TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/8 W144 2239318-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.02.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

08.02.2021

Norm

AsylG 2005 §5
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W144 2239316-1/2E

W144 2239314-1/2E

W144 2239315-1/2E

W144 2239317-1/2E

W144 2239318-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Huber als Einzelrichter über die Beschwerden von 1. XXXX auch XXXX alias XXXX alias XXXX , XXXX alias XXXX geb., 2. mj. XXXX auch XXXX , XXXX alias XXXX geb., 3. mj. XXXX auch XXXX , XXXX alias XXXX geb., 4. mj. XXXX auch XXXX , XXXX alias XXXX geb., und 5. mj. XXXX auch XXXX , XXXX alias XXXX geb., alle StA. von Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 21.01.2021, Zlen.: XXXX (ad 1.), XXXX (ad 2.), XXXX (ad 3.), XXXX (ad 4.), XXXX (ad5.), zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerden werden gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang

Die 1.-Beschwerdeführerin (1.-BF) ist die Mutter der minderjährigen (mj.) 2.- bis 5.-Beschwerdeführer/innen (2.- bis 5.-BF), alle sind Staatsangehörige von Afghanistan. Die BF haben – eigenen Angaben der 1.-BF bei der Erstbefragung zufolge – ihr Heimatland etwa im April des Jahres 2020 verlassen und sind über angeblich ihnen unbekannte Länder ins Bundesgebiet gereist. Die BF wollten im Zuge ihrer Reise am 11.10.2020 – in einem Flixbus der Linie XXXX von Österreich weiter nach Deutschland gelangen, sind jedoch an der deutschen Grenze XXXX nach Österreich zurückgewiesen worden. Am 12.10.2020 stellten die BF schließlich die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

Zu den BF liegen italienische Visa, gültig vom 21.10.2019 bis 03.11.2020, sowie Flixbustickets, Linie XXXX , vom 10.10.2020 (von Mailand Busbahnhof, Abfahrt XXXX – nach München) vor.

Den Beschwerden liegen folgende Verwaltungsverfahren zugrunde:

Im Verlauf ihrer Erstbefragung durch die LPD Vorarlberg vom12.10.2020 zog sich die 1.-BF darauf zurück, dass sie keinerlei Angaben über ihre Fahrtroute machen könne, sie sei in Afghanistan samt ihren Kindern in einen Lkw-Container geladen worden, und sei in 6 Monaten lediglich einmal umgestiegen und habe sich sodann in Österreich befunden. Sie könne keinerlei weitere Angaben machen.

Die mj. 2.- bis 5.-BF wurden altersbedingt nicht einvernommen.

Das BFA richtete, unter Hinweis auf den Reiseweg der BF und ihrer italienischen Visa am 06.11.2020 auf Art. 12 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestützte Aufnahmeersuchen an Italien. Italien akzeptierte diese Ersuchen durch Fristablauf mit Ablauf des 06.01.2021.

Im Zuge ihrer Einvernahme durch das BFA vom 19.01.2021 gab die 1.-BF zunächst an, dass ihre Angaben auch für ihre Kinder gelten würden. In gesundheitlicher Hinsicht leide sie an Rückenschmerzen und an Schmerzen in den Beinen. Die Schmerzen würden seit vier Jahren bestehen, sie sei auch in Afghanistan deshalb schon in Behandlung gewesen. Gegen die Schmerzen nehme sie Tabletten ein. Die Kinder seien hingegen alle gesund. Sie könne keine Tazkiras vorlegen, da sie alle fünf Tazkiras im Rucksack gehabt habe, den sie verloren habe. Sie bekomme in Österreich Unterstützung im Zuge der Grundversorgung, erhalte sonst von niemandem weitere Unterstützung und habe auch keine Angehörigen oder sonstigen Verwandten in Österreich. Es bestehen auch keine besonderen Beziehungen zu sonstigen Personen. Sie seien in einem Lkw nach Österreich gekommen, später noch ein Stück mit dem Bus gefahren. In Italien seien sie niemals aufhältig gewesen. Auf die Frage, woher sie dies wisse, gab die BF lediglich an, dass sie spät in der Nacht aufgegriffen und mitgenommen und am Nachmittag wieder freigelassen worden seien. Auf nochmalige Nachfrage erklärte sie, dass sie in Deutschland aufgegriffen worden sei. Nach Vorhalt, dass Italien zur Prüfung ihrer Anträge auf internationalen Schutz zuständig sei, gab die 1.-BF an, dass sie nicht nach Italien gehen wolle. Sie und ihre Kinder seien glücklich hier, sie bekämen hier € 40 pro Person sowie Kleidung und Essen.

Das BFA wies sodann die Anträge auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten mit Bescheiden jeweils vom 21.01.2021 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass Italien gemäß Art. 12 Abs. 2, 3 Dublin III-VO zur Prüfung der Anträge zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung der BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG idgF angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Italien zulässig sei.

Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen sowie die Beweiswürdigung zur Lage im Mitgliedstaat wurden in den angefochtenen Bescheiden im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst (unkorrigiert):

?        „ Zur Lage im Mitgliedsstaat:

Es wurde festgestellt, dass Sie in Italien keiner Verfolgung oder Misshandlung ausgesetzt wären, bzw. dass Sie diese zu erwarten hätten.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie in Italien nicht ausreichend medizinisch behandelt werden würden.

Allgemeines zu Vorbringen von Asylwerbern in Dublin Verfahren:

Die Asylbehörden haben nicht nachzuprüfen, ob ein Mitgliedstaat generell sicher ist. Nur wenn sich im Einzelfall ergeben sollte, dass Grundrechte des Asylwerbers z.B. durch Kettenabschiebung bedroht sind, so wäre aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben. (VfGH: 17.6.2005, B 336/05; UBAS: 268.445/3-X/47/06 vom 14.3.2006)

Es ist nicht Aufgabe der österreichischen Asylbehörde, hypothetische Überlegungen über den möglichen Ausgang eines von einem anderen Staat zu führenden Asylverfahrens anzustellen. Auch aus dem Umstand, dass Anerkennungsquoten im Asylverfahren relativ gering sein, kann nicht automatisch darauf geschlossen werden, dass kein ordnungsgemäßes Verfahren geführt wird. (VwGH: 31.5.2005, Zl. 2005/20/0095)

1.       COVID-19-Pandemie

Letzte Änderung: 03.11.2020

Italien hat während der COVID-19-Krise die Registrierung neuer Asylanträge formell nicht suspendiert, jedoch waren die Quästuren in der Praxis geschlossen. Einige Gerichte, etwa in Rom, haben Quästuren jedoch angewiesen, Asylanträge zu registrieren. Die Versorgungsmaßnahmen wurden bis zum Ende der Pandemie verlängert, auch für Personen, die das Recht auf Unterstützung eigentlich verloren hätten.

