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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §45 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Pürgy und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des A A S, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 21, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Oktober 2020, I415 2163373-1/28E, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 13. Oktober 2020, I415 2163373-1/31Z, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 9. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, wegen seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit von der schiitischen Miliz der Spionage für den sogenannten „Islamischen Staat“ verdächtigt und bedroht worden zu sein. Im weiteren Verfahrensverlauf brachte der Revisionswerber überdies vor, dass sein Vater - nachdem sich der Revisionswerber trotz Ultimatums den Behörden nicht gestellt habe - durch eine an der Haustür angebrachte Bombe verletzt worden sei und einen Teil seines Fußes verloren habe. In seiner Abwesenheit sei der Revisionswerber zum Tode verurteilt worden, wobei das Strafurteil in einer näher genannten amtlichen Zeitung veröffentlicht und der Revisionswerber daraufhin von seiner Familie verstoßen worden sei. In der Folge habe die Polizei seinen Schwager mit dem Revisionswerber verwechselt und irrtümlich (vorübergehend) festgenommen.
2 Mit Bescheid vom 14. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer Verhandlung hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des Bescheides betreffend die Abweisung des Antrags bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, gab ihr aber hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. statt, stellte fest, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und erteilte dem Revisionswerber einen Aufenthaltstitel. Zudem sprach es aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Im Rahmen seiner Beweiswürdigung ging das BVwG von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens aus. Selbst bei Wahrunterstellung einer Verfolgung durch die Polizei sei eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative für den Revisionswerber gegeben.
4 Mit Beschluss vom 25. Februar 2021, E 4032/2020-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revision, die sich gegen den abweisenden Spruchpunkt des Erkenntnisses des BVwG richtet, bringt zur Zulässigkeit ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum Grundsatz der freien Beweiswürdigung vor: Das BVwG habe wesentliche Teile des Vorbringens sowie Beweismittel außer Acht gelassen und willkürlich die Authentizität des vorgelegten Todesurteiles in Zweifel gezogen, ohne einen nichtamtlichen Sachverständigen mit der Überprüfung der Echtheit des Urteils zu befassen. Das BVwG habe seine Zweifel an der Authentizität des Urteils auch nicht dem Revisionswerber angezeigt, wodurch diesem verwehrt geblieben sei, dazu Stellung zu nehmen. Die Annahme des BVwG, wonach die „Entscheidungsrelevanz“ des Todesurteils sowie des (ebenfalls vorgelegten) Arztbriefes über die Verletzungen des Vaters nach dem Bombenattentat schon deswegen nicht gegeben sei, weil gemäß den Länderfeststellungen jedes irakische Dokument gegen Entgelt beschafft werden könne, stelle eine unzulässige antizipative Beweiswürdigung dar. Außerdem habe das BVwG verkannt, dass sich die bloße Berufung auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung und späteren Einvernahmen nicht ausreiche, um die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens begründen zu können.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 25.3.2021, Ra 2021/19/0025, mwN).
Das BVwG gelangte nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffte, im Rahmen einer umfangreichen Beweiswürdigung zum Ergebnis, dass das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nicht glaubwürdig sei. Es setzte sich mit den Aussagen des Revisionswerbers und den von ihm vorgelegten Beweismitteln auseinander und bezog weitere Rechercheergebnisse, wie eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation sowie eine Auskunft des Vertrauensanwalts der österreichischen Botschaft in Amman über eine allfällige Praxis der Veröffentlichung von Gerichtsurteilen in Print- oder Online-Medien, in die Beweiswürdigung mit ein. Das BVwG legte im Detail dar, aus welchen Gründen es die im Laufe des Verfahrens gemachten Angaben des Revisionswerbers zu seinen Fluchtgründen als gesteigert erachtete. Dabei konstatierte es die Steigerung des Fluchtvorbringens nicht bloß zwischen der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA, sondern auch im Verlauf des gesamten Verfahrens, wie im Hinblick auf das Vorbringen in der Beschwerdeergänzung und die Aussagen des Revisionswerbers in der Verhandlung vor dem BVwG (zur Judikatur über die - unter gewissen Voraussetzungen zulässige - Bezugnahme auf eine Steigerung des Vorbringens zwischen der Erstbefragung und der weiteren Einvernahme vgl. VwGH 5.2.2021, Ra 2020/19/0322, mwN, sowie 30.11.2020, Ra 2020/19/0376, mwN). Darüber hinaus stützte sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung auch auf weitere, für sich tragende Erwägungen, wenn es den behaupteten Grund für den Spionageverdacht gegen den Revisionswerber als außerhalb jeglicher Lebenserfahrung wertete.
