Entscheidungsdatum
19.01.2021Norm
AlVG §16Spruch
L511 2238179–2/4E
L511 2238179–3/2E
L511 2238179–4/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Sandra Tatjana JICHA als Vorsitzende über den Antrag von XXXX auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung von Beschwerden gegen die Bescheide des Arbeitsmarktservice XXXX vom 30.11.2020 und 01.12.2020, Zahl: XXXX , beschlossen:
A)
Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird gemäß § 8a Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Verfahren vor dem Arbeitsmarktservice [AMS]
1.1. Der nunmehrige Antragsteller bezieht seit 02.09.2019 Arbeitslosengeld (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile zur hg. GZ L511 2238179-2 [im Folgenden: AZ] 8).
1.2. Mit Bescheid vom 30.11.2020, Zahl: XXXX , [Ruhensbescheid KE] wurde das Ruhen des Leistungsanspruches gemäß § 16 Abs. 1 lit .k AlVG auf Grund des Bezuges einer Kündigungsentschädigung für den Zeitraum von 02.09.2019 bis 31.10.2019 festgestellt (hg. GZ 2238179-2 AZ 12).
1.3. Mit Bescheid des AMS vom 01.12.2020, Zahl XXXX [Ruhensbescheid UE] wurde das Ruhen des Leistungsanspruches gemäß § 16 Abs. 1 lit .l AlVG auf Grund des Anspruches auf Urlaubsersatzleistung bzw. Urlaubsabfindung für den Zeitraum von 01.11.2019 bis 30.11.2019 festgestellt (hg. GZ 2238179-3 AZ 11).
1.4. Mit weiterem Bescheid des AMS vom 01.12.2020, Zahl XXXX [Rückforderungsbescheid], wurde gemäß § 24 Abs. 2 AlVG der Leistungsbezug für den Zeitraum von 02.09.2019 bis 30.11.2019 widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt und der Antragsteller gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Leistung in der Höhe von EUR 3.455,10 verpflichtet (hg. GZ 2238179-4 AZ 10).
2. Am 29.12.2020 übermittelte eine Anwältin „auftrags des Antragstellers“ den gegenständlichen Antrag auf Verfahrenshilfe zur Einbringung von Beschwerden gegen die Bescheide des AMS vom 30.11.2020 und 01.12.2020 beim AMS ein (AZ 14), welches diesen am 07.01.2021 dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] samt Bescheiden und Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vorlegte (Ordnungszahl des hg. Gerichtsaktes 2238179-2 [OZ] 1[=AZ 1-14]).
II. Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. entscheidungswesentliche Feststellungen
1.1. Der Antragsteller bezieht seit 01.09.2019 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung iHv EUR 38,39 täglich (AZ 8, 14).
1.2. Mit Bescheid der Insolvenz-Entgelt-Fonds Service GmbH [IEF] vom 19.12.2019 wurde dem Beschwerdeführer ein Betrag von EUR 7.749,00 für Kündigungsentschädigung für den Zeitraum 01.09.2019 bis 31.10.2019 (EUR 4.318,00) sowie Urlaubsersatzleistung für 34,83 Tage (EUR 3.431,00) zugesprochen. Davon wurde ein Betrag von EUR 7.710,61 direkt auf das Konto des Antragstellers überwiesen; EUR 38,39, der Wert von (nur) einem Tagsatz, wurde direkt an das AMS refundiert (AZ 14/25-26).
Weitere IEF Bescheide waren bereits am 07.05.2019, 29.05.2019, 08.07.2019 und 18.09.2019 betreffend laufendes Entgelt für März bis Juni 2019, Sonderzahlungen und Kündigungsentschädigung für 25.06.2019 bis 31.08.2019 ergangen (AZ 14/17-24).
1.3. Das AMS stellte mit Bescheiden vom 30.11.2020 und 01.12.2020 den Leistungsbezug für den Zeitraum 02.09.2019 bis 30.11.2019 ruhend und forderte den für diesen Zeitraum ausbezahlten Betrag von EUR 3.455,10 mit Bescheid vom 01.12.2020 zurück, weil dem Beschwerdeführer für diesen Zeitraum nachträglich seitens des IEF eine Kündigungsentschschädigung sowie eine Urlaubsersatzleistung ausbezahlt worden sei.
1.4. Der Antragsteller vertritt die Ansicht, die Bescheide des AMS seien mit den IEF-Bescheiden nicht in Einklang zu bringen und es bestehe einer Auskunft des IEF zu Folge kein Rückforderungsanspruch des AMS (AZ 14/2, 8). Für den Fall, dass etwa doch Zahlungen doppelt ausgezahlt worden seien, habe er diese jedenfalls gutgläubig verbraucht (AZ 14/2).
1.5. Der Antragsteller erhält derzeit einen monatlichen Leistungsbezug vom AMS sowie einen Stiftungszuschuss iHv zusammen EUR 1.340,09. Am 28.12.2020 wies das Konto des Antragstellers einen Kontostand von EUR 81,53 sowie einen verfügbaren Betrag von EUR 1.081,53 auf. Der Antragsteller weist im Vermögensbekenntnis außer einem PKW keine Vermögenswerte, sowie keine Schulden und Unterhaltsverpflichtungen auf (AZ 14/1-6, 27-39).
Mit dem AMS wurde am 07.12.2020 eine Ratenvereinbarung (über die Rückforderung von EUR 3.455,10) getroffen, wonach monatlich EUR 240,00 vom Leistungsbezug einbehalten werden (AZ 6, 7).
Eine Kostenübernahme für die Beschwerdeerhebung gegen die AMS-Bescheide durch die vorhandene Rechtschutzversicherung erfolgt nicht (AZ 14/7).
2. Beweisaufnahme und Beweiswürdigung
2.1. Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1 [=AZ 1-21]; OZ 2-3), aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:
? Verfahrenshilfeantrag samt Unterlagen (AZ 14)
? Bescheide des AMS (AZ 10-12)
? Ratenvereinbarung (AZ 6-7)
? Versicherungsverlauf (AZ 8)
2.2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich unmittelbar ohne weitere Interpretation aus den jeweils zitierten Aktenteilen, wobei weder der Antragsteller noch das AMS diese in Zweifel gezogen haben.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1.1. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Einzelrichterin ergeben sich aus § 6 iVm §9 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 56 Abs. 2 AlVG (vgl. VwGH vom 07.09.2017, Ra2017/08/0081), wonach die Vorsitzende des Senates das Verfahren bis zur Verhandlung führt, wobei die dabei erforderlichen Beschlüsse keines Senatsbeschlusses bedürfen. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das AMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).
3.2. Zur Nichtgewährung der Verfahrenshilfe
3.2.1. Gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG ist, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, [GRC] geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
3.2.2. Der EuGH greift in seiner Beurteilung des Art. 47 GRC, ebenso wie der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof in ihrer Judikatur zur Verfahrenshilfe, auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte [EGMR] zu Art. 6 Abs. 1 EMRK zurück (für viele: VfGH 25.06.2015, VfSlg 19989; VwGH 20.12.2016, Ro2015/03/0037; 03.09.2015, Ro2015/21/0032; EuGH 22.12.2010, DEB, C-279/09 Rz 31, 35), wonach es nicht erforderlich ist, dass Verfahrenshilfe in allen erdenklichen Verfahren zu gewähren ist (EGMR 26.02.2002 Del Sol, Appl. 46.800/99 Rz20).
Zur Beurteilung, ob auf Grund des Art. 6 EMRK bzw. des Art. 47 GRC die Beigebung eines Rechtsanwaltes geboten ist, kommt es darauf an, ob dies für den effektiven Zugang der Partei zum Gericht unentbehrlich ist. Dies ist in Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung jedenfalls dann zu verneinen, wenn die Voraussetzungen der Verfahrenshilfe nicht erfüllt sind, weil die Partei insbesondere die Kosten eines Rechtsanwaltes ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts bestreiten könnte oder die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung offenbar mutwillig oder aussichtslos ist. Sind diese Voraussetzungen aber erfüllt, ist maßgeblich, ob im Verfahren insbesondere in Hinblick auf die Komplexität des Falles Schwierigkeiten zu erwarten sind, die es der Partei verunmöglichen, ihre Interessen ohne Unterstützung eines Rechtsanwaltes wahrzunehmen. Dabei sind die persönlichen Umstände der Partei, wie ihr allgemeines Verständnis und ihre Fähigkeiten bzw. ihre Rechtskenntnisse zu berücksichtigen. Ergänzend ist in die Erwägungen auch die Bedeutung des Rechtsstreits für die Partei miteinzubeziehen. In diesem Sinne ist auch in Verfahren ohne Anwaltszwang – wie dem verfahrensgegenständlichen Verfahren – die Beigebung eines Verfahrenshelfers möglich, wenn dies nach Lage des Falles erforderlich ist (vgl. VwGH 11.09.2019, Ro2018/08/0008 Rs6 mwN).
3.2.2.1. Im Sinn der nach § 8a Abs. 2 VwGVG relevanten Definition des § 63 Abs. 1 ZPO ist als notwendiger Unterhalt nach § 8a VwGVG derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt. Bei Prüfung der Frage, ob die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts im Sinn des § 63 Abs. 1 ZPO aufgebracht werden können, ist eine Schätzung der für den Antragsteller voraussichtlich anfallenden Kosten erforderlich, wobei unter Berücksichtigung der zum Entscheidungszeitpunkt bestehenden Umstände des Einzelfalles ein durchschnittlicher Verfahrensablauf anzunehmen ist. Ob der in diesem Sinn notwendige Unterhalt beeinträchtigt ist, stellt eine Frage des Einzelfalls dar (VwGH 11.09.2019, Ro2018/08/0008 mwN, VwGH 25.01.2018, Ra2017/21/0205). Bei unselbständig Erwerbstätigen sind bei der Ermittlung ihres Einkommens alle ihnen zufließenden Nettobezüge heranzuziehen, insb auch Urlaubsgeld und Weihnachtsremuneration sowie etwaige Überstundenentgelte, alle Arten von Zulagen und allfällige Naturalleistungen. Im Bereich der Verfahrenshilfe ist von den tatsächlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen auszugehen, eine Anspannung auf ein fiktiv erzielbares Einkommen ist gesetzlich nicht vorgesehen. Ob Vermögen zu berücksichtigen ist, hängt von der Zumutbarkeit der Belehnung oder Veräußerung dessen ab. Eine Kontoüberziehung bis zur Höhe von etwa zwei Monatsbezügen kann zumutbar sein. Die Verfahrenshilfe ist auch nicht zu bewilligen, wenn die Partei die zu erwartenden Verfahrenskosten durch Aufnahme eines Kredits finanzieren könnte, den sie aus ihren Einkünften ohne Beeinträchtigung ihres notwendigen Unterhalts innerhalb eines zumutbaren Zeitraums zurückzahlen kann. Als Faustregel kann gelten, dass einem alleinstehenden Verfahrenshilfewerber etwa EUR 1.000 bis 1.400 (inkl. Wohnkosten) monatlich verbleiben müssen (vgl. dazu jeweils mit Judikaturnachweisen Weber/Poppenwimmer in Höllwerth/Ziehensack (Hrsg), ZPO Praxiskommentar (2019) § 63 Rz5, 12; Fucik in Rechberger/Klicka (Hrsg), Kommentar zur ZPO5 (2019), § 63 Rz3).
3.2.3. Fallbezogen handelt es sich nicht um einen komplizierten Sachverhalt – der Antragsteller hat seine wesentlichen Argumente bereits im Verfahrenshilfeantrag aufgelistet – weshalb eine Rechtsvertretung auch nicht zwingend notwendig erscheint.
3.2.4. Wenngleich über die Erfolgsaussichten derzeit keine Aussage getätigt werden kann, da diese vom Ergebnis der Beschwerdeverfahren abhängen, so erscheint die beabsichtigte Rechtsverfolgung zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar nicht mutwillig, die Erfolgsaussichten der Beschwerdeverfahren sind in Anbetracht des dargestellten Sachverhaltes prima facie aber als gering einzustufen, da es sich bei der vorliegenden unbestrittenermaßen ausbezahlten Kündigungsentschädigung um eine verschuldensunabhängige Rückforderung handelt (VwGH 07.08.2002, 97/08/0624).
3.2.5. Vor diesem Hintergrund sind auch die voraussichtlich anfallenden Kosten als gering einzustufen, da der Antragsteller auf Grund des fehlenden Anwaltszwangs, und da es sich nicht um eine komplexe Rechtsfrage handelt die Beschwerde auch selbst beim AMS einbringen kann.
3.2.5.1. Der Antragsteller verfügt als alleinstehender Mann über ein monatliches Einkommen von ca. EUR 1.300,00, hat keine Unterhaltspflichten zu leisten und weist abgesehen von der vereinbarten Ratenzahlung der vom AMS-Verfahren betroffenen Forderung auch keine Schulden auf. Es ist daher davon auszugehen, dass er die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts bestreiten wird können.
3.2.6. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist daher spruchgemäß abzuweisen.
4. Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass bis dato keine Beschwerde des Antragstellers vorliegt. Die Frist zur Erhebung der Beschwerde wurde durch den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe unterbrochen und beginnt mit Zustellung des gegenständlichen Beschlusses über die Abweisung der Verfahrenshilfe neu zu laufen.
III. ad B) Unzulässigkeit der Revision
Die sich aus dem festgestellten Sachverhalt ergebende rechtliche Subsumtion stützt sich auf die jeweils zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 8a VwGVG und weicht von dieser auch nicht ab.
Es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.
Schlagworte
Erfolgsaussichten Verfahrenshilfeantrag Verfahrenshilfe-NichtgewährungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:L511.2238179.2.00Im RIS seit
23.06.2021Zuletzt aktualisiert am
23.06.2021