TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/6 W261 2241045-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.05.2021
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Entscheidungsdatum

06.05.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1
VOG §10 Abs1
VOG §2
VOG §6a

Spruch


W261 2241045-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzerin und als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Oberösterreich, vom 22.02.2021, betreffend die Zurückweisung des Antrages auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin stellte mit Eingabe vom 06.08.2020, eingelangt am 11.08.2020, beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Oberösterreich (im Folgenden auch als belangte Behörde bezeichnet), einen Antrag auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nach dem Verbrechensopfergesetz (im Folgenden auch VOG). Dabei gab sie an, von 1987 bis 2017 fortgesetzter Gewaltausübung durch XXXX ausgesetzt gewesen zu sein. Der Täter habe während des laufenden Ermittlungsverfahrens Suizid verübt.

2. Die belangte Behörde bezog in einem Verfahren des Sohnes der Beschwerdeführerin, XXXX , mit Eingabe vom 03.08.2020 übermittelte Unterlagen, nämlich das Protokoll einer Zeugenvernehmung vom 13.06.2019, einen Beschluss des Landesgerichts XXXX vom 06.07.2020 und medizinische Befunde, in das Verfahren mit ein.

3. Mit Eingabe vom 18.08.2020, eingelangt am 24.08.2020, stellt die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde einen Antrag auf Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung, gegründet auf dasselbe Verbrechen.

4. Die belangte Behörde ersuchte in der Folge das Landesgericht XXXX um Übermittlung des Strafaktes im Verfahren Zl. XXXX gegen XXXX . Dieser langte am 05.10.2020 bei der belangten Behörde ein und umfasst – soweit für das gegenständliche Verfahren wesentlich – ein im Ermittlungsverfahren eingeholtes, die Beschwerdeführerin betreffendes Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 27.01.2020, die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft XXXX vom 10.04.2020, die Niederschrift der am 25.06.2020 vor dem Landesgericht XXXX durchgeführten Hauptverhandlung und eine Meldung der Justizanstalt XXXX zum Tod des Angeklagten vom 27.06.2020.

5. Die belangte Behörde ersuchte in weiterer Folge das Bezirksgericht XXXX um Übermittlung der Unterlagen aus dem Scheidungsverfahren der Beschwerdeführerin mit XXXX . Der Scheidungsbeschluss und eine Ausfertigung des Scheidungsvergleichs langten am 10.02.2021 bei der belangten Behörde ein.

6. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22.02.2021 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Z 10, § 6a und 10 Abs. 1 VOG in der bis 31.12.2019 geltenden Fassung iVm § 16 Abs. 22 VOG zurück.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass gemäß § 10 Abs. 1 VOG in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung Leistungen nach § 2 nur von dem Monat an erbracht werden würden, in dem die Voraussetzungen hierfür erfüllt seien, sofern der Antrag binnen zwei Jahren nach der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung gestellt werde. Aus dem Antrag und dem im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eingeholten Strafakt gehe hervor, dass die Straftaten, deren Opfer die Beschwerdeführerin geworden sei, bis Mitte des Jahres 2017 stattgefunden hätten. Der Antrag sei jedoch erst nach Ablauf der Zweijahresfrist am 11.08.2020 eingelangt, weshalb dieser als verspätet zurückzuweisen sei.

7. Mit gesondertem Bescheid vom 22.02.2021 wurde dem Antrag auf Übernahme der Restkosten psychotherapeutischer Krankenbehandlung für die durch die – aufgrund der vom damaligen Ehegatten der Beschwerdeführerin zu ihrem Nachteil begangenen strafbaren Handlungen von 1987 bis Mitte 2017 – erlittenen Schädigungen entstandenen bzw. entstehenden Selbstkosten gemäß § 1 Abs. 1 und § 4 Abs. 5 VOG ab Behandlungsbeginn bewilligt.

