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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ABGB §1332;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde der F-Gesellschaft m.b.H. in S, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 19. Dezember 1996, Zl. WST1-BA-9650, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist in Angelegenheit der Vorschreibung zusätzlicher Auflagen gemäß § 79 GewO 1994, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Der vorliegenden Beschwerde und der dieser angeschlossenen Bescheidausfertigung zufolge, wurden mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 19. Dezember 1996, 1. der Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach vom 15. Dezember 1995, betreffend die Vorschreibung zusätzlicher Auflagen gemäß § 79 GewO 1994 abgewiesen und
2. die Berufung der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid als verspätet zurückgewiesen. Hiezu wurde - nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens - im wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe im Wiedereinsetzungsantrag geltend gemacht, zwei tüchtige und umsichtige Mitarbeiterinnen hätten infolge Arbeitsüberlastung vor einem 14-tägigen Betriebsurlaub zur Weihnachtszeit den den obgenannten Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach enthaltenden RSb-Brief falsch weitergeleitet bzw. abgelegt. Dadurch sei es zur Versäumung der Berufungsfrist gekommen. Den beiden Mitarbeiterinnen sei zwar zweifellos ein Verschulden anzulasten, dies dürfe jedoch nicht der Beschwerdeführerin zugerechnet werden. Mit diesem Antragsvorbringen habe die Beschwerdeführerin allerdings keinen Sachverhalt behauptet, aus dem sich ergebe, daß sie der ihr zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen wäre. Schon aus diesem Grunde sei der Wiedereinsetzungsantrag abzuweisen und die verspätet erhobene Berufung zurückzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid im Recht auf die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verletzt. Sie bringt hiezu im wesentlichen vor, der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach vom 15. Dezember 1995 sei ihr am 21. Dezember 1995, dem letzten Arbeitstag vor Beginn eines 14-tägigen Betriebsurlaubes, zugestellt worden. Der Arbeitsanfall sei außergewöhnlich hoch gewesen und das gesamte Personal sei unter besonderem Arbeitsdruck gestanden (täglich ca. 200 Stück Posteinlauf). Der Betrieb der Beschwerdeführerin habe einen Jahresumsatz von S 190 Millionen und beschäftige 140 Dienstnehmer. Nur durch die besondere Situation an diesem Tage lasse sich erklären, daß den beiden zuverlässigen und genau arbeitenden Bürokräften das Mißgeschick unterlaufen sei, den RSb-Brief der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach zur "nicht dringenden" Post einzuordnen, nämlich zum Prospektmaterial, das nur alle drei bis vier Wochen vom jeweiligen Sachbearbeiter durchgesehen werde. Ein derartiger Fehler sei zuvor noch nie unterlaufen. Die Beschwerdeführerin vermöge die Auffassung der belangten Behörde nicht zu teilen, daß in der irrtümlichen Ablage bzw. Nichtweitergabe des RSb-Briefes nur dann ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, das ohne ein Verschulden die Einhaltung der Frist verhinderte, liege, wenn die Unternehmensleitung einer zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen sei. Der von der belangten Behörde zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes seien anders gelagerte Sachverhalte zugrunde gelegen, nämlich, daß der Bescheid jeweils zur Kenntnis gelangt, das Rechtsmittel jedoch aus einem Versehen nicht rechtzeitig erhoben worden sei. Die Überwachungspflicht habe sich darauf bezogen, ob das Rechtsmittel verfasst, die Rechtsmittelfristen richtig berechnet und richtig in den Terminkalender eingetragen worden seien, sowie, ob das Rechtsmittel rechtzeitig zur Post gebracht worden sei. Auf derartige Überwachungspflichten sei die Beschwerdeführerin in ihrem Wiedereinsetzungsantrag deshalb nicht eingegangen, weil der zuständige Sachbearbeiter im konkreten Fall nicht einmal Kenntnis davon gehabt habe, daß der RSb-Brief überhaupt eingelangt sei. Bei der Beschwerdeführerin werde der Posteingang in "dringende" und "unwichtigere Post" sortiert. Nur die dringende Post werde von den Sachbearbeitern täglich durchgearbeitet und einer weiteren Erledigung zugeführt. Eine Überwachungspflicht, die auch das tägliche Sichten der unwichtigeren Post (etwa Prospektmaterial) zum Inhalt habe, könne nicht zumutbar sein, weil ansonsten der arbeitssparende Effekt des Vorsortierens wieder entfallen würde. Anders geartete Überwachungsmaßnahmen wären jedoch nicht geeignet gewesen, das Ereignis der falschen Einordnung des in Rede stehenden RSb-Briefes zu verhindern. Dieses Ereignis sei daher völlig unvorhersehbar und unabwendbar gewesen. Erst am 15. Jänner 1996, als der Sachbearbeiter den Brief bei Durchsicht der unwichtigeren Post gefunden habe, habe er vom Bescheid Kenntnis erlangt.
