TE Vwgh Beschluss 2021/6/7 Ra 2021/18/0170

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Veröffentlicht am 07.06.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M P, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. August 2020, W203 2182728-1/8E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Parwan, stellte am 11. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er insbesondere mit einer Verfolgung durch die Taliban nach Streitigkeiten zwischen seiner Familie und einem Taliban-Kommandanten um Grundstücke begründete.

2        Mit Bescheid vom 24. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Begründend führte das BVwG unter anderem aus, dass die vom Revisionswerber vorgebrachte Verfolgung durch die Taliban lediglich auf einer privaten Auseinandersetzung aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten beruhe, die in keinem Zusammenhang mit einer etwaigen unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung stehe, und somit nicht unter einen der in der Genfer Flüchtlingskonvention abschließend genannten Gründe zu subsumieren sei, weshalb eine Asylgewährung nicht in Betracht komme. Im Zusammenhang mit der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz verwies das BVwG den Revisionswerber zwar nicht auf eine Rückkehr in seine als nicht ausreichend sicher erkannte Heimatprovinz Parwan, jedoch auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif. Die Rückkehrentscheidung stützte das BVwG auf eine Interessenabwägung, der zufolge das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Revisionswerbers in Österreich seine privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich überwöge.

5        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 23. Februar 2021, E 171/2021-5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

6        Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das BVwG habe gegen den Grundsatz der materiellen Wahrheit und gegen die Offizialmaxime verstoßen. Es hätte sich mit dem Fluchtvorbringen auseinandersetzen, amtswegige Erhebungen im Herkunftsstaat durchführen sowie die tatsächlichen Gegebenheiten dahingehend prüfen müssen, ob der Revisionswerber bei einer Rückkehr auf ein soziales Netz zurückgreifen könne und ob tatsächlich eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Zudem seien die aktuellen Länderberichte, insbesondere hinsichtlich der Dürre im Jahr 2018 in Mazar-e Sharif und Herat, nicht berücksichtigt worden und eine Würdigung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die afghanische Gesellschaft sei nicht erfolgt. Schließlich habe das BVwG im Rahmen seiner Rückkehrentscheidung keine Gesamtabwägung der in § 9 BFA-VG angeführten Kriterien vorgenommen.

7        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Werden - wie in der vorliegenden Revision - Feststellungs-, Ermittlungs- und Begründungsmängel und somit Verfahrensfehler als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 22.2.2021, Ra 2020/18/0537, mwN).

12       Im Zusammenhang mit der Behauptung des Verstoßes gegen den Grundsatz der materiellen Wahrheit und gegen die Offizialmaxime sowie mit der Behauptung der mangelnden Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Revisionswerbers erhebt die Revision etwa den - nicht näher ausgeführten - Vorwurf, das BVwG habe dem Revisionswerber „unterstellt“, ein junger, gesunder und arbeitsfähiger alleinstehender Mann zu sein, dem in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Abgesehen davon, dass das BVwG Kabul gar nicht als innerstaatliche Fluchtalternative angeführt hat, legt die Revision damit nicht konkret dar, welche anderen Feststellungen zu treffen gewesen wären. Dasselbe gilt für das Vorbringen, das BVwG hätte prüfen müssen, „ob“ der Revisionswerber im Falle einer Rückkehr auf ein soziales Netz zurückgreifen könnte, das ihn „in Zeiten einer Pandemie“ ausreichend unterstützen könnte. Die Revision kritisiert eine lückenhafte Auseinandersetzung des BVwG mit der derzeit herrschenden COVID-19-Pandemie und deren Auswirkungen in Afghanistan, legt aber keinen konkreten Sachverhalt dar, dem zufolge der Revisionswerber bei einer Rückkehr derart gefährdet wäre, dass er internationalen Schutzes bedürfte.

13       Der Vorwurf, das BVwG habe Länderberichte betreffend die Dürre im Jahr 2018 in Mazar-e Sharif und Herat nicht berücksichtigt und insgesamt gegen die Verpflichtung zur Heranziehung aktueller Länderberichte verstoßen, übergeht den Umstand, dass sich das BVwG auf Länderberichte mit Stand April 2020 bezogen hat.

14       Soweit sich die Revision gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung mit dem Vorbringen wendet, das BVwG habe ohne Gesamtabwägung bloß einzelne „Integrationsgründe und Umstände“ herausgegriffen, um das Überwiegen des öffentlichen Interesses zu begründen, versäumt sie es, konkret jene Umstände zu bezeichnen, die unberücksichtigt geblieben wären oder denen zu viel Gewicht beigemessen worden wäre. Die Revision vermag daher nicht aufzuzeigen, dass das BVwG seine Interessenabwägung in einer unvertretbaren Weise vorgenommen hätte oder die Gewichtung der einbezogenen Umstände den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien (vgl. etwa VwGH 29.3.2021, Ra 2021/18/0071, mwN) widerspräche.

15       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 7. Juni 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180170.L00

Im RIS seit

30.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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