TE Vwgh Erkenntnis 1987/1/29 86/09/0104

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Veröffentlicht am 29.01.1987
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Index

Opferfürsorge
67 Versorgungsrecht

Norm

OFG §11 Abs7
OFG §15a Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik, den Senatspräsidenten Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Griesmacher, Mag. Meinl und Dr. Germ als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Samonig, über die Beschwerde der MH in W, vertreten durch den zur Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt Dr. Helmut Salzbrunn in Wien I, Zelinkagasse 12, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 6. Mai 1986, Zl. 642.265/3-8a/85, betreffend Gewährung einer Waisenbeihilfe im Wege des Härteausgleiches gemäß § 15 a des Opferfürsorgegesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach der Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens hatte der am 21. April 1905 verstorbene Vater der Beschwerdeführerin zufolge der Bestimmung des § 15 Abs. 7 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947 (OFG), bis zu seinem Tode eine Unterhaltsrente nach § 11 Abs. 5 OFG und für die Beschwerdeführerin einen Erziehungsbeitrag nach § 11 Abs. 10 OFG bezogen.

Nach seinem Ableben stellte die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihren gesetzlichen Vertreter am 23. April 1985 zur Niederschrift den Antrag auf Gewährung der Waisenbeihilfe im Wege des „Härteausgleiches“.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 6. Mai 1986 gab der Bundesminister für soziale Verwaltung nach Anhörung der Opferfürsorgekommission dem Antrag der Beschwerdeführerin keine Folge. Zur Begründung wurde nach Wiedergabe des § 15a Abs. 1 OFG ausgeführt, nach § 11 Abs. 7 erster Satz OFG gebühre eine Waisenbeihilfe nach Inhabern einer Amtsbescheinigung. Zum Zeitpunkt seines Ablebens sei jedoch der Vater der Beschwerdeführerin nicht im Besitz einer solchen gewesen. Der Umstand, daß eine Waisenbeihilfe nur nach Inhabern einer Amtsbescheinigung geleistet werden könne, entspreche somit dem vom Gesetzgeber angestrebten Erfolg. Aus diesem Grunde habe die Opferfürsorgekommision das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne des § 15a Abs. 1 OFG nicht angenommen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete zur Beschwerde eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Gerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin nach ihrem Vorbringen in ihrem aus der Bestimmung des § 11 Abs. 7 OFG entspringenden Recht auf Gewährung einer Waisenbeihilfe verletzt. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes trägt die Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit vor, die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vertretene Rechtsansicht finde weder im Wortlaut des § 11 Abs. 7 OFG, der die Beihilfe ....... „bei Bedürftigkeit Waisen nach Inhabern einer Amtsbescheinigung ....“ zuerkenne, noch im Zweck der Beihilfe, die laut § 11 Abs. 5 OFG der Sicherung des Lebensunterhaltes dienen solle, Deckung, zumal der Anspruch auf Rentenfürsorge nach § 11 laut § 15 Abs. 7 OFG auch dann bestehe, wenn die Amtsbescheinigung wegen einer strafgerichtlichen Verurteilung verwirkt worden sei. Tatsächlich spreche der Gesetzgeber von einer Versorgung der Hinterbliebenen, damit diese nicht der allgemeinen öffentlichen Fürsorge zur Last fielen. Die belangte Behörde hätte daher nicht auf die formelle Inhabung der Amtsbescheinigung, sondern auf die Gewährung einer Unterhaltsrente zum Zeitpunkt des Ablebens ihres Vaters abzustellen gehabt, womit ihr wegen Wegfalles dieser Versorgungsgrundlage eine Waisenbeihilfe gemäß § 11 Abs. 7 OFG gebühre.

Diesem Vorbringen bleibt es verwehrt, die Beschwerde zum Erfolg zu führen.

Gemäß § 15a Abs. 1 OFG kann, sofern sich aus den Vorschriften dieses Bundesgesetzes besondere Härten ergeben, der Bundesminister für soziale Verwaltung nach Anhören der Opferfürsorgekommission (§ 17) einen Ausgleich gewähren.