Asylwerber können bis längstens 31.1.2021 auch in Unterbringungseinrichtungen der zweiten Stufe (SIPROIMI) untergebracht werden, welche eigentlich für Schutzberechtigte reserviert sind. Sie erhalten dort aber nur jene Versorgung, die auch in Unterbringungseinrichtungen der ersten Stufe (CAS) vorgesehenen wäre. Gesundheitskarten mit Gültigkeitsende vor dem 30. Juni 2020 wurden bis zum 30. Juni verlängert. Aufenthaltsberechtigungen, einschließlich solcher von Asylwerbern und Schutzberechtigten, mit Ablaufdatum zwischen 31. Jänner und 15. April 2020 wurden bis zum 31. August verlängert. Dublin-Überstellungen von und nach Italien sind derzeit suspendiert. Während der COVID-Situation haben manche Gemeinden den Zugang zu bestimmten ergänzenden sozialen Leistungen an bisweilen mehrjährige Meldeerfordernisse gebunden, die von Asylwerbern bzw. Schutzberechtigten oft nicht zu erfüllen sind (ECRE 28.5.2020).

Nach einer Unterbrechung aufgrund der COVID-19-Pandemie haben alle Territorialkommissionen der nationalen Asylbehörde mit Ausnahme derjenigen in Foggia und Udine im September die persönlichen Asylinterviews wiederaufgenommen. Verzögerungen beim Zugang zu Asylverfahren wurden an verschiedenen Orten gemeldet (UNHCR 9.2020).

Italien hat mit Ende September 2020 fünf Schiffe im Einsatz, die als Quarantäneschiffe vor der italienischen Küste fungieren. Es gibt aber auch Quarantäneeinrichtungen auf dem Festland, die stark belegt sind, was zu Problemen bei der adäquaten Unterbringung, v.a. von Minderjährigen führen kann (UNHCR 9.2020).

Es gilt eine 14-tägige Quarantäne für über das Mittelmeer kommende Asylwerber. Nur wer am Ende dieses Zeitraums nicht positiv getestet wird, kann an eine andere Unterbringungseinrichtung überstellt werden (EASO 2.6.2020).

Aufenthaltsberechtigungen für Asylberechtigte wurden während der COVID-Situation automatisch verlängert. Italien erweiterte die Einkommens- und Familienunterstützungsmaßnahmen, die im Dekret „Cura Italia“ vorgesehen sind, das sind EUR 600 Bonus u.a. Leistungen für anerkannte Flüchtlinge oder Inhaber anderer Aufenthaltsgenehmigungen, die beruflich tätig sind (EASO 2.6.2020).


Quellen:

• EASO European Asylum Support Office (2.6.2020): COVID-19 Emergency Measures in Asylum and Reception Systems, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/covid19- emergency-measures-asylum-reception-systems.pdf, Zugriff 28.10.2020

• ECRE – European Council on Refugees and Exiles (28.5.2020): INFORMATION SHEET 28 MAY 2020: COVID-19 MEASURES RELATED TO ASYLUM AND MIGRATION ACROSS EUROPE, https://www.ecre.org/wp-content/uploads/2020/05/COVID-IN FO-28-May.pdf, Zugriff 28.10.2020 • UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (9.2020): UNHCR Italy Factsheet, September 2020, https://reliefweb.int/report/italy/unhcr-italy-factsheet-september-2 020, Zugriff 28.10.2020

2.       Allgemeines zum Asylverfahren

Letzte Änderung: 03.11.2020


In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten: 5 (AIDA 5.2020; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).

Am 5. Oktober hat der italienische Ministerrat ein neues sogenanntes Immigrationsdekret vorgelegt, das die vom ehemaligen Innenminister Salvini eingeführten Regelungen teilweise wieder aufheben würde. Es handelt sich dabei wohlgemerkt erst noch um eine Regierungsvorlage, die binnen 60 Tage vom Parlament abgesegnet werden muss und noch abgeändert werden kann. Momentan vorgesehen ist eine Aufweichung der momentan geltenden Regeln, etwa verbesserter Refoulement-Schutz und Umstrukturierung des Aufnahmesystems zu einem neuen „Aufnahme- und Integrationssystem“ mit Erstaufnahme für alle und danach Versorgung von Asylwerbern und Versorgung von Schutzberechtigten mit zusätzlichen integrationsfördernden Maßnahmen. Ferner würden die territorialen Asylkommissionen (erstinstanzliche Asylbehörde) mehr Befugnisse erhalten, künftig nicht mehr nur im Bereich des internationalen Schutzes, son6 dern auch im Falle von Abschiebungsverboten bei Fremden mit besonders schwerwiegendem Gesundheitszustand zu entscheiden (VB 13.10.2020).

Antragszahlen für 2019 gemäß italienischem Innenministerium: (AIDA 5.2020; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).

Im August 2020 waren in Italien 53.923 Asylerfahren anhängig. Von Jänner bis Juni 2020 wurden 21.905 Entscheidungen getroffen, davon waren 10% Zuerkennungen eines internationalen Schutzes, 9% subsidiärer Schutz, 5% humanitärer Schutz und 75% Zurückweisungen (UNHCR 25.10.2020).

Die Asylverfahren dauern im Durchschnitt sechs Monate, inklusive Beschwerdephase bis zu zwei Jahre (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https: //www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

• UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (25.10.2020): Italy Weekly Snapshot (18 Oct-25 Oct 2020), https://data2.unhcr.org/en/documents/download/82568, Zugriff 28.10.2020

• USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020

• VB des BM.I Italien (13.10.2020): Auskunft des VB, per E-Mail

3.       Dublin-Rückkehrer

Letzte Änderung: 03.11.2020

Wenn Italien einer Überstellung ausdrücklich zustimmt, wird der Flughafen angegeben, welcher der für das konkrete Asylverfahren zuständigen Quästur am nächsten liegt. Wenn Italien durch 7 Fristablauf zustimmt, landen Rückkehrer üblicherweise auf den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa, oft weit entfernt von ihrer zuständigen Quästur. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Die Rückkehrer haben in der Regel drei Tage, um auf eigene Faust und oft auch auf eigene Kosten zu dieser Quästur zu gelangen, unabhängig von der Entfernung. Seit Februar 2020 gibt es am Flughafen Mailand einen Informationsschalter der Waldensischen Diakonie. Deren Mitarbeiter können Dublin-Rückkehrer mit Tickets zur Quästur von Varese (zuständig für den Flughafen, Anm.) ausstatten und können telefonisch Kulturvermittler kontaktieren, um weitere Informationen in den benötigten Muttersprachen bereitzustellen. Sind die Rückkehrer zu einer anderen Quästur vorgeladen, müssen sie selbst die Tickets besorgen, um dorthin zu gelangen. In Rom profitieren Dublin-Rückkehrer häufig vom mobilen Helpdesk der NGO A Buon Diritto am Bahnhof Tiburtina in Rom. Sobald sie am Flughafen Fiumicino angekommen sind, werden sie mündlich über das Verfahren informiert und mit dem Einladungsschreiben an die zuständige Quästur ausgestattet. Sie müssen die Quästur autonom und auf eigene Kosten erreichen (AIDA 5.2020).

