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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §52Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des M K in W, vertreten durch Dr. Johannes Schuster und Mag. Florian Plöckinger, Rechtsanwälte in 1020 Wien, Praterstern 2/1.DG, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. April 2020, Zl. W216 2229817-1/4E, betreffend Neufestsetzung des Grades der Behinderung und Feststellung des Nichtbestehens der Behinderteneigenschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber gehörte aufgrund des Bescheides der belangten Behörde vom 30. Mai 2016 mit einem Grad der Behinderung von 50% dem Kreis der begünstigten Behinderten iSd. § 2 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) an. Begründet wurde dies mit dem laut ärztlichem Sachverständigengutachten vom 8. Februar 2016 führenden Leiden Morbus Crohn („da auch unter Biologictherapie noch tägliche Durchfälle und Bauchschmerzen, zuletzt aber stabiler Verlauf“).
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde, im Wesentlichen durch Bestätigung des Bescheides der belangten Behörde vom 10. Februar 2020, gemäß §§ 2 und 14 BEinstG festgestellt, dass der Grad der Behinderung des Revisionswerbers 30% betrage und er daher mit Wirksamkeit eines näher genannten Zeitpunktes nicht mehr zum Kreis der begünstigten Behinderten gehöre. Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
3 In der Begründung gelangte das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf näher genannte ärztliche Sachverständigengutachten zusammengefasst zur Ansicht, dass der Leidenszustand „Morbus Crohn“ beim Revisionswerber zwar weiterbestehe. Es handle sich demnach um „chronische Darmstörungen mittleren Grades mit chronischen Schleimhautveränderungen“, deren Schweregrad beim Revisionswerber nach der Einschätzungsverordnung aber nur mit 30% zu bewerten sei, weil die nächsthöhere Einstufung nicht nur eine „geringe bis mittelschwere Beeinträchtigung“, sondern ausschließlich mittelschwere Beeinträchtigungen des Allgemein- und Ernährungszustandes erfordern würden, was beim Revisionswerber nicht der Fall sei.
4 Das Verwaltungsgericht vertrat (unter Zuhilfenahme eines wiederholt verwendeten Textbausteins; vgl. z.B. VwGH 18.8.2020, Ra 2020/11/0087) die Rechtsansicht, es habe von der (in der Beschwerde ausdrücklich beantragten) Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand nehmen können. Ergänzend fügte es hinzu, „die strittigen Tatsachenfragen (Schmerzen, Art und Ausmaß der Funktionsstörungen) gehören dem Bereich zu, der vom Sachverständigen zu beleuchten ist“.
5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu der die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet und über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
6 Die Revision ist zulässig und begründet, weil sie zu Recht das Abweichen des Verwaltungsgerichts von der (ständigen) hg. Judikatur zur Verhandlungspflicht in Angelegenheiten des Behindertenwesens ins Treffen führt:
7 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geht es bei der Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten um ein „civil right“ iSd. Art. 6 EMRK, sodass die Durchführung der Verhandlung essenziell ist, um Fragen an den Sachverständigen richten zu können und den für die Entscheidungsfindung wesentlichen persönlichen Eindruck vom Betroffenen zu gewinnen (vgl. aus vielen das zitierte hg. Erkenntnis Ra 2020/11/0087 mit Verweisen auf die Vorjudikatur). Nach dem zitierten hg. Erkenntnis ist die Durchführung der Verhandlung in einer solchen Angelegenheit auch im Lichte des § 3 Verwaltungsrechtliches COVID-19-Begleitgesetz (COVID-19-VwBG) zur Aufrechterhaltung einer geordneten Verwaltungsrechtspflege unbedingt erforderlich.
8 Da sich das Verwaltungsgericht über diese Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinweggesetzt und die Rechtslage verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
9 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff. VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Aufwandersatz einen Pauschalbetrag darstellt, in dem die Umsatzsteuer u.Ä. bereits enthalten sind (vgl. auch dazu das zitierte hg. Erkenntnis Ra 2020/11/0087).
Wien, am 9. Juni 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020110064.L00Im RIS seit
30.06.2021Zuletzt aktualisiert am
20.07.2021