8. Mit Eingabe vom 25.03.2021, eingelangt am 29.03.2021, erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht die gegenständliche Beschwerde gegen den erstgenannten Bescheid. Darin führte sie im Wesentlichen aus, sie habe sich am 21.09.2017 von ihrem damaligen Ehegatten und Vater ihrer vier Kinder scheiden lassen, da die Situation unerträglich geworden sei. Die Kinder und sie seien ständig von ihm kontrolliert und terrorisiert worden. Sie habe den Antrag nicht innerhalb der Zweijahresfrist gestellt, weil sie große psychische Probleme gehabt habe, in einer totalen Ausnahmesituation gewesen sei und auch Angst vor ihrem geschiedenen Mann gehabt habe. Sie habe Angst gehabt, dass er ihr oder den Kindern etwas antue, wenn sie etwas gegen ihn unternehme. Das Strafverfahren sei für sie eine äußerst schwierige Zeit gewesen, und sie habe nicht daran gedacht, einen Antrag nach dem VOG zu stellen, zumal sie erst durch die Gerichtsverhandlung erfahren habe, dass es so etwas gebe. Nach der ersten Verhandlung im Juni 2020 habe ihr geschiedener Gatte Selbstmord begangen, und sie habe sich verstärkt um die vier Kinder kümmern müssen, denen es psychisch sehr schlecht gegangen sei. Nach dem Selbstmord seien auch sämtliche Formalitäten (Begräbnis etc.) zu organisieren gewesen, daher habe sie erst im August 2020 den Antrag gestellt. Sie bitte um Gewährung eines Schmerzengeldes, da sie aufgrund der Einstellung und des Verhaltens ihres geschiedenen Mannes seit vielen Jahren allein für die Familie aufkommen haben müssen. Sie habe sich auch nicht früher von ihm trennen können, da sie große Angst vor ihm gehabt habe, und er ihr immer wieder gedroht habe, dass er alle auslöschen werde, falls sie sich scheiden lasse. Sie leide psychisch immer noch unter den Folgen der Drohungen und Einschüchterungen. Sie habe Schlafstörungen, finanzielle Ängste, Schweißausbrüche, Konzentrationsschwierigkeiten, Albträume, Zukunftsängste und leide unter völliger Kraftlosigkeit. Sie habe auch körperliche Beschwerden (Abnützungserscheinungen), da sie teilweise mehrere Jobs gleichzeitig neben den vier Kindern gehabt habe, um die Familie zu versorgen.

9. Die belangte Behörde legte die Beschwerde und den Verwaltungsakt mit Schreiben vom 31.03.2021 dem Bundesverwaltungsgericht vor, wo diese am 06.04.2021 einlangten.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin.

Die Beschwerdeführerin stellte am 11.08.2020 (Datum des Einlangens) einen Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen in Form von Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nach dem Verbrechensopfergesetz und begründete dies damit, dass sie von 1987 bis 2017 fortgesetzter Gewaltausübung durch ihren damaligen Ehegatten ausgesetzt gewesen sei.

Der damalige Ehegatte der Beschwerdeführerin hat gegen diese in der Zeit von Juni 2009 bis Mitte des Jahres 2017 fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er ihr unter anderem regelmäßig und häufig Schläge versetzt hat, und sie zu anderen nicht näher bekannten Zeitpunkten im Zeitraum 1987/1988 bis Mitte des Jahres 2017 wiederholt verletzt und zu verletzen versucht sowie gefährlich, unter anderem mit dem Tod, bedroht.

Die Beschwerdeführerin erlitt als Folge dieser Vorfälle eine Dysthymie, F.34, und einen Zustand nach mittelgradiger Depression, F.32.

Zwischen dem Ende des Tatzeitraums, welcher als Zeitpunkt der Körperverletzung bzw. Gesundheitsschädigung gilt, und dem Zeitpunkt der Antragstellung liegen mehr als zwei Jahre.

2.       Beweiswürdigung:

Die Feststellung hinsichtlich der österreichischen Staatsbürgerschaft beruht auf der Angabe der Beschwerdeführerin in ihrem Antrag vom 11.08.2020, welche sich mit dem von der belangten Behörde eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister deckt.

Die Feststellungen zu den gegen die Beschwerdeführerin verübten Straftaten beruhen auf ihren eigenen Angaben im Antrag vom 11.08.2020 (vgl. AS 1) und der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft XXXX vom 10.04.2020 (vgl. AS 29-31). Das gegen den ehemaligen Ehegatten der Beschwerdeführerin am Landesgericht XXXX geführte Strafverfahren, Zl. XXXX , wurde infolge seines Todes mit Beschluss vom 06.07.2020 ohne Entscheidung in der Sache eingestellt (vgl. AS 9). Auf Grundlage des durchgeführten Beweisverfahrens steht aber auch ohne erfolgte strafrechtliche Verurteilung mit der nach dem VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass die Beschwerdeführerin im Zeitraum 1987/1988 bis Mitte des Jahres 2017 Opfer der genannten Straftaten wurde. Auch die belangte Behörde stellte das Vorliegen der Straftaten im angefochtenen Bescheid ausdrücklich fest.

