TE Vwgh Erkenntnis 2021/5/26 Ra 2020/13/0073

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Veröffentlicht am 26.05.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

BAO §115 Abs1
BAO §119
BAO §167 Abs2
BAO §184 Abs1
BAO §198
BAO §201
BAO §201 Abs4
BAO §202
BAO §224 Abs1
BAO §269 Abs2
BAO §279 Abs1
BAO §93 Abs2
KommStG 1993 §11 Abs3
KommStG 1993 §6a Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6, Rechnungs- und Abgabenwesen, in 1010 Wien, Ebendorferstraße 2, 3. Stock, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 24. Juni 2020, Zl. RV/7400017/2020, betreffend Haftung (Kommunalsteuer und Wiener Dienstgeberabgabe) (mitbeteiligte Partei: L in G, vertreten durch MMag. Dr. Harald Ringelhann, Rechtsanwalt in 3400 Klosterneuburg, Agnesstraße 80), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang (Haftung betreffend Kommunalsteuer für die Monate Juni bis September 2017) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Schreiben vom 19. März 2018 teilte die revisionswerbende Partei (die belangte Behörde im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht) dem Mitbeteiligten mit, es seien folgende Abgabenbeträge der X GmbH, deren Geschäftsführer der Mitbeteiligte seit 11. Juli 2017 sei, nicht entrichtet worden: Kommunalsteuer (laut einer gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben durch das Finanzamt) für 6-9/2017 in Höhe von 1.985,99 € samt Säumniszuschlag (39,72 €); sowie Wiener Dienstgeberabgabe für 9/2017 in Höhe von 30 €. Dem Mitbeteiligten werde Gelegenheit gegeben, sich innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens zur geltend gemachten Haftung zu äußern.

2        Mit Bescheid vom 24. April 2018 wurde der Mitbeteiligte für den Rückstand an Kommunalsteuer samt Nebenansprüchen der X GmbH in der Höhe von 2.025,71 € für den Zeitraum Juni bis September 2017 sowie für den Rückstand an Dienstgeberabgabe samt Nebenansprüchen der X GmbH in Höhe von 30 € für den Zeitraum September 2017 haftbar gemacht und aufgefordert, diesen Betrag binnen einem Monat ab Zustellung dieses Bescheides zu entrichten.

3        Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Er machte geltend, die Voraussetzungen für eine Haftung lägen nicht vor. Der Mitbeteiligte habe als Geschäftsführer sämtliche Gläubiger gleich behandelt. Es sei rechtswidrig, die Ergebnisse der gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben „im Haftungsbescheid einzubauen“. Der Mitbeteiligte habe keine Möglichkeit zur Äußerung in jenem Verfahren gehabt; diese Prüfung sei nur zwischen Behörde und Masseverwalter abgewickelt worden.

4        Die belangte Behörde forderte daraufhin den Mitbeteiligten auf, eine monatliche Aufschlüsselung der Abgabenbeträge an Kommunalsteuer und Dienstgeberabgabe für den Zeitraum Juni bis September 2017 sowie eine gegliederte Liquiditätsaufstellung für denselben Zeitraum vorzulegen. Dazu übermittelte die belangte Behörde dem Mitbeteiligten auch das Prüfergebnis und die Niederschrift über die Schlussbesprechung des Finanzamts, das die gemeinsame Prüfung der Abgaben vorgenommen habe.

5        Der Mitbeteiligte teilte mit, Gläubiger der X GmbH sei auch der ehemalige Steuerberater und Lohnverrechner; da noch Honoraransprüche offen seien, verweigere dieser die Herausgabe von Unterlagen. Sämtliche Buchhaltungsunterlagen befänden sich nicht in den Händen des Mitbeteiligten, sondern in denen des Masseverwalters oder des Steuerberaters. Es sei daher derzeit unmöglich, eine „Liquiditätsplanung“ vorzulegen.

