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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §37Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des Landeshauptmanns von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 7. Juni 2018, VGW-151/063/769/2018-12, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: M M, vertreten durch Mag. Stefan Errath, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art.133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
2. Mit Bescheid vom 6. November 2017 wies der Landeshauptmann von Wien (Revisionswerber) den (Erst)Antrag des Mitbeteiligten, eines im Jahr 1994 geborenen serbischen Staatsangehörigen, auf (neuerliche) Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ gemäß § 63 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
3.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 7. Juni 2018 gab das Verwaltungsgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - Folge und erteilte die beantragte Aufenthaltsbewilligung für die Dauer von zwölf Monaten.
Das Verwaltungsgericht führte in den Entscheidungsgründen - soweit hier von Bedeutung - aus, der Mitbeteiligte erfülle sämtliche Erteilungsvoraussetzungen. Was den Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG betreffe, so liege dieser schon deshalb nicht vor, weil keine Inlandsantragstellung im Sinn des § 21 Abs. 6 NAG erfolgt sei, sondern der Antrag im Ausland eingebracht worden sei. Darüber hinaus habe auch keine Überschreitung des erlaubten sichtvermerksfreien Aufenthalts des Mitbeteiligten festgestellt werden können.
3.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung ausgeführt wird:
Es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu der Frage, ob § 11 Abs. 1 Z 5 NAG auch dann anwendbar sei, wenn - wie vorliegend - ein Fremder trotz Berechtigung zur Inlandsantragstellung (hier gemäß § 21 Abs. 2 Z 5 NAG) den Antrag im Ausland gestellt habe, in der Folge aber eingereist sei, den Verfahrensausgang im Inland abgewartet und dabei die sichtvermerksfreie Zeit überschritten habe.
Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, die sichtvermerksfreie Zeit wäre nicht überschritten worden, sei nicht nachvollziehbar. Der Mitbeteiligte sei zuletzt am 3. März 2018 in das Bundesgebiet eingereist, die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung sei mit der Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses am 13. Juni 2018 erfolgt, sodass „die Prüfung einer Überschreitung der sichtvermerksfreien Zeit entscheidungsrelevant“ sei.
4.2. Eine Revisionsbeantwortung wurde - im eingeleiteten Vorverfahren - nicht erstattet.
5.1. Gemäß § 11 Abs. 1 Z 5 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nicht erteilt werden, wenn eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 NAG vorliegt.
Gemäß § 21 Abs. 6 NAG schafft eine Inlandsantragstellung nach Abs. 2 Z 1, Z 4 bis 10, Abs. 3 und 5 kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht.
5.2. Der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG setzt somit unter anderem voraus, dass die Dauer des sichtvermerksfreien Aufenthalts im Bundesgebiet überschritten wurde (vgl. etwa VwGH 28.5.2019, Ro 2016/22/0016, mwN).
Vorliegend traf das Verwaltungsgericht freilich die ausdrückliche negative Feststellung, dass eine Überschreitung des erlaubten sichtvermerksfreien Aufenthalts des Mitbeteiligten in Österreich nicht festgestellt werden könne.
5.3. Schon im Hinblick auf diese Tatsachenfeststellung ist jedoch der Tatbestand des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG nicht erfüllt, zumal eine Überschreitung des erlaubten sichtvermerksfreien Aufenthalts nicht festgestellt werden konnte.
Auf die vom Revisionswerber aufgeworfene Rechtsfrage - ob die genannte Bestimmung auch dann anwendbar sei, wenn der Fremde trotz Berechtigung zur Inlandsantragstellung (§ 21 Abs. 2 Z 5 NAG) den Erstantrag im Ausland gestellt habe, in der Folge aber in das Bundesgebiet eingereist sei, den Verfahrensausgang im Inland abgewartet und dabei die sichtvermerksfreie Zeit überschritten habe - kommt es nicht (mehr) an.
Für die Beurteilung bloß abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht zuständig (vgl. etwa VwGH 21.3.2017, Ra 2017/22/0017).
6.1. Soweit der Revisionswerber die - ausschließlich dem Tatsachenbereich zuzuordnende (vgl. OGH RIS-Justiz RS0043592) - negative Feststellung, dass eine Überschreitung des erlaubten sichtvermerksfreien Aufenthalts nicht festgestellt werden könne, bekämpft, ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist (vgl. etwa VwGH 8.10.2019, Ra 2019/22/0185).
Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es um die Schlüssigkeit - nicht die konkrete Richtigkeit - der würdigenden Erwägungen sowie darum geht, ob die gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt wurden (VwGH 11.2.2016, Ra 2016/22/0001).
Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. VwGH 31.3.2021, Ra 2018/22/0162).
6.2. Vorliegend hält die Beweiswürdigung einer Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nach den aufgezeigten Kriterien stand.
Das Verwaltungsgericht traf die Feststellungen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf Basis der aufgenommenen Beweise. Es legte dabei die wesentlichen Erwägungen für die Beweiswürdigung zwar kurz, aber noch hinreichend nachvollziehbar dar. Es kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise erfolgt wäre.
6.3. Das Verwaltungsgericht hob insbesondere hervor, dass es die zeugenschaftlichen Angaben des Großvaters des Mitbeteiligten als glaubwürdig und unbedenklich erachte.
Der Großvater hat aber ausdrücklich versichert, dass der Mitbeteiligte während seiner bereits mehrjährigen Ausbildung am Konservatorium, wenn er gerade keinen Aufenthaltstitel hatte, zwischendurch immer wieder zu seinen Eltern nach Serbien gefahren sei. Im Hinblick auf das jahrelange rechtskonforme Verhalten konnte das Verwaltungsgericht davon ausgehen, dass ein Überschreiten des sichtvermerksfreien Zeitraums auch nach der visumfreien Einreise am 3. März 2018 nicht vorliege.
Die im Blick stehende Feststellung und die ihr zugrunde liegende Beweiswürdigung begegnen daher keinen Bedenken.
Auch der Revisionswerber legt mit dem Vorbringen, wonach „die Prüfung einer Überschreitung der sichtvermerksfreien Zeit entscheidungsrelevant“ sei, in keiner Weise dar, dass bzw. inwiefern Bedenken gegen die Beweiswürdigung bestünden.
7. Nicht zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass § 11 Abs. 1 Z 5 NAG als Versagungsgrund konzipiert ist, sodass es Sache der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts ist, Anhaltspunkte für eine Überschreitung der Dauer des erlaubten Aufenthalts darzutun (vgl. VwGH 20.12.2019, Ra 2017/22/0221).
Dies ist vorliegend freilich nicht geschehen.
8. Insgesamt wird daher - in der maßgeblichen gesonderten Zulässigkeitsbegründung (vgl. VwGH 21.3.2017, Ra 2015/22/0147) - keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
Die Revision war deshalb gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 31. Mai 2021
Schlagworte
Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweislast Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensmangel Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018220181.L00Im RIS seit
25.06.2021Zuletzt aktualisiert am
28.07.2021