Die Feststellungen zu den durch die Straftaten bedingten Gesundheitsschädigungen beruhen auf dem im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingeholten psychiatrischen Gutachten von Univ. Doz. Dr. XXXX , eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie, vom 27.01.2020 (vgl. AS 15-28). In ihrem Antrag vom 11.08.2020 verwies die Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer Körperverletzungen und Gesundheitsschädigungen auf dieses Gutachten. Im nicht-verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 22.02.2021 legte auch die belangte Behörde dieses Gutachten ihren Feststellungen zugrunde.

Der entscheidungswesentliche Sachverhalt steht damit unbestritten fest.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes idgF BGBl. I Nr. 105/2019 lauten auszugsweise wie folgt:

Kreis der Anspruchsberechtigten

§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1.       durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

2.       durch eine an einer anderen Person begangene Handlung im Sinne der Z 1 nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder

3.       als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde.

(2) Hilfe ist auch dann zu leisten, wenn

1.       die mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen worden ist oder der Täter in entschuldigendem Notstand gehandelt hat,

2.       die strafgerichtliche Verfolgung des Täters wegen seines Todes, wegen Verjährung oder aus einem anderen Grund unzulässig ist oder

3.       der Täter nicht bekannt ist oder wegen seiner Abwesenheit nicht verfolgt werden kann.

Hilfeleistungen

§ 2. Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:

10. Pauschalentschädigung für Schmerzengeld.

Pauschalentschädigung für Schmerzengeld

§ 6a (1) Hilfe nach § 2 Z 10 ist für eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 als einmalige Geldleistung im Betrag von 2 000 Euro zu leisten; sie beträgt 4 000 Euro, sofern die durch die schwere Körperverletzung verursachte Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit länger als drei Monate andauert.

(2) Zieht die Handlung eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 StGB) nach sich, gebührt eine einmalige Geldleistung im Betrag von 8 000 Euro; sie beträgt 12 000 Euro, sofern wegen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen ein Pflegebedarf im Ausmaß von zumindest der Stufe 5 nach dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG), BGBl. Nr. 110/1993, besteht.

Beginn und Ende der Hilfeleistungen, Rückersatz und Ruhen

§ 10 (1) Leistungen nach § 2 dürfen nur von dem Monat an erbracht werden, in dem die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind, sofern der Antrag binnen drei Jahren nach der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 1) bzw. nach dem Tod des Opfers (§ 1 Abs. 4) gestellt wird. Wird ein Antrag erst nach Ablauf dieser Frist gestellt, so sind die Leistungen nach § 2 Z 1, 2, 3 bis 7 und 9 mit Beginn des auf den Antrag folgenden Monates zu erbringen. Bei erstmaliger Zuerkennung von Ersatz des Verdienst- und Unterhaltsentganges ist von Amts wegen auch darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe eine einkommensabhängige Zusatzleistung zu gewähren ist. Anträge auf Leistungen gemäß § 4 Abs. 5 unterliegen keiner Frist.

(1a) Zur Zeit der Tatbegehung minderjährige Opfer können die Leistung nach § 2 Z 10 auch innerhalb von drei Jahren nach rechtskräftiger Beendigung oder Einstellung des Strafverfahrens beantragen. Ein Leistungsanspruch besteht in diesem Fall bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen, wenn im Strafurteil oder einem im Gerichtsverfahren eingeholten medizinischen Gutachten das Vorliegen einer schweren Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) ausdrücklich bestätigt wird.

(2) Die Hilfeleistung endet, wenn sich die für die Hilfeleistung maßgebenden Umstände ändern, nachträglich ein Ausschließungsgrund (§ 8) eintritt oder nachträglich hervorkommt, daß die Voraussetzungen für eine Hilfeleistung nicht gegeben sind.

(3) Hinsichtlich der Anzeige- und Ersatzpflicht des Leistungsempfängers sind die §§ 57 und 58 des Heeresversorgungsgesetzes anzuwenden.

(4) Hilfe nach § 2 Z 7 ruht während einer mit voller Verpflegung verbundenen Heilbehandlung ab dem Tag, der auf den Beginn der Heilbehandlung folgt. § 12 Abs. 1 des Heeresversorgungsgesetzes ist sinngemäß anzuwenden.