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Der Begriff des minderen Grades des Versehens wird in der hg. Judikatur (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 4. März 1994, Zl. 93/02/0256, und die dort zitierte Vorjudikatur) als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben. Auffallend sorglos handelt ein Wiedereinsetzungswerber, wenn er die im Verkehr mit Gerichten oder mit Verwaltungsbehörden für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach den persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht läßt.
Irrtümer und Fehler von Hilfskräften stehen einer Wiedereinsetzung nicht im Weg, wenn sie trotz Einhaltung der zumutbaren Kontrolle des Wiedereinsetzungswerbers geschehen (vgl. nochmals das zitierte Erkenntnis).
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Beschluß vom 24. November 1989, Zl. 89/17/0116, zur vergleichbaren Rechtslage nach § 46 Abs. 1 VwGG ausgesprochen hat, muß im Zusammenhang mit der Einhaltung von Terminen und Fristen die Organisation etwa einer Gemeinde oder einer Kapitalhandelsgesellschaft in gleicher Weise wie eine Rechtsanwaltskanzlei Mindesterfordernisse einer sorgfältigen Organisation erfüllen; diese Organisation erfordert, wenn sich das verantwortliche Organ hiebei der Unterstützung von Hilfskräften bedient, - im Rahmen der Zumutbarkeit - ein Kontrollsystem. Der Wiedereinsetzungswerber hat das, was er in Erfüllung seiner nach der Sachlage gebotenen Pflicht zur Überwachung allfälliger für ihn tätig gewordener Hilfskräfte hinsichtlich der Wahrung eines Termines vorgekehrt hat, im Wiedereinsetzungsantrag substantiiert zu behaupten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Oktober 1996, Zl. 96/04/0192, und die hier zitierte Vorjudikatur).
Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, in ihrem Wiedereinsetzungsantrag das Vorliegen eines solchen Kontrollsystems im Rahmen ihrer Betriebsorganisation nicht einmal behauptet zu haben. Vielmehr hält sie - ihren Beschwerdeausführungen zufolge - jegliche Kontrollmaßnahme hinsichtlich der Aufteilung des täglichen Posteinlaufes für unzumutbar. Die Betriebsorganisation der Beschwerdeführerin war demnach so gestaltet, daß bei der Behandlung der eingehenden Poststücke unterlaufene Fehler im Interesse der Arbeitsersparnis in Kauf genommen wurden, obwohl die Gefahr solcher Fehler und in der Folge von Fristversäumnissen zufolge der Sortierung in "dringende" und "unwichtigere" Poststücke und die daran geknüpften Konsequenzen in der Bearbeitung in besonderer Weise gegeben war.
Die Auffassung der Beschwerdeführerin, es sei ihr in diesem Zusammenhang jegliche Kontrollmaßnahme unzumutbar, kann schon im Hinblick auf die nicht etwa bloß manipulative Art dieser Tätigkeit nicht geteilt werden.
Mangels eines solcherart erforderlichen Kontrollsystems war daher das zur Versäumung der Berufungsfrist führende Ereignis ein solches, das jedenfalls nicht aus einem nur minderen Grad des Versehens der Beschwerdeführerin unvorhergesehen blieb.
Da somit schon der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997040032.X00Im RIS seit
20.11.2000