TE Vwgh Beschluss 2021/6/7 Ra 2021/18/0176

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Veröffentlicht am 07.06.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §19
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/18/0177
Ra 2021/18/0178
Ra 2021/18/0179
Ra 2021/18/0180

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision von 1. L I, 2. E S, 3. N I, 4. D I, und 5. G I, alle vertreten durch Dr. Manfred Fuchsbichler, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Traunaustraße 23/8/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. November 2020, 1. L515 2151436-3/38E, 2. L515 2151439-3/19E, 3. L515 2151438-3/14E, 4. L515 2151433-3/14E und 5. L515 2204190-2/14E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die revisionswerbenden Parteien, alle georgische Staatsangehörige, sind Mitglieder einer Familie (der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind Ehegatten, die Drittrevisionswerberin und die in Österreich geborenen Viert- und Fünftrevisionswerber sind ihre gemeinsamen minderjährigen Kinder).

2        Sie beantragten am 30. September 2015 bzw. im November 2015 und im November 2017 (nach der Geburt des Viert- und Fünftrevisionswerbers) internationalen Schutz. Zu ihren Fluchtgründen gaben sie an, der Erstrevisionswerber sei mehrmals von seinem Wohnort in Zentralgeorgien nach Abchasien zu dort lebenden Verwandten (zur Schwester seiner Mutter sowie deren prominentem Ehemann, ein wohlhabender und einflussreicher Geschäftsmann) gereist, woraufhin ihn die zentralgeorgischen Behörden aufgefordert hätten, Spionage für die Regierung zu betreiben. Dies habe der Erstrevisionswerber verweigert, weshalb er und die Zweitrevisionswerberin in der Folge erheblichen staatlichen Repressalien ausgesetzt gewesen seien.

3        Nachdem frühere Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom März 2017 und vom August 2018 zur Entscheidung über diese Anträge aufgrund von Beschwerden der revisionswerbenden Parteien vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückverwiesen worden waren, wies das BFA - nach Ergänzung des Ermittlungsverfahrens - mit Bescheiden vom 13. Februar 2019 diese Anträge abermals zur Gänze ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Georgien zulässig sei, und setzte jeweils eine Frist für ihre freiwillige Ausreise.

4        Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

5        Das BVwG gelangte, was die Nichtzuerkennung von Asyl betrifft, zu der Feststellung, dass die revisionswerbenden Parteien nicht den von ihnen behaupteten Gefährdungen ausgesetzt gewesen seien bzw. nach einer Rückkehr nach Georgien ausgesetzt wären. Insbesondere habe der Erstrevisionswerber in Abchasien keine prominenten Verwandten und sei nicht von zentralgeorgischen Behörden aufgefordert worden, Spionage zu betreiben. Auch subsidiärer Schutz sei - nicht zuletzt, weil es sich bei Georgien um einen sicheren Herkunftsstaat gemäß § 19 BFA-VG handle - nicht zu gewähren. Betreffend die Rückkehrentscheidung legte das BVwG dar, weshalb es davon ausgehe, dass den Kindern eine Ansiedlung in Georgien gemeinsam mit den Eltern zumutbar sei und dass sie sich dort aufgrund ihres anpassungsfähigen Alters und der vorhandenen familiären Anbindungen integrieren könnten.

6        Dagegen erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung mit Beschluss vom 23. Februar 2021, E 130-134/2021-8, abgelehnt und die dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde.