Inkrafttreten

§ 16 (1) Dieses Bundesgesetz tritt am 1. September 1972 in Kraft.

(2) Dieses Bundesgesetz ist auf Handlungen im Sinne des § 1 Abs. 1 anzuwenden, die nach dem 25. Oktober 1955 gesetzt wurden.

(10) Die §§ 2 Z 9 und 10, 6a samt Überschrift und 10 Abs. 1 letzter Satz in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 40/2009 treten mit 1. Juni 2009 in Kraft. § 6a ist auf Handlungen im Sinne des § 1 Abs. 1 anzuwenden, die nach dem 31. Mai 2009 begangen wurden.

(13) Die §§ 1 Abs. 1 Z 1 bis 3 und Abs. 7, 2 Z 2a, 3 Abs. 1 erster Satz, 3a zweiter Satz, 4 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 2 Z 1, Abs. 2a, Abs. 4 und Abs. 5 erster Satz, 4a samt Überschrift, 5 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 3 und Abs. 4, 5a Abs. 1, 6 erster und zweiter Satz, 6a, 7 erster und zweiter Satz, 7a Abs. 1 zweiter Satz, 8 Abs. 1, Abs. 2 Z 1 und 2 und Abs. 5, 9 Abs. 4 zweiter Satz, 10 Abs. 1, 13 Abs. 1 und § 14b samt Überschrift in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 58/2013 treten mit 1. April 2013 in Kraft. Die §§ 4a, 6a und 7 erster und zweiter Satz in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 58/2013 sind auf Handlungen im Sinne des § 1 Abs. 1 anzuwenden, die ab dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes begangen wurden. § 10 Abs. 1 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 58/2013 ist hinsichtlich § 2 Z 1, 7 und 9 auf Handlungen im Sinne des § 1 Abs. 1 anzuwenden, die ab dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes begangen wurden, und hinsichtlich § 2 Z 10 mit der Maßgabe anzuwenden, dass für Anträge auf Grund der Rechtslage vor diesem Zeitpunkt der Fristenlauf mit dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes beginnt.

(22) Die §§ 1 Abs. 9, 8 Abs. 3, 10 Abs. 1 erster Satz und 10 Abs. 1a in der Fassung des Gewaltschutzgesetzes 2019 BGBl. I Nr. 105/2019 treten mit 1. Jänner 2020 in Kraft. Die §§ 1 Abs. 9 und 10 Abs. 1 erster Satz in der Fassung des Gewaltschutzgesetzes 2019 BGBl. I Nr. 105/2019 sind auf Handlungen im Sinne des § 1 Abs. 1 anzuwenden, die ab dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes begangen wurden.

Die gegenständlich maßgebliche Bestimmung des Verbrechensopfergesetzes idF BGBl. I Nr. 59/2013, d. h. vor Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes 2019, BGBl. I Nr. 105/2019, lautet auszugsweise wie folgt:

Beginn und Ende der Hilfeleistungen, Rückersatz und Ruhen

§ 10 (1) Leistungen nach § 2 dürfen nur von dem Monat an erbracht werden, in dem die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind, sofern der Antrag binnen zwei Jahren nach der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 1) bzw. nach dem Tod des Opfers (§ 1 Abs. 4) gestellt wird. Wird ein Antrag erst nach Ablauf dieser Frist gestellt, so sind die Leistungen nach § 2 Z 1, 2, 3 bis 7 und 9 mit Beginn des auf den Antrag folgenden Monates zu erbringen. Bei erstmaliger Zuerkennung von Ersatz des Verdienst- und Unterhaltsentganges ist von Amts wegen auch darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe eine einkommensabhängige Zusatzleistung zu gewähren ist. Anträge auf Leistungen gemäß § 4 Abs. 5 unterliegen keiner Frist.

Vorweg ist festzuhalten, dass die belangte Behörde gegenüber der Beschwerdeführerin am 22.02.2021 zwei gesonderte Bescheide erlassen hat, die beide die Geschäftszahl OB: XXXX tragen. Es könnte daher grundsätzlich fraglich erscheinen, gegen welchen der Bescheide sich die mit „Berufung gegen den Bescheid vom 22.2.21, OB: XXXX “ überschriebene vorliegende Beschwerde richtet. Aus dem Inhalt der Beschwerde, die zentral auf die Versäumung einer Frist Bezug nimmt, ergibt sich in einer Gesamtbetrachtung jedoch zweifelsfrei, dass sich diese (nur) gegen jenen Bescheid richtet, mit dem der Antrag auf Gewährung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld wegen Fristversäumnis zurückgewiesen wurde.

