Index
KOVGNorm
AVG §56Beachte
Betreff
Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zach und die Hofräte Dr. Karlik, Dr. Kirschner, Dr. Seiler, Dr. Liska, Dr. Schubert, Dr. Griesmacher, Mag. Meinl und Dr. Herberth als Richter, im Beisein der Schriftführerinnen Rat im Verwaltungsgerichtshof Dr. Feitzinger und Magistratsrat Dr. Thumb sowie des Schriftführers Richter Mag. Dr. Walter, über die Beschwerde der SH in G (Beschwerde gemäß § 24 Abs. 2 VwGG 1965 gefertigt von Rechtsanwalt Dr. Fritz Zahlbruckner, Graz, Herrengasse 8/111), gegen den Bundesminister für soziale Verwaltung, betreffend Verletzung der Entscheidungspflicht in Angelegenheit eines Härteausgleiches gemäß § 76 KOVG 1957, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Antrag vom 15. Juli 1971 auf Gewährung eines Ausgleiches gemäß § 76 KOVG 1957 wird abgewiesen.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 1.200,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Landesinvalidenamtes für Steiermark vom 14. November 1950 war der Beschwerdeführerin gemäß den §§ 34 und 36 Abs. 1 KOVG nach ihrem für tot erklärten Ehemann OR Witwenrente zuerkannt worden.
Nachdem die Beschwerdeführerin im Jahre 1964 mit WH die Ehe geschlossen hatte, entschied das Landesinvalidenamt antragsgemäß mit Bescheid vom 12. Mai 1964, daß gemäß § 38 KOVG 1957 die mit dem vorgenannten Bescheid zuerkannte Witwengrundrente in Höhe des fünffachen Jahresbetrages abgefertigt wird.
In dem Schreiben vom 15. Juli 1971 stellte die Beschwerdeführerin das Ansuchen um „Wiederaufleben der Witwenrente im Zuge des Härteausgleiches“ nach ihrem ersten Ehemann OR und führte im wesentlichen aus, daß sie durch ihre zweite Ehe und die unheilvolle Scheidung vollkommen mittellos dastehe. Sie verwies im einzelnen auf ihren Gesundheitszustand, auf die Unmöglichkeit, in das Berufsleben zurückzukehren, sowie darauf, daß sie für ihren achtzehnjährigen Sohn K, der noch im Studium stehe, fast zur Gänze allein aufzukommen habe. Falls noch Fragen an sie zu richten seien oder das Gesuch nicht ausreiche, um dem Wiederaufleben der Witwenrente im Zuge des Härteausgleiches Folge zu geben, ersuche sie um Verständigung.
Das Landesinvalidenamt für Steiermark entschied mit Bescheid vom 20. August 1971, daß „der geltend gemachte Anspruch auf Wiederaufleben der Witwenrente nach dem mit 29. 10. 1945 für tot erklärten Ehegatten OR ... gemäß § 38 Abs. 2 des Kriegsopferversorgungsgesetzes in seiner jeweils geltenden Fassung abgewiesen“ wird.
Die Beschwerdeführerin gab dazu mit Schreiben vom 20. September 1971 dem Landesinvalidenamt bekannt, daß sie von der ihr zustehenden Berufungsfrist keinen Gebrauch mache, jedoch um die umgehendste Weiterleitung ihres Antrages vom 15. Juli 1971 an den Herrn Bundeskanzler sowie an das Bundesministerium für soziale Verwaltung zwecks Bewilligung des Wiederauflebens der Witwenrente im Zuge des Härteausgleiches nach ihrem ersten Gatten ersuche.
Unter dem Datum 30. November 1971 richtete der Bundesminister für soziale Verwaltung an das Landesinvalidenamt für Steiermark folgendes Schreiben:
„Die am 4. Oktober 1971 unter Zl. 3216/088669 vorgelegten Akten werden mit dem Beifügen rückgemittelt, daß das Bundesministerium für Finanzen im Hinblick auf die Gesamtlagerung des Falles nicht bereit ist, der Gewährung eines Härteausgleiches für SH die gemäß § 76 KOVG 1957 erforderliche Zustimmung zu geben.
