Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde der M-KG. in E, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 19. Oktober 1994, Zl. Ge-441342/1-1994/Bi/H, betreffend Abweisung eines Antrages gemäß § 78 Abs. 2 GewO 1994, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem in Rechtskraft erwachsenen (im Zuge eines Betriebsanlagenverfahrens ergangenen) Genehmigungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 18. Mai 1990 wurde der Beschwerdeführerin für ihre Betriebsanlage unter anderem die folgende Auflage vorgeschrieben:
"3. Das Lacklager und der Spritzraum sind in brandbeständiger Ausführung zu erhalten. Die Türen des Spritzraumes sind mind. brandhemmend und selbstschließend und die Fensteröffnungen des Spritzraumes nicht öffenbar und in mind. G 30 auszuführen. Die Lüftungsöffnungen beim Lacklager sind im Ausmaß von je 400 cm2 freier Querschnitt zu erhalten und mit engmaschigem Drahtgitter abzusichern."
Mit Eingabe vom 23. November 1993 (eingelangt bei der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land am 24. November 1993) stellte die Beschwerdeführerin "hinsichtlich der Fensteröffnungen in mind. G 30" den Antrag, von dieser Verpflichtung "gemäß § 78 Abs. 4 GewO" Abstand zu nehmen. Sie brachte dazu vor, sie habe als gleichwertige Vorsorgemaßnahme im Interesse des Brandschutzes die Dachuntersicht oberhalb der betroffenen Fenster brandhemmend verkleidet. Als Vorsorgemaßnahme im Interesse des Immissionsschutzes (Verhinderung diffuser Emissionen durch geöffnete Fenster) seien die Fensterflügel mit Metallplättchen verschraubt worden, sodaß ein Öffnen erst nach Abschrauben dieser Vorrichtungen möglich wäre.
Mit dem im Instanzenzug (gemäß § 66 Abs. 4 AVG) ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 19. Oktober 1994 wurde der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 30. Mai 1994, mit dem ihr Antrag (vom 23. November 1993) abgewiesen worden war, keine Folge gegeben. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, die Bestimmung des "§ 78 Abs. 4 GewO 1994" (damit erkennbar gemeint wohl: § 78 Abs. 2 GewO 1994) biete keine Grundlage dafür, daß eine vorgeschriebene Auflage vor der Errichtung oder dem Betrieb der Anlage durch eine andere Vorkehrung ersetzt werde. Dieses Verfahren diene nicht dazu, eine im Betriebsanlagenverfahren (vom Anlageninhaber) unbekämpft gebliebene Auflage nachträglich zu beseitigen. Im vorliegenden Fall sei die geänderte Betriebsanlage schon vor der Erteilung der gewerbebehördlichen Genehmigung betrieben worden. Diese konsenslose Änderung einer bestehenden Betriebsanlage könne dem Konsenswerber hinsichtlich der Abweichung von Auflagen nicht zum Vorteil gereichen. Die bereits errichtete Betriebsanlage sei einer noch nicht errichteten Betriebsanlage gleichzusetzen. Auf die Frage, ob die im Genehmigungsbescheid durch die Auflagenvorschreibung getroffene Vorsorge durch die Abweichung nicht verringert werde, sei nicht einzugehen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Abstandnahme von der Verpflichtung zur Herstellung des dem Genehmigungsbescheid entsprechenden Zustandes (§ 78 Abs. 2 GewO 1994) und hilfsweise in dem Recht auf Genehmigung der Änderung ihrer genehmigten Betriebsanlage (gemäß § 81 GewO 1994) verletzt. Sie bringt im wesentlichen vor, die Bestimmung des § 78 Abs. 2 GewO 1994 sehe vor, daß die Behörde Abweichungen einer errichteten Betriebsanlage zu genehmigen habe, wenn diese dem Sollzustand des Genehmigungsbescheides gleichermaßen entsprechen würden. Derartige Abweichungen vom Genehmigungsbescheid seien jedoch nicht als Änderungen im Sinne von § 81 GewO 1994 anzusehen. Sie habe mit ihrem Antrag keine Abänderung einer Auflage sondern einen Abspruch über die Zulässigkeit von Abweichungen begehrt. Im Zeitpunkt ihrer Antragstellung sei die Anlage mit abweichenden, aber gleichwertigen Schutzvorkehrungen schon errichtet gewesen. Die erst nach Erteilung des anlagenrechtlichen Konsenses notwendig gewordenen Adaptierungsarbeiten hätten unter anderem auch die verfahrensgegenständlichen Fenster betroffen. Diese Abweichungen hätten vor Erlassung des Genehmigungsbescheides nicht bestanden. Die Behörde habe die nähere Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen des § 78 Abs. 2 GewO 1994 unterlassen. Sie habe nämlich zu Unrecht angenommen, daß auf dieser Grundlage über ihren Antrag nicht entschieden werden könne. Dadurch habe die belangte Behörde aber ihr Verfahren mit einem wesentlichen Verfahrensfehler belastet. Sollte es jedoch zutreffen, daß im vorliegenden Fall nicht die Bestimmung des § 78 Abs. 2 sondern jene des § 81 GewO 1994 anzuwenden wäre, dann hätte die belangte Behörde eine Genehmigung im Sinne der letztgenannten gesetzlichen Bestimmung erteilen müssen.
Gemäß § 78 Abs. 2 GewO 1994 (wortgleich mit § 78 Abs. 4 GewO 1973 in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1992) hat die Behörde auf Antrag von der Verpflichtung zur Herstellung des dem Genehmigungsbescheid entsprechenden Zustandes dann Abstand zu nehmen, wenn es außer Zweifel steht, daß die Abweichungen die durch den Genehmigungsbescheid getroffene Vorsorge nicht verringern. Die Behörde hat die Zulässigkeit der Abweichungen mit Bescheid auszuprechen.
Die belangte Behörde geht (in der Begründung des angefochtenen Bescheides) davon aus, daß "die geänderte Betriebsanlage schon vor Erteilung der gewerbebehördlichen Genehmigung vom Konsenswerber betrieben wurde" und eine "solche konsenslose Änderung einer bestehenden Betriebsanlage" dem Antragsteller (in einem Verfahren nach § 78 Abs. 2 GewO 1994) "nicht zum Vorteil gereichen kann". Abgesehen davon, daß in dieser Hinsicht (nachvollziehbare) Sachverhaltsfeststellungen nicht getroffen wurden, entspricht diese Rechtsansicht der belangten Behörde seit der Gewerberechtsnovelle 1988 (BGBl. Nr. 399/1988) jedenfalls nicht mehr der geltenden Rechtslage. Denn die Antragstellung nach § 78 Abs. 2 GewO 1994 ist nicht (mehr) an die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid angenommenen (zeitlichen) Verfahrensvoraussetzungen gebunden.
Entgegen der (weiteren) Annahme der belangten Behörde hat die Beschwerdeführerin nicht beantragt, eine andere Auflage vorzuschreiben, sondern sie begehrte einen bescheidmäßigen Ausspruch dahingehend, daß von der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Verpflichtung, "die Fensteröffnungen in mind. G 30 auszuführen" im Hinblick auf von ihr getroffene Vorsorgemaßnahmen Abstand genommen werden kann. Die im angefochtenen Bescheid von der belangten Behörde angenommenen Gründe, die eine Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin entbehrlich machen sollen, erweisen sich somit auf dem Boden der geltenden Rechtslage als unzutreffend bzw. nicht nachvollziehbar. Die belangte Behörde wird daher über den Antrag der Beschwerdeführerin zu entscheiden haben.
Da die belangte Behörde insoweit die Rechtslage verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieser war daher - ohne auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995040010.X00Im RIS seit
20.11.2000