Es gibt solche NGOs auf Abruf auch in Bologna, Bari und Venedig (SFH 1.2020).

Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab:

1. Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies tun, so wie jede andere Person auch (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020). Tut er das nicht und hat auch kein Visum etc., wird der Rückkehrer als illegaler Migrant betrachtet und mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung konfrontiert und möglicherweise auch in Schubhaft genommen (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).

2. Wenn das Verfahren eines Antragstellers in Italien suspendiert wurde, weil er sich dem Verfahren vor dem Interview entzogen hat, kann er, im Falle einer Rückkehre binnen 12 Monaten ab Suspendierung, einen neuen Interviewtermin beantragen. Sind mehr als 12 Monate vergangen und das Verfahren wurde beendet, kann ein Folgeantrag gestellt werden, für den seit Oktober 2018 verschärfte Regelungen gelten (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).

3. Hat ein Interview stattgefunden und wurde das Verfahren des Antragstellers in Italien in der Zwischenzeit negativ entschieden und ihm dies zur Kenntnis gebracht, ohne dass er Beschwerde eingelegt hätte, ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich. Wenn dem Antragsteller die negative Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht werden konnte, gilt diese seit Oktober 2018 nach 20 Tagen als zugestellt und ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020). 8 (Für weitere Informationen, siehe Kapitel „Versorgung“, Subkapitel „Dublin-Rückkehrer“. Für Infos zur COVID-19-Pandemie siehe das gleichnamige Kapitel, Anm.)

Mit Gesetz 132/2018 wurde der humanitäre Schutzstatus stark überarbeitet und der Zugang zu dieser Schutzform eingeschränkt. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, werden nicht erneuert (VB 22.2.2019) und können auch nicht mehr verlängert werden. Sie können jedoch bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (Aufenthaltstitel für Arbeit, Familienzusammenführung, etc. oder in einen humanitären Titel neuer Rechtslage) (VB 25.2.2019). Ansonsten läuft der Titel ab und der Aufenthalt in Italien ist nicht mehr rechtmäßig (VB 22.2.2019; vgl. SFH 1.2020). (Für weitere Informationen zu diesem Thema siehe Kapitel „Schutzberechtigte“, Anm.)

Quellen:

• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https: //www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

• SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-ital ien-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf, Zugriff 8.10.2020

• VB des BM.I Italien (25.2.2019): Auskunft des VB, per E-Mail

• VB des BM.I Italien (22.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

4.       Non-Refoulement

Letzte Änderung: 03.11.2020

Italien hat im Feber 2020 ein Memorandum of Understanding mit Libyen um drei weitere Jahre verlängert, in dessen Rahmen Libyen mit italienischer Unterstützung Migrantenboote stoppt und die Betreffenden nach Libyen zurückbringt. Dies wird von NGOs als indirekte Pushbacks nach Libyen betrachtet. (AIDA 5.2020; vgl. AI 16.4.2020).

UNHCR bezeichnet diese Praxis nicht als Refoulement, will aber deren Rechtmäßigkeit untersuchen, da es Libyen nicht als „safe port“ betrachtet, da es relevante UN-Abkommen nicht unterzeichnet hat (USDOS 11.3.2020).

Berichten zufolge kommt es in den italienischen Adriahäfen immer wieder zu Pushbacks nach Griechenland, wenn illegale Migranten mit den aus Griechenland kommenden Schiffen auf denen sie entdeckt wurden, wieder nach Griechenland zurückgeschickt werden. Berichte über angebliches Refoulement antragswilliger Fremder, gibt es auch von den internationalen Flughäfen Rom Fiumicino und Mailand Malpensa. Weiters gibt es Berichte über formloses Zurückschicken von Migranten von der Grenze zu Slowenien. Nichtsdestotrotz erlaubte im Jahr 2019 der Civil Court in Rom 14 Eritreern, die 2008 unrechtmäßig nach Libyen zurückgeschickt wurden, den Zugang zum Asylverfahren in Italien. In zwei weiteren Fällen wurde verfügt, dass im Ausland aufhältigen Minderjährigen, davon einer ein in Libyen befindlicherer Nigerianer, humanitäre Visa zur Einreise auszustellen seien. 2019 annullierten italienische Gerichte weiterhin Überstellungen von afghanischen Asylwerbern in EU-Mitgliedsstaaten, in denen deren Asylverfahren bereits negativ erledigt worden waren, unter Verweis auf ein Ketten-Refoulement-Risiko nach Afghanistan (AIDA 5.2020).

Quellen:

• AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Europe - Review of 2019 – Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2028200.html, Zugriff 7.10.2020

• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https: //www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

• USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020 12

5.       Versorgung

Letzte Änderung: 03.11.2020

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) gab es auch weitgehende Änderungen im Unterbringungssystem. Das bisherige System (CARA als Erstaufnahme, SPRAR als kommunal organisierte Unterbringung und Integration für Asylwerber und Schutzberechtigte, CAS als Notmaßnahme für Bootsflüchtlinge) wurde völlig neu organisiert und, neben der Nothilfe für neu ankommende Bootsmigranten, nur noch zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene unterschieden (VB 19.2.2019; vgl. AIDA 5.20209). Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“) ersetzen CAS und CARA. Zielgruppe dieser Einrichtungen sind Asylwerber (auch in einem Beschwerdeverfahren oder in Dublin-out-Verfahren bis zur Überstellung), ausdrücklich auch Dublin-Rückkehrer (VB 19.2.2019). Fremde, die in Italien bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, werden in jener Region untergebracht, in welcher der Antrag ursprünglich eingebracht wurde. In allen anderen Fällen ist jene Region zuständig, in der sich der Flughafen befindet, an dem der Fremde ankommt. Bei den Ausschreibungsspezifikationen wird zwischen kollektiven und individuellen (z.B. Selbstversorger) Unterbringungsplätzen unterschieden.

Die Versorgung sieht unter anderem folgende Leistungen vor:

• Unterbringung, Verpflegung • Sozialbetreuung, Information, linguistisch-kulturelle Mediation • notwendige Transporte • medizinische Betreuung: Erstuntersuchung, ärztliche Betreuung in den Zentren zusätzlich zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst • Hygieneprodukte • Wäschedienst oder Waschprodukte • Startpaket (Kleidung, Bettzeug, Telefonkarte) • Taschengeld (€ 2,50/Tag/Person bis zu € 7,50/Tag für eine Kernfamilie) • Schulbedarf • usw. 13 Nach Auskunft des italienischen Innenministeriums sind Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen (VB 19.2.2019).

