TE Vwgh Erkenntnis 1997/3/18 96/08/0151

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Veröffentlicht am 18.03.1997
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §12 Abs3 litf;
AlVG 1977 §39 idF 1992/416;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 96/08/0156 E 15. November 2000

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der R in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 13. September 1995, Zl. Abt.12/7022/7100 B, betreffend Sondernotstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am 3. März 1995 beim Arbeitsmarktservice-Versicherungsdienste Wien Sondernotstandshilfe. Laut Arbeitsbescheinigung der "TNC" stand sie zuletzt in der Zeit vom 5. Oktober 1992 bis 31. Jänner 1993 in einem arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis, welches durch Fristablauf endete. Weiters gab die Beschwerdeführerin an, seit 1992 laufend als ordentliche Hörerin an der Universität Wien (Studienrichtung Soziologie) inskribiert zu sein. Nach der Geburt ihrer Tochter am 5. März 1993 bezog die Beschwerdeführerin im Anschluß an den Wochengeldbezug das volle Karenzurlaubsgeld bis 5. März 1995.

Mit Bescheid vom 28. März 1995 gab das Arbeitsmarktservice-Versicherungsdienste Wien dem Antrag gemäß § 39 Abs. 1 und 3 sowie § 33 Abs. 1, § 38, § 7 Abs. 1 Z. 1, § 12 Abs. 3 lit. f in Verbindung mit § 12 Abs. 4 AlVG in der ab 1. Jänner 1994 geltenden Fassung "mangels Arbeitslosigkeit" mit der Begründung keine Folge, daß die Beschwerdeführerin zuletzt vom 5. Oktober 1992 bis 3. Jänner 1993 (richtig wohl: 31. Jänner 1993) einer Beschäftigung nachgegangen sei, und seit 1992 laufend als ordentliche Hörerin an der Universität Wien studiere. Hieraus ergebe sich, daß sie im letzten Jahr vor Eintritt ihrer Arbeitslosigkeit dem Studium weniger als ein halbes Jahr lang, somit nicht durch längere Zeit hindurch, neben ihrem Dienstverhältnis oblegen sei. Aufgrund der Bestimmung des § 12 Abs. 4 AlVG in der ab 1. Jänner 1994 geltenden Fassung könne ab diesem Tag keine Ausnahmegenehmigung mehr erteilt werden. Die Beschwerdeführerin gelte nicht mehr als arbeitslos.

In der dagegen erhobenen Berufung wandte die Beschwerdeführerin ein, daß das Arbeitsamt-Versicherungsdienste Wien mit dem Hinweis auf § 12 AlVG offensichtlich den Regelungszweck der Sondernotstandshilfe verkenne. Primäre Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung von Sondernotstandshilfe sei nicht Arbeitswilligkeit und Arbeitslosigkeit im Sinne der §§ 9 bis 12 AlVG, sondern die mangelnde Unterbringungsmöglichkeit für das Kind. So bestimme z. B. § 39 Abs. 4 AlVG, daß auch während der Zeit eines Urlaubes gegen Entfall der Bezüge (also bei aufrechtem Dienstverhältnis) Arbeitslosigkeit gegeben sei. In § 39 Abs. 3 AlVG werde außerdem von der "sinngemäßen" Anwendung des Abs. 1 gesprochen, sodaß die für den Arbeitslosengeldbezug relevanten Voraussetzungen nur eingeschränkt Anwendung finden könnten. So gesehen könne daher auch die formale Inskription der Beschwerdeführerin keinen Leistungsausschlußgrund abgeben, da sie de facto wegen der überwiegenden Pflege ihres Kindes am Studienbetrieb nicht teilnehme.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Begründend wurde ausgeführt, daß im Berufungsverfahren erhoben worden sei, daß das Dienstverhältnis der Beschwerdeführerin am 31. Jänner 1993 durch Zeitablauf geendet habe und eine Parallelität von Studium und Dienstverhältnis lediglich 120 Tage gegeben gewesen sei. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat u.a. in diesem Beschwerdeverfahren mit Beschluß vom 14. November 1995, Zl. A 177/95, an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, näher angeführte Satzteile des § 12 Abs. 3 lit. f AlVG in der Stammfassung, BGBl. Nr. 609/1977, und des § 12 Abs. 4 AlVG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 314/1994 - aus den im Beschluß vom 25. April 1995, Zl. A 19/95 (94/08/0259) ausführlich dargelegten Gründen - als verfassungswidrig aufzuheben.

