VwGH 07.02.2008, Zl. 2006/21/0389; VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/21/0039). Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Andernfalls erwiese sich die Schubhaft nämlich als für die Erreichung des Haftzweckes (der Abschiebung) "nutzlos". Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FPG ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Den erwähnten Verlängerungstatbeständen liegt freilich zu Grunde, dass die in Frage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist hingegen bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von Anfang an nicht verhängt werden. Dasselbe gilt, wenn während der Anhaltung in Schubhaft Umstände eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann. (vgl. VwGH 11.06.2013, Zl. 2013/21/0024, zum Erfordernis einer Prognosebeurteilung, ob die baldige Ausstellung eines Heimreisezertifikates trotz wiederholter Urgenzen durch das Bundesministerium für Inneres angesichts der Untätigkeit der Vertretungsbehörde des Herkunftsstaates zu erwarten ist; vgl. VwGH 18.12.2008, Zl. 2008/21/0582, zur rechtswidrigen Aufrechterhaltung der Schubhaft trotz eines ärztlichen Gutachtens, wonach ein neuerlicher Versuch einer Abschiebung des Fremden in den nächsten Monaten aus medizinischen Gründen nicht vorstellbar sei).

3.1.3. Aufgrund der oben zitierten gesetzlichen Bestimmungen hat die Behörde nach § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung, welche über die Viermonatsfrist gehen solle, vorzulegen. Dabei hat sie darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig wäre. Es ist Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes hierüber im Verfahren eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit durchzuführen und hat sich im Rahmen dieser Überprüfung auch im Hinblick auf die vorzunehmende Zukunftsprognose für das Gericht ergeben, dass eine weitere Anhaltung über die gesetzlich vorgesehene Viermonatsfrist hinaus, weiter als verhältnismäßig angesehen werden kann.

Betrachtet man die Interessen des Beschwerdeführers an den Rechten seiner persönlichen Freiheit in Bezug auf seine familiären bzw. sozialen Verhältnisse so zeigt sich, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet über keine Familienangehörige verfügt, er verfügt auch nicht über sonstige Kontaktpersonen. Der Beschwerdeführer ist zudem in Österreich weder legal erwerbstätig noch sozialversichert. Er hat letztendlich gar keine Anknüpfungspunkte zu Österreich und verfügt auch über keinen Wohnsitz im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer verfügt über lediglich geringe Barmittel und brachte keine identitätsbezeugenden Dokumente in Vorlage. Er ist in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig. Außerdem tauchte er in der Vergangenheit unter und war auch sonst für die Behörden nicht greifbar, woraus zu schließen ist, dass der Beschwerdeführer nicht willig zur Kooperation mit den Behörden ist. Im Zuge der durchzuführenden Abwägung bleibt daher festzuhalten, dass keine sozialen Bindungen des Beschwerdeführers zu Österreich entstanden sind und Selbsterhaltungsfähigkeit nicht gegeben ist.

Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass die angeordnete Schubhaft auch weiterhin das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllt, dies auch aufgrund der zweifachen strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers.

Das Verfahren hat in keiner Weise ergeben, dass der Beschwerdeführer durch die Inhaftierung einer unzumutbaren (unverhältnismäßigen) Belastung ausgesetzt ist, zumal er diesbezüglich auch einer engmaschigen medizinischen Kontrolle unterliegt.

Aufgrund des Ermittlungsverfahrens lässt sich aus derzeitiger Sicht auch erkennen, dass eine zügige Außerlandesbringung des Beschwerdeführers als wahrscheinlich anzusehen ist. So wurde das Verfahren zur Erteilung eines Heimreisezertifikates seitens der Behörde bereits im Jahr 2020 eingeleitet, seitens des vom Beschwerdeführer genannten Herkunftsstaates Libyen konnte kein HRZ erlangt werden, wodurch das BFA gehalten war, das Verfahren zur Erlangung eines HRZ auf Algerien auszudehnen, was wiederum weitere Zeit bis zur Erlangung eines HRZ in Anspruch nehmen wird. Urgenzen mit Algerien erfolgten in weiterer Folge. Die Behörde hat das Verfahren bislang zügig geführt. Mit der Erlangung eines HRZ in den nächsten Monaten ist somit zu rechnen.

Das Gericht geht daher im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zum Zeitpunkt der Entscheidungserlassung davon aus, dass eine Außerlandesbringung des Beschwerdeführers nach heutigem Wissensstand zeitnah realistisch erscheint.

Die Prüfung, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt, führt zu dem Ergebnis, dass ein gelinderes Mittel nicht zur Anwendung kommen kann. Eine Sicherheitsleistung kann auf Grund der fehlenden finanziellen Mittel des Beschwerdeführers nicht zur Anwendung kommen. Aber auch die konkrete Zuweisung einer Unterkunft und/oder einer Meldeverpflichtung kann auf Grund des vom Beschwerdeführer in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens – insbesondere der Tatsache, dass sie untergetaucht war – nicht zum Ziel der Sicherung der Abschiebung führen, da im vorliegenden Fall die konkrete Gefahr des neuerlichen Untertauchens des Beschwerdeführers besteht.

Die Verhängung eines gelinderen Mittels kommt daher nicht in Betracht.

Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

3.2. Zu Spruchpunkt B. - Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Da keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen sind, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen, war die Revision daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Einreiseverbot falsche Angaben Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Heimreisezertifikat Identität Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Selbsterhaltungsfähigkeit Sicherungsbedarf Staatsangehörigkeit Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Untertauchen Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W154.2241926.1.00

Im RIS seit

30.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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