Integrationsmaßnahmen (Italienisch-Kurse, Orientierungskurse, Berufsausbildungen oder Freizeitaktivitäten) sind in der Erstaufnahme nicht mehr vorgesehen. Ebenso eingespart wurden psychologische Betreuung, welche nur noch in Hotspots und Schubhaftzentren verfügbar ist, Rechtsberatung und kulturelle Mediation. Da viele Ausschreibungen keine Ergebnisse brachten, erlaubte das Innenministerium im Feber 2020 den Präfekturen, minimale Abweichungen zu akzeptieren. Die Vorgaben und Einsparungen führten dazu, dass 2019 viele kleine Unterbringungseinrichtungen verschwanden (AIDA 5.2020).

Die sekundären Aufnahmeeinrichtungen (früher SPRAR) heißen ab sofort SIPROIMI („Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“ – Schutzsystem für international Schutzberechtigte und unbegleitete minderjährige Fremde). Asylwerber, mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger, haben dort keinen Zugang mehr (AIDA 5.2020).

SIPROIMI stehen nur noch Personen mit internationalem Schutz, unbegleiteten Minderjährigen, sowie Personen zur Verfügung, die nach der neuen Rechtslage einen Aufenthaltstitel wegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände haben („neue“ humanitäre Titel; siehe dazu mehr im Kapitel „Schutzberechtigte“, Anm.). In diesen Einrichtungen werden zusätzlich, zu den oben beschrieben Leistungen auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (VB 19.2.2019).

Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich mit Stichtag 05.10.2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraumes weiterhin bleiben. Jene Fremde mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben dort so lange, bis ihnen von der Quästur der Aufenthaltstitel („permesso di soggiorno“) übergeben wurde und werden danach aus dem Aufnahmesystem entlassen (VB 19.2.2019).

In den letzten Jahren war das italienische Aufnahmesystem angesichts der zahlreichen Anlandungen von Migranten von Überforderung und dem Versuch geprägt, möglichst viele Unterbringungsplätze in möglichst kurzer Zeit zu schaffen. Dabei entstanden verschiedene Arten von Unterbringungszentren auf Projektbasis in Gemeinden, Regionen und zentraler Ebene mit nur grob festgelegt Zielgruppen. Mit der Neustrukturierung wurde ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen, das auch der Kritik des italienischen Rechnungshofes Rechnung trägt, der die undifferenzierte Unterbringung bzw. Erbringung insbesondere von kostspieligen Integrationsmaßnahmen an Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltstitel bemängelt hat. So werden Asylwerber zukünftig in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie allein reisende 14 Minderjährige erhalten Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden (VB 19.2.2019).

Asylwerber dürfen zwei Monate nach Antragstellung legal arbeiten. In der Praxis haben Asylwerber jedoch Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt, etwa durch Verzögerungen bei der Registrierung ihrer Asylanträge (die damit einhergehende Aufenthaltserlaubnis ist für den Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig), oder durch die Sprachbarriere, oder die geografische Abgelegenheit der Unterbringungszentren usw. (AIDA 5.2020).

Es gibt Berichte über Diskriminierung und Ausbeutung von Migranten durch Arbeitgeber. Die hohe Arbeitslosigkeit schmälert die Chancen von Migranten auf legale Anstellung (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

• USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020

• VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

6.1 Unterbringung

Letzte Änderung: 03.11.2020

Grundsätzlich sind bedürftige Fremde zur Unterbringung in Italien berechtigt, sobald sie den Willen erkennbar machen, um Asyl ansuchen zu wollen. Das Unterbringungsrecht gilt bis zur erstinstanzlichen Entscheidung bzw. dem Ende der Rechtsmittelfrist. Bei Rechtsmitteln mit automatischer aufschiebender Wirkung besteht das Unterbringungsrecht auch bis zur Entscheidung des Gerichts. Bei Rechtsmitteln ohne automatische aufschiebende Wirkung kann diese vom Gericht zuerkannt werden und in einen solchen Fall besteht auch das Unterbringungsrecht weiter. Seit Ende 2018 haben einige Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung mehr. In der Praxis erfolgt der tatsächliche Zugang zur Unterbringung erst mit der formellen Registrierung des Antrags (verbalizzazione), die bis zu einige Monate nach der Antragstellung stattfinden kann, abhängig von Region und Antragszahlen. In dieser Zeit müssen Betroffene alternative Unterbringungsmöglichkeiten finden, was problematisch sein kann. Zum Ausmaß dieses Phänomens gibt es allerdings keine statistischen Zahlen. Betroffene Asylwerber ohne ausreichende Geldmittel sind daher auf Freunde oder Notunterkünfte angewiesen, oder es droht ihnen Obdachlosigkeit. In ganz Italien gibt es auch informelle Siedlungen oder besetzte Häuser, in denen Fremde leben, unter ihnen Asylwerber und Schutzberechtigte (AIDA 5.2020).

Das offizielle italienische Unterbringungssystem für erwachsene Asylwerber stellt sich folgendermaßen dar: CPSA (Centri di primo soccorso e accoglienza) / Hotspots Es handelt sich dabei um Zentren an den Hauptanlandungspunkten der Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien kommen. Die CPSA wurden 2006 gegründet und fungieren seit 2016 formell als Hotspots (gemäß dem sogenannten Hotspot-approach der Europäischen Kommission). Diese dienen der raschen erkennungsdienstlichen Behandlung, Trennung von Asylwerbern und Migranten und ihrer entsprechenden weiteren Behandlung.

Ende 2019 gab es in Italien vier Hotspots in Apulien (Taranto) und Sizilien (Lampedusa, Pozzalo, Messina). Der Aufenthalt der Migranten in den Hotspots dauert oft wochenlang (AIDA 5.2020).

Erstaufnahme Es gibt derzeit 13 Erstaufnahmezentren zur Unterbringung von Asylwerbern in 7 italienischen Regionen. Die Zentren sind meist groß, geografisch isoliert und der Standard der Unterbringungsbedingungen schwankt zum Teil. Überbelegung ist oft ein Problem. Im Falle von Platzmangel kann auch auf temporäre Strukturen (Centri di accoglienza straordinaria, CAS) zurückgegriffen werden, das sind Notunterkünfte der Präfekturen. Die Unterbringung in einem CAS soll so kurz als möglich dauern, bis zur Unterbringung des Betreffenden in einem Erstaufnahmezentrum. Doch es gibt derzeit über 6.000 CAS in ganz Italien und sie bilden damit die Mehrheit der im Land verfügbaren Unterbringungsplätze. In den CAS ist der Unterbringungsstandard von der betreibenden Präfektur abhängig (AIDA 5.2020).

Die Integration der Asylsuchenden beginnt erst nach Zuerkennung eines Schutztitels und Verlegung in eine sekundäre Aufnahmeeinrichtung (SIPROIMI) (AIDA 5.2020). (Für Informationen zu SIPROIMI siehe Kapitel Schutzberechtigte, Anm.) Private Unterbringung / NGOs Außerhalb der staatlichen Strukturen existiert noch ein Netzwerk privater Unterbringungsmöglichkeiten, betrieben von Kirchen oder Freiwilligenverbänden. Ihre Zahl ist schwierig festzumachen. Interessant sind sie speziell in Notfällen oder als Integrationsmittel (AIDA 5.2020).

Nichtregierungsorganisationen und unabhängige Beobachter beklagen Unterschiede der in Aufnahmezentren angewandten Standards. Qualitativ hochwertigen Unterbringungen von lokalen Behörden stehen große Zentren unterschiedlicher Qualität gegenüber, bei denen es sich oft um umgewidmete Gebäude wie Schulen, Kasernen usw. handelt (USDOS 11.3.2020).

Wer nicht in einer offiziellen Unterbringungseinrichtung untergebracht ist, erhält keine finanzielle Unterstützung und hat keinen Anspruch auf weitere Sozialleistungen (RW 6.2020). Viele Asylwerber und Personen mit Schutzstatus sind obdachlos und leben in verschiedenen italienischen Städten auf der Straße oder in informellen Siedlungen und besetzten Häusern. Freiwillige der NGOs Sant’Egidio und MEDU besuchen die Obdachlosen in Mailand einmal oder mehrmals pro Woche. Sant’Egidio verteilt Mahlzeiten, MEDU bietet medizinische Beratung und Behandlung an (SFH 1.2020).

Informelle Siedlungen gibt es im ganzen Land, wenn auch Ende 2018 einige von den Behörden geräumt wurden (AIDA 5.2020). Vertreter von UNHCR, IOM und anderer humanitärer Organisationen und NGOs, berichten über tausende von legalen und illegalen Migranten und Flüchtlingen, die in verlassenen Gebäuden und in unzulänglichen und überfüllten Einrichtungen in Rom und anderen Großstädten leben und nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, Rechtsberatung, Bildung und anderen öffentlichen Dienstleistungen haben (USDOS 11.3.2020).

Mit Stand 30.9.2020 befanden sich in Italien 82.072 Migranten in staatlicher Unterbringung, davon 217 in Hotspots, 57.496 in der Erstaufnahme und 24.359 in SIPROIMI (VB 5.10.2020). CPR (Centri di Permanenza per il Rimpatrio) Italien verfügt außerdem über neun Schubhaftzentrum (CPR) mit zusammen 1.380 Plätzen (AIDA 5.2020).

Quellen:

• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https: //www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

• RW – Raphaelswerk (6.2020): Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, https://www.raphaelswerk.de/cms/contents/raphaelswerk.de/medien/ dokumente/information-italien/i_rueckueberstellung_info_raphaelswerk_ev_ii_neuaufl_v 11.pdf?d=a&f=pdf, Zugriff 7.10.2020

• USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020

• VB des BM.I Italien (5.10.2020): Bericht des VB, per E-Mail

6.2 Dublin-Rückkehrer

Letzte Änderung: 03.11.2020

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) wird festgelegt, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“) ausdrücklich auch die reguläre Unterbringungsmöglichkeit für Dublin-Rückkehrer sind (VB 19.2.2019), da für Asylwerber ein Zugang zu den Zentren der zweiten Stufe (SIPROIMI-Zentren) nicht vorgesehen ist, auch nicht für vulnerable Rückkehrer (AIDA 5.2020).
Im Sinne des Tarakhel-Urteils stellt Italien seit Februar 2015 in regelmäßigen Rundbriefen eine Liste von Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, welche als Dublin-Rückkehrer nach Italien kommen. Im Sinne der neuen Rechtslage im Land hat Italien am 8. Jänner 2019 einen neuen Rundbrief versendet und auf die geänderten Gegebenheiten reagiert. Es wird darin bestätigt, dass in Übereinstimmung mit dem neuen Gesetz 132/2018, gemäß der Dublin-VO rücküberstellte Antragsteller nicht in SIPROIMI, sondern im Rahmen der Erstaufnahme (s.o.) untergebracht werden. Italien garantiert, dass diese Zentren dafür geeignet sein werden, um alle Arten von Betroffenen zu betreuen und die Einhaltung ihrer Grundrechte zu gewährleisten, vor allem die Familieneinheit und den Schutz Minderjähriger (AIDA 5.2020).

Dublin-Rückkehrer, die bereits einen Asylantrag in Italien gestellt hatten, bevor sie das Land verließen, sollten von der zuständigen Präfektur vom Flughafen in die Provinz der Antragstellung transferiert werden. Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Asylantrag in Italien gestellt haben, sind in der Provinz des Ankunftsflughafens unterzubringen. Die Familieneinheit sollte dabei immer gewahrt bleiben. Manchen Rückkehrern wurde in der Vergangenheit die Unterbringung verweigert oder sie mussten lange auf diese warten (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).

Solange sie im Asylverfahren sind und ihnen das Recht auf Unterkunft nicht entzogen wurde, können Dublin-Rückkehrer wie alle anderen Asylsuchenden in Italien nur in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Waren sie zuvor in einer staatlichen Unterbringung oder wurde ihnen eine solche auch nur zugeteilt, die sie unerlaubt verlassen oder nicht bezogen haben, haben sie das Recht auf Unterbringung verloren. Das Recht auf Unterkunft können Asylsuchende nur zurückerhalten, wenn sie nachweisen können, dass sie das Zentrum wegen eines Unfalls, höherer Gewalt oder aus einem anderen triftigen persönlichen Grund verlassen haben. Die Präfektur entscheidet, ob die Person wiederaufgenommen wird. Wenn die Präfektur die Wiederaufnahme in das System ablehnt, gibt es keine alternative staatliche Unterbringungsmöglichkeit (SFH 1. 2020).

Wenn Dublin-Rückkehrer nach ihrer Überstellung nach Italien kein Anrecht mehr auf Unterkunft haben, kann das zu Problemen bei der Registrierung im Gesundheitssystem führen, wenn sie keine richtige Adresse als ihren ständigen Aufenthaltsort vorweisen können. Nicht alle Gemeinden in Italien erlauben die Angabe der Adresse einer NGO oder einer fiktiven Adresse (SFH 1.2020).

Quellen:

• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

• SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-italien-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf, Zugriff 8.10.2020

6.3 Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 03.11.2020

Asylwerber und Personen mit einem Schutzstatus in Italien müssen sich beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann in Bezug auf medizinische Versorgung dieselben Rechte und Pflichten wie italienische Staatsbürger.

Das gilt unabhängig davon, ob sie staatliche Versorgung genießen oder nicht. Das Recht auf medizinische Versorgung entsteht formell im Moment der Registrierung eines Asylantrags, wobei es aber in der Praxis in einigen Regionen bis zu einigen Monaten Verzögerung kommen kann, weil bei bestimmten Quästuren die Zuweisung des Steuer-Codes (codice fiscale), die im Zuge der Formalisierung des Asylantrags erfolgt und für den Zugang zur medizinischen Versorgung wichtig ist, länger dauert.

Bis dahin haben die betroffenen Asylsuchenden nur Zugang zu medizinischen Basisleistungen wie etwa einer Notfallversorgung, wie sie gemäß Artikel 35 des Einwanderungsgesetzes (TUI) auch illegalen Migranten zusteht. Die Anmeldung beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst erfolgt im zuständigen Büro des lokalen Gesundheitsdienstes (Azienda Sanitaria Locale , ASL), in der Gemeinde, in der der Asylwerber seinen Wohnsitz (domicilio) hat. Im Zuge der Registrierung wird eine europäische Gesundheitskarte (tessera europea di assicurazione malattia, auch oft bezeichnet als tessera sanitaria) ausgestellt.

Die Registrierung berechtigt zu folgenden Leistungen: freie Wahl eines Hausarztes bzw. Kinderarztes (kostenlose Arztbesuche, Hausbesuche, Rezepte, usw.); Geburtshilfe und gynäkologische Betreuung bei der Familienberatung (consultorio familiare) ohne allgemeinärztliche Überweisung; kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern. Das Recht auf medizinische Versorgung sollte im Rahmen der Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis nicht erlöschen. Wenn die Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, besteht keine Garantie auf Zugang zu nicht notwendiger medizinischer Versorgung bis zur Erneuerung derselben, was aufgrund bürokratischer Verzögerungen einige Zeit dauern kann. 19 Wenn Asylwerber keine Wohnsitzmeldung (domicilio) vorweisen können, erhalten sie auch keine Gesundheitskarte. Eines der größten Hindernisse für den Zugang zu Gesundheitsdiensten ist jedoch die Sprachbarriere (AIDA 5.2020).

Mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) ist die medizinische Versorgung von Asylwerbern weiterhin gewährleistet. Es wurde oft kritisiert, dass durch das neue Gesetz Asylwerber von der medizinischen Versorgung abgeschnitten würden, weil deren Registrierung bei den Gemeinden (residenza) nicht mehr vorgesehen ist. Letzteres ist grundsätzlich richtig, allerdings unterscheidet Italien beim „Wohnsitz“ zwischen „residenza“ und „domicilio“ (VB 19.2.2019).

Nach der neuen Rechtslage ist die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylwerber auf Basis des „domicilio“ garantiert (CILD 1.2.2019), welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Somit ist auch für Asylwerber weiterhin die Ausstellung einer Gesundheitskarte (tessera sanitaria) möglich, mit welcher sie Zugang zu den medizinischen Leistungen erhalten. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmezentren Ärzte beschäftigt, die neben medizinischen Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen auch die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (VB 19.2.2019).

Manche Asylwerber haben aufgrund von Problemen mit der Wohnsitzmeldung oder einer fehlenden Steuernummer Schwierigkeiten beim Zugang zu medizinischer Versorgung. Fiktive Adressen oder Adressen von NGOs werden nicht überall akzeptiert und bergen Probleme bei der Wahl eines Hausarztes, welcher in der Nähe des Wohnortes angesiedelt sein soll. Die Sprachbarriere ist auch ein großes Problem. Es gibt Organisationen, welche Personen beim Zugang zu medizinischer Versorgung behilflich sind (RW 6.2020).

Asylwerber können sich auf Basis einer Eigendeklaration bei den Büros des lokalen Gesundheitsdienstes (ASL) als bedürftig registrieren lassen. Sie werden dann arbeitslosen Staatsbürgern gleichgestellt und müssen keine Praxisgebühr („Ticket“) bezahlen. Die Befreiung gilt zunächst für zwei Monate ab Asylantragstellung (da in diesem Zeitraum kein Zugang zum Arbeitsmarkt besteht). Um die Ticket-Befreiung danach beizubehalten, müssen sich die AW offiziell arbeitslos melden. Aber die Praxis ist national nicht einheitlich gehandhabt und einige Regionen gewähren die Ticket-Befreiung nach zwei Monaten nicht weiter, weil sie die Asylwerber als inaktiv betrachten, jedoch nicht als arbeitslos (AIDA 5.2020), da sie vorher nie in Italien gearbeitet haben (RW 6.2020; vgl. SFH 1.2020).

Laut Gesetz ist die Ticket-Befreiung auch bei niedrigem Einkommen möglich, doch Asylwerber mit niedrigem Einkommen kommen nicht in diesen Genuss, da ihnen entsprechende Bestätigungen aufgrund mangelnder verwaltungsinterner Anweisungen nicht ausgestellt werden (AIDA 5.2020).

Asylwerber mit psychischen Problemen und Folteropfer haben dasselbe Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung wie italienische Bürger. In der Praxis haben sie die Möglichkeit, von speziellen Leistungen des nationalen Gesundheitsdienstes, spezialisierter NGOs oder privater Stellen zu profitieren. Die NGOs ASGI und Ärzte ohne Grenzen betreiben in Rom seit April 2016 ein Zentrum zur Identifikation und Rehabilitation von Folteropfern. ASGI arbeitet auch mit anderen Institutionen zusammen und beobachtet die Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechte der Migranten auf medizinische Versorgung (AIDA 5. 2020).

Die psychische Gesundheitsversorgung ist in Italien im OECD-Vergleich nur mäßig ausgebaut, was Italiener genauso wie Asylwerber und Schutzberechtigte gleichermaßen betrifft (SFH 1.2020).

Personen mit irregulärem Aufenthalt können eine STP-Karte (straniero temporaneamente presente) beantragen (sechs Monate gültig, verlängerbar), mit der sie Zugang zu medizinischer Not- und Vorsorgeversorgung haben (RW 6.2020).

Um eine STP-Karte zu erhalten, müssen die Personen sich mit einer Erklärung zur finanziellen Notlage, einer Erklärung, dass er/sie sich nicht beim nationalen Gesundheitsdienst (SSN) registrieren kann, sowie Identitätsdokumenten bei einem Büro des lokalen Gesundheitsdienstes melden. Die STP-Karte ist sechs Monate in ganz Italien gültig (SFH 1.2020). MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).

Quellen:

• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https: //www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

• CILD - Coalizione Italiana Libertà e Diritti Civili (1.2.2019): ANAGRAFE E DIRITTI: COSA CAMBIA COL DECRETO SALVINI. Know Your Rights, https://immigrazione.it/docs/2019/ know-your-rights.pdf, Zugriff 30.10.2020

• MedCOI – Medical Country of Origin Information (14.12.2016): Auskunft MedCOI, per E-Mail

• RW – Raphaelswerk (6.2020): Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, https://www.raphaelswerk.de/cms/contents/raphaelswerk.de/medien/ dokumente/information-italien/i_rueckueberstellung_info_raphaelswerk_ev_ii_neuaufl_v 11.pdf?d=a&f=pdf, Zugriff 7.10.2020 21

• SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-ital ien-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf, Zugriff 8.10.2020

• VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

Es kann nicht festgestellt werden, dass Sie bei Ihrer Überstellung nach Italien einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wären.

Es haben sich keine medizinisch belegbaren Tatsachen ergeben, die einer Außerlandesbringung gem. § 61 FPG entgegenstehen.

A)       Beweiswürdigung

Die Behörde gelangt zu obigen Feststellungen aufgrund folgender Erwägungen:

[ … ]

?        Betreffend die Feststellungen zur Lage im Mitgliedsstaat:

Die Feststellungen zum Mitgliedsstaat basieren auf einer aktualisierten Zusammenstellung der Staatendokumentation des BFA. Diese ist gemäß § 5 BFA-G zur Objektivität verpflichtet und unterliegt der Beobachtung eines Beirates. Es ist daher davon auszugehen, dass alle zitierten Unterlagen von angesehenen staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen stammen, ausgewogen zusammengestellt wurden und somit keine Bedenken bestehen, sich darauf zu stützen.

Die Länderfeststellungen ergeben sich aus den zitierten, unbedenklichen Quellen. Bezüglich der von der erkennenden Behörde getätigten Feststellungen zur allgemeinen Situation im Mitgliedstaat ist festzuhalten, dass diese Kenntnisse als notorisch vorauszusetzen sind. Gemäß § 45 Absatz 1 AVG bedürfen nämlich Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig sind (so genannte „notorische“ Tatsachen; vergleiche Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze 13-MSA1998-89) keines Beweises. „Offenkundig“ ist eine Tatsache dann, wenn sie entweder „allgemein bekannt“ (notorisch) oder der Behörde im Zuge ihrer Amtstätigkeit bekannt und dadurch „bei der Behörde notorisch“ (amtsbekannt) geworden ist; „allgemein bekannt“ sind Tatsachen, die aus der alltäglichen Erfahrung eines Durchschnittsmenschen – ohne besondere Fachkenntnisse – hergeleitet werden können (VwGH 23.01.1986, 85/02/0210; vergleiche auch Fasching; Lehrbuch 2 Rz 853). Zu den notorischen Tatsachen zählen auch Tatsachen, die in einer Vielzahl von Massenmedien in einer der Allgemeinheit zugänglichen Form über Wochen hin im Wesentlichen gleichlautend und oftmals wiederholt auch für einen Durchschnittsmenschen leicht überprüfbar publiziert wurden, wobei sich die Allgemeinnotorietät nicht auf die bloße Verlautbarung beschränkt, sondern allgemein bekannt ist, dass die in den Massenmedien verbreiteten Tatsachen auch der Wahrheit entsprechen.

Zur Aktualität der Quellen, die für die Feststellungen herangezogen wurden, wird angeführt, dass diese, soweit sich die erkennende Behörde auf Quellen älteren Datums bezieht, aufgrund der sich nicht geänderten Verhältnisse nach wie vor als aktuell bezeichnet werden können.

Im Zuge Ihres Parteiengehörs gaben Sie, zu Italien befragt an, dass Sie nicht in Italien gewesen wären. Weiter gaben Sie an, dass Sie nicht nach Italien wollen würden, auch Ihre Kinder wären hier sehr glücklich, Sie wären auch sehr glücklich hier. Sie hätten hier sogar Kleidung zum Anziehen bekommen, was sollten Sie mit Italien, Sie würden dort nicht hinwollen.

Ihnen wurden die aktuellen Länderfeststellungen zu Italien am 14.01.2021 übermittelt. Am 19.01.2021 zu diesen befragt, gaben Sie an, dass Sie diese Unterlagen erst am Donnerstag bekommen hätten. Dort wo Sie untergebracht wären, dort gäbe es auch einen Mitarbeiter, eine Dolmetscher, dem hätten Sie das gezeigt, und er hätte gemeint, dass Sie wohl in Italien gewesen wären, aber Sie hätten gesagt, dass Sie nie in Italien gewesen wären.

Auf die Frage, ob Sie sich bezüglich der Länderinformationsblätter an die Rechtsberatung gewandt hätten, gaben Sie an, dass Sie gerade eben dort gewesen wären, die RB hätten nur gemeint, dass Sie vielleicht nach Italien müssen würden. Sie hätten gesagt, dass Sie nicht nach Italien wollen würden, Ihre Kinder und Sie wären sehr glücklich hier. Sie würden hierbleiben wollen. Sie würden hier 40 Euro pro Person bekommen, Kleidung und Essen.

Bezüglich Ihrer Angaben ist auszuführen, dass sich Asylwerber im Zuge der Feststellung des für das Asylverfahren zuständigen Dublinstaates nicht jenen Mitgliedstaat aussuchen können, in dem sie bestmögliche Unterbringung und Versorgung erwarten können. Es ist auch auf den Hauptzweck der Dublin VO zu verweisen, wonach eine im Allgemeinen von individuellen Wünschen der Asylwerber losgelöste Zuständigkeitsreglung zu treffen ist.

Die Tatsache, dass die Sozialsysteme und Versorgungsbedingungen in anderen EU-Mitgliedstaaten nicht immer demselben hohen Standard Österreichs entsprechen ist für sich allein genommen nicht ausreichend um einen Selbsteintritt Österreichs zu rechtfertigen.

Weiters ist davon auszugehen, dass die allgemeine Lage für nach Italien überstellte Asylwerber keineswegs die reale Gefahr einer gegen menschenrechtliche Bestimmungen verstoßenden Behandlung erkennen lässt. Insbesondere sind die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage unbedenklich und entsprechen den sonst in der Union geltenden Grundsätzen. Weiters ist davon auszugehen, dass die italienischen Behörden eine MRK-widrige Außerlandesschaffung nicht vollziehen würden bzw. Ihnen gegen tatsächlich allenfalls rechtswidrige Entscheidungen wirksamer Rechtschutz zukäme. Konkrete gegen diese Annahme sprechende Gründe haben Sie nicht vorgebracht.

Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass sich Italien, wenn auch stillschweigend aufgrund der Dublin III-Verordnung zur Übernahme bereiterklärte und somit europarechtlich zur Prüfung des Asylantrages verpflichtet ist. Ebenso hat Italien die Statusrichtlinie, die Verfahrensrichtlinie und die Aufnahmerichtlinie anzuwenden, ein den dort genannten Anforderungen entsprechendes Asylverfahren zu führen, beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen Schutz zu gewähren und für die Dauer des Verfahrens eine entsprechende Grundversorgung zu bieten. Zudem sind im Verfahren keine Hinweise darauf hervorgekommen, die darauf hindeuten, dass Italien in Ihrem Fall kein rechtskonformes Verfahren durchführen würde.

Sie konnten nicht konkret und substantiiert vorbringen, warum Italien in Ihrem Fall Ihren Asylantrag nicht unter Einhaltung der innerstaatlichen, völker- und europarechtlichen Bestimmungen prüfen und eine entsprechende Entscheidung treffen sollte, weshalb die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der „Sicherheit“ der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall nicht erschüttert werden konnte.

Aus Ihren Angaben sind somit keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden, dass Sie tatsächlich in konkrete Gefahr liefen, in Italien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass Ihnen eine Verletzung Ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnten.“

Es folgte in den angefochtenen Bescheiden die rechtliche Beurteilung zu den beiden Spruchpunkten. Die Anträge auf internationalen Schutz seien zurückzuweisen, weil Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO formell erfüllt (und implizit sohin Italien für die Prüfung der Anträge zuständig) sei. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der GRC oder der EMRK im Falle einer Überstellung der BF ernstlich für möglich erscheinen lassen, sei in den Verfahren nicht hervorgekommen. Der im Spruch genannte Staat sei bereit, die BF einreisen zu lassen und ihre Anträge auf internationalen Schutz zu prüfen. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Gefahr der Verletzung der EMRK oder eine systematische notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte in Italien seien nicht zu erkennen. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG konnte nicht erschüttert werden und es habe sich kein Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ergeben. Weiters lägen keine humanitären Gründe gem. Art. 16 und 17 Abs. 2 leg.cit. vor. Die gemeinsame Ausweisung der BF stelle mangels sonstiger familiärer Anknüpfungspunkte und der erst kurzen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet keine Verletzung von Art. 8 EMRK dar.

Die Bescheide wurden den BF am 21.01.2021 zugestellt.

Gegen diese Bescheide richtet sich die fristgerecht erhobene, gemeinsame Beschwerde der BF, in welcher sie im Wesentlichen geltend machten, dass die 1.-BF unter Rückenschmerzen, sowie über Übelkeit, Sodbrennen und einer Blasenentzündung leide und Medikamente benötige. Zudem leide sie an Schmerzen in den Beinen, die von einem Taliban Angriff im Herkunftsstaat resultieren würden. Gerügt wurde in der Beschwerde, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft geblieben sei und insbesondere keine individuelle Zusicherung seitens Italiens im Hinblick auf die Unterbringung und Versorgung der BF eingeholt worden sei; diesbezüglich bezog sich die Beschwerde im Wesentlichen auf Sachverhalte und Judikatur aus dem Zeitraum 2014 bis 2016.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang.

Besondere, in den Personen der Antragsteller gelegene Gründe, welche für eine reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Italien sprechen, liegen nicht vor.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Lage im Mitgliedstaat an.

Die BF reisten zu einem nicht konkret ermittelbaren Zeitpunkt in Italien ein, wobei offensichtlich ist, dass sie unter Verwendung ihrer italienischen Schengen-Visa gültig vom 21.10.2019 bis 03.11.2020 in das Staatsgebiet Italiens einreisen konnten.

Nicht festgestellt werden konnte hingegen, dass die BF - wie von der 1.-BF behauptet - von Afghanistan in einem Lkw, konkret in einem Container, bis ins Bundesgebiet gereist und erst im Bundesgebiet in einen Bus umgestiegen wären.

Die 1.-BF leidet seit bereits 4 Jahren an Rückenschmerzen und Schmerzen in den Beinen, und litt im Oktober 2020 an einer Blasenentzündung. Die BF war im Bundesgebiet bei einem Arzt vorstellig und wurden ihr Medikamente verschrieben. Weitere Behandlungsnotwendigkeiten hat die 1.-BF weder vorgebracht noch ergeben sich solche aus der Aktenlage. Insbesondere hat die BF keine tödlichen oder akut lebensbedrohenden medizinischen Probleme geltend gemacht.

Die mj. 2.- bis 5.-BF sind gesund und benötigen keinerlei medizinische Behandlung.

Die BF haben im Bundesgebiet keine Verwandten und auch keine sonstigen Personen, mit denen sie besonders eng verbunden wären.

2.       Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus dem Akt des BFA, insbesondere aus den darin in Kopie aufliegenden Schengen-Visa der BF mit dem oben genannten Gültigkeitszeitraum.

Der festgestellte Reiseweg und der Umstand, dass die BF offensichtlich mit den italienischen Visa in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen konnten, ergibt sich aus der offensichtlichen Aktenlage. Die dem entgegenstehenden Behauptungen der 1.-BF, erweisen sich demgegenüber als völlig unglaubwürdig: So kann nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen werden, dass die BF keine Kenntnis darüber gehabt haben, dass sie sich in Italien befunden haben. Angesichts des Umstandes, dass die BF im Besitz von Bustickets von Mailand nach München gewesen sind, erscheint es geradezu absurd, dass die BF nichts von ihrer Reiseroute gewusst hätten und erst in Österreich in einen Bus eingestiegen wären. Offensichtlich verschleiert die 1.-BF bewusst ihren Reiseweg.

Die Feststellungen zur gesundheitlichen und familiären Situation der BF ergeben sich aus dem Vorbringen der 1.-BF.

Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat resultiert aus den umfangreichen und durch aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, welche auf alle entscheidungsrelevanten Fragen eingehen.

Das Bundesamt hat im angefochtenen Bescheid neben Ausführungen zur Versorgungslage von Asylwerbern in Italien auch Feststellungen zur italienischen Rechtslage und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen (darunter konkret auch im Hinblick auf „Dublin-Rückkehrer“) samt dem dortigen jeweiligen Rechtsschutz im Rechtsmittelwege getroffen. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Erwägungen zur Beweiswürdigung an.

Soweit in der Beschwerde die Allgemeinsituation für asylsuchenden Italien angezweifelt wird und insbesondere gerügt XXXX wird, dass keine Einzelfallzusicherung seitens Italiens im Hinblick auf Unterbringung und Versorgung der BF eingeholt worden sei, ist den Ausführungen entgegenzuhalten, dass die BF diesbezüglich lediglich Umstände und Judikatur, die den Zeitraum 2014 bis 2016 betreffen, ins Treffen führen konnten. Vor dem Hintergrund der aktuellen Feststellungen zur Aufnahme von

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten