Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
ArbIG 1993 §23Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, in der Revision 1. des R in S, und 2. der P GmbH in W, beide vertreten durch Mag. Dr. Dirk Just, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Florianigasse 54, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 17. Dezember 2020, VGW-042/013/2618/2020, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Erstrevisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom 10. Jänner 2020 wurde dem Erstrevisionswerber als nach § 23 Arbeitsinspektionsgesetz für ein näher bestimmtes Bauvorhaben bestelltem verantwortlichen Beauftragten und somit zur Vertretung nach außen Berufenem der P GmbH mit Sitz in Wien zur Last gelegt, er habe zu verantworten, dass die P GmbH als Arbeitgeberin es unterlassen habe, an einer näher bezeichneten Arbeitsstätte Absturzsicherungen, Schutzeinrichtungen oder Abgrenzungen zu errichten, obwohl an dieser Arbeitsstätte eine näher ausgeführte Absturzgefahr bestanden habe und keine entsprechenden Schutzeinrichtungen gegen Absturz vorhanden bzw angebracht gewesen seien, und näher bestimmte Arbeitnehmer mit näher ausgeführten Arbeiten beschäftigt gewesen seien, obwohl gemäß § 7 Abs. 1 BauV an sonstigen Arbeitsplätzen, Standplätzen und Verkehrswegen bei mehr als 2,00 m Absturzhöhe Absturzsicherungen (§ 8 BauV), Abgrenzungen (§ 9 BauV) oder Schutzeinrichtungen (§ 10 BauV) anzubringen seien. Dadurch habe er § 7 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 2 Z 4 und § 7 Abs. 3 1. Satz BauV iVm § 118 Abs. 3 BauV und § 130 Abs. 5 Z 1 ASchG iVm § 23 ArbIG verletzt. Über ihn wurde je Arbeitnehmer eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Die Zweitrevisionswerberin hafte für diese Geldstrafen, sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen und die Verfahrenskosten gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur ungeteilten Hand.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die dagegen gerichtete Beschwerde des Erstrevisionswerbers abgewiesen und die Haftung der Zweitrevisionswerberin gemäß § 9 Abs. 7 VStG für die über den Erstrevisionswerber verhängte Geldstrafe, sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand ausgesprochen. Die Revision wurde für unzulässig erklärt. Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, dass die bestimmten Arbeitnehmer der Zweitrevisionswerberin unbestritten zur Tatzeit den ungesicherten Rand der Brücke in G betreten hätten, ohne die persönliche Schutzausrüstung anzulegen. Sie hätten dies aus Bequemlichkeit unterlassen. Dem Arbeitsinspektor folgend hätten die beiden und ein Dritter sich auch zur Absturzkante begeben und dort das Maßband ausgerollt. Ein geeignetes Kontrollsystem zur Verhinderung einer solchen Übertretung mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte der Erstrevisionswerber nicht dargetan, zumal gerade diese Arbeitnehmer die für die Einhaltung der Arbeitssicherheit Hauptverantwortlichen gewesen seien. Zum Beschwerdeeinwand der Unzuständigkeit der belangten Behörde verwies das Verwaltungsgericht auf das Erkenntnis VwGH 16.7.2020, Ra 2020/02/0095, in dem die exakt gleiche Fallkonstellation mit der gleichlautenden Bestellurkunde entschieden worden sei.
3 Gegen dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichts richtet sich die vorgelegte außerordentliche Revision.
4 Die belangte Behörde hat von einer inhaltlichen Revisionsbeantwortung abgesehen, auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen und beantragt, der Revision nicht stattzugeben.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Die Revision ist zulässig und auch begründet.
7 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes durch einerseits einen Spruchfehler, andererseits die örtliche Unzuständigkeit der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde geltend gemacht.
8 Zur Frage der Zuständigkeit hat das Verwaltungsgericht unter Verweis auf VwGH 16.7.2020, Ra 2020/02/0095, aufgrund des Sitzes der Arbeitgeberin (der Zweitrevisionswerberin) die Zuständigkeit des Magistrats der Stadt Wien angenommen. Laut Bestellungsurkunde wurde der Erstrevisionswerber nicht für die Zweigniederlassung der Zweitrevisionswerberin, sondern für ein (auch örtlich) näher bestimmtes Bauvorhaben als verantwortlicher Beauftragter bestellt. Im Gegensatz dazu wurde in dem in der Revision zitierten Erkenntnis VwGH 19.4.1994, 94/11/0055, von dem das Verwaltungsgericht abgewichen sein soll, der verantwortliche Beauftragte für eine bestimmte Filiale (einen Marktbetrieb) bestellt. In der ferner zitierten Entscheidung des VwGH 25.1.1994, 93/11/0227, dagegen wurde gerade der Unternehmenssitz als ausschlaggebender Ort für die Bestimmung der Zuständigkeit angenommen, da dort die Anweisungen zu erfolgen haben.
9 Wie das Verwaltungsgericht bereits hervorgehoben hat, hat der Verwaltungsgerichtshof im bereits zitierten Erkenntnis Ra 2020/02/0095 unter Verweis auf Vorjudikatur ausgesprochen, dass mangels rechtlicher Eigenständigkeit der Zweigniederlassungen diese keine verantwortlichen Beauftragten in ihrem Namen bestellen können; Rechtsträger ist der Inhaber des Gesamtunternehmens. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei Übertretungen von Arbeitnehmerschutzvorschriften als Ort, an dem die Übertretung begangen wurde, jener Ort anzusehen, an dem die gesetzlich gebotene Vorsorgehandlung unterlassen wurde. Dies ist der Sitz der Unternehmensführung, es sei denn, es wurde für einen Filialbetrieb eines Unternehmens ein verantwortlicher Beauftragter als Filialleiter bestellt, in diesem Fall ist der Standort der Filiale der Tatort. Dies ist der Bestellungsurkunde zufolge aber vorliegend nicht der Fall, vielmehr wurde der Erstrevisionswerber nicht für die Zweigniederlassung im Sinn einer konkreten Filiale, sondern für ein bestimmtes Bauvorhaben bestellt. Das Verwaltungsgericht ist somit nicht von Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wenn es zutreffender Weise von der Zuständigkeit der Behörde am gegenständlichen Unternehmenssitz (Wien) ausging.
10 Mit ihrem zweiten Einwand, dem Erstrevisionswerber werde in Abweichung von näher genannter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 44a Z 1 und 2 VStG spruchgemäß die Verletzung des § 118 Abs. 3 BauV vorgeworfen, wozu aber jegliche Tatumschreibung wie auch Feststellungen oder eine Begründung fehlten, zeigt die Revision aber eine Rechtswidrigkeit auf.
11 Der Beschuldigte hat ein subjektives Recht auf richtige und vollständige Zitierung der verletzten Verwaltungsvorschrift im Spruch des Straferkenntnisses; es ist ihm ein Rechtsanspruch darauf zuzubilligen, dass der Spruch des Straferkenntnisses die seine Strafbarkeit bewirkenden verletzten Verwaltungsvorschriften in einer Weise benennt, die ihn jeder Ungewissheit enthebt (vgl. VwGH 27.2.1995, 90/10/0162, und VwGH 18.2.1992, 92/07/0016). Werden im Rahmen des § 44a Z 2 VStG betreffenden Spruchteils neben der verletzten Strafnorm zur Verdeutlichung noch andere damit im Zusammenhang stehende, nicht eine selbstständige Strafnorm bildende Bestimmungen zitiert, so bildet dies aber keinen Verstoß gegen das Erfordernis der bestimmten Bezeichnung der verletzten Strafnorm (vgl. VwGH 21.12.1993, 93/04/0174, und VwGH 20.9.2001, 2001/07/0036, jeweils mwN).
12 Wird bei der Bezeichnung der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschrift eine Norm mitzitiert, die vom Beschuldigten nicht verletzt worden ist, kommt es darauf an, ob die mitzitierte Norm einen eigenen Tatbestand einer Verwaltungsübertretung bildet oder nicht. Stellt die mitzitierte Norm für sich allein keine verletzbare Verwaltungsvorschrift dar, sondern zB nur eine Erläuterung oder die damit im Zusammenhang stehende Strafsanktionsnorm, dann schadet das Mitzitieren nicht (vgl. VwGH 31.1.2000, 97/10/0139, und VwGH 9.9.1996, 95/10/0190). Bildet die mitzitierte Norm dagegen - wie im vorliegenden Fall - einen eigenen Tatbestand, den der Beschuldigte nicht erfüllt hat, wird der Spruch durch das Anführen dieser Norm als verletzte Verwaltungsvorschrift rechtswidrig (vgl. zB VwGH 24.1.2013, 2012/07/0030, mwN).
13 Die angelasteten Bestimmungen des § 7 Bauarbeiterschutzverordnung - BauV, BGBl. Nr. 340/1994 idF BGBl. I Nr. 77/2014, lauten:
„Absturzgefahr
§ 7. (1) Bei Absturzgefahr sind Absturzsicherungen (§ 8), Abgrenzungen (§ 9) oder Schutzeinrichtungen (§ 10) anzubringen.
(2) Absturzgefahr liegt vor:
[...]
4. an sonstigen Arbeitsplätzen, Standplätzen und Verkehrswegen bei mehr als 2,00 m Absturzhöhe.
(3) Müssen zur Durchführung von Arbeiten Absturzsicherungen (§ 8), Abgrenzungen (§ 9) oder Schutzeinrichtungen (§ 10) entfernt werden, sind geeignete andere Schutzmaßnahmen zu treffen, wie die Verwendung von persönlichen Schutzausrüstungen. [...]“
14 § 118 Abs. 3 BauV, BGBl. Nr. 340/1994, lautet:
„Abbruch durch Einschlagen
§ 118. [...]
(3) Die Schlagbewegung der Fallbirne ist so zu führen, daß die abgebrochenen Bauteile möglichst in das Innere des Bauwerkes fallen. Das Unterhöhlen und das Einschlagen von Bauteilen durch waagrechtes schlitzartiges Zertrümmern von Wänden und Pfeilern ist verboten.“
15 Dem Erstrevisionswerber wurde nach der Tatumschreibung des Spruchs die Verantwortung für die Nichteinhaltung bestimmter arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften zur Absturzsicherung (§ 7 BauV) vorgeworfen. Die Bestimmung des § 118 Abs. 3 BauV, deren Verletzung ihm ebenfalls („in Verbindung mit“) spruchgemäß vorgeworfen wurde, ohne dass dazu weitere Tatumschreibungen im Spruch vorgenommen wurden oder in der Begründung Ausführungen getroffen wurden, enthält klar ein eigenes Tatbild, nämlich Vorschriften zu Abbrucharbeiten mittels einer Abrissbirne. Dadurch, dass das Verwaltungsgericht diesen Spruchfehler nicht korrigiert hat, hat es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit belastet.
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Vorbringen in den Revisionsgründen. Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 28. Mai 2021
Schlagworte
Allgemein Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Mängel im Spruch unvollständige Angabe der verletzten Verwaltungsvorschrift Rechtsfähigkeit ParteifähigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021020092.L00Im RIS seit
23.11.2021Zuletzt aktualisiert am
23.11.2021