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L70309 Buchmacher Totalisateur Wetten WienNorm
VStG §25 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien gegen das am 2. November 2020 mündlich verkündete und am 11. November 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, 1. VGW-002/053/9434/2020/E-10 und 2. VGW-002/V/053/9435/2020/E, betreffend Übertretungen des Wiener Wettengesetzes (mitbeteiligte Parteien: 1. P und 2. A GmbH, beide in G und vertreten durch die SHMP Schwartz Huber-Medek Pallitsch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Hohenstaufengasse 7), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung (soweit das Verwaltungsstrafverfahren im Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses eingestellt wurde) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis des revisionswerbenden Magistrats vom 20. November 2018 wurden der Erstmitbeteiligten folgende Übertretungen angelastet:
„1. Sie [die Erstmitbeteiligte] haben als verantwortliche Beauftragte gemäß § 9 Abs. 2 VStG 1991 der [Zweitmitbeteiligten] ... zu verantworten[,] dass diese in der Betriebsstätte in [...] Wien, R[...]Weg [...], in der diese Gesellschaft die Tätigkeit als Wettunternehmerin, nämlich Buchmacherin, durch Wettterminals im Sinne des § 2 Z 8 Wiener Wettengesetz ausübt, am 22.09.2017, um 14:15 Uhr, insofern die Verpflichtung des § 19 Abs. 2 1. Satz Wiener Wettengesetz, wonach die Wettunternehmerin oder der Wettunternehmer einer Betriebsstätte mit Wettterminals jedenfalls in geeigneter Weise dafür sorgen muss, dass der Zutritt zu Räumen mit einem Wettterminal und die Teilnahme an einer Wette nur volljährigen Personen ermöglicht wird, die ihre Identität durch Vorlage eines gültigen amtlichen Lichtbildausweises gemäß Abs. 1 nachgewiesen haben und nicht gesperrt sind, nicht eingehalten hat, als sie
1. keine geeigneten Maßnahmen getroffen hat, um den Zutritt zum Hauptraum, in dem Wettterminals aufgestellt waren, nur volljährigen Personen zu ermöglichen, die ihre Identität durch Vorlage eines gültigen amtlichen Lichtbildausweises gemäß Abs. 1 leg.cit. nachgewiesen haben und nicht gesperrt sind, da bei Zutritt zu diesem Raum keine Kontrolle durchgeführt wurde.
2. am Wettannahmeschalter den Abschluss von Wetten anonym, also ohne Nachweis der Identität, ermöglicht hat und somit eine Kontrolle der Selbstsperre nicht erfolgen konnte, obwohl es sich bei der gegenständlichen Betriebsstätte um eine solche mit Wettterminals handelt und die Wettunternehmerin in diesem Fall verpflichtet ist, die Teilnahme an einer Wette nur volljährigen Personen zu ermöglichen, die ihre Identität durch Vorlage eines gültigen amtlichen Lichtbildausweises nachgewiesen haben und nicht gesperrt sind.“
2 Die Erstmitbeteiligte habe dadurch jeweils § 19 Abs. 2 1. Satz Wiener Wettengesetz, LGBl. Nr. 26/2016, in der Fassung LGBl. Nr. 48/2018, verletzt, weshalb über sie zwei Geldstrafen in der Höhe von € 2.000,-- gemäß § 24 Abs. 1 Z 12 Wiener Wettengesetz, LGBl. Nr. 26/2016, in der Fassung LGBl. Nr. 48/2018 iVm § 9 Abs. 2 VStG 1991 in der geltenden Fassung, sohin in Summe € 4.000,--, verhängt wurden und ihr ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben wurde. Die Zweitmitbeteiligte hafte für die Geldstrafe und die Verfahrenskosten gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur ungeteilten Hand.
3 Mit Erkenntnis vom 13. Februar 2020 gab das Verwaltungsgericht einer dagegen von den Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde Folge, hob das Straferkenntnis vom 20. November 2018 auf und stellte das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein.
4 Der - auch hier revisionswerbende - Magistrat erhob dagegen Revision.
5 Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Juli 2020, Ra 2020/02/0089, wurde das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 11. Februar 2020 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
6 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde der Mitbeteiligten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung Folge, hob das angefochtene Straferkenntnis auf und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG erneut ein. Die ordentliche Revision erklärte es für nicht zulässig. In seiner Begründung stellte das Verwaltungsgericht fest, der kontrollierende Beamte des Magistrats habe sich unmittelbar nach dem Betreten der Betriebsstätte als Kontrollorgan legitimiert und im Anschluss daran eine Wette platziert. Der Zeuge habe in der Betriebsstätte nicht wahrgenommen, dass andere Personen vor Zutritt zu Räumen mit Wettterminals nicht auf ihre Identität überprüft worden wären oder dass Wetten anonym platziert werden könnten. Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, dass sich weder aus der Aktenlage noch aufgrund des in der mündlichen Verhandlung durchgeführten Beweisverfahrens mit einer für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Gewissheit ergeben habe, dass als eine Wette platzierende bzw. nicht kontrollierte Person auch andere Personen als der Beamte des Magistrats in Frage gekommen wären. Das Kontrollorgan selbst habe sich jedenfalls vor dem Zutritt zu Räumen mit Wettterminals und vor Abgabe seiner Wette legitimiert. Die Frage, ob er dadurch einer Identitäts- bzw. Zutrittskontrolle durch einen Wettunternehmer zuvorgekommen sei oder diese Kontrolle ohnehin nicht durchgeführt worden wäre, sei schon aufgrund ihres hypothetischen Charakters ohne Bedeutung, weshalb die gegenständlichen Übertretungen nicht begangen worden seien und spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.
7 Gegen Spruchpunkt 1. (keine geeigneten Maßnahmen zur Zutrittskontrolle) dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende Amtsrevision mit dem Antrag, dieses im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
8 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Der revisionswerbende Magistrat erachtet die Revision für zulässig, weil das Verwaltungsgericht aktenwidrig festgestellt habe, dass sich der Beamte des Magistrats bereits vor dem Zutritt zum Hauptraum der Betriebsstätte, in dem die Wettterminals aufgestellt gewesen seien, legitimiert hätte. Ohne Zweifel habe der Beamte angegeben, dass er den Hauptraum mit Wettterminals betreten habe können, ohne dass eine technische oder personelle Zutrittskontrolle stattgefunden habe und sich erst im Inneren der Betriebsstätte gegenüber der Mitarbeiterin der Zweitrevisionswerberin als Erhebungsorgan der Behörde zu erkennen gegeben habe. Somit habe der Hauptraum mit Wettterminals ohne jegliche Zutrittskontrolle betreten werden können. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass es sich bei § 19 Abs. 2 1. Satz Wiener Wettengesetz nicht um ein Erfolgsdelikt, sondern um ein Ungehorsamsdelikt handle. Feststellungen zu tatsächlich nicht erfolgten Zutrittskontrollen seien nicht notwendig, vielmehr gründe die Strafbarkeit darauf, dass keine geeigneten Maßnahmen getroffen worden seien, um den Zutritt von Jugendlichen oder gesperrten Personen zu verhindern. Es fehle weiters Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob es für eine Übertretung nach § 19 Abs. 2 1. Satz Wiener Wettengesetz eines tatsächlichen Betretens einer Person ohne Kontrolle bedarf.
10 In ihrer Revisionsbeantwortung brachten die mitbeteiligten Parteien vor, dass keine Aktenwidrigkeit vorliege. Die Behörde sei weiters ihrer Ermittlungspflicht zum Nichtvorliegen eines ausreichenden Kontrollsystems nicht nachgekommen, weshalb das Verwaltungsgericht das Verfahren zu Recht eingestellt habe. Dabei sei auch nicht von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen worden bzw. fehle keine solche.
11 Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.
12 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes der Günstigkeitsvergleich gemäß § 1 Abs. 2 VStG zwischen § 19 Abs. 2 Wiener Wettengesetz in der Stammfassung LGBl. Nr. 26/2016 und in der Fassung LGBl. Nr. 40/2018 ergibt, dass das Tatzeitrecht anzuwenden ist (VwGH 22.7.2019, Ra 2019/02/0107, 0108), also hier die Stammfassung der genannten Bestimmung.
13 § 19 Abs. 2 Wiener Wettengesetz, in der Stammfassung LGBl. Nr. 26/2016, sieht vor, dass die Wettunternehmerin oder der Wettunternehmer einer Betriebsstätte mit Wettterminals jedenfalls in geeigneter Weise dafür sorgen muss, dass der Zutritt zu Räumen mit einem Wettterminal und die Teilnahme an einer Wette nur volljährigen Personen ermöglicht wird, die ihre Identität durch Vorlage eines gültigen amtlichen Lichtbildausweises gemäß Abs. 1 nachgewiesen haben und nicht gesperrt sind. Die Wettunternehmerin oder der Wettunternehmer oder die verantwortliche Person hat die Identität (Name und Geburtsdatum) der Wettkundin oder des Wettkunden und die Daten des amtlichen Lichtbildausweises, mit dem die Identität nachgewiesen wurde, festzuhalten. Diese Informationen müssen sieben Jahre lang aufbewahrt werden.
14 Gemäß § 5 Abs. 1 VStG genügt, wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.
15 Bei einer Übertretung nach § 19 Abs. 2 Wiener Wettengesetz in der Stammfassung LGBl. Nr. 26/2016 handelt es sich um ein Ungehorsamsdelikt iSd § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG, weil zum Tatbestand der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört. Für eine Strafbarkeit kommt es (bloß) darauf an, dass die Wettunternehmerin oder der Wettunternehmer nicht in geeigneter Weise dafür sorgt, dass der Zutritt zu Räumen mit einem Wettterminal und die Teilnahme an einer Wette nur volljährigen Personen ermöglicht wird, die ihre Identität durch Vorlage eines gültigen amtlichen Lichtbildausweises gemäß Abs. 1 nachgewiesen haben und nicht gesperrt sind.
16 Um solche Feststellungen treffen zu können, sind entsprechende Ermittlungen zu den Maßnahmen der Wettunternehmerin bzw. des Wettunternehmers nötig, um dann beurteilen zu können, ob diese geeignet sind, den Zutritt jugendlicher und gesperrter Personen (abstrakt) zu verhindern. Feststellungen zu tatsächlich nicht erfolgten Kontrollen bzw. nicht verhinderten Zutritten von jugendlichen oder gesperrten Personen bedarf es zur Begründung der Strafbarkeit nach § 19 Abs. 2 Wiener Wettengesetz nicht (solche Umstände könnten allenfalls indizieren, dass die gewählten Maßnahmen der Wettunternehmerin oder des Wettunternehmers dafür nicht geeignet sein könnten).
17 Indem das Verwaltungsgericht das Verfahren mit der Begründung einstellte, dass es für die Strafbarkeit eines tatsächlich nichtkontrollierten Zutritts einer anderen Person (als den überprüfenden Beamten) bedurft hätte, verkennt es die maßgebliche Rechtslage und belastet die Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Eine solche Begründung vermag die Einstellung des Strafverfahrens nicht zu tragen.
18 Gemäß der Verweisungsbestimmung des § 38 VwGVG gelten im Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten gemäß § 25 Abs. 1 VStG das Amtswegigkeitsprinzip und gemäß § 25 Abs. 2 VStG der Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit, wonach vom Verwaltungsgericht von Amts wegen - unabhängig von Parteivorbringen und -anträgen - der wahre Sachverhalt durch Aufnahme der nötigen Beweise zu ermitteln ist (VwGH 14.4.2016, Ra 2014/02/0068).
19 Das Verwaltungsgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren unter Zugrundelegung dieser Rechtsansicht zu ermitteln haben, welche Maßnahmen die mitbeteiligten Parteien vorgesehen haben, um den Zutritt zu Räumen mit einem Wettterminal (oder mehreren Wettterminals) und die Teilnahme an einer Wette nur volljährigen Personen zu ermöglichen, die ihre Identität durch Vorlage eines gültigen amtlichen Lichtbildausweises gemäß Abs. 1 nachgewiesen haben und nicht gesperrt sind und auf dieser Grundlage zu beurteilen haben, ob diese Maßnahmen für ihren Zweck (Einhaltung des Zutrittsverbots jugendlicher und gesperrter Personen) geeignet sind.
20 Das angefochtene Erkenntnis war daher im Umfang seiner Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 25. Mai 2021
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete VerfahrensbestimmungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021020055.L00Im RIS seit
24.06.2021Zuletzt aktualisiert am
27.07.2021