Der Verfassungsgerichtshof hat sich im Erkenntnis vom 7. März 1996, G 72/95 u.a., diesen Bedenken nicht angeschlossen und demgemäß die Anträge, soweit sie als zulässig erachtet wurden, abgewiesen. Der gegenständliche Antrag wurde mit der Begründung zurückgewiesen, daß seine Einbeziehung in das Verfahren im Hinblick auf das fortgeschrittene Prozeßgeschehen nicht möglich gewesen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In den Beschwerdeausführungen wird im wesentlichen geltend gemacht, das Motiv für die Gewährung von Sondernotstandshilfe sei nicht so sehr die fehlende Arbeitsmöglichkeit der Mutter, sondern nach § 39 Abs. 1 Z. 2 AlVG die fehlende Unterbringungsmöglichkeit für das Kind. Der Gesetzgeber habe klar zum Ausdruck gebracht, daß gemäß § 39 Abs. 3 in Verbindung mit § 38 AlVG die Bestimmungen über die Anspruchsvoraussetzungen auf Gewährung von Arbeitslosengeld nur "sinngemäß" anzuwenden seien. Eine verfassungskonforme Interpretation würde zum Ergebnis führen, daß die Regelung des § 12 Abs. 3 lit. f AlVG von der sinngemäßen Anwendung ausgenommen sei.

Diesem Vorbringen kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Der die "Sondernotstandshilfe für Mütter und Väter" regelnde § 39 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl. Nr. 416/1992 lautet auszugsweise:

"§ 39. (1) Mütter oder Väter haben Anspruch auf Sondernotstandshilfe bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes, wenn

1.

der Anspruch auf Karenzurlaubsgeld erschöpft ist,

2.

sie wegen Betreuung ihres Kindes, dessen Geburt Anlaß für die Gewährung des Karenzurlaubsgeldes war, keine Beschäftigung annehmen können, weil erwiesenermaßen für dieses Kind keine Unterbringungsmöglichkeit besteht, und

3.

mit Ausnahme der Arbeitswilligkeit die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung der Notstandshilfe erfüllt sind.

Der Anspruch auf Karenzurlaubsgeld ist erschöpft, wenn das Höchstausmaß erreicht ist oder infolge Verzichtes (§ 26a Abs. 1) kein Karenzurlaubsgeld mehr bezogen werden kann und der Vater des Kindes nicht im Bezug des vollen Karenzurlaubsgeldes gemäß § 27 steht.

(2) ...

(3) Im übrigen sind die Bestimmungen über die Notstandshilfe, soweit im folgenden nicht anders bestimmt ist, anzuwenden. Hinsichtlich des Ruhens der Sondernotstandshilfe gilt § 29 sinngemäß.

(4) Arbeitslosigkeit ist auch während der Zeit eines Urlaubes gegen Entfall der Bezüge anzunehmen."

Ausgangspunkt dieser Regelung war der durch die Novelle zum AlVG BGBl. Nr. 179/1974 eingeführte Abs. 5 des § 26, wonach alleinstehenden Müttern, die wegen Betreuung ihres Kindes, dessen Geburt Anlaß für die Gewährung des Karenzurlaubsgeldes war, keine Beschäftigung annehmen können, weil erwiesenermaßen für dieses Kind keine Unterbringungsmöglichkeit besteht, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres dieses Kindes Notstandshilfe zu gewähren ist, sofern der Anspruch auf Karenzurlaubsgeld erschöpft ist und, mit Ausnahme der Arbeitswilligkeit, die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung der Notstandshilfe erfüllt werden.

Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage ziele der vorliegende Gesetzesentwurf in erster Linie darauf ab, die Entscheidung, ein Kind zur Welt zu bringen, positiv zu beeinflussen und die Situation der Frauen, die sowohl Mütter als auch Dienstnehmerinnen seien, nach der Entbindung und in den ersten Lebensjahren des Kindes zu verbessern (vgl. 1032 BlgNR XIII. GP, Seite 6).