6        Mit Beschwerdevorentscheidung vom 17. September 2018 wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab.

7        Der Mitbeteiligte beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

8        Über Aufforderung des Bundesfinanzgerichtes teilte die belangte Behörde mit, es gebe keinen Bescheid über den Säumniszuschlag. Es gebe auch keinen Festsetzungsbescheid zur Kommunalsteuer. Auf die Frage, ob dem Mitbeteiligten die monatlichen Beträge für die Kommunalsteuer für die Monate Juni bis September 2017 bekannt gegeben worden seien, teilte die belangte Behörde mit, bei der Kommunalsteuer handle es sich um eine Selbstbemessungsabgabe. Der Abgabenbehörde werde, sofern eine Jahreserklärung abgegeben werde, daher nur die Erklärung in einer Jahressumme mitgeteilt. Aus der gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben seien keine Unterlagen übermittelt worden; der jeweilige Prüfer habe anlässlich der Prüfung Einsicht in die Unterlagen. Der belangten Behörde sei es - anders als dem Mitbeteiligten als Geschäftsführer der X GmbH - nicht möglich, auf Lohnkonten zuzugreifen. Der Mitbeteiligte sei auch aufgefordert worden, die Steuerbeträge monatlich aufzuteilen. Mangels Mitwirkung des Mitbeteiligten hätten die Steuerbeträge nicht monatlich aufgeteilt werden können.

9        In der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde der belangten Behörde gemäß § 269 Abs. 2 BAO aufgetragen, die monatlichen Kommunalsteuerbeträge für die Monate Juni bis September 2017 - aufgeschlüsselt auf die einzelnen Monate - zu erheben und spätestens zur mündlichen Verhandlung mitzubringen, um dem Mitbeteiligten die Möglichkeit eines Gläubigergleichbehandlungsnachweises einzuräumen.

10       In der mündlichen Verhandlung teilte die belangte Behörde mit, es könne keine monatliche Aufstellung vorgelegt werden; die diesbezügliche Aufforderung sei bei der belangten Behörde „wegen Corona untergegangen“. Auf den Einwand des Bundesfinanzgerichts, wenn eine monatliche Aufgliederung nicht einmal der belangten Behörde möglich sei, so bestehe auch für das Bundesfinanzgericht dazu keine Möglichkeit, teilte die belangte Behörde mit, es bestehe natürlich die Möglichkeit, mit dem Masseverwalter Kontakt aufzunehmen oder einen Prüfer damit zu beauftragen; ungewiss sei, ob es zu einem Ergebnis komme.

11       Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde teilweise Folge. Es änderte den angefochtenen Bescheid dahin ab, dass der Mitbeteiligte im Ausmaß von 30 € zur Haftung für Dienstgeberabgabe herangezogen werde. Das Bundesfinanzgericht sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

12       Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte sei seit 11. Juli 2017 Geschäftsführer der X GmbH gewesen. Abgabenforderungen seien nicht entrichtet worden.

13       Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 23. Oktober 2017 sei über das Vermögen der X GmbH das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet worden; mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien im Jänner 2018 sei die Bezeichnung auf Konkursverfahren geändert worden, der Masseverwalter habe die Masseunzulänglichkeit angezeigt. Das Insolvenzverfahren sei noch nicht abgeschlossen.

14       Im Haftungsbescheid vom 24. April 2018 werde die Kommunalsteuer mit einem Betrag von 1.985,99 € angeführt, der sich auf einen Zeitraum von Juni bis September 2017 beziehe. Eine monatliche Aufteilung sei nicht vorgenommen worden und von der belangten Behörde auch nicht nachgereicht worden. Zusätzlich sei der Mitbeteiligte für einen Säumniszuschlag zur Kommunalsteuer (39,72 €) und für eine Dienstgeberabgabe 9/2017 zur Haftung herangezogen worden. Ein Säumniszuschlagsbescheid sei nicht erlassen worden. Ein Nachweis der Gläubigergleichbehandlung sei durch den Mitbeteiligten nicht erbracht worden. Die Dienstgeberabgabe 9/2017 sei am 16. Oktober 2017 mit 30 € fällig gewesen.

15       Gemäß § 11 Abs. 2 KommStG sei die Kommunalsteuer für jeden Monat bis zum 15. des darauffolgenden Monats an die Gemeinde zu entrichten. Dasselbe gelte für die Dienstgeberabgabe (§ 6 Abs. 2 Dienstgeberabgabegesetz). Säumniszuschläge zu Landes- und Gemeindeabgaben würden erst im Zeitpunkt der Zustellung des sie festsetzenden Bescheides fällig (§ 217a Z 2 BAO). Ein Säumniszuschlagsbescheid sei nicht erlassen worden, sodass insoweit auch keine Fälligkeit eingetreten sei. Eine Verpflichtung eines Geschäftsführers, eine noch nicht fällige Abgabe zu entrichten, sei nicht ersichtlich. Die Beschwerde sei daher betreffend Haftung für Säumniszuschlag - wie auch von der belangten Behörde in der Beschwerdeverhandlung beantragt - Folge zu geben gewesen.

