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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §21 Abs7Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des D U in G, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 21/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. März 2021, L504 2236078-1/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit, stellte am 4. August 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005, den er damit begründete, dass er Mitglied der pro-kurdischen Partei HDP sei. Aus diesem Grund hätten Spezialeinheiten sein Haus durchsucht und Mitglieder seiner Familie festgenommen.
2 Mit Bescheid vom 15. September 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Erhebung einer Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesverwaltungsgericht sei durch die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) abgewichen. Der Revisionswerber habe sich in seiner Beschwerde substantiiert gegen die Beweiswürdigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gewendet und ausgeführt, dass dieses mittels Suggestivfragen seinen „Wunschsachverhalt“ konstruiert und keinen einzigen nachvollziehbaren Grund ins Treffen geführt habe, wieso es das Vorbringen des Revisionswerbers für nicht glaubhaft erachte. Weiters seien in der Beschwerde mehrere aktuelle Quellen genannt und zitiert worden, welche das Vorbringen des Revisionswerbers stützten. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde nicht nur unwesentlich ergänzt. Letztlich hätte der Revisionswerber im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu seiner politischen Einstellung und Tätigkeit und zur aktuellen Situation und politischen Einstellung seiner Familienangehörigen in der Türkei vernommen werden müssen.
8 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß dem - hier maßgeblichen - ersten Tatbestand des ersten Satzes des § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) („wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“) dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018 sowie aus der jüngeren Rechtsprechung VwGH 22.1.2021, Ra 2019/20/0618).
9 Dass das Bundesverwaltungsgericht von diesen Leitlinien abgewichen wäre, vermag die Revision in ihrem Zulassungsvorbringen nicht aufzuzeigen.
10 Schließt sich das Bundesverwaltungsgericht nicht nur der Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde an, sondern zeigt darüber hinaus in seiner Beweiswürdigung noch weitere bedeutsame Aspekte auf, mit welchen es die Widersprüchlichkeit des Vorbringens begründet, nimmt es damit eine zusätzliche Beweiswürdigung vor, die dazu führt, dass das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzt. Eine solche (ergänzende) Beweiswürdigung hat jedoch regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen (vgl. VwGH 26.5.2020, Ra 2019/20/0468, mwN).
11 Fallbezogen ist nicht ersichtlich, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt hätte. Entgegen dem Vorbringen in der Revision ist der Revisionswerber dem von der Behörde festgestellten Sachverhalt in der Beschwerde auch nicht substantiiert entgegengetreten. Wie schon das Bundesverwaltungsgericht in seinen Erwägungen zum Absehen von der Durchführung der mündlichen Verhandlung zu Recht ausgeführt hat, wurde in der Beschwerde nur allgemein darauf verwiesen, dass der Revisionswerber seine Fluchtgründe schlüssig geschildert habe und keine Widersprüche vorlägen, die seine Glaubwürdigkeit in Frage stellten. Auch wenn der Revisionswerber in der Beschwerde einige Länderberichte zitiert und auf die daraus ableitbaren Diskriminierungen und Verfolgungen der türkischen Kurden und HDP-Mitgliedern verwiesen hat, ist dabei ein Bezug zur konkreten Fluchtgeschichte des Revisionswerbers und einer allfälligen asylrelevanten Verfolgungsgefahr nicht hergestellt worden. Ebenso wenig ist in der Beschwerde ein konkretes, den Revisionswerber betreffendes Vorbringen zu seiner politischen Einstellung und Tätigkeit oder die seiner Familienangehörigen erstattet worden.
12 Soweit die Revision zur Untermauerung des gerügten Verstoßes gegen die Verhandlungspflicht geltend macht, das Bundesverwaltungsgericht habe die Beweiswürdigung der Behörde wesentlich ergänzt, indem es davon ausgegangen sei, dass den in der Beschwerde zitierten Berichten aus den Jahren 2015, 2016, 2018 und 2020 keine Entscheidungsrelevanz zukomme, keine weiteren Beweismittel vorgelegt worden seien, das UNHCR-Handbuch ein Hilfsmittel zur Rechtsauslegung sei und dem Beschwerdevorbringen hinsichtlich der Suggestivfragen seitens der Behörde nicht gefolgt werde, genügt es darauf hinzuweisen, dass damit eine Verletzung der oben dargestellten Leitlinien nicht aufgezeigt wird. Auch die beanstandete Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, die Identität des Revisionswerbers stehe nicht fest, ist im Übrigen hinsichtlich der in diesem Zusammenhang getroffenen weiteren Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie zur Religions- und Volkszugehörigkeit des Revisionswerbers mit jenen der Behörde ident.
13 Soweit der Revisionswerber Ermittlungsmängel anspricht, wird die Relevanz der bloß pauschal vorgeworfenen Verfahrensfehler nicht dargetan (vgl. zur Notwendigkeit der Relevanzdarstellung VwGH 9.3.2021, Ra 2021/20/0044, mwN).
14 Die Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflichten weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 16.10.2020, Ra 2020/20/0344, mwN). Die Revision lässt jedoch ebenso Ausführungen dazu vermissen, weshalb das Bundesverwaltungsgericht von der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen hätte ausgehen müssen.
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 28. Mai 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200159.L00Im RIS seit
25.06.2021Zuletzt aktualisiert am
06.07.2021