Für den Bundesminister ...“
Das Landesinvalidenamt für Steiermark richtete unter dem Datum vom 15. Dezember 1971 an die Beschwerdeführerin folgendes Schreiben:
„Das Bundesministerium für soziale Verwaltung hat auf Ihre Eingabe vom 15. 7. 1971 mit Erlaß vom 30. 11. 1971, Zl. 148.029/3-25/1971 anher eröffnet, daß das Bundesministerium für Finanzen im Hinblick auf die Gesamtlagerung des Falles nicht bereit ist, der Gewährung eines Härteausgleiches gemäß § 76 KOVG 1957 die erforderliche Zustimmung zu geben.
Dies wird Ihnen hiemit zur Kenntnis gebracht.“
Am 12. März 1978 wurde die Beschwerdeführerin vom Landesinvalidenamt für Steiermark niederschriftlich über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse vernommen.
Der Bundesminister für soziale Verwaltung richtete folgendes mit 7. April 1978 datierte Schreiben an die Beschwerdeführerin:
„Sehr geehrte Frau H!
Auf Grund der von Ihrem Sohn KH an den Herrn Bundeskanzler gerichteten und zur direkten Erledigung an das Bundesministerium für soziale Verwaltung übermittelten Eingaben vom 19. Dezember 1977 erfolgte nochmals eine Prüfung Ihrer Versorgungsangelegenheit.
Diese an Hand der Akten des Landesinvalidenamtes für Steiermark durchgeführte Prüfung ergab, daß die Ihnen nach dem Kriegsteilnehmer OR vom Landesinvalidenamt für Steiermark gewährte Witwengrundrente auf Grund der Eheschließung mit dem Postbeamten WH am 19. März 1964 mit dem fünffachen Jahresbetrag abgefertigt wurde.
Ein Anspruch auf Wiederaufleben der Witwenrente gemäß § 38 Abs. 2 Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 mußte vom Landesinvalidenamt für Steiermark mit Bescheid vom 20. August 1971 abgewiesen werden, da die Ehe mit WH mit Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 20. Februar 1970 aus Ihrem überwiegenden Verschulden geschieden wurde.
Die Ansuchen um Gewährung eines Härteausgleiches nach § 76 KOVG (Kriegsopferversorgungsgesetz) 1957 im Juli 1971 und Juli 1976 konnten mangels Zustimmung des Bundesministeriums für Finanzen nicht positiv erledigt werden.
In Anbetracht der unveränderten Sach- und Rechtslage besteht für das Bundesministerium für soziale Verwaltung leider keine Handhabe, die bisher ergangenen rechtskräftigen Entscheidungen des Landesinvalidenamtes für Steiermark zu Ihren Gunsten abzuändern bzw. einen Härteausgleich gemäß § 76 KOVG 1957 zu gewähren.
Sollte sich Ihr Gesundheitszustand derart verschlechtern, daß er Hilfelosigkeit bedingt, bleibt es Ihnen unbenommen, beim Magistrat der Stadt Graz um die Gewährung eines Pflegegeldes anzusuchen.