Mit einer weiteren Novelle zum AlVG BGBl. Nr. 289/1976 wurde die im bisherigen § 26 Abs. 5 enthaltene Sonderregelung der Gewährung von Notstandshilfe an alleinstehende Mütter "aus Gründen der besseren Übersicht und Verständlichkeit" unter dem neuen Abschnitt 4 "Sondernotstandshilfe für alleinstehende Mütter" mit unverändertem Text aufgenommen (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 146 BlgNR XIV. GP, Seite 17).

Die Novelle BGBl. Nr. 615/1987 bestimmte schließlich bei der Sondernotstandshilfe ("als familienpolitische Leistung":

vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 282 BlgNR XVII. GP, Seite 9 f), daß die Regelung über das Ruhen des Anspruches analog zu den Bestimmungen des Karenzurlaubsgeldes gelten soll (§ 39 Abs. 4), und stellte klar, daß die Sondernotstandshilfe auch im Falle eines unbezahlten Urlaubes nach dem Karenzurlaub gebührt (§ 39 Abs. 5).

Das Wesen der in § 39 geregelten Sondernotstandshilfe besteht somit darin, jenen Müttern, die mangels anderweitiger Unterbringungsmöglichkeit für ihr Kind dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, nach Erschöpfung des Karenzurlaubsgeldes bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres des Kindes die Notstandshilfe unter Nachsicht von der sonst hiefür erforderlichen "Arbeitswilligkeit" zu gewähren. Wie aus § 39 Abs. 1 letzter Satz AlVG (nunmehr: Abs. 3) hervorgeht, müssen jedoch die übrigen Voraussetzungen für die Notstandshilfe erfüllt sein; dies sind gemäß § 33 Abs. 2 lit. a bis e AlVG die österreichische Staatsbürgerschaft, Arbeitsfähigkeit und das Vorhandensein von Notlage (vgl. schon das Erkenntnis vom 20. Februar 1992, Zl. 92/08/0014).

Der Gesetzgeber geht daher davon aus, daß die Mutter (bzw. nach der Novelle BGBl. Nr. 416/1992: auch der Vater) mangels anderweitiger Unterbringungsmöglichkeit das Kind betreuen muß und deshalb keine Beschäftigung annehmen kann. Diese Personen stehen somit dem Arbeitsmarkt, d.h. einer Vermittlung durch das Arbeitsmarktservice, aufgrund der nach dem Willen des Gesetzgebers familienpolitisch erwünschten Kinderbetreuung nicht zur Verfügung. Ob eine Verfügbarkeit etwa aufgrund anderer Tätigkeiten ohne Entgelt, wie z.B. eines Studiums, nicht gegeben ist, ist bei Gewährung von Sondernotstandshilfe daher ohne Bedeutung. Von den Gründen des § 12 Abs. 3 AlVG, die Arbeitslosigkeit ausschließen, ist somit lit. f - in teleologischer Reduktion - nicht anwendbar. Für diese Lösung spricht im übrigen auch die Ähnlichkeit der Sondernotstandshilfe mit der Leistung des Karenzurlaubsgeldes (für das § 12 Abs. 3 lit. f AlVG nach der insofern abschließenden Regelung des § 26 AlVG nicht anwendbar ist: vgl. das Erkenntnis vom 22. Mai 1980, VwSlg. Nr. 10.144/A), von dem sie sich nur durch das Vorhandensein einer Notlage des Antragstellers und der mangelnden Unterbringungsmöglichkeit des Kindes unterscheidet.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes; dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Das Abgehen von der im Erkenntnis vom 19. September 1989, Zl. 88/08/0165, zum Ausdruck kommenden Auffassung bedurfte keiner Verstärkung des Senates, da dieses Erkenntnis nicht zu der im Beschwerdefall anzuwendenden Rechtslage erging (vgl. z. B. die bei DOLP, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, zu § 13 VwGG wiedergegebene Rechtsprechung).

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich im Rahmen des beantragten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996080151.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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