16       Die belangte Behörde habe dem Mitbeteiligten weder im ersten Vorhalt noch im Schreiben zum Parteiengehör die monatlichen Abgabenbeträge für die Kommunalsteuer mitgeteilt. Auch seien die monatlichen Beträge nicht bis bzw. in der mündlichen Verhandlung bekannt gegeben worden, obwohl in der Ladung vom Bundesfinanzgericht darauf hingewiesen worden sei. Vielmehr habe die belangte Behörde den Mitbeteiligten eingeladen, sowohl die monatliche Aufschlüsselung der Abgabenbeträge als auch eine gegliederte Liquiditätsaufstellung vorzulegen. Es sei aber nicht Aufgabe des Mitbeteiligten, der Abgabenbehörde, die ihn bereits zur Haftung herangezogen habe, ohne die Haftungsbeträge aufzuschlüsseln, zunächst die Aufschlüsselung vorzulegen, damit ihm die Abgabenbehörde diese Angaben dann vorhalten und ihn zur Erbringung eines Gleichbehandlungsnachweises auffordern könne. Es sei vielmehr ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass mangels Aufgliederung auf die einzelnen Voranmeldungszeiträume durch die Abgabenbehörde der Mitbeteiligte dafür keinen Gleichbehandlungsnachweis erbringen könne und solche Abgaben aus dem Haftungsbescheid auszuscheiden seien (Hinweis auf VwGH 22.4.2015, 2013/16/0208; 19.3.2015, 2011/16/0188). Es möge zwar zutreffen, dass die belangte Behörde über diese Informationen nicht verfüge, weil seit dem Jahr 2005 in der Kommunalsteuererklärung keine Aufgliederung der Kommunalsteuerjahresbeträge auf einzelne Monate mehr erfolge. Dazu seien aber Erhebungen durch die Abgabenbehörde anzustrengen. Wenn es nicht einmal der belangten Behörde nach entsprechender Aufforderung möglich sei, im Nachhinein eine Aufschlüsselung auf monatliche Beträge vorzulegen, obwohl ihr ein Behördenapparat mit Erhebungs- und Außendienstorganen zur Verfügung stehe, so könne es auch dem Bundesfinanzgericht nicht möglich sein, an die monatlichen Zahlen zu gelangen. Der Beschwerde betreffend Haftung wegen Kommunalsteuern sei schon aus diesem Grund Folge zu geben.

17       Hinsichtlich der Dienstgeberabgabe habe die belangte Behörde dem Mitbeteiligten mitgeteilt, dass sie beabsichtige, ihn für die Dienstgeberabgabe 9/2017 in Höhe von 30 € zur Haftung heranzuziehen. Insofern sei eine ausreichende Aufschlüsselung der Abgaben gegeben, zumal nur ein Monat betroffen sei.

18       Gegen dieses Erkenntnis - soweit es die Haftung für Kommunalsteuer betrifft - wendet sich die Revision der belangten Behörde. Zur Zulässigkeit wird u.a. geltend gemacht, eine ersatzlose Aufhebung des Bescheides der Abgabenbehörde komme nicht in Betracht, wenn die Behörde der Pflicht zur Aufteilung der monatlichen Haftungsbeträge nicht nachgekommen sei.

19       Nach Einleitung des Vorverfahrens hat der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet.

20       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

21       Die Revision ist zulässig und begründet.

22       Gemäß § 6a Abs. 1 Kommunalsteuergesetz 1993 (KommStG) haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffende Kommunalsteuer insoweit, als diese Abgabe infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden kann, insbesondere im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. § 9 Abs. 2 BAO gilt sinngemäß.

23       Die Kommunalsteuer ist gemäß § 11 Abs. 2 KommStG vom Unternehmer für jeden Kalendermonat selbst zu berechnen und bis zum 15. des darauffolgenden Monates (Fälligkeitstag) an die Gemeinde zu entrichten. Wird kein selbstberechneter Betrag der Abgabenbehörde bekannt gegeben oder erweist sich die Selbstberechnung als nicht richtig, hat die Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid zu erfolgen.

24       Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Geschäftsführers, darzutun, weshalb er den auferlegten Pflichten nicht entsprochen habe, insbesondere nicht habe Sorge tragen können, dass die Gesellschaft die angefallenen Abgaben entrichtet hat, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden darf. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung ursächlich für die Uneinbringlichkeit war. Der Geschäftsführer haftet für nicht entrichtete Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung gestanden sind, hiezu nicht ausreichten, es sei denn, er weist nach, dass er die Abgabenschulden im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als bei anteiliger Verwendung der vorhandenen Mittel für die Begleichung aller Verbindlichkeiten (vgl. VwGH 13.4.2005, 2001/13/0220, mwN).

25       Die qualifizierte Mitwirkungspflicht des Geschäftsführers bedeutet nicht, dass die Behörde von jeder Ermittlungspflicht entbunden wäre; entspricht der Geschäftsführer nämlich seiner Obliegenheit, das Nötige an Behauptung und Beweisanbot zu seiner Entlastung darzutun, dann liegt es an der Behörde, erforderlichenfalls Präzisierungen und Beweise vom Geschäftsführer abzufordern, jedenfalls aber konkrete Feststellungen über die von ihm angebotenen Entlastungsbehauptungen zu treffen (vgl. neuerlich VwGH 13.4.2005, 2001/13/0220, mwN).

26       Um den zur Haftung herangezogenen Vertreter in die Lage zu versetzen, diesen Nachweis über die Gläubigergleichbehandlung anzutreten, ist es erforderlich, dass ihm die Behörde eine nach der jeweiligen Fälligkeit der Abgabe gegliederte Aufstellung übermittelt (vgl. VwGH 27.9.2012, 2009/16/0181; 19.3.2015, 2011/16/0188; 30.1.2014, 2013/16/0199; 22.4.2015, 2013/16/0208), zumal der Vertreter auch nur verpflichtet ist, fällige Abgaben zu begleichen (vgl. etwa VwGH 31.12.2020, Ra 2020/13/0084).

27       Da die Kommunalsteuer jeweils monatliche Fälligkeiten aufweist, war von der Abgabenbehörde eine monatlich gegliederte Aufstellung zu übermitteln. Dies ist im vorliegenden Fall unterblieben. Es handelt sich hiebei um einen Verfahrensmangel, der aber entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts nicht zur ersatzlosen Behebung des Bescheides der Abgabenbehörde führen kann. Es ist vielmehr der Mangel im Zuge des Verfahrens zu beheben.

28       Gemäß § 269 Abs. 1 BAO haben im Beschwerdeverfahren die Verwaltungsgerichte die Obliegenheiten und Befugnisse, die den Abgabenbehörden auferlegt und eingeräumt sind.

29       Es ist Aufgabe des Bundesfinanzgerichts, alle erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen zu treffen, um das Bestehen oder Nichtbestehen einer Abgabenpflicht - oder hier: der geltend gemachten Haftung - zu beurteilen. Wenn die Ermittlungsergebnisse der Abgabenbehörde nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts für eine abschließende Beurteilung noch nicht ausreichen, liegt es daher am Bundesfinanzgericht, im Rahmen der amtswegigen Ermittlungspflicht (unter Beachtung der Mitwirkungspflichten des Abgabepflichtigen) als notwendig erachtete Ermittlungsschritte (etwa auch unter ergänzender Befragung der Betriebsprüfer oder auch Erteilung - bestimmter - Ermittlungsaufträge an eine vom Bundesfinanzgericht zu bestimmende Abgabenbehörde gemäß § 269 Abs. 2 BAO) zu setzen und nach Maßgabe der Grundsätze der freien Beweiswürdigung nach § 167 BAO in Auseinandersetzung mit den bisherigen Verfahrensergebnissen und den Parteienvorbringen den entscheidungswesentlichen Sachverhalt festzustellen (vgl. VwGH 27.4.2020, Ra 2020/15/0014). Wenn - wie hier - die Prüfung der Abgaben nicht durch die belangte Behörde erfolgte, wird es insbesondere nahe liegen, einen Ermittlungsauftrag an jene Abgabenbehörde zu richten, der die Tätigkeit der Prüfer zuzurechnen ist, oder den konkret tätig gewordenen Prüfer zu befragen.

30       Es war insbesondere (auch) Aufgabe des Bundesfinanzgerichts, nach Durchführung dieser Ermittlungen dem Mitbeteiligten eine monatliche Aufgliederung der Abgaben bekannt zu geben.

31       Eine derartige konkrete Aufgliederung übersteigt auch nicht die Sache des Verfahrens. Spruch des Haftungsbescheides ist die Geltendmachung der Haftung für einen bestimmten Abgabenbetrag einer bestimmten Abgabe. Damit wird die Sache des konkreten Haftungsverfahrens und auch der Rahmen für die Abänderungsbefugnis im Rechtsmittelverfahren festgelegt (vgl. VwGH 19.12.2002, 2001/15/0029, VwSlg. 7780/F; 27.2.2008, 2005/13/0099). Demnach dürfen vom Verwaltungsgericht zwar keine anderen Abgaben, keine anderen Zeiträume und auch kein höherer Gesamtbetrag zu Grunde gelegt werden; eine Aufgliederung auf die einzelnen Fälligkeiten des umfassten Zeitraums ist aber von der Abänderungsbefugnis des Bundesfinanzgerichtes nach § 279 Abs. 1 BAO umfasst (vgl. VwGH 24.1.2013, 2010/16/0169).

32       Die belangte Behörde (und revisionswerbende Partei) macht weiters geltend, seit dem Abgabenänderungsgesetz 2004, BGBl. I Nr. 180/2004, habe der Steuerschuldner nur mehr eine jährliche Bemessungsgrundlage bekannt zu geben (§ 11 Abs. 4 KommStG). Auch nach der Verordnung betreffend die Datenübermittlung im Zusammenhang mit der Prüfung lohnabhängiger Abgaben und Beiträge (BGBl. II Nr. 453/2002) werde lediglich die jährliche Bemessungsgrundlage übermittelt. Es sei der Abgabenbehörde daher nicht möglich, monatliche Bemessungsgrundlagen im Haftungsverfahren anzugeben.

33       Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass die Geltendmachung einer abgabenrechtlichen Haftung das Bestehen einer Abgabenschuld voraussetzt, nicht jedoch, dass diese Schuld dem Abgabenschuldner gegenüber auch bereits geltend gemacht wurde. Geht einem Haftungsbescheid ein Abgabenbescheid voran, so ist die Behörde daran gebunden und hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung an diesen Abgabenbescheid zu halten. Geht der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung hingegen kein Abgabenbescheid voran, so ist das Bestehen der Abgabenschuld und dessen Höhe als Vorfrage im Haftungsverfahren zu entscheiden (vgl. VwGH 28.6.2012, 2009/16/0075, mwN). Insbesondere ist bei Selbstbemessungsabgaben, zu denen noch kein Bescheid gemäß § 201 BAO oder gemäß § 202 BAO (oder hier: nach § 11 Abs. 3 KommStG) erlassen wurde, im Haftungsverfahren über den Abgabenanspruch abzusprechen (vgl. VwGH 20.11.2014, Ro 2014/16/0057).

34       Wenn auch nach § 201 Abs. 4 BAO innerhalb derselben Abgabenart die Festsetzung mehrerer Abgaben desselben Kalenderjahres (Wirtschaftsjahres) in einem Bescheid zusammengefasst erfolgen kann (nach früheren Landesabgabenordnungen auch für mehrere Jahre; vgl. zu § 150 NÖ AO 1977 VwGH 28.5.2008, 2005/15/0155; zu § 151 Abs. 2 TLAO VwGH 7.7.2011, 2009/15/0223; vgl. auch VwGH 21.10.2015, 2012/13/0085), so ist für das Haftungsverfahren - insbesondere zur Abgrenzung des Zeitraumes, für den eine Haftung besteht - eine Ermittlung der Abgabe für jeden Fälligkeitstag vorzunehmen (vgl. auch VwGH 7.7.2011, 2009/15/0223, zur gesonderten monatlichen Ermittlung für die Säumniszuschlagsfestsetzung; eine § 217 Abs. 10 BAO entsprechende Bestimmung enthielt die damals zu beurteilende Landesabgabenordnung nicht).

35       Kann aber die Bemessungsgrundlage für die Abgabenfestsetzung und damit auch für die Heranziehung zur Haftung (sowie für die Erstellung einer monatlich gegliederten Aufstellung der Abgaben) nicht ermittelt oder berechnet werden, so führt dies nicht zum Unterbleiben der Abgabenfestsetzung oder zum Unterbleiben der Heranziehung zur Haftung. Die Grundlagen für die Abgabenerhebung sind vielmehr nach § 184 Abs. 1 BAO zu schätzen.

36       Das angefochtene Erkenntnis war daher - im angefochtenen Umfang - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 26. Mai 2021

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020130073.L00

Im RIS seit

28.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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