Wie aus den Feststellungen ersichtlich, liegen im Beschwerdefall grundsätzlich die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Leistungen nach dem Verbrechensopfergesetz vor.

Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid zurecht fest, dass der Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nach dem Verbrechensopfergesetz verspätet eingebracht worden ist.

Anzuwenden ist in diesem Beschwerdeverfahren, wie aus den zitierten Inkrafttretensbestimmungen des § 16 Abs. 22 VOG für das Gewaltschutzgesetz 2019, BGBl. I Nr. 105/2019 hervorgeht, die vor dem Zeitpunkt der letztgenannten Novelle des VOG geltende Bestimmung des § 10 Abs. 1 VOG, idF BGBl. I Nr. 59/2013. Diese legt fest, dass Leistungen nach § 2 nur von dem Monat an erbracht werden dürfen, in dem die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind, sofern der Antrag binnen von zwei Jahren nach der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 1) bzw. nach dem Tod des Opfers (§ 1 Abs. 4) gestellt wird.

Die mit dem Gewaltschutzgesetz 2019 neu im § 10 Abs. 1 VOG eingeführte Verlängerung dieser Antragsfrist von bisher zwei Jahren auf drei Jahre ist laut dem Wortlaut des § 16 Abs. 22 VOG nur für jene Handlungen anzuwenden, welche nach dem Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes 2019, BGBl. I Nr. 105/2019, d. h. ab dem 01.01.2020, begangen wurden. Nachdem die verfahrensgegenständlichen Verbrechen bis Mitte des Jahres 2017 stattgefunden haben, ist die Bestimmung des § 10 Abs. 1 VOG in der Fassung vor dem 31.12.2019 anzuwenden, wie die belangte Behörde richtig ausführte.

Jene Vorfälle, die kausal für die festgestellten Gesundheitsschädigungen der Beschwerdeführerin sind, ereigneten sich im Zeitraum von 1987/1988 bis Mitte des Jahres 2017. Dass es nach dem Jahr 2017 zu weiteren Straftaten gekommen wäre, brachte die Beschwerdeführerin im gesamten Verfahren nicht vor, es sind dafür auch keine Anhaltspunkte hervorgekommen. Die gegenständliche Antragstellung erfolgte am 11.08.2020, somit rund drei Jahre, jedenfalls aber über zwei Jahre nach Ende der verübten Verbrechen. Damit steht eindeutig fest, dass die Beschwerdeführerin den Antrag verspätet eingebracht hat.

In ihrer Beschwerde gestand die Beschwerdeführerin die Versäumung der Zweijahresfrist auch ausdrücklich zu. Sie begründete dies damit, dass sie große psychische Probleme gehabt habe, in einer Ausnahmesituation gewesen sei und auch Angst vor ihrem früheren Ehemann gehabt habe. Sie habe bis zur Gerichtsverhandlung im Strafverfahren auch nicht gewusst, dass es Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz gebe. Nach dem Tod ihres früheren Ehemannes im Juni 2020 habe sie sich verstärkt um ihre vier Kinder kümmern und Formalitäten organisieren müssen, weshalb sie erst im August 2020 den Antrag gestellt habe.

Diese Ausführungen der Beschwerdeführerin sind grundsätzlich nachvollziehbar, die dargestellte Fristenregelung des Verbrechensopfergesetzes sieht jedoch einen wie immer gearteten Ermessensspielraum oder die Möglichkeit einer Fristverlängerung aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht vor.

Der Vollständigkeit halber ist angesichts der Hinweise der Beschwerdeführerin auf das erst ab 2019 geführte Strafverfahren gegen ihren früheren Ehemann auch darauf hinzuweisen, dass es für Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz auf eine strafgerichtliche Verurteilung nicht ankommt. In den Erläuterungen zur Stammfassung des Verbrechensopfergesetzes, BGBl Nr. 288/1972, RV 40 der Beilagen XIII. GP, ist diesbezüglich Folgendes ausgeführt (Hervorhebungen nicht im Original):