10 Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das BVwG den Beweiswert des vorgelegten Todesurteiles auch nicht allein wegen des Umstands, dass unechte bzw. unrichtige Dokumente im Herkunftsstaat des Revisionswerbers relativ einfach gegen Entgelt erhältlich seien, sondern aufgrund von weiteren Ungereimtheiten relativiert, wie der behaupteten Veröffentlichung des Urteils in einer amtlichen Zeitung, obwohl die vom Revisionswerber angegebene Internetseite den Charakter einer amtlichen Zeitung habe vermissen lassen und gemäß der Auskunft des Vertrauensanwaltes der österreichischen Botschaft eine Publikation von Strafurteilen nicht üblich sei. Eine antizipierende Beweiswürdigung ist insofern nicht ersichtlich.
11 Wenn die Revision rügt, dass das BVwG den Revisionswerber mit seinem Zweifel an der Authentizität des Strafurteils nicht konfrontiert habe, so ist darauf hinzuweisen, dass das Recht auf Parteiengehör sich nur auf den festzustellenden maßgeblichen Sachverhalt bezieht und die Beweiswürdigung im Sinn des § 45 Abs. 2 AVG nicht zu den Ergebnissen des Beweisverfahrens zählt. Es besteht keine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, dem Asylwerber im Weg eines Vorhalts zur Kenntnis zu bringen, dass Widersprüche vorhanden seien, die im Rahmen der gemäß § 45 Abs. 2 AVG vorzunehmenden Beweiswürdigung zu seinem Nachteil von Bedeutung sein könnten, und ihm aus diesem Grunde eine Stellungnahme hiezu zu ermöglichen (vgl. VwGH 2.2.2021, Ra 2020/19/0411, mwN).
12 Dem bloß pauschal gehaltenen Revisionsvorbringen im Zusammenhang mit der Würdigung des Arztbriefes über die Verletzungen des Vaters des Revisionswerbers gelingt es nicht, die Relevanz eines (allfälligen) Verfahrensmangels aufzuzeigen, zumal medizinische Unterlagen zwar geeignet sein mögen, eine Verletzung zu belegen, nicht aber Aufklärung über die Frage, im Zuge welcher Ereignisse die in Rede stehende Verletzung erlitten wurde, und damit über die Nachvollziehbarkeit des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers zu geben (vgl. VwGH 22.1.2021, Ra 2020/20/0438).
13 Vor diesem Hintergrund sind in der Beweiswürdigung des BVwG weder ein willkürliches Vorgehen noch unschlüssige Erwägungen ersichtlich. Die Revision vermag somit nicht darzulegen, dass die Beweiswürdigung des BVwG in ihrer Gesamtheit unvertretbar wäre.
14 Soweit die Revision das Unterbleiben der Einholung eines Sachverständigengutachtens bemängelt und damit einen Ermittlungsfehler geltend macht, ist ihr zu entgegnen, dass die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein ausreichend ermittelter Sachverhalt vorliegt oder ob weitere Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung darstellt (vgl. VwGH 3.12.2020, Ra 2020/19/0205, mwN). Vor dem Hintergrund der im Verfahren durchgeführten Ermittlungen und in Anbetracht der umfassenden Beweiswürdigung des BVwG zeigt die Revision nicht auf, dass die einzelfallbezogene Beurteilung des BVwG, keine weiteren amtswegigen Ermittlungen vorzunehmen, grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 20.11.2020, Ra 2020/20/0309, mwN).
Wenn sich die Revision gegen die Annahme einer für den Revisionswerber zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative wendet, ist zu bemerken, dass das BVwG mangels Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens eine Verfolgung des Revisionswerbers im Herkunftsstaat ausgeschlossen und aus diesem Blickwinkel eine Rückkehr in seine Heimatregion als zulässig erachtet hat. Bei der Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative handelt es sich somit lediglich um eine Alternativbegründung des BVwG, weshalb sich eine nähere Prüfung des diesbezüglichen Revisionsvorbringens erübrigt (vgl. VwGH 11.8.2020, Ra 2020/14/0278; 5.3.2021, Ra 2021/19/0049).
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 8. Juni 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190156.L00Im RIS seit
28.06.2021Zuletzt aktualisiert am
20.07.2021