TE Vwgh Erkenntnis 2021/5/25 Ra 2021/02/0069

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Veröffentlicht am 25.05.2021
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Index

L70309 Buchmacher Totalisateur Wetten Wien
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §45 Abs2
AVG §52
VStG §24
VStG §45 Abs1 Z1
VStG §5 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §38
WettenG Wr 2016 §25 Abs1 Z5

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 22. Dezember 2020, 1. VGW-002/011/2296/2020/E-10 und 2. VGW-002/011/2297/2020/E, betreffend Übertretung des Wiener Wettengesetzes (mitbeteiligte Parteien: 1. P, 2. A GmbH, beide in G und beide vertreten durch die SHMP Schwartz Huber-Medek Pallitsch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Hohenstaufengasse 7), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom 18. Juni 2018 wurde die Erstmitbeteiligte folgender Übertretung schuldig erachtet:

„Sie haben als verantwortliche Beauftragte der [zweitmitbeteiligten Partei] ... gemäß § 9 Abs. 2 VStG 1991, zu verantworten, dass diese in der Betriebsstätte in W, M-Straße 131, in der diese Gesellschaft die Tätigkeit als Wettunternehmerin, nämlich Buchmacherin, ausübt, am 28.02.2018 um 13:40 Uhr insofern gegen § 25 Abs. 1 Z 5 Wiener Wettengesetz, wonach die Ausübung der Tätigkeit als Wettunternehmerin oder Wettunternehmer während eines laufenden Ereignisses (Livewetten), ausgenommen Livewetten auf Teilergebnisse oder das Endergebnis, verboten ist, verstoßen hat, als diese laut Wetticket vom 28.02.2018 die Wette ‚Wer gewinnt das 5. Game im 1. Satz Giacomini, Luca/Jah, Jeremy‘ zuließ.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt: § 25 Abs. 1 Z 5 Wiener Wettengesetz, LGBl. für Wien Nr. 26/2016 idgF“

2        Über die Erstmitbeteiligte wurde wegen dieser Übertretung eine Geldstrafe von € 4.400,-- (Ersatzfreiheitsstrafe eine Woche, ein Tag und 10 Stunden) verhängt und der Kostenersatz ausgesprochen. Die zweitmitbeteiligte Partei hafte für die Geldstrafe und die Verfahrenskosten.

3        Die daraufhin aufgrund der Beschwerde der Mitbeteiligten vom Verwaltungsgericht mit Erkenntnis verfügte Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. Juni 2019, Ro 2019/02/0008, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

4        Das im fortgesetzten Verfahren ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom 29. Juli 2019 hob der Verwaltungsgerichtshof über Revision der mitbeteiligten Parteien mit Erkenntnis vom 12. Februar 2020, Ra 2019/02/0197 bis 0198, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

5        Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien stattgegeben, das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG eingestellt und die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig erklärt.

6        Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit für dieses Verfahren wesentlich - aus, die Erstmitbeteiligte habe tatbildmäßig gehandelt, weil Livewetten auf Games im Tennis unzulässig seien. Der Erstmitbeteiligten sei jedoch kein schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen, sie habe einen ausreichenden Entlastungsbeweis geführt. Es sei eine 15-jährige unbeanstandete Verwaltungspraxis vorgelegen (gleichartige Livewetten auf Tennisgames), ebenso sei das Universitätsgutachten des Professor M einzubeziehen, welches die Überleitung der Zulässigkeit von Fußballhalbzeiten auf einzelne Tennissätze bejaht habe. Es sei auf die Vorbildbestimmung vergleichbarer Regelungen in Deutschland verwiesen worden sowie auf den Umstand, dass vor der höchstgerichtlichen Entscheidung drei von vier Richterinnen und Richtern am Verwaltungsgericht der Ansicht der Erstmitbeteiligten und des Universitätsgutachtens gefolgt seien. Es habe ein fortgesetztes Bemühen gegeben, von der MA 36 eine Auskunft über die Zulässigkeit von Livewetten zu erhalten. Ein Antrag auf Feststellung sei als unzulässig gewertet worden. Die Erstmitbeteiligte habe daher glaubhaft gemacht, dass ihr die Einhaltung der objektiv verletzten Verwaltungsvorschriften ohne ihr Verschulden unmöglich gewesen sei. Sie habe initiativ alles dargelegt, was für ihre Entlastung spreche.

7        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

8        Die mitbeteiligten Parteien haben eine Revisionsbeantwortung erstattet und die Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9        Als zulässig erachtet der revisionswerbende Magistrat die Revision zusammengefasst deshalb, weil das Verwaltungsgericht zu Unrecht vom Fehlen eines Verschuldens der Erstmitbeteiligten ausgegangen sei.

10       Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

11       Gemäß § 5 Abs. 2 VStG entschuldigt Unkenntnis der Verwaltungsvorschrift, der der Täter zuwidergehandelt hat, nur dann, wenn sie erwiesenermaßen unverschuldet ist und der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Kenntnis der Verwaltungsvorschrift nicht einsehen konnte.

12       Nach der Rechtsprechung setzt ein Rechtsirrtum im Sinne des § 5 Abs. 2 VStG voraus, dass dem Betroffenen das Unerlaubte seines Verhaltens trotz Anwendung der nach seinen Verhältnissen erforderlichen Sorgfalt unbekannt geblieben ist. Auch eine irrige Gesetzesauslegung entschuldigt den Betroffenen nur dann, wenn sie unverschuldet war. Um sich darauf berufen zu können, bedarf es einer Objektivierung der eingenommenen Rechtsauffassung durch geeignete Erkundigungen. Die bloße Argumentation im Verwaltungsstrafverfahren mit einer - allenfalls sogar plausiblen - Rechtsauffassung vermag ein Verschulden am objektiv unterlaufenen Rechtsirrtum bei einer derartigen Konstellation [wie hier] nicht auszuschließen. Selbst guter Glaube stellt den angeführten Schuldausschließungsgrund dann nicht dar, wenn es Sache der Partei ist, sich mit den einschlägigen Vorschriften vertraut zu machen und im Zweifel bei der Behörde nachzufragen (vgl. VwGH 4.3.2020, Ro 2019/02/0018, mwN).

13       Gerade in Fällen, in denen die Möglichkeiten der Rechtsordnung im Wirtschaftsleben bis auf das Äußerste ausgenützt werden sollen, ist eine besondere Sorgfalt bei der Einholung von Auskünften über die Zulässigkeit einer beabsichtigten Tätigkeit an den Tag zu legen (vgl. VwGH 9.2.2021, Ra 2020/02/0219, mwN).

14       Im Falle nicht erteilter Auskünfte durch die Behörde ist der Betroffene vom Vorwurf des Verschuldens hinsichtlich eines Rechtsirrtums nicht befreit, wenn er aus der Tatsache der unterbliebenen Auskunftserteilung für sich das Recht ableitet, einen Gesetzesverstoß zu riskieren (vgl. neuerlich VwGH 9.2.2021, Ra 2020/02/0219, mwN).

15       Eine bloße „Nichtbeanstandung“ rechtswidrigen Handelns stellt noch keine Verwaltungsübung dar, auf die der Betroffene vertrauen darf (VwGH 6.4.2021, Ra 2020/02/0281, mwN).

16       Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht zu Unrecht von einem fehlenden Verschulden der Erstmitbeteiligten ausgegangen, wenn es dieses darauf gestützt hat, dass die Livewetten bei Tennisgames bisher unbeanstandet ausgeübt worden seien und die mitbeteiligten Parteien vergeblich das Gespräch mit der revisionswerbenden Behörde gesucht hätten.

17       Zu dem ebenfalls für seine Ansicht ins Treffen geführte „Rechtsgutachten“ sei das Verwaltungsgericht darauf verwiesen, dass Ausführungen in vorgelegten Urkunden, wie etwa einem Rechtsgutachten, eine über ein Parteivorbringen zur Rechtsfrage hinausgehende Bedeutung nicht zukommt (VwGH 16.10.2019, Ro 2019/02/0009).

18       Ein Sachverständiger hat keine Rechtsfragen zu beantworten und er darf auch nicht in den Bereich der Beweiswürdigung vordringen. Das hat nicht nur für einen von der Behörde beigezogenen Sachverständigen zu gelten, sondern auch für einen Privatgutachter. Vielmehr hat das erkennende Gericht eine eigene Auseinandersetzung mit der zu beantwortenden Rechtsfrage vorzunehmen (vgl. VwGH 21.12.2020, Ro 2020/02/0010, mwN).

19       Die rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes als eine der zentralen Aufgaben der richterlichen Tätigkeit bleibt nach dem eben Ausgeführten somit ausschließlich dem Gericht vorbehalten.

20       Dem weiteren Argument des Verwaltungsgerichtes für das Fehlen des Verschuldens der Erstmitbeteiligten, drei von vier Verwaltungsrichterinnen und -richter hätten im Sinne der Mitbeteiligten judiziert, ist entgegen zu halten, dass uneinheitliche Rechtsprechung von Behörden und Verwaltungsgerichten grundsätzlich nicht zur Annahme führen kann, es liege ein entschuldbarer Rechtsirrtum vor (vgl. VwGH 29.3.2021, Ra 2021/02/0046 bis 0047, mwN).

21       Mit Blick auf den festgestellten Sachverhalt ist in Anbetracht der dargestellten Rechtslage nicht zu sehen, dass der Erstmitbeteiligten kein schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden kann. Das Verwaltungsgericht ist somit zu Unrecht mit Einstellung des Verfahrens gegen die Mitbeteiligten vorgegangen.

22       Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 25. Mai 2021

Schlagworte

Allgemein Besondere Rechtsgebiete Beweismittel Sachverständigenbeweis Gutachten rechtliche Beurteilung Sachverständiger Aufgaben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021020069.L00

Im RIS seit

28.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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