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19/05 MenschenrechteNorm
AsylG 2005 §55Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des H A, vertreten durch MMag. Marion Battisti, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. März 2021, G312 2190008-1/14E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 11. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zusammengefasst damit begründete, als der arabischen Volksgruppe zugehöriger Sunnit von einer unbekannten schiitischen Miliz entführt und gefoltert worden zu sein.
2 Mit Bescheid vom 14. Februar 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
4 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen geltend gemacht, dass das BVwG eine unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen habe, weil es das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers trotz gleichbleibender Angaben nicht als glaubhaft erachtet habe, obwohl sich aus Länderberichten ergebe, dass sunnitisch-arabische Männer - wie der Revisionswerber - im kampffähigen Alter kollektiv verdächtigt werden würden, mit dem Islamischen Staat (IS) verbunden zu sein oder diesen zu unterstützen. Zudem habe das BVwG im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung seine Begründungspflicht im Rahmen der nach Art. 8 EMRK vorzunehmenden Interessenabwägung verletzt, weil es die Einstellungszusage für den Revisionswerber sowie dessen familienähnliches Verhältnis zu einer österreichischen Familie und seine mehr als fünfjährige Aufenthaltsdauer nicht berücksichtigt habe. Das BVwG sei zudem von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es nicht erhoben habe, ob sich der Revisionswerber im Falle der Rückkehr eine Existenzgrundlage sichern könne.
5 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Soweit sich die Revision gegen die vom BVwG vorgenommene Beweiswürdigung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vorliegt, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 29.3.2021, Ra 2021/18/0095, mwN).
10 Das BVwG setzte sich in seiner umfangreichen Beweiswürdigung eingehend mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers auseinander und legte ausführlich dar, weshalb es davon ausgehe, dass dieses nicht glaubhaft sei. Insbesondere leitete das BVwG die Unglaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens aus dem Umstand ab, dass der Revisionswerber die behauptete Entführung und Folterung durch eine schiitische Miliz lediglich vage und oberflächlich und nicht von sich aus im Rahmen einer freien Erzählung schildern habe können. Die Revision vermag die Vertretbarkeit dieser Beweiswürdigung mit dem Vorbringen, der Revisionswerber habe ein immer gleichbleibendes Vorbringen erstattet, das auch mit den Länderberichten übereinstimme, nicht zu erschüttern.
11 Was die Rückkehrentscheidung betrifft, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 29.3.2021, Ra 2021/18/0071, mwN).
12 Soweit die Revision den bereits - knapp - über fünfjährigen Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich ins Treffen führt, ist zu entgegnen, dass der Verwaltungsgerichtshof (zu einem mehr als fünfjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet) bereits festgehalten hat, dass das persönliche Interesse am Verbleib im Bundesgebiet zwar grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt, die bloße Aufenthaltsdauer jedoch nicht allein maßgeblich ist, sondern vor allem anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen ist, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. etwa VwGH 24.3.2021, Ra 2021/01/0086, mwN).
13 Das BVwG ist nicht lediglich aufgrund der Aufenthaltsdauer von einem Überwiegen der öffentlichen Interessen an einer Beendigung des Aufenthalts gegenüber den privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich ausgegangen, sondern hat eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der fallbezogen relevanten Umstände vorgenommen und dabei auch zu Recht in seine Erwägungen einbezogen, dass es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn - wie hier - integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 11.11.2020, Ra 2020/18/0432, mwN).
14 Das BVwG verschaffte sich im Zuge der Durchführung einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber und kam anhand der festgestellten Umstände zum Ergebnis, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben des Revisionswerbers darstelle. Fallbezogen ist nicht ersichtlich, dass die in der Revision hervorgehobenen Aspekte, nämlich die Einstellungszusage und das familienähnliche Verhältnis zu einer österreichischen Familie zur Beurteilung führen hätten müssen, dass die privaten Interessen des Revisionswerbers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich überwiegen würden (vgl. dazu im Zusammenhang mit der Selbsterhaltungsfähigkeit VwGH 28.11.2019, Ra 2019/18/0457 und 0458, mwN).
15 Es trifft zu, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, bei der Interessenabwägung Bedeutung zukommen kann. Derartiges hat freilich im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung nicht in jeder Konstellation Relevanz. Wie der Verwaltungsgerichtshof in mehreren (mit dem vorliegenden vergleichbaren) Fällen zum Ausdruck gebracht hat, vermögen in einem Fall wie dem hier vorliegenden Schwierigkeiten, die der Fremde beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland begegnen wird, das Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern sind vielmehr - letztlich auch als Folge des seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens seines Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 12.3.2021, Ra 2020/19/0440, mwN).
16 Es entspricht zwar der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass auch der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, im Rahmen der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) Bedeutung zukommen kann. Die Revision übersieht jedoch, dass das BVwG unter Zugrundelegung der Erwägungen zum subsidiären Schutz von der Möglichkeit der Schaffung einer solchen ausgegangen ist (vgl. VwGH 3.7.2020, Ra 2019/14/0608, mwN).
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 7. Juni 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180167.L00Im RIS seit
30.06.2021Zuletzt aktualisiert am
20.07.2021