„…

Nach dem Entwurf ist es erforderlich, daß es sich bei der Tat um ein Verbrechen im engeren Sinn handelt. Hilfe kann daher nicht gewährt werden, wenn nur ein Vergehen oder eine Übertretung vorliegt, oder wenn der Täter nicht vorsätzlich oder nicht rechtswidrig gehandelt hat. Hingegen soll es nach dem Entwurf nicht darauf ankommen, ob der Täter verfolgt oder bestraft werden darf. Demnach soll die staatliche Unterstützung auch dem Opfer solcher Verbrechen zuteil werden, bei denen der Täter etwa wegen Zurechnungsunfähigkeit, oder weil er die Tat in einer entschuldigenden Notlage begangen hat, oder wegen Verjährung oder diplomatischer Immunität nicht bestraft oder verfolgt werden kann. Desgleichen ist es auf die Gewährung von Hilfeleistungen ohne Einfluß, daß der Täter nicht ermittelt werden kann oder es ihm gelungen ist, sich der österreichischen Strafjustiz zu entziehen.

Darüber, ob ein Verbrechen vorliegt oder nicht, wird in der Regel der Ausgang des Strafverfahrens gegen den Täter Aufschluß geben. Nach dem § 9 Abs. 3 des Entwurfes haben die Landesinvalidenämter deshalb festzustellen, ob wegen des dem Ansuchen zugrunde liegenden Sachverhaltes ein Strafverfahren eingeleitet worden ist und in welcher Lage es sich befindet. Die Staatsanwälte sind verpflichtet, auf solche Ansuchen hin gegebenenfalls auch die Gründe für die EinsteIlung eines Strafverfahrens mitzuteilen. Es wird aber nicht in jedem Fall möglich sein, sich auf die Ergebnisse eines gerichtlichen Strafverfahrens zu stützen; so etwa dann nicht, wenn der Täter nicht ermittelt werden kann oder es ihm gelingt, sich der österreichischen Strafjustiz zu entziehen. Davon abgesehen, wird es häufig notwendig sein, dem Opfer eines Verbrechens möglichst rasch Hilfe zu leisten. Müßte in solchen Fällen die rechtskräftige Beendigung des Strafverfahrens abgewartet werden, so käme die staatliche Hilfe oft zu spät. Der Entwurf ermöglicht daher Hilfeleistungen auch bereits vor Einleitung eines gerichtlichen Strafverfahrens oder vor dessen rechtskräftiger Beendigung.

…“

Daraus folgt, dass es gerade nicht erforderlich ist, mit einer Antragstellung nach dem Verbrechensopfergesetz abzuwarten, bis der oder die Täter rechtskräftig von einem Strafgericht wegen des Verbrechens verurteilt wurden. Vielmehr soll es ein Antrag nach dem Verbrechensopfergesetz ermöglichen, möglichst rasch Hilfe zu erhalten, wobei nach § 1 Abs. 1 Z 1 VOG einzig die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung glaubhaft zu machen ist.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Im vorliegenden Fall konnte eine mündliche Verhandlung bereits deshalb entfallen, weil der verfahrenseinleitende Antrag gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG zurückzuweisen war. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde auch nicht beantragt.

Im Übrigen wurde eine Verhandlung vom Bundesverwaltungsgericht auch für nicht erforderlich erachtet, zumal für die Entscheidung über die vorliegende Beschwerde der maßgebliche Sachverhalt durch Aktenstudium des vorgelegten Fremdaktes und der Beschwerde zu klären war. Alle aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes notwendigen Unterlagen befanden sich im verwaltungsbehördlichen Fremdakt. Ansonsten waren im gegenständlichen Fall ausschließlich rechtliche Fragen zu klären. Damit liegt ein besonderer Grund vor, welcher auch im Lichte der Rechtsprechung des EGMR eine Einschränkung des Grundrechts auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zulässt. Im Fall Faugel (EGMR 20.11.2003, 58647/00 und 58649/00) wurde ein solch besonderer Grund, der von der Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung entbindet, etwa dann angenommen, wenn in einem Verfahren ausschließlich rechtliche oder höchst technische Fragen zur Diskussion stehen. Dem Bundesverwaltungsgericht liegt auch kein Beschwerdevorbringen vor, das mit der beschwerdeführenden Partei mündlich zu erörtern gewesen wäre und konnte daher die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Antragsfristen Fristversäumung Pauschalentschädigung Schmerzengeld verspäteter Antrag Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W261.2241045.1.00

Im RIS seit

30.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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