Überdies besteht die Möglichkeit, falls Sie infolge der Fortsetzung des Studiums durch Ihren Sohn bedürftig werden, bei der genannten Stelle Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen.“
Mit der vorliegenden, am 19. Juli 1978 beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachten Beschwerde macht die Beschwerdeführerin die Verletzung der Entscheidungspflicht durch den mit Antrag vom 15. Juli 1971 angerufenen Bundesminister für soziale Verwaltung gemäß Art. 132 B-VG und § 27 VwGG 1965 geltend, erachtet sich durch die Nichterledigung ihres Antrages vom 15. Juli 1971 in ihrem im § 73 Abs. 1 AVG 1950 verankerten Recht auf Entscheidung innerhalb von sechs Monaten verletzt und bringt im wesentlichen vor: Den auf § 38 Abs. 2 KOVG 1957 gegründeten Bescheid des Landesinvalidenamtes vom 20. August 1971 habe sie nicht angefochten, weil diese Gesetzesstelle zutreffe und es nie ihre Absicht gewesen sei, ein Wiederaufleben nach § 38 Abs. 2 KOVG 1957 zu erwirken. Vielmehr habe sie am 15. Juli 1971 ein Ansuchen um Gewährung eines Härteausgleiches nach § 76 KOVG 1957 gestellt. Dieser Antrag sei bis heute von der belangten Behörde nicht mit Bescheid erledigt worden. Lediglich in Form einer Mitteilung habe sie am 15. Dezember 1971 davon Kenntnis erlangt, daß das Bundesministerium für Finanzen die erforderliche Zustimmung verweigere. Eine gleichlautende Mitteilung habe sie am 7. April 1978 als Reaktion auf eine am 26. Juli 1976 an den Bundeskanzler gerichtete Eingabe ihres Sohnes erhalten. In rechtlicher Hinsicht führt die Beschwerdeführerin aus, es möge unter Umständen auf die Gewährung eines Härteausgleiches gemäß § 76 KOVG 1957 kein Rechtsanspruch bestehen, jedoch behaupte sie doch wenigstens, ein rechtliches Interesse an der Anwendung des § 76 KOVG 1957 zu besitzen. Daher habe sie zwar keinen Anspruch auf einen „Entscheid“ bestimmten Inhaltes, gleichwohl aber auf einen Sachentscheid überhaupt, der nach Durchführung eines den Vorschriften des Gesetzes entsprechenden Verfahrens zu erlassen sei. Die Begründung der ablehnenden Haltung des Bundesministeriums für Finanzen erscheine übrigens nicht schlüssig, da der § 76 KOVG 1957 nicht ausdrücklich das Fehlen eines Eigenverschuldens der Partei voraussetze. Es werde von der Beschwerdeführerin nicht verlangt, die Tatsache, daß eine gesetzliche Voraussetzung aus Eigenverschulden der Partei nicht erfüllt sei, als besondere Härte im Sinne des § 76 KOVG zu werten, sondern die Folgen dieser Nichterfüllung als besondere Härte anzusehen. Wäre die Beschwerdeführerin jünger und in vollem Besitz ihrer Gesundheit, also arbeitsfähig, so läge freilich nur in der Nichterfüllung des § 38 Abs. 2 KOVG keine besondere Härte vor. Zum Ablauf der sechsmonatigen Frist verwies die Beschwerdeführerin auf die mit der Beschwerde vorgelegte Ablichtung ihrer Eingabe vom 15. Juli 1971 in Verbindung mit den Ablichtungen des in der Folge diesbezüglich geführten Schriftverkehrs. Beantragt wird in der Beschwerde, der Verwaltungsgerichtshof wolle in Stattgebung der Säumnisbeschwerde in der Sache selbst erkennen und einen Härteausgleich nach § 76 KOVG 1957 gewähren.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde und über die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift durch einen gemäß § 13 Z. 1 VwGG 1965 verstärkten Senat entschieden und erwogen:
Gemäß § 27 VwGG 1965 kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 des Bundes-Verfassungsgesetzes erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat. Diese Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.
Ob die von der Beschwerde geltend gemachte Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde gegeben ist, hängt zunächst davon ab, ob die belangte Behörde insbesondere auf Grund des § 76 KOVG 1957 gegenüber der Beschwerdeführerin zur Entscheidung über das Ansuchen vom 15. Juli 1971 um Wiederaufleben der Witwenrente im Wege eines Härteausgleiches verpflichtet war, ferner davon, ob die belangte Behörde, wie sie in der Gegenschrift vorbringt, diesen Antrag bereits mit einem Bescheid erledigt hat.
Der mit „Härteausgleich“ überschriebene § 76 KOVG 1957 lautet:
„Sofern sich aus den Vorschriften dieses Bundesgesetzes besondere Härten ergeben, kann das Bundesministerium für soziale Verwaltung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Finanzen einen Ausgleich gewähren.“
Aus dieser Bestimmung allein kann die Frage, ob die Behörde bei Vorliegen besonderer Härten einen Ausgleich zu gewähren hat oder ob das Gesetz von einer bindenden Regelung des Verhaltens der Behörde Abstand genommen und der Behörde hinsichtlich der Gewährung des Härteausgleiches Ermessen eingeräumt hat, noch nicht beantwortet werden. Die Verwendung des Wortes „kann“ für sich allein bedeutet nämlich noch nicht, daß das Gesetz von einer bindenden Regelung des behördlichen Verhaltens absieht. Sind alle sachlich in Betracht kommenden Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Leistung festgelegt, dann kann das Gesetz nicht mehr in dem Sinne ausgelegt werden, daß auch bei Erfüllung aller Voraussetzungen die Leistung abgelehnt werden kann (vgl. dazu etwa die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 18 des Gehaltsgesetzes 1956 in der Fassung vor der 24. Gehaltsgesetz-Novelle, insbesondere die Erkenntnisse vom 20. Oktober 1965, Zl. 450/65, Slg. N.F. Nr. 6787/A, und vom 21. Februar 1967, Zl. 1123/65, Slg. N.F. Nr. 7088/A).
Der Inhalt des § 76 und der gesetzessystematische Zusammenhang erfordern es, bei seiner Auslegung § 6 KOVG 1957 in Betracht zu ziehen. Diese den „Gegenstand der Versorgung“ regelnde Bestimmung besagt in ihrem Abs. 1, welche Leistungen im Falle einer Dienstbeschädigung dem Beschädigten gebühren, im Abs. 2, welche Leistungen im Falle des Todes durch ein schädigendes Ereignis den Hinterbliebenen gebühren. Überdies ist in einer Reihe von Bestimmungen des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, welche die dem Beschädigten oder den Hinterbliebenen nach § 6 gebührenden Leistungen zum Gegenstand haben, ausdrücklich der „Anspruch“ auf diese Leistung festgelegt (vgl. § 7 und § 32) oder in anderer Weise zum Ausdruck gebracht, daß die Leistung zu gewähren ist (vgl. § 35 Abs. 2), mögen auch die Begriffe bei den einzelnen hier in Betracht kommenden Bestimmungen durchaus uneinheitlich sein.
Im Zusammenhang mit den Bestimmungen des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, die dem Beschädigten oder den Hinterbliebenen gebührende Versorgungsleistungen zum Gegenstand haben, kann § 76 nicht als eine Regelung aufgefaßt werden, die einen Rechtsanspruch auf Härteausgleich einräumt, Wenn demnach die Behörde einen Härteausgleich gewähren kann, dann steht diese Maßnahme bei Vorliegen der Voraussetzung besonderer Härten in dem im Sinne des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 auszuübenden Ermessen der Behörde. Für denjenigen, der wegen besonderer Härten die Gewährung eines solchen Ausgleiches im Grunde des § 76 KOVG 1957 geltend macht, ergibt sich ein rechtliches Interesse an der Gewährung des Ausgleiches und somit in Verbindung mit § 8 AVG 1950 Parteistellung. In diesem Zusammenhang ist auch auf § 86 Abs. 1 KOVG 1957 hinzuweisen, der bestimmt, daß auf das Verfahren, soweit dieses Bundesgesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 Anwendung finden.
Hat somit aus diesen Erwägungen derjenige, der um einen Härteausgleich gemäß § 76 KOVG 1957 ansucht, Anspruch auf die nach dieser Gesetzesbestimmung von der Behörde zu fällenden Ermessensentscheidung darüber, ob dieser Ausgleich gewährt wird oder nicht, so folgt daraus, daß auf ihn als Antragsteller vor der obersten Verwaltungsbehörde schon deshalb die Voraussetzung einer Partei im Sinne des § 27 VwGG 1965 zutrifft.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinen Beschlüssen vom 24. September 1952, Zl. 2730/51, Slg. N.F. Nr. 2646/A, und vom 8. April 1953, Zl. 577/53, denen jeweils eine gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG erhobene Beschwerde zugrundegelegen ist, zu § 76 KOVG (1957) die Rechtsauffassung vertreten, daß „auf die Gewährung eines solchen Ausgleiches ... somit niemandem ein Rechtsanspruch“ zusteht. Daher könne, so folgerte der Verwaltungsgerichtshof in der Begründung der beiden Beschlüsse, der (damalige) Beschwerdeführer durch die Nichtgewährung eines Härteausgleiches in einem Recht nicht verletzt sein. Diese Erwägungen haben in diesen beiden Fällen im Grunde des Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG und § 34 Abs. 1 VwGG 1952 zur Zurückweisung der Beschwerde geführt (vgl. dazu auch den zu der wörtlich gleichlautenden Bestimmung des § 15 a OFG ergangenen Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Jänner 1970, Zl. 1223/69, Slg. N.F. Nr. 7713/A). Da in dieser Rechtsprechung § 76 KOVG 1957, wenn auch nur mit der auf die Frage des Rechtsanspruches eingeschränkten Begründung, als Norm ausgelegt worden ist, durch deren Anwendung („Nichtgewährung eines Härteausgleiches“) der Beschwerdeführer schlechthin in einem Recht nicht verletzt sein kann, seine Rechtssphäre also nicht berührt ist, steht die im vorliegenden Beschwerdefall, wenn auch zu einer wegen Verletzung der Entscheidungspflicht erhobenen Beschwerde, vertretene Rechtsauffassung mit der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Widerspruch. Der Verwaltungsgerichtshof vermag aus den weiter oben dargestellten Gründen seine bisherige Rechtsauffassung zu § 76 KOVG 1957 nicht mehr aufrechtzuerhalten.
Zusammenfassend ergibt sich zu § 76 KOVG 1957 und im Zusammenhang damit zur Frage der Beschwerdeberechtigung, daß der Beschwerdeführerin Parteistellung wegen ihres rechtlichen Interesses an der gemäß § 76 KOVG 1957 zu fällenden Ermessensentscheidung zukommt.
Da der zur Entscheidung nach § 76 KOVG 1957 zuständige Bundesminister für soziale Verwaltung gemäß § 86 Abs. 1 das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1950 und damit mangels abweichender Vorschriften im Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 auch den § 73 Abs. 1 AVG 1950 anzuwenden verpflichtet ist, ergibt sich seine Entscheidungspflicht schon aus dieser Verfahrensnorm.
Kein Rechtsnachteil ergibt sich für die Beschwerdeführerin unter dem Gesichtswinkel des der Entscheidungspflicht der zuständigen Behörde entsprechenden subjektiven Rechtes auf Entscheidung durch die Behörde daraus, daß sie ihren Antrag beim Landesinvalidenamt für Steiermark und nicht bei dem sachlich zuständigen Bundesminister für soziale Verwaltung eingebracht hat.
Die belangte Behörde bestreitet die von der Beschwerde geltend gemachte Verletzung der Entscheidungspflicht und bringt zur Begründung vor:
Mit dem Erlaß des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 30. November 1970, Zl. 148.029/3-25/1971, dessen Inhalt der Beschwerdeführerin mit Schreiben des Landesinvalidenamtes vom 15. Dezember 1971 zur Kenntnis gebracht worden sei, und dem weiteren Schreiben vom 7. April 1978, Zl. 148.029/1-3/1978, sei über die Anträge der Beschwerdeführerin vom Juli 1971 und Juli 1976 entschieden worden.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag der Auffassung, daß es sich hier um bescheidmäßige Erledigungen handelt, nicht zu folgen.
Zu der an die Beschwerdeführerin gerichteten Erledigung des Landesinvalidenamtes vom 15. Dezember 1971:
Diese Erledigung stammt von dem unbestrittenermaßen in dieser Angelegenheit sachlich nicht zuständigen Landesinvalidenamt und enthält dieser Rechtslage gemäß keine von diesem Amt selbst ausgehende, ihrem Inhalt nach wie immer rechtlich zu würdigende, Aussage. Vielmehr wird der Beschwerdeführerin vom Landesinvalidenamt ein Erlaß des Bundesministers für soziale Verwaltung „eröffnet“, der seinerseits wiederum auf eine andere Behörde, nämlich auf das Bundesministerium für Finanzen, das zur erforderlichen Zustimmung nicht bereit sei, verweist.
Zu den Voraussetzungen, unter denen eine Erledigung als Bescheid zu werten ist, gehört jedenfalls der Spruch (§ 58 Abs. 1 AVG 1950), der die in Verhandlung stehende Angelegenheit und alle die Hauptfrage betreffenden Parteienanträge, ferner die allfällige Kostenfrage in möglichst gedrängter, deutlicher Fassung und unter Anführung der angewendeten Gesetzesbestimmungen, und zwar in der Regel zur Gänze, zu erledigen hat (§ 59 Abs. 1 AVG 1950). Wie der als Bescheidinhalt im § 58 Abs. 1 AVG 1950 vorgeschriebene Spruch lauten muß, ergibt sich für Bescheide, die nicht nur auf verfahrensrechtliche Normen gegründet sind, aus den anzuwendenden Verwaltungsvorschriften, die im Spruch gemäß § 59 Abs. 1 AVG 1950 auch anzuführen sind.
Schon diese für die Wertung einer Erledigung als Bescheid vom Gesetz geforderte Voraussetzung trifft auf die Erledigung vom 15. Dezember 1971 nicht zu. Nach dem Gesetz muß nämlich der Spruch eines auf § 76 KOVG 1957 gegründeten Bescheides dem Bescheidadressaten eine klare und deutliche Antwort geben, ob der Härteausgleich gewährt wird oder nicht oder ob der Antrag auf Gewährung eines Härteausgleiches abgewiesen wird oder nicht. Im einzelnen ist im § 76 KOVG 1957 ein ganz bestimmter Wortlaut für den Spruch nicht vorgeschrieben. In dem hier gegebenen rechtlichen Zusammenhang enthält eine Erledigung dann einen Spruch, wenn nach dem Inhalt der Erledigung der „Antrag auf Zuerkennung eines Härteausgleiches abgewiesen“ oder wenn ein Härteausgleich in bestimmter Höhe „zuerkannt“ oder „gewährt wird“. Keinen Spruch enthält eine Erledigung, deren Inhalt zufolge dem Antragsteller, wenn auch unter Bezugnahme auf den Antrag, rechtserhebliche Tatsachen bekanntgegeben werden, aus denen der Empfänger dann allenfalls seine Schlüsse in der Richtung ziehen kann, ob damit die Ablehnung seines Antrages ausgesprochen oder aber zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß eine Entscheidung der zuständigen Behörde im Hinblick auf die Versagung der Zustimmung des Bundesministeriums für Finanzen überhaupt nicht zustandegekommen ist.
Da somit die Erledigung vom 15. Dezember 1971 einen Spruch, der, wie das Gesetz es gebietet, die in Verhandlung stehende Angelegenheit in deutlicher Fassung erledigt, nicht enthält, ist sie schon deshalb nicht als Bescheid zu werten (vgl. dazu den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1977, Slg. N.F. Nr. 9458/A).
Aber auch das Schreiben der belangten Behörde vom 7. April 1978 ist entsprechend den obigen Ausführungen nicht als eine bescheidmäßige Erledigung gemäß § 58 AVG 1950 über das Ansuchen der Beschwerdeführerin auf Gewährung eines Härteausgleiches gemäß § 76 KOVG 1957 vom 15. Juli 1971 zu werten. In dieser schriftlichen Mitteilung der belangten Behörde wird lediglich darauf hingewiesen, daß das gegenständliche Ansuchen der Beschwerdeführerin - in der Vergangenheit - nicht habe positiv erledigt werden können und in Anbetracht der unveränderten Sach- sowie Rechtslage für die belangte Behörde keine Handhabe bestehe, die bereits ergangenen - angeblich - rechtskräftigen Entscheidungen in dieser Sache abzuändern. Dieses Schreiben vom 7. April 1978 ist auch inhaltlich keine Erledigung des gegenständlichen Antrages der Beschwerdeführerin vom 15. Juli 1971 in der Sache, sondern lediglich die nach den obigen Ausführungen rechtsirrige Bekanntgabe der Rechtsansicht der belangten Behörde, daß bereits entschiedene Sache vorliege. Auf Grund dieser formlosen Äußerung kann aber keinesfalls das Schreiben des Landesinvalidenamtes für Steiermark vom 15. Dezember 1971 nachträglich die Eigenschaft eines Bescheides gemäß § 58 AVG 1950 erhalten (vgl. auch dazu den oben angeführten Beschluß Slg. N.F. Nr. 9458/A).
Da somit keine der beiden Erledigungen einen Spruch enthält und schon deshalb nicht rechtlich als Bescheid gewertet werden kann, durch den der Antrag der Beschwerdeführerin eine Erledigung in der vom Gesetz vorgeschriebenen Form gefunden hätte, kann sich die belangte Behörde nicht mit Erfolg darauf berufen, daß ihre Säumnis nicht gegeben ist.
Zusammenfassend ergibt sich aus den bisher angestellten Erwägungen, daß die belangte Behörde in Ansehung des Antrages der Beschwerdeführerin vom 15. Juli 1971 ihrer gegenüber der Beschwerdeführerin bestehenden Entscheidungspflicht nicht nachgekommen ist, die von der Beschwerdeführerin erhobene Säumnisbeschwerde somit zulässig ist, der belangten Behörde der Ersatz der Kosten aufzuerlegen ist und vom Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst zu entscheiden ist.
Hiebei geht der Verwaltungsgerichtshof von folgenden Erwägungen aus:
Die Gewährung eines Ausgleiches gemäß § 76 KOVG 1957 setzt zunächst voraus, daß „sich aus den Vorschriften dieses Bundesgesetzes besondere Härten ergeben“. Erst dann kann die Behörde, wie oben bereits zur Frage der Beschwerdeberechtigung ausgeführt wurde, von dem ihr in dieser Bestimmung eingeräumten Ermessen einen positiven Gebrauch machen. Im Beschwerdefall kommt als Vorschrift des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, aus der sich allenfalls Härten ergeben können, § 38 Abs. 2 in Betracht.
Auszugehen ist zunächst davon, daß gemäß § 38 Abs. 1 erster Satz KOVG 1957 - diese Bestimmung ist inhaltlich von der Novelle BGBl. Nr. 614/1977 unberührt geblieben - im Falle der Wiederverehelichung der Anspruch auf Witwenversorgung erlischt und an die Stelle des Anspruches auf Witwenrente (§ 35) ein Anspruch auf Abfertigung in Höhe des fünffachen Jahresbetrages der Grundrente (§ 35 Abs. 2), die der Witwe im Monat der Wiederverehelichung zustand, tritt.
