TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/17 W184 2184521-3

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Veröffentlicht am 17.02.2021
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Entscheidungsdatum

17.02.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §33 Abs1

Spruch


W184 2184521-3/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner PIPAL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.02.2020, Zl. 1093810102/151716830, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die beschwerdeführende Partei, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, brachte nach der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 06.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Bei der Erstbefragung am 07.11.2015 gab die beschwerdeführende Partei das Geburtsdatum XXXX an, und mit Schriftsatz des gesetzlichen Vertreters vom 16.11.2015 wurde das Geburtsdatum auf den XXXX korrigiert.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 22.04.2016 wurde die Obsorge dem Kinder- und Jugendhilfeträger für Wien übertragen und dabei von dem Geburtsdatum XXXX ausgegangen.

Das Altersfeststellungsgutachten vom 03.08.2016 ergab sodann das Geburtsdatum XXXX .

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2017 wurde folgende Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz getroffen:

„I. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.

II. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG wird eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen.

Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.

IV. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

Dieser Bescheid wurde der beschwerdeführenden Partei persönlich zugestellt, wobei der Beginn der Abholfrist am 09.11.2017 war.

Die Magistratsabteilung 11 erklärte mit Mail an das Bundesamt vom 24.11.2017, dass ein Zustellmangel vorliege, weil es einen noch gültigen Obsorgebeschluss gebe.

Am 28.11.2017 wurde der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2017 nochmals an die Magistratsabteilung 11 zugestellt und diese brachte dagegen eine Beschwerde vom 21.12.2017 ein, welche mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.11.2018 als unzulässig zurückgewiesen wurde, wobei in der Begründung ausgeführt wurde, dass die beschwerdeführende Partei am XXXX volljährig geworden sei und das im Obsorgebeschluss genannte Geburtsdatum XXXX keine Bindungswirkung für das Asylverfahren entfalte. Es wurde die ordentliche Revision zugelassen, weil zu dieser Frage keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes existiere, sondern nur eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 07.03.2012, Zl. U 1558/11, worin auf eine Entscheidung des Asylgerichtshofes verwiesen werde, welche allerdings nicht explizit von einer Bindungswirkung auch hinsichtlich des Geburtsdatums spreche.

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 09.01.2020, Ro 2019/19/0010 bis 0011-3, wurden die Revisionen gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.11.2018 ab- bzw. zurückgewiesen. In der Begründung wurde ausgeführt, dass es sich bei dem im Spruch des Obsorgebeschlusses angeführten Geburtsdatum um eine biologische Tatsache und nicht um eine normativ verbindliche Feststellung handle, weshalb daraus keine Bindungswirkung für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erwachse. Dieses Erkenntnis wurde dem Vertreter der beschwerdeführenden Partei am 27.01.2020 zugestellt.

Am 07.02.2020 wurde der gegenständliche, mit 06.02.2020 datierte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand samt Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eingebracht. In der Begründung wurde ausgeführt, die beschwerdeführende Partei sei aufgrund der Auskunft der Magistratsabteilung 11 von der Rechtsmeinung ausgegangen, dass der Obsorgebeschluss für die Asylbehörden verbindlich und daher die Zustellung des Bescheides an ihn persönlich unwirksam sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde folgende Entscheidung getroffen:

„I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 06.02.2020 wird gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG abgewiesen.

II. Gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt.“

Ein Zustelldatum des angefochtenen Bescheides ist nicht aktenkundig.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 05.03.2020, in welcher im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt wurde. Die Kinder- und Jugendhilfe, welche die Obsorge gehabt habe, habe der beschwerdeführenden Partei versichert, dass er keinesfalls ein Rechtsmittel erheben solle, weil die Zustellung nichtig sei. Als Zustelldatum des angefochtenen Bescheides wurde in der Beschwerde der 18.02.2020 angegeben.

Diese Beschwerde vom 05.03.2020 wurde am 30.12.2020, also nach knapp zehn Monaten, dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Mit Beschluss des zuständigen Bezirksgerichtes vom 22.04.2016 wurde die Obsorge über die beschwerdeführende Partei der Wiener Magistratsabteilung 11 als Kinder- und Jugendhilfeträger für Wien übertragen und dabei von dem Geburtsdatum XXXX ausgegangen.

Der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2017 wurde der beschwerdeführenden Partei, die laut Altersfeststellungsgutachten vom 03.08.2016 bereits am XXXX das 18. Lebensjahr vollendete, am 09.11.2017 rechtswirksam persönlich zugestellt.

Die beschwerdeführende Partei erhielt von der Wiener Magistratsabteilung 11 die Auskunft, dass er keinesfalls ein Rechtsmittel erheben solle, weil die Zustellung wegen des noch gültigen Obsorgebeschlusses nichtig sei.

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 09.01.2020, zugestellt dem Vertreter der beschwerdeführenden Partei am 27.01.2020, wurde entschieden, dass es sich bei dem im Spruch des Obsorgebeschlusses angeführten Geburtsdatum um eine biologische Tatsache und nicht um eine normativ verbindliche Feststellung handle, weshalb daraus keine Bindungswirkung für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erwachse.

Der gegenständliche Wiedereinsetzungsantrag wurde am 07.02.2020 eingebracht und damit begründet, dass die beschwerdeführende Partei aufgrund der Auskunft der Magistratsabteilung 11 von der Rechtsmeinung ausgegangen sei, der Obsorgebeschluss sei für die Asylbehörden verbindlich und daher sei die Zustellung des Bescheides an ihn persönlich unwirksam.

2. Beweiswürdigung:

Die maßgeblichen Feststellungen ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und dem Verwaltungsgerichtsakt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

§ 33 VwGVG lautet:

„Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 33. (1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

(2) …

(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. In den Fällen des Abs. 2 ist der Antrag binnen zwei Wochen
1.         nach Zustellung eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung, der bzw. die das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.
2.         nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Stellung eines Antrags auf Vorlage Kenntnis erlangt hat,

bei der Behörde zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

(4) Bis zur Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

(6) …“

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Ereignis als unabwendbar zu qualifizieren, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden kann, und als unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht einberechnet hat und mit zumutbarer Aufmerksamkeit nicht erwarten konnte (VwGH 09.06.2004, 2004/16/0096). Die zumutbare Aufmerksamkeit ist dann noch gewahrt, wenn der Partei hinsichtlich der Wahrung der Frist nur ein minderer Grad des Versehens unterläuft.

Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers in seinem Antrag gesteckt wird (VwGH 22.02.2001, 2000/20/0534). Den Wiedereinsetzungswerber trifft somit die Pflicht, alle Wiedereinsetzungsgründe innerhalb der gesetzlichen Frist vorzubringen und glaubhaft zu machen; es ist nicht Sache der Behörde, tatsächliche Umstände zu erheben, die einen Wiedereinsetzungsantrag bilden könnten (VwGH 22.03.2000, 99/01/0268). Im Übrigen geht der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Partei im Verfahren wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand an den im Antrag vorgebrachten Wiedereinsetzungsgrund gebunden bleibt. Eine Auswechslung dieses Grundes im Berufungsverfahren ist rechtlich unzulässig (VwGH 25.02.2003, 2002/10/0223).

Die Wendung „minderer Grad des Versehens“ ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Nach der Rechtsprechung darf der Wiedereinsetzungswerber nicht auffallend sorglos gehandelt, also die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben (VwGH 29.11.1994, 94/05/0318). Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, E 96 ff zu § 71 AVG). Bei der Beurteilung, ob eine auffallende Sorglosigkeit vorliegt, ist also ein unterschiedlicher Maßstab anzulegen, wobei es insbesondere auf die Rechtskundigkeit und die Erfahrung im Umgang mit Behörden ankommt.

Im vorliegenden Fall war die beschwerdeführende Partei durch einen Rechtsirrtum an der rechtzeitigen Einbringung der Beschwerde gehindert. Er vertraute auf die nicht unplausible Auskunft einer zuständigen Behörde, nämlich der Wiener Magistratsabteilung 11 als Kinder- und Jugendhilfeträger für Wien, und erst mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 09.01.2020 wurde geklärt, dass es sich bei dem im Spruch des Obsorgebeschlusses angeführten Geburtsdatum um eine biologische Tatsache und nicht um eine normativ verbindliche Feststellung handle, weshalb damit nicht auch das Geburtsdatum verbindlich festgestellt werde.

Die Rechtsfrage, ob auch ein Rechtsirrtum ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen kann, wird in der jüngsten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht mehr einheitlich beantwortet. Nach der überwiegenden Anzahl der diesbezüglichen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Rechtsirrtum einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen, wenn die weiteren Voraussetzungen, insbesondere mangelndes oder nur leichtes Verschulden, vorliegen (z. B. VwGH 25.09.2019, Ra 2019/19/0199; 24.05.2012, 2011/03/0127). Teilweise wird aber auch die gegenteilige Ansicht vertreten (z. B. VwGH 27.08.2014, Ro 2014/05/0030; 21.02.2014, Ro 2014/06/0009).

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn die Rechtsfrage, ob ein Rechtsirrtum ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen kann, wird in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet.

Schlagworte

Altersfeststellung Geburtsdatum Obsorge Rechtsauskunft Rechtsirrtum Revision zulässig unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis Wiedereinsetzung Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W184.2184521.3.00

Im RIS seit

18.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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