Diese Bestimmung soll dem Bundesminister für soziale Verwaltung die Möglichkeit eröffnen, eine infolge der besonderen Umstände des Einzelfalles besonders harte Auswirkung des Opferfürsorgegesetzes, die der Gesetzgeber, wäre sie vorhersehbar gewesen, vermieden hätte, zu mildern. Die Möglichkeit eines Härteausgleiches soll dem genannten Bundesminister die Gelegenheit geben, bei im wesentlichen für den Gesetzgeber unvorhersehbaren und daher auch nicht gewollten Härten, durch einen Ausgleich zu helfen. Ein Härteausgleich kann daher nur dann gewährt werden, wenn er kein grundlegendes Problem betrifft, das vom Gesetzgeber zu regeln wäre. Der Begriff “aus den Vorschriften dieses Bundesgesetzes“ besagt, daß Härten, die sich aus anderen Gesetzen oder Tatbeständen ergeben, einen Ausgleich nach dem Opferfürsorgegesetz ausschließen. Aus dem Begriff der „besonderen Härte“ ergibt sich, daß Härte schlechthin nicht genügt, sie muß sich vielmehr noch besonders, d.h. unbillig auswirken. Darin liegt eine wesentliche Einschränkung, zugleich aber auch eine sinnvolle Deutung des Härtebegriffes.

Aus dem Wortlaut des § 15a Abs. 1 OFG ergibt sich, daß die Behörde bei Entscheidung über ein Ansuchen um Ausgleich zwei relevante Momente zu beachten hat: Zunächst ist der auf der Tatbestandsseite verwendete unbestimmte Rechtsbegriff der „besonderen Härte“ auszulegen und der konkrete Sachverhalt darunter zu subsumieren. Erst wenn feststeht, daß eine „besondere Härte“ gegeben ist, kommt das der Behörde auf der Rechtsfolgenseite eingeräumte freie Ermessen zum Zug (arg.: „kann“; vgl. im Zusammenhang das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. April 1982, Zl. 1647/78, Slg. Nr. 10.709/A). Der erste Teil des behördlichen Vorgehens liegt im Bereich der gesetzlichen Gebundenheit, weil der Begriff der „besonderen Härte“ ein aus den im Einzelfall gegebenen Sachverhaltselementen erschließbares Tatbestandsmerkmal ist. Somit ist vorerst immer die Frage zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung die Frage der „besonderen Härte“ einer richtigen rechtlichen Beurteilung unterzogen hat oder nicht.

Gemäß § 11 Abs. 7 erster Satz OFG erhalten Witwen und Waisen nach Inhabern einer Amtsbescheinigung bei Bedürftigkeit eine Beihilfe im Höchstausmaß von zwei Dritteln der nach Abs. 5 gebührenden Unterhaltsrente.

Daraus folgt, daß Hinterbliebene nach Personen, deren Verdienste für ein freies, demokratisches Österreich durch die Ausstellung einer Amtsbescheinigung anerkannt worden sind, einen Rechtsanspruch auf eine Beihilfe haben.

Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid davon aus, daß das Fehlen der von § 11 Abs. 7 erster Satz OFG geforderten Anspruchsvoraussetzung „nach Inhabern einer Amtsbescheinigung“ für sich allein keine besondere Härte im Sinne des § 15a Abs. 1 OFG darstellt.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag diese Ansicht der belangten Behörde nicht als rechtswidrig zu erkennen. Zutreffend ist die belangte Behörde von der Auffassung ausgegangen, daß die vom Gesetz geforderte „besondere Härte“ durch Tatsachen und Umstände des Einzelfalles gegeben sein muß. Das von der Beschwerdeführerin als „besondere Härte“ empfundene Nichtnachsehen von der Anspruchsvoraussetzung des § 11 Abs. 7 erster Satz OFG ergibt sich bei allen Hinterbliebenen von Opfern, die im Zeitpunkt ihres Todes nicht Inhaber von Amtsbescheinigungen waren.

Die sich daraus ergebende Härte hat allerdings der Gesetzgeber erkannt und durch Art. I Z. 19 der am 1. Jänner 1964 in Kraft getretenen Opferfürsorgegesetz-Novelle, BGBl. Nr. 323/1963, insofern einer leistungsbewahrenden Regelung zugeführt, als nach dem hiedurch neu angefügten Abs. 7 des § 15 OFG der Anspruch auf Rentenfürsorge nach § 11 und Heilfürsorge nach § 12 auch dann besteht, wenn ein Anspruch auf Ausstellung einer Amtsbescheinigung ausschließlich wegen einer strafgerichtlichen Verurteilung im Sinne des Abs. 2 nicht gegeben ist oder die Anspruchsberechtigung wegen einer solchen Verurteilung nach Abs. 3 und 4 verwirkt bzw. nach Abs. 5 aberkannt und die Amtsbescheinigung aus diesem Grund eingezogen worden ist.

Nach der Sachverhaltsdarstellung in der Beschwerde war dem verstorbenen Vater der Beschwerdeführerin wegen mehrerer strafgerichtlichen Verurteilungen mit Bescheid (des Landeshauptmannes von Wien) vom 16. Juni 1978, Zl. MA 12-2880/AB/1, die Verwirkung der zuerkannten Anspruchsberechtigung ausgesprochen worden.

Träfe dieses Vorbringen zu, dann hätte die Beschwerdeführerin bei Vorliegen der weiteren von § 11 Abs. 7 erster Satz OFG geforderten Tatbestandsvoraussetzungen der „Bedürftigkeit“ - ebenso wie vorher ihr verstorbener Vater - einen Rechtsanspruch auf Beihilfe nach § 11 Abs. 7 i.V.m. § 15 Abs. 7 OFG.

Diese Frage war aber nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites, in welchem die - von der Versorgungsbehörde erster Rechtsstufe in Irrtum geführte und von der belangten Behörde nicht belehrte - rechtsunkundige gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin die Zuerkennung der in Streit gezogenen Waisenbeihilfe in der Niederschrift ausdrücklich im Wege des „Härteausgleiches“ anstrebte.

Solcherart aber war es der belangten Behörde bei der wiedergegebenen Rechtslage nicht als Verletzung des Gesetzes anzulasten, wenn sie die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung der „besonderen Härte“ im Sinne des § 15a Abs. 1 OFG nicht als gegeben annahm.

Damit erweist sich die Rechtsrüge der Beschwerdeführerin als unbegründet. Schon aus diesem Grunde war es entbehrlich, auf die Verfahrensrüge näher einzugehen. Dies deshalb, weil der Bundesminister für soziale Verwaltung nach der oben wiedergegebenen Bestimmung des § 15a Abs. 1 OFG bei einem darauf ausdrücklich gestützten Antrag zur Entscheidung berufen ist. Konnte aber die belangte Behörde, ohne mit dem Sinn des Gesetzes in Widerspruch zu geraten, annehmen, daß eine aus den Vorschriften des Opferfürsorgegesetzes sich ergebende „besondere Härte“ nicht vorliegt, dann war sie berechtigt, die Gewährung des Härteausgleiches zu versagen, ohne daß sie auf die wirtschaftlichen und familiären Verhältnisse der Antragstellerin einzugehen verpflichtet war (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. April 1985, Zl. 84/09/0220).

Die solcherart zur Gänze unbegründete Beschwerde war daher gemäß dem § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Ungeachtet des Antrages der Beschwerdeführerin konnte der Verwaltungsgerichtshof auf Grund des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG von einer Verhandlung absehen, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen ließen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt.

Die Entscheidung über den Anspruch auf Ersatz des Aufwandes gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 29. Jänner 1987

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1987:1986090104.X00

Im RIS seit

29.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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