TE Vwgh Erkenntnis 1981/1/21 2824/80

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.01.1981
beobachten
merken

Index

StVO
90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

StVO 1960 §76 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leibrecht und die Hofräte Dr. Pichler, Dr. Baumgartner, Dr. Weiss und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Mag. Müller, über die Beschwerde des Dr. KJ, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 4. Juli 1980, Zl. IIb2-V-491/1-80, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 900,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 19. Mai 1980 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 25. Jänner 1980 um 12.50 Uhr in Innsbruck, Gänsbacherstraße, als Fußgänger nicht den vorhandenen Gehsteig benützt; er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 75 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung 1960 StVO begangen; gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO wurde eine Geldstrafe von S 250,-- (Ersatzarreststrafe 10 Stunden) verhängt. In der Begründung wurde ausgeführt, die dem Beschwerdeführer angelastete Übertretung sei durch die Wahrnehmung des Anzeigers, eines Sicherheitswachebeamten, erwiesen. Die Verantwortung des Beschwerdeführers, der Gehsteig sei zur Tatzeit derart mit Schneematsch bedeckt gewesen, daß ein Gehen auf dem Gehsteig nicht zumutbar gewesen sei, könne ihn nicht entlasten, denn nach der glaubhaften Darstellung des Anzeigers sei der Gehsteig in gleicher Weise wie die Fahrbahn mit Schneematsch bedeckt, aber ohne weiteres begehbar gewesen. Der Anzeiger sei selbst auf dem Gehsteig gegangen. Die Behörde habe keinen Anlaß, an dieser Darstellung zu zweifeln, zumal es sich beim Anzeiger um ein beeidetes Straßenaufsichtsorgan gehandelt habe. Es sei entbehrlich gewesen, zu dieser Frage eine Auskunft der Wetterwarte einzuholen, weil diese sicherlich keine Aufzeichnungen über die Schneematschverhältnisse in der Gänsbacherstraße führe.

In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung verwies der Beschwerdeführer auf seine Verantwortung in erster Instanz, daß der Gehsteig derart mit Schneematsch bedeckt gewesen sei, daß er bei jedem Schritt eingesunken sei. Die Benützung des Gehsteiges sei ihm bei den gegebenen Verhältnissen nicht zumutbar gewesen, sodaß er auf diesem Stück die damals völlig verkehrsfreie Fahrbahn hätte benützen dürfen. Der Beschwerdeführer wäre auch der Aufforderung des Anzeigers, den Gehsteig zu benützen, sofort nachgekommen, wenn dies für ihn zumutbar gewesen wäre; es habe sich aber damals zwischen Fahrbahn und Gehsteig ein hoher Schneewall befunden, weshalb der Beschwerdeführer erst mehrere Meter nach dem Ort der Beanstandung auf den Gehsteig hätte gehen können. Die von ihm beantragte Vornahme eines Augenscheines sei unterlassen worden. Hinsichtlich der Strafbemessung wird gerügt, daß selbst wenn man das Verschulden des Beschwerdeführers als gegeben annehme, eine Verwarnung genügt hätte.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers dem Grunde nach ab, setzte jedoch die Geldstrafe auf S 200,-- (Ersatzarreststrafe 8 Stunden) herab. In der Begründung wurde ausgeführt, es ergebe sich aus der Anzeige und aus der Zeugenaussage des Sicherheitswachebeamten, daß der Beschwerdeführer beim Begehen der Gänsbacherstraße die Fahrbahn benützt habe, obgleich ein Gehsteig vorhanden war, auf dem trotz vorhandenen Schneematsches ein Gehen durchaus zumutbar gewesen sei. Auch die Fahrbahn sei ja teilweise mit Schneematsch bedeckt gewesen, nur die beiden Fahrrinnen seien schneefrei und nur naß und von Pfützen bedeckt gewesen. Nach der Beanstandung sei der Beschwerdeführer nicht bereit gewesen, auf den Gehsteig überzuwechseln, obwohl ihm dies angesichts einer schneefreien Grundstücksausfahrt möglich gewesen wäre. Die Behörde habe keine Veranlassung, die Darstellung des Meldungslegers im Hinblick auf die gegebenen Verhältnisse am Gehsteig zu bezweifeln, sodaß bei der rechtlichen Beurteilung davon ausgegangen werde, daß die Benützung des Gehsteiges für den Beschwerdeführer einerseits möglich, andererseits auch zumutbar gewesen sei. Daher sei der Tatbestand nach § 76 Abs. 1 StVO gegeben. Bei den Ausführungen zur Strafbemessung wurde bemerkt, daß das bisherige Wohlverhalten des Beschwerdeführers im Straßenverkehr in Betracht zu ziehen gewesen sei, weshalb das Strafausmaß geringfügig herabgesetzt werden konnte. Die Voraussetzungen des § 21 VStG 1950 seien aber nicht gegeben gewesen, weil der Beschwerdeführer uneinsichtig gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 76 Abs. 1 StVO haben Fußgänger auf Gehsteigen oder Gehwegen zu gehen; sie dürfen nicht überraschend die Fahrbahn betreten. Sind Gehsteige oder Gehwege nicht vorhanden, so haben Fußgänger das Straßenbankett und, wenn auch dieses fehlt, den äußersten Fahrbahnrand zu benützen; hiebei haben sie auf Freilandstraßen, außer im Falle der Unzumutbarkeit, auf dem linken Straßenbankett (auf dem linken Fahrbahnrand) zu gehen.

§ 76 StVO normiert Grundsätze für das Verhalten der Fußgänger im Straßenverkehr, wobei der erste Satz das Vorhandensein von Gehsteigen oder Gehwegen voraussetzt und der zweite Satz bestimmt, wie sich die Fußgänger bei Fehlen von Gehsteigen und Gehwegen zu verhalten haben. § 76 Abs. 1 erster Satz leg.cit. enthält allerdings keine Regelung für den Fall, daß zwar ein Gehsteig oder Gehweg vorhanden ist, dieser aber - aus welchen Gründen immer - nicht (etwa wegen Verstellung) oder nur unter Umständen benützt werden kann, die unzumutbar sind. In Hinsicht auf den Zusammenhang, in dem diese Regelung steht, ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes bei der Beurteilung eines solchen Falles nicht allein vom ersten Satz des § 76 Abs. 1 StVO auszugehen, sondern diese Bestimmung aus dem Zusammenhang mit dem zweiten Satz zu sehen und auszulegen. Demnach wird etwa ein verstellter oder versperrter Gehsteig rechtlich so zu behandeln sein, als wäre er nicht vorhanden. (So auch OGH vom 16. Dezember 1976, 2 Ob 257, 258/76, ZVR 1977/226.) Und obwohl das Gesetz die Unzumutbarkeit nur im Zusammenhang mit dem Gehen auf Freilandstraßen ausdrücklich erwähnt, muß dieser Gesichtspunkt (der Unzumutbarkeit) wegen des Regelungszusammenhanges bei Bedachtnahme auf den Zweck dieser der Verkehrssicherheit dienenden Bestimmung allgemein betrachtet werden und gilt auch für die Beurteilung der Frage, ob dem Fußgänger die Benützung des Gehsteiges, des Gehweges, des Straßenbanketts und des Fahrbahnrandes zumutbar ist. (So ebenfalls ständige Judikatur des OGH, siehe unter anderem 2 Ob 130/69, ZVR 1969/339; 2 Ob 224/70, ZVR 1971/78; 2 Ob 174/72, ZVR 1974/88; und insbesondere 8 Ob 214/74, ZVR 1975/155.)

Die belangte Behörde ging sohin zu Recht davon aus, daß es im Beschwerdefall darauf ankam, ob die Benützung des Gehsteiges möglich und dem Beschwerdeführer zumutbar war. Hingegen ist es entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers für den objektiven Tatbestand des § 76 Abs. 1 StVO ohne Belang, ob die verbotswidrig benützte Fahrbahn zur Tatzeit von einem Fahrzeug befahren wurde oder nicht. Die Frage, ob der Gehsteig begehbar und die Benützung des Gehsteiges dem Beschwerdeführer zumutbar war, hatte die belangte Behörde auf Grund des nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung als erwiesen angenommenen Sachverhaltes zu beurteilen. Ihr standen hiebei einerseits die Angaben des Meldungslegers und andererseits die Rechtfertigung des Beschwerdeführers zur Verfügung. Unbestritten ist, daß der Meldungsleger auf dem Gehsteig ging. Der Beschwerdeführer behauptet, auch nicht, daß der Gehsteig wegen des Schneematsches nicht begehbar gewesen wäre. Bei diesem Sachverhalt ist die Annahme der belangten Behörde, daß die Benützung des Gehsteiges jedenfalls möglich war, nicht rechtswidrig.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag aber auch der weiteren Annahme der belangten Behörde, daß dem Beschwerdeführer die Benützung des Gehsteiges zumutbar war, nicht entgegenzutreten. Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung gleich der Vorinstanz auf die Angaben des im Verfahren als Zeugen vernommenen Meldungslegers. Dieser hat bereits in der Anzeige festgehalten, daß der Gehsteig nur leicht mit Schneematsch bedeckt war, im übrigen auch auf der vom Beschwerdeführer benützten Fahrbahn teilweise Schneematsch lag und lediglich die beiden Fahrrinnen naß und größtenteils mit Pfützen bedeckt waren. Vor der Behörde als Zeuge vernommen verwies der Meldungsleger auf seine Anzeige und wiederholte, daß der Gehsteig ebenso wie die Fahrbahn mit Schneematsch bedeckt, aber durchaus begehbar war. Diesen Angaben stand die bloße Behauptung des Beschwerdeführers gegenüber, es sei der Gehsteig derart mit Schneematsch bedeckt gewesen, daß ein Gehen darauf nicht zumutbar gewesen sei, weil man bei jedem Schritt eingesunken sei. Bei diesem Sachverhalt war es der belangten Behörde nicht verwehrt, den Angaben des Meldungslegers bezüglich des auf dem Gehsteig vorhandenen Schneematsches mehr Glauben zu schenken als der Verantwortung des Beschwerdeführers. Mit Recht wies die belangte Behörde darauf hin, daß es sich bei dem Meldungsleger um einen im Verkehrsüberwachungsdienst eingesetzten Polizeibeamten handelt, der als Zeuge vernommen wurde (vgl. dazu Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Juni 1978, Slg. Nr. 9602/A) und der, wie es in dem von der belangten Behörde bestätigten Bescheid der Erstinstanz heißt, im Gegensatz zum Beschwerdeführer keine Veranlassung zu einer falschen Schilderung des Sachverhaltes hatte. Dazu kommt, daß die belangte Behörde auf Grund des Berufungsvorbringens geradezu den Eindruck gewinnen mußte, es sei dem Beschwerdeführer mit seinem Verhalten insbesondere darum gegangen, die Vorgangsweise der Exekutivbeamten zu erfahren, an der er als Anwalt aus bestimmten Gründen interessiert war. Aus der vom Beschwerdeführer im Zusammenhang zitierten Entscheidung des OGH vom 10. September 1970, 2 Ob 224/70, ZVR 1971/78, in der ausgesprochen wurde, daß vom Fußgänger das Gehen auf einem schneebedeckten Bankett nicht verlangt werden kann, ist für den Beschwerdeführer deswegen nichts zu gewinnen, weil dieser Entscheidung ein anderer Sachverhalt zugrunde lag, nämlich ob einem Fußgänger das Gehen auf einem auf dem Bankett liegenden Schneeriegel verlangt werden kann. Im übrigen hat der Oberste Gerichtshof in der schon zitierten Entscheidung vom 26. November 1974, 8 Ob 214/74, ZVR 1975/155, den Standpunkt vertreten, daß auch die Beschwerlichkeit des Gehens im Neuschnee den Fußgänger von der grundsätzlichen Verpflichtung zum Gehen am äußersten Fahrbahnrand nicht entbinden kann. Gleiches gilt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes für leichten Schneematsch auf dem Gehsteig.

Es war daher nicht rechtswidrig, wenn die belangte Behörde bei dem ihr vorgelegenen Sachverhalt davon ausging, daß dem Beschwerdeführer die Benützung des Gehsteiges zumutbar war. Damit aber war es ohne Belang, an welcher Stelle der Beschwerdeführer wieder auf den Gehsteig hätte treten können, weshalb sich auch die Vornahme des beantragten Augenscheines erübrigte, ganz abgesehen davon, daß die zur Tatzeit herrschenden Verhältnisse nicht wieder herstellbar gewesen wären.

Die sohin zur Gänze unbegründete Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sicn auf § 47 und § 48 Abs. 2 lit. a und b VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I, B Z. 4 und 5 der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 542/1977.

Wien, am 21. Jänner 1981

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1981:1980002824.X00

Im RIS seit

28.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten