TE Vwgh Erkenntnis 2021/5/26 Ra 2021/13/0007

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Veröffentlicht am 26.05.2021
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag Niederösterreich
L82003 Bauordnung Niederösterreich
001 Verwaltungsrecht allgemein
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §115 Abs1
BAO §207
BAO §4
BauO NÖ 2014 §38 Abs3
BauO NÖ 2014 §39
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Mag. A in E, vertreten durch die Strohmayer Heihs Strohmayer Rechtsanwälte OG in 3100 St. Pölten, Herrengasse 3-5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 28. August 2020, Zl. LVwG-AV-797/001-2020, betreffend Ergänzungsabgabe gemäß § 39 NÖ Bauordnung 2014 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevorstand der Marktgemeinde E), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Marktgemeinde Eichgraben hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist Eigentümer eines Grundstücks.

2        Mit Bescheid des Bürgermeisters vom 21. Dezember 1998 wurde dem damaligen Eigentümer dieses Grundstückes die baubehördliche Bewilligung zum Neubau eines Einfamilienhauses und einer Garage sowie für die Errichtung einer Senkgrube auf diesem Grundstück erteilt. Mit Schreiben vom 17. Juli 2006 wurde eine Fertigstellungsanzeige erstattet. Mit Schreiben des Bürgermeisters vom 25. Oktober 2006 wurde diese Fertigstellungsanzeige zur Kenntnis genommen.

3        Mit Bescheid des Bürgermeisters vom 25. Oktober 2006 wurde dem damaligen Eigentümer die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung einer Ölfeuerungsanlage samt Öllager unter Erteilung von Auflagen erteilt. Mit Schreiben des Bürgermeisters vom 1. Juli 2009 wurde die Fertigstellungsanzeige betreffend die Ölfeuerungsanlage zur Kenntnis genommen.

4        Mit Kaufvertrag vom 28. Jänner 2011 erwarb der Revisionswerber die gegenständliche Liegenschaft.

5        Mit Schreiben vom 5. Jänner 2020 beantragte der Revisionswerber die baubehördliche Bewilligung für die Errichtung einer unterkellerten Garage und für den Abbruch der bestehenden Garage auf diesem Grundstück.

6        Mit Bescheid des Bürgermeisters vom 21. Februar 2020 wurde dem Revisionswerber die Bewilligung für die Errichtung einer unterkellerten Garage und für den Abbruch der bestehenden Garage erteilt; dieser Bescheid ist rechtskräftig.

7        Mit Abgabenbescheid des Bürgermeisters vom 15. Mai 2020 wurde dem Revisionswerber gemäß § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 eine Ergänzungsabgabe in Höhe von 7.338,69 € vorgeschrieben. In der Begründung wurde ausgeführt, die Abgabe sei aus Anlass der Baubewilligung vom 21. Februar 2020 vorzuschreiben. Die Ergänzungsabgabe sei gemäß § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 errechnet worden. Der Einheitssatz betrage laut Verordnung des Gemeinderates ab 1. April 2019 730 €; die höchstzulässige Bebauungshöhe sei mit 6,50 m festgelegt, diese Gebäudehöhe entspreche Bauklasse II, woraus sich der Bauklassenkoeffizient mit 1,25 ergebe. Der alte Bauklassenkoeffizient sei mit 1 anzusetzen, sodass sich - unter Berücksichtigung der (unstrittigen) Berechnungslänge - die Ergänzungsabgabe mit 7.338,69 € ergebe.

8        Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Berufung. Er machte geltend, dass die Baubewilligung lediglich einen Zubau einer Garage anstelle der alten Garage umfasse, wobei eine Gebäudehöhe von 3 m nicht überschritten werde. Es handle sich um keine erstmalige Bauführung. Die exzessive Auslegung des § 39 NÖ Bauordnung 2014 sei unzweckmäßig und werde nur von wenigen Gemeinden „exekutiert“. Die Erfordernisse des § 38 NÖ Bauordnung 2014 seien in diesem Fall nicht erfüllbar.

9        Mit Bescheid des Gemeindevorstandes vom 23. Juni 2020 wurde der Berufung keine Folge gegeben. Die Ergänzungsabgabe nach § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 sei vorzuschreiben, wenn mit Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides der Behörde eine Baubewilligung für den Neu- oder Zubau eines Gebäudes erteilt werde. Ein derartiger Neu- oder Zubau liege mit der bewilligten Neuerrichtung einer unterkellerten Garage (und Abbruch der bestehenden Garage) vor.