Das Wiederaufleben des Anspruches auf Witwenversorgung regelt § 38 Abs. 2 KOVG 1957 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 305/1964, der wie folgt lautet:
„(2) Der Anspruch auf Witwenversorgung lebt frühestens nach Ablauf des der Berechnung des Abfertigungsbetrages zugrundegelegten Zeitraumes auf Antrag wieder auf, wenn die neue Ehe durch Tod des Ehegatten oder durch Scheidung oder Aufhebung aufgelöst oder für nichtig erklärt wurde und die Auflösung der Ehe nicht aus dem alleinigen oder überwiegenden Verschulden der Ehefrau erfolgt oder bei Nichtigerklärung der Ehe die Ehefrau als schuldlos anzusehen ist, wenn und insolange ihr aus dieser Ehe kein den notwendigen Lebensunterhalt deckender Anspruch auf Versorgung (Unterhalt) erwachsen ist und sie die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt.“
Die Voraussetzung für das Wiederaufleben des Anspruches auf Witwenversorgung ist im Beschwerdefall allein deswegen nicht gegeben, weil die Ehe der Beschwerdeführerin aus dem überwiegenden Verschulden der Beschwerdeführerin geschieden wurde (vgl. den mit der Sachverhaltsdarstellung wiedergegebenen Bescheid des Landesinvalidenamtes vom 20. August 1971).
Die im § 38 Abs. 2 KOVG 1957 in der oben genannten Fassung enthaltene Regelung über das Wiederaufleben des Anspruches auf Witwenversorgung bezieht Frauen in die Witwenversorgung ein, deren Ehe, nachdem durch die Eheschließung der Anspruch auf Witwenversorgung erloschen ist, durch Scheidung - allein darauf kommt es im Beschwerdefall an - aufgelöst worden ist. Auf Grund dieser Regelung erhalten somit Frauen, die nicht Witwen im Sinne der Anspruchsvoraussetzungen nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 (vgl. insbesondere die §§ 34, 35 a und 36) sind, die Witwenversorgung. Der Verwaltungsgerichtshof vermag grundsätzlich eine Härte in der Anwendung der hier maßgebenden Anspruchsvoraussetzung, daß nämlich die Ehe nicht aus dem alleinigen oder überwiegenden Verschulden der Ehefrau geschieden sein darf, nicht zu erkennen. Das zu Gunsten der - nicht von einem Beschädigten (vgl. § 37 KOVG 1957) - geschiedenen Frauen in dem hier gegebenen Zusammenhang vorgesehenen Wiederaufleben der bereits erloschen gewesenen Witwenversorgung unter der Voraussetzung der Schuldlosigkeit der Ehefrau an der Scheidung und der weiteren Voraussetzung, daß aus dieser Ehe kein den notwendigen Lebensunterhalt deckender Anspruch auf Versorgung (Unterhalt) erwachsen ist, beseitigt Härten durch Ausweitung des anspruchsberechtigten Personenkreises in dem oben aufgezeigten Sinne. Daß eine so weitgehende Begünstigung an die Voraussetzung der Schuldlosigkeit gebunden ist, kann keinesfalls als Härte, geschweige denn als eine im § 76 KOVG 1957 geforderte besondere Härte, angesehen werden. Weder aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im vorangegangenen Verwaltungsverfahren noch aus dem Beschwerdevorbringen ergeben sich Anhaltspunkte dafür, daß die Anwendung des § 38 Abs. 2 KOVG 1957 gegenüber der Beschwerdeführerin als derartige Härte angesehen werden könnte.
Liegt aber die Voraussetzung, daß sich aus der Anwendung des § 38 Abs. 2 KOVG 1957 eine besondere Härte ergeben hätte, nicht vor, dann ist die Gewährung eines Ausgleiches zu versagen, ohne daß auf die allenfalls für eine positive Ermessensübung sprechende tatsächliche wirtschaftliche Lage der Beschwerdeführerin eingegangen werden kann.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich unter Beachtung des von der Beschwerdeführerin gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG 1965.
Wien, am 21. April 1982
Schlagworte
Anspruch auf Sachentscheidung Besondere Rechtsgebiete Bescheidcharakter Bescheidbegriff Formelle Erfordernisse Bescheidcharakter Bescheidbegriff Inhaltliche Erfordernisse Einhaltung der Formvorschriften Ermessen Inhalt des Spruches Allgemein Angewendete GesetzesbestimmungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1982:1978001647.X00Im RIS seit
28.06.2021Zuletzt aktualisiert am
28.06.2021