7        Die vorliegende außerordentliche Revision macht zur Zulässigkeit geltend, das BVwG habe keine umfassenden fallbezogenen Länderfeststellungen zu den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in Georgien getroffen, sondern nur ein oberflächliches Ermittlungsverfahren geführt. Die Revision wendet sich weiters gegen die Beweiswürdigung und sieht ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere darin, dass sich das BVwG auf Widersprüche der Angaben des Erstrevisionswerbers in der polizeilichen Erstbefragung zu den Fluchtgründen gegenüber jenen in der Einvernahme vor dem BFA gestützt habe. Gegen die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz bringt die Revision vor, dass keine Auseinandersetzung mit den persönlichen Verhältnissen der revisionswerbenden Parteien in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage stattgefunden habe. Im Zusammenhang mit den Rückkehrentscheidungen habe das BVwG keine ausreichenden Ermittlungen zur Lebenssituation der minderjährigen revisionswerbenden Parteien in Österreich und Georgien vorgenommen und die Abwägung der Interessen nicht im Rahmen der vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Grundsätze vorgenommen, weil es Aspekte wie das Kindeswohl und die lange Aufenthaltsdauer nicht berücksichtigt habe.

8        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       Dem Revisionsvorbringen, es sei kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zum Fluchtvorbringen geführt und der Verpflichtung zur umfassenden amtswegigen Ermittlung des relevanten Sachverhalts nicht entsprochen worden, ist zu entgegnen, dass das BVwG nicht nur eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt hat, während derer es den Erstrevisionswerber zu den Ein- und Ausreisen nach Abchasien, zu den behaupteten Verwandtschaftsbeziehungen zu einer dort lebenden prominenten Person (einem einflussreichen Geschäftsmann) und zum Vorbringen, die zentralgeorgischen Behörden hätten ihn als Spion gewinnen wollen, eingehend befragt hat, sondern darüber hinaus zahlreiche weitere Ermittlungsschritte gesetzt hat. Das BVwG hat insbesondere durch einen Verbindungsbeamten des Bundesministeriums für Inneres sowie durch einen Attaché der österreichischen Botschaft in Tiflis Recherchen unmittelbar in Georgien durchführen lassen, die etwa ergaben, dass eine Schwester der Mutter des Erstrevisionswerbers - nach dem Vorbringen die Ehefrau des prominenten Onkels des Erstrevisionswerbers in Abchasien - in keinem Register aufscheine. Dass das BVwG in diesem Zusammenhang im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht nicht noch weitere Ermittlungsschritte gesetzt hat, hält als einzelfallbezogen zu treffende Beurteilung dem diesbezüglichen Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes für das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (diese Beurteilung darf nicht grob fehlerhaft erfolgt sein, vgl. VwGH 17.12.2020, Ra 2020/18/0480, mwN) stand, zumal die Revision dieser Beurteilung bloß mit dem unspezifischen Vorbringen entgegentritt, es hätten umfassende fallbezogene Länderfeststellungen zu den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in Georgien, insbesondere zum Abchasien-Konflikt, angestellt werden müssen.

13       Soweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung, insbesondere gegen die Einbeziehung von Widersprüchen der Angaben des Erstrevisionswerbers in der polizeilichen Erstbefragung zu den Fluchtgründen gegenüber jenen in der Einvernahme vor dem BFA wendet, ist einzuräumen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben hat, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl hat der Verwaltungsgerichtshof aber betont, dass es nicht generell unzulässig ist, sich etwa auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 4.2.2021, Ra 2021/18/0010, mwN). Die Revision bezieht sich konkret auf den Umstand, dass das BVwG in der Beweiswürdigung darauf hingewiesen hat, dass der Erstrevisionswerber in der Erstbefragung ausgesagt habe, ihm sei durch georgische Behörden vorgeworfen worden, ein Spion zu sein, in der Einvernahme vor dem BFA jedoch angegeben habe, es sei eine Aufforderung ergangen, für die georgischen Behörden zu spionieren. Eine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung (zum diesbezüglichen Maßstab für das Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vgl. etwa VwGH 11.3.2021, Ra 2021/18/0059) tut die Revision mit diesem Hinweis allerdings schon deshalb nicht dar, weil das BVwG die Annahme der Unglaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens keineswegs tragend auf diesen Widerspruch gestützt hat, sondern - wie oben angeführt - zahlreiche weitere Ermittlungsschritte gesetzt und etwa den Umstand, dass entgegen dem Vorbringen keine Tante des Erstrevisionswerbers aufzufinden sei, die mit einem einflussreichen Geschäftsmann in Abchasien verheiratet wäre, in die Beweiswürdigung einbezogen hat.

14       Gegen die Nichtgewährung subsidiären Schutzes bringt die Revision vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es keine „ganzheitliche Bewertung der Gefahren“ durchgeführt habe. Es habe nicht berücksichtigt, dass die revisionswerbenden Parteien in Georgien über kein soziales Netz verfügen würden und sie im Fall einer Rückkehr über keine Unterkunft und „Unterhaltsmöglichkeiten“ verfügen würden.

15       Dem ist zu entgegnen, dass sich die Revision damit vom festgestellten Sachverhalt entfernt, denn das BVwG stellte - unter Hinweis darauf, dass es sich bei der Republik Georgien um einen sicheren Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG handle - fest, dass in Georgien von einer unbedenklichen Sicherheitslage und von der Wahrung der Menschenrechte auszugehen sei. Die Grundversorgung der Bevölkerung sei gesichert, eine soziale Absicherung bestehe auf niedrigem Niveau, die medizinische Grundversorgung sei flächendeckend gewährleistet. Rückkehrer hätten mit keinen Repressalien zu rechnen. Es bestehe ein staatliches Rückkehrprogramm, das auch die Zurverfügungstellung einer Unterkunft nach der Ankunft in Georgien umfasse.

16       Die vor diesem Hintergrund ausgesprochene Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz lässt entgegen dem Revisionsvorbringen keine mangelnde „ganzheitliche Bewertung der Gefahren“ erkennen. Das BVwG geht vielmehr in unbedenklicher Weise davon aus, dass die revisionswerbenden Parteien keine fallbezogenen spezifischen Umstände dargelegt haben, die im Fall der Rückführung ungeachtet der mit der Festlegung Georgiens als sicherer Herkunftsstaat verbundenen gesetzlichen Vermutung (vgl. dazu etwa VwGH 25.6.2020, Ra 2019/18/0441, mwN) eine Verletzung geschützter Rechte (hier: der durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte) der revisionswerbenden Parteien mit sich bringen würden.

17       Schließlich trifft der in der Revision gegen die Rückkehrentscheidungen erhobene Vorwurf, das BVwG sei von den von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Grundsätzen abgewichen, weil die Interessen der revisionswerbenden Parteien am weiteren Verbleib in Österreich - die Revision spricht in diesem Zusammenhang insbesondere die Interessenlage der minderjährigen Kinder an - in der vom BVwG vorgenommenen Abwägung nicht ausreichend berücksichtigt worden seien, nicht zu:

18       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. § 9 BFA-VG vorzunehmenden Abwägung auch das Kindeswohl der minderjährigen revisionswerbenden Parteien in Betracht zu ziehen. Dabei sind insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen die Kinder im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (vgl. etwa VwGH 5.5.2021, Ra 2021/18/0050 bis 0053, mwN).

19       Das BVwG stellte fest, dass in Georgien nach wie vor Familienangehörige leben, zu denen noch Kontakt bestehe, und dass im Familienverband georgisch gesprochen werde. Es erwog, dass sich die in den Jahren 2013, 2015 und 2017 geborenen minderjährigen revisionswerbenden Parteien allesamt im anpassungsfähigen Alter befänden. Das BVwG berücksichtigte zudem die Deutschkenntnisse der minderjährigen revisionswerbenden Parteien sowie ihre Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet.

20       Das BVwG hat sich daher mit der Situation der minderjährigen revisionswerbenden Parteien sowohl in Bezug auf die Verhältnisse in Österreich, als auch in Bezug auf die Verhältnisse bei einer Rückkehr nach Georgien befasst. Das dabei erzielte Ergebnis, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen auch aus der Sicht des Kindeswohls zulässig seien, ist vor allem angesichts des anpassungsfähigen Alters und der vorhandenen familiären Bezüge in Georgien nicht als unvertretbar anzusehen.

21       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 7. Juni 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180176.L00

Im RIS seit

30.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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