10       Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Er machte geltend, bereits mit Baubewilligung aus dem Jahr 1998 sei die erstmalige Errichtung eines Gebäudes der Bauklasse II auf diesem Grundstück bewilligt worden; bereits damals hätte eine Ergänzungsabgabe mit dem Bauklassenkoeffizienten von 1,25 nach der NÖ Bauordnung 1996 vorgeschrieben werden müssen. Diese Abgabe sei inzwischen verjährt und gelte damit als „vorgeschrieben und entrichtet“. Eine abermalige Vorschreibung auf Basis des Bauklassenkoeffizienten von 1,25 sei damit nicht möglich. Die belangte Behörde habe aber keinerlei Feststellungen zu dieser baubehördlichen Bewilligung und zur damaligen Bauklasse getroffen. Auch sei nicht festgestellt worden, welche Aufschließungs- und Ergänzungsabgaben bereits vorgeschrieben und auch entrichtet worden seien.

11       Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

12       Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, gemäß § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 sei eine Ergänzungsabgabe insbesondere dann vorzuschreiben, wenn mit Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides der Behörde eine Baubewilligung für den Neu- oder Zubau eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage erteilt werde, wenn bei einem bebauten Bauplatz noch nie ein Aufschließungsbeitrag, eine Aufschließungsabgabe oder eine Ergänzungsabgabe vorgeschrieben worden sei. Für das gegenständliche Grundstück sei noch nie ein derartiger Beitrag oder eine derartige Abgabe vorgeschrieben worden. Insbesondere sei bei der Bauplatzerklärung im Jahr 1998 keine Aufschließungsabgabe (bzw. kein Aufschließungsbeitrag) vorgeschrieben worden.

13       Gemäß § 38 Abs. 5 NÖ Bauordnung 2014 betrage der Bauklassenkoeffizient im Baulandbereich ohne Bebauungsplan mindestens 1,25. Der in § 39 Abs. 3 dritter Satz NÖ Bauordnung 2014 etablierte Berechnungsmodus für die Ergänzungsabgabe unterstelle, dass u.a. für alle bebauten Baulandgrundstücke bereits Beiträge geleistet worden seien. Aus der Entstehungsgeschichte der Abgaben lasse sich nachvollziehen, dass dies aber in etlichen Fällen nicht der Realität entspreche. So habe es beispielsweise für Altbauten (vor 1970) auf Grundstücken, die noch nicht Bestandteil einer „Parzellierung auf Bauplätze“ gewesen seien, oder für Altbauten in Bereichen, für die zur Zeit der Errichtung noch kein Flächenwidmungsplan vorhanden gewesen sei, noch keinen Abgabentatbestand gegeben. Auch in solchen Fällen, für den noch nie eine Aufschließungsleistung verlangt worden sei, sei eine Ergänzungsabgabe nach derselben Berechnungsmethode zu ermitteln.

14       Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom 24. November 2020, E 3387/2020-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Begründung führte der Verfassungsgerichtshof insbesondere aus, die in der Beschwerde gerügten Rechtsverletzungen wären nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob die Vorschreibung einer Ergänzungsabgabe zur Aufschließungsabgabe gemäß § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 zu Recht erfolgt sei, nicht anzustellen.

15       Gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts richtet sich die nunmehrige Revision. Zur Zulässigkeit wird insbesondere geltend gemacht, das Verwaltungsgericht sei ohne Begründung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf 2002/17/0334; 2013/17/0786 und 2013/17/0257) abgegangen, wonach Abgaben als „vorgeschrieben und entrichtet“ gelten, wenn früher entstandene Abgabenansprüche wegen Verjährung nicht mehr geltend gemacht werden könnten. Auch liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 39 NÖ Bauordnung 2014 in der geltenden Fassung vor.

16       Nach Einleitung des Vorverfahrens hat die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung eingebracht.

17       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

18       Die Revision ist - entgegen den Ausführungen der belangten Behörde in der Revisionsbeantwortung - zulässig und begründet.

19       § 38 NÖ Bauordnung 2014 (in der Fassung LGBl. Nr. 50/2017) lautet (auszugsweise):

„§ 38 Aufschließungsabgabe

(1) Dem Eigentümer eines Grundstücks im Bauland ist von der Gemeinde eine Aufschließungsabgabe vorzuschreiben, wenn mit Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides der Behörde nach § 2

1.   ein Grundstück oder Grundstücksteil zum Bauplatz (§ 11) erklärt oder

2.   eine Baubewilligung für die erstmalige Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage (§ 23 Abs. 3) auf einem Bauplatz nach § 11 Abs. 1 Z 2, 3 und 5 erteilt wird.

Die Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage auf einem Bauplatz gilt als erstmalig, wenn auf diesem Bauplatz am 1. Jänner 1970 und danach kein unbefristet bewilligtes Gebäude gestanden ist.

[...]

(3) Die Aufschließungsabgabe (A) ist eine einmal zu entrichtende, ausschließliche Gemeindeabgabe nach § 6 Abs. 1 Z 5 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948, BGBl. Nr. 45/1948 in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012. Die Wahl der Abgabentatbestände kann dabei alternativ vorgenommen werden.

Sie wird aus dem Produkt von Berechnungslänge (BL), Bauklassenkoeffizient (BKK) und Einheitssatz (ES) errechnet:

A = BL x BKK x ES

Bei der Vorschreibung ist jeweils der zum Zeitpunkt der Bauplatzerklärung oder Erteilung der Baubewilligung (Abs. 1) geltende Bauklassenkoeffizient und Einheitssatz anzuwenden.

[...]

(4) Die Berechnungslänge ist die Seite eines mit dem Bauplatz flächengleichen Quadrates:

Bauplatzfläche = BFBL = ?BF

(5) Der Bauklassenkoeffizient beträgt:

in der Bauklasse I 1,00 und bei jeder weiteren zulässigen Bauklasse um je 0,25 mehr, [...]

Ist eine höchstzulässige Gebäudehöhe festgelegt, ist der Bauklassenkoeffizient von jener Bauklasse abzuleiten, die dieser Gebäudehöhe entspricht. Im Falle einer gleichzeitig festgelegten Geschoßflächenzahl ist jedoch diese für den Bauklassenkoeffizienten maßgeblich.

Im Baulandbereich ohne Bebauungsplan beträgt der Bauklassenkoeffizient mindestens 1,25, sofern nicht eine Höhe eines Gebäudes bewilligt wird oder zulässig ist, die einer höheren Bauklasse entspricht als der Bauklasse II.

[...]“

20       § 39 NÖ Bauordnung 2014 (in der Fassung LGBl. Nr. 53/2018) lautet (auszugsweise):

„§ 39 Ergänzungsabgabe

(1) Bei der Änderung der Grenzen von Bauplätzen (§ 10 und V. Abschnitt des NÖ Raumordnungsgesetzes 2014, LGBl. Nr. 3/2015 in der geltenden Fassung) ist dem Eigentümer mit Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides der Behörde nach § 2 bzw. mit Erlassung des Umlegungsbescheides nach § 44 des NÖ Raumordnungsgesetzes 2014 für jeden der neugeformten Bauplätze eine Ergänzungsabgabe vorzuschreiben, wenn das Gesamtausmaß oder die Anzahl der Bauplätze vergrößert wird.

[...]

Die Höhe der Ergänzungsabgabe (EA) wird wie folgt berechnet:

Von der Summe der neuen Berechnungslängen wird die Summe der damaligen Berechnungslängen abgezogen. Der Differenzbetrag wird mit dem zur Zeit der Bewilligung der Grenzänderung (§ 10) geltenden Bauklassenkoeffizienten und Einheitssatz multipliziert und das Produkt nach dem Verhältnis der neuen Berechnungslängen auf die neuen Bauplätze aufgeteilt;

[...]

(3) Eine Ergänzungsabgabe ist auch vorzuschreiben, wenn mit Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides der Behörde nach § 2 eine Baubewilligung für den Neu- oder Zubau eines Gebäudes - ausgenommen Gebäude im Sinn des § 18 Abs. 1a Z 1 - oder einer großvolumigen Anlage erteilt wird und

-    bei einer Grundabteilung (§ 10 Abs. 1 NÖ Bauordnung, LGBl. Nr. 166/1969, und NÖ Bauordnung 1976 bzw. NÖ Bauordnung 1996, LGBl. 8200) nach dem 1. Jänner 1970 ein Aufschließungsbeitrag bzw. nach dem 1. Jänner 1989 eine Ergänzungsabgabe oder

-    bei einer Bauplatzerklärung eine Aufschließungsabgabe oder

-    anlässlich einer Baubewilligung ein Aufschließungsbeitrag, eine Aufschließungsabgabe oder eine Ergänzungsabgabe

     vorgeschrieben und bei der Berechnung

-    kein oder

-    ein niedrigerer Bauklassenkoeffizient angewendet wurde als jener, der der im Bebauungsplan nunmehr höchstzulässigen Bauklasse oder Gebäudehöhe entspricht. Im Baulandbereich ohne Bebauungsplan ist ein Bauklassenkoeffizient von mindestens 1,25 zu berücksichtigen, sofern nicht eine Höhe eines Gebäudes bewilligt wird oder zulässig ist, die einer höheren Bauklasse entspricht als der Bauklasse II.

Die Ergänzungsabgabe ist aus diesem Anlass auch dann vorzuschreiben, wenn bei einem bebauten Bauplatz noch nie ein Aufschließungsbeitrag, eine Aufschließungsabgabe oder eine Ergänzungsabgabe vorgeschrieben wurde.

Die Höhe dieser Ergänzungsabgabe wird wie folgt berechnet:

Von dem zur Zeit der den Abgabentatbestand auslösenden Baubewilligung (§ 23) anzuwendenden Bauklassenkoeffizienten wird der bei der Vorschreibung des Aufschließungsbeitrages bzw. der Aufschließungsabgabe oder der Ergänzungsabgabe angewendete Bauklassenkoeffizient - mindestens jedoch 1 - abgezogen und die Differenz mit der Berechnungslänge (abgeleitet vom Ausmaß des Bauplatzes zur Zeit der den Abgabentatbestand auslösenden Baubewilligung) und dem zur Zeit dieser Baubewilligung geltenden Einheitssatz multipliziert:

BKK alt = 1 oder höher

EA = (BKK neu – BKK alt) x BL x ES neu

(4) Die Ergänzungsabgabe ist eine ausschließliche Gemeindeabgabe nach § 6 Abs. 1 Z 5 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948, BGBl. Nr. 45/1948 in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012. Für die Ergänzungsabgabe gelten die Bestimmungen des § 38 Abs. 4 bis 6 und 9 sinngemäß. Falls bisher kein Aufschließungsbeitrag und keine Aufschließungsabgabe eingehoben wurde, gilt auch § 38 Abs. 7 sinngemäß. Wenn eine Ergänzungsabgabe nach Abs. 1 für Bauplätze im Baulandbereich ohne Bebauungsplan vorzuschreiben ist, beträgt der Bauklassenkoeffizient mindestens 1,25, sofern auf den neugeformten Bauplätzen nicht Gebäude mit einer Höhe zulässig sind, die einer höheren Bauklasse entspricht als der Bauklasse II.“

21       Der dritte Teilstrich in § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 („anlässlich einer Baubewilligung ein Aufschließungsbeitrag, eine Aufschließungsabgabe oder eine Ergänzungsabgabe“) sowie der dritte Satz in dieser Bestimmung („Die Ergänzungsabgabe ist aus diesem Anlass auch dann vorzuschreiben, wenn bei einem bebauten Bauplatz noch nie ein Aufschließungsbeitrag, eine Aufschließungsabgabe oder eine Ergänzungsabgabe vorgeschrieben wurde.“) wurden mit LGBl. Nr. 53/2018 eingefügt. In den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf (Motivenbericht, Ltg.-228/B-23-2018) wurde hiezu ausgeführt:

„Um eine Lücke im Hinblick auf frühere Abgabenanlässe zu schließen, wird die Baubewilligung ergänzt. Auch sie galt bereits seit 1970 als möglicher Abgabentatbestand.

Bei Bauplätzen aufgrund alter Baubestände (beispielsweise bei § 11 Abs. 1 Z 4-Bauplätzen) war früher meist noch kein Abgabentatbestand gegeben (s. BO für NÖ aus dem Jahr 1883: damals wurde die Auferlegung eines Kostenbeitrages nach § 14 Abs. 5 durch eine Grundabteilung, nicht jedoch durch eine Bauführung ohne Grundabteilung ausgelöst), weshalb zumindest für solche Fälle - im Sinne einer Gleichbehandlung - eine Angleichung an die späteren Abgabentatbestände nach dieser Bestimmung erfolgen soll.“

22       Die Aufschließungsabgabe ist mit dem Grundstück untrennbar verbunden (vgl. Kienastberger/Stellner-Bichler, NÖ Baurecht², § 38, 298) und nach § 38 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 einmal zu entrichten. Dieser Grundsatz der Einmaligkeit steht einem weiteren Anfall der Abgabe auch dann entgegen, wenn der Abgabentatbestand bereits in der Vergangenheit verwirklicht wurde, die Abgabe aber nicht vorgeschrieben wurde und nunmehr Festsetzungsverjährung eingetreten ist (vgl. mit näherer Begründung, insbesondere unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, VwGH 8.11.2005, 2002/17/0334, VwSlg. 8082/F). Dies stimmt auch mit der - aus den zitierten Erläuterungen hervorleuchtenden - Absicht des Gesetzgebers überein, wonach der zusätzliche Tatbestand dazu diene, um eine Lücke im Hinblick darauf zu schließen, dass nach früherer Rechtslage für manche Fälle kein Abgabentatbestand vorgelegen war. Es entspricht demnach auch der Absicht des Gesetzgebers, dass insbesondere mit den neu eingefügten Tatbeständen keine Abgaben, die aus bereits früher bestandenen Abgabentatbeständen resultierten und mangels Vorschreibung nunmehr verjährt sind, nacherhoben werden könnten.

23       Spätere Änderungen betreffend die Größe oder Anzahl der Bauplätze oder betreffend die höchstzulässige Bauklasse oder Gebäudehöhe können - unter näher genannten Voraussetzungen - durch Vorschreibung einer Ergänzungsabgabe berücksichtigt werden. Die anlässlich des Entstehens eines früheren Abgabenanspruchs (§ 4 BAO) mangels Vorschreibung tatsächlich nicht entrichteten und bereits verjährten Beträge dürfen aber - bei verfassungskonformer Auslegung der Bestimmungen - auch im Rahmen von Ergänzungsabgaben (Ergänzungsbeiträgen) nicht nacherhoben werden (vgl. VfGH 28.9.2018, E 401/2017).

24       Von der Behörde und vom Verwaltungsgericht sind dazu Erhebungen vorzunehmen und Feststellungen zu treffen, ob bereits früher entsprechende Abgabenansprüche (und in welcher Höhe) entstanden waren (vgl. - unter Hinweis auch etwa auf die Bauordnung für Niederösterreich 1883 - neuerlich VwGH 8.11.2005, 2002/17/0334).

25       Die Ergänzungsabgabe wurde im vorliegenden Fall nach § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 mit der Begründung vorgeschrieben, es sei eine Baubewilligung für den Neu- oder Zubau eines Gebäudes erteilt worden.

26       In der Revision wird die Sachverhaltsannahme des Verwaltungsgerichts, für dieses Grundstück sei noch nie ein Aufschließungsbeitrag, eine Aufschließungsabgabe oder eine Ergänzungsabgabe vorgeschrieben worden, nicht bestritten. Auch die Darlegung des Verwaltungsgerichts im Rahmen der Erwägungen, „bei der Bauplatzerklärung im Jahre 1998“ sei eine Aufschließungsabgabe (oder ein Aufschließungsbeitrag) nicht vorgeschrieben worden, wird im Revisionsverfahren nicht in Frage gestellt.

27       Nach der im Jahr 1998 anwendbaren Bestimmung des § 38 Abs. 1 Z 1 NÖ Bauordnung 1996 war eine Aufschließungsabgabe insbesondere dann vorzuschreiben, wenn ein Grundstück zum Bauplatz erklärt wurde. Diese Aufschließungsabgabe bemaß sich auch nach der damaligen Rechtslage nach Berechnungslänge, Bauklassenkoeffizient und Einheitssatz; der Bauklassenkoeffizient insbesondere wiederum in der Bauklasse I mit 1 und bei jeder weiteren zulässigen Bauklasse um je 0,25 mehr.

28       Ausgehend von diesen Sachverhaltsannahmen des Verwaltungsgerichts war somit im Jahr 1998 der Tatbestand betreffend die Aufschließungsabgabe verwirklicht. Diese Abgabe wurde im Jahr 1998 nicht vorgeschrieben und ist nunmehr verjährt.

29       Die Höhe der Ergänzungsabgabe richtet sich insbesondere nach der Differenz zwischen dem neuen und dem alten Bauklassenkoeffizienten (dieser ist zumindest mit 1 anzusetzen).

30       Dass der aktuelle Bauklassenkoeffizient mit 1,25 (Bauklasse II) anzusetzen ist, ist unbestritten. Der alte Bauklassenkoeffizient wurde - bereits vom Bürgermeister - mit 1 angenommen.

31       Aus dem Grundsatz der Einmaligkeit ist aber abzuleiten, dass auch die Ergänzungsabgabe, die zwar bei wiederholter Verwirklichung eines Tatbestandes für diese Ergänzungsabgabe auch mehrfach anfällt, nur in einer Höhe unter Berücksichtigung der bereits früher verwirklichten Abgabentatbestände zu bemessen ist; dies insbesondere auch dann, wenn diese (frühere) Abgabe mangels Vorschreibung nunmehr verjährt ist. Im Rahmen der Bemessung der Ergänzungsabgabe ist daher als „alter“ Bauklassenkoeffizient jener anzusetzen, der bei der früheren Verwirklichung eines Abgabentatbestandes (entweder für eine Aufschließungsabgabe oder für eine Ergänzungsabgabe) bei der unterbliebenen Vorschreibung anzusetzen gewesen wäre.

32       Das Verwaltungsgericht hat auf Basis einer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht keine Erhebungen zum im Jahr 1998 anzusetzenden Bauklassenkoeffizienten getätigt und hiezu keine Feststellungen getroffen.

33       Damit erweist sich das angefochtene Erkenntnis als rechtswidrig.

34       Für das fortzusetzenden Verfahren sei aber darauf hingewiesen, dass sich in den vorgelegten Akten - worauf das Verwaltungsgericht seine Sachverhaltsannahmen stützt - keine Bauplatzerklärung im Jahr 1998 findet. Sollte im Jahr 1998 tatsächlich keine Bauplatzerklärung erfolgt sein, wird das Verwaltungsgericht weiter zu prüfen haben, ob im Jahr 1998 allenfalls ein anderer Sachverhalt verwirklicht wurde, der eine Aufschließungsabgabe oder Ergänzungsabgabe auslöste, und gegebenenfalls in welcher Höhe (insbesondere zum anzuwendenden Bauklassenkoeffizienten). Da sowohl die Aufschließungsabgabe (neben der Bauplatzerklärung) als auch die Ergänzungsabgabe nach der damaligen Rechtslage insbesondere die „erstmalige Errichtung eines Gebäudes“ zur Voraussetzung hatten, wird das Verwaltungsgericht auch die sich aus dem Akteninhalt ergebende frühere Baubewilligung im Jahr 1975 (OZ 14 des Bauaktes) zu berücksichtigen haben (vgl. auch den Aktenvermerk vom 18. Dezember 1998, OZ 77 im vorgelegten Bauakt; demnach sei die Baubewilligung vom Oktober 1975 durch den Bau einer Garage konsumiert worden; die damals vorgeschriebenen Aufschließungskosten seien auch bezahlt worden, sodass aus Anlass der Baubewilligung im Jahr 1998 kein Anlass für eine neuerliche Vorschreibung von Aufschließungskosten gegeben sei). Schließlich wird das Verwaltungsgericht auch den im Bauakt befindlichen Bescheid vom 25. Jänner 1973 betreffend Abteilung eines Grundstückes nach der NÖ Bauordnung, LGBl. Nr. 166/1969, samt Vorschreibung eines Aufschließungsbeitrags (OZ 1 des Bauaktes) in seine Erwägungen einzubeziehen haben. Wie dieser Aufschließungsbeitrag bemessen wurde, geht aus der Begründung nicht hervor; dieser Bescheid scheint aber (ebenso wie der Aktenvermerk vom Dezember 1998) der - unbestrittenen - Sachverhaltsannahme des Verwaltungsgerichts, es sei noch nie ein Aufschließungsbeitrag für dieses Grundstück vorgeschrieben worden, zu widersprechen. Allenfalls wird das Verwaltungsgericht daher zu beurteilen haben, ob im Jahr 2020 eine Ergänzungsabgabe nach § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 darauf zu stützen war, dass bei einer Grundabteilung (§ 10 Abs. 1 NÖ Bauordnung, LGBl. Nr. 166/1969) nach dem 1. Jänner 1970 (hier: im Jänner 1973) kein oder ein niedrigerer Bauklassenkoeffizient angewendet wurde als der derzeit aktuelle.

35       Das angefochtene Erkenntnis war aus den dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

36       Von der vom Revisionswerber beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

37       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. Mai 2021

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021130007.L00

Im RIS seit

28.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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