TE Bvwg Beschluss 2021/2/26 W182 1414755-6

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Veröffentlicht am 26.02.2021
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Entscheidungsdatum

26.02.2021

Norm

BFA-VG §17 Abs1
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W182 1414755-6/5Z

W182 2118213-4/5Z

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Russische Föderation, vertreten durch Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.01.2021, Zl. ad 1.) 831151002/200748237 und ad 2.) 1078843306/200748261, beschlossen:

A) Den Beschwerden wird gemäß § 17 Abs. 1 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführenden Parteien (im Folgenden BF) sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und gehören der tschetschenischen Volksgruppe an. Die BF1 ist die Mutter des minderjährigen BF2.

Der BF2 wurde im XXXX in Österreich geboren. Seine Eltern, die BF1 und der ihr nach muslimischen Ritus angetraute Gatte, sein im XXXX geborener Bruder sowie seine im XXXX geborene Schwester waren schon im September 2008 bzw. im Oktober 2008 (BF1, Bruder und Schwester) in das Bundesgebiet eingereist.

Die BF1 stelle für sich und den BF2 am 20.08.2020 einen dritten (BF1) bzw. ersten (BF2) Folgeantrag auf internationalen Schutz.

Dieser wurde u.a. mit einer psychischen Erkrankung des XXXX jährigen BF2 begründet.

Dazu wurde einer fachärztlichen Stellungnahme eine Ärztin eines Kinder- und Jugendpsychiatrischen Ambulatoriums XXXX vom 06.08.2020 vorgelegt, wonach der BF2 seit 29.07.2020 an der Ambulanz in Betreuung sei und an einer akuten Belastungsreaktion F 43.0 leide.

In einer vom Bundesamt in Auftrag gegebenen gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 10.10.2020 gelangte eine Ärztin sowie allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige zur Diagnose Verdacht auf F 43.2. Zur Diagnose wurde ausgeführt, dass derzeit keine aussagekräftige Befundung erfolgen könne, da das Kind die Kontaktaufnahme verweigere. Allerdings sei ohne persönliche Kontaktaufnahme in einem Gespräch oder Spiel keine seriöse Aussage zu treffen. Eine akute Suizidalität oder eine akute schwere Erkrankung würden sich jedoch weder bei der BF1 noch ihrem Sohn finden.

2. Mit den nunmehr angefochtenen, oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF vom 20.08.2020 sowohl hinsichtlich des Status von Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG idgF wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I. und II.). Weiters wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 idgF nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG idgF erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.), wobei gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.).

4. Gegen die Bescheide wurde binnen offener Frist in vollem Umfang wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung infolge Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens sowie infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften Beschwerde erhoben. Dazu wurde u.a. ausgeführt, dass die BF die verfahrensgegenständlichen Anträge aufgrund eines neuen maßgeblich geänderten Sachverhaltes, welche im Wesentlichen mit geänderten familiären Verhältnissen (der volljährige Sohn befinde sich derzeit in seinem ersten eigenständigen also anhängigen inhaltlichen Asylverfahren; die volljährige Tochter verfüge mittlerweile über eine Aufenthaltsberechtigung plus; zum Ehemann bestehe kein Kontakt mehr) und schwer angeschlagener psychischer Verfassung begründet wurden. Dazu haben die BF einen klinisch-psychologischen Befund vom 29.07.2020 sowie einen fachärztlichen Befund vom 06.08.2020 in Vorlage gebracht. Die belangte Behörde habe hinsichtlich der bekämpften Spruchpunkte I. und II. die fallbezogenen Lebensumstände der BF vollkommen außer Acht gelassen und sich nicht mit der konkreten Situation dieser auseinandergesetzt. Hinsichtlich des BF2 habe das Bundesamt zwar ein PSY-III Gutachten veranlasst, diesem sei jedoch zu entnehmen, dass derzeit keine aussagekräftige Befundung erfolgen könne, da der Bub die Kontaktaufnahme verweigere. Die Tatsache, dass dieses Gutachten keine aussagekräftige Befundung ergeben habe, lasse nicht den Schluss zu, dass beim BF2 keine schwere psychische Störung vorliege. Eine Auseinandersetzung mit der aktenkundigen fachärztlichen Stellungnahme vom 06.08.2020 habe hingegen nicht stattgefunden. Die in dem PSY III Gutachten beschriebene Verweigerung des BF2 bestätige die Aussagekraft der vorgelegten Stellungnahme vom 06.08.2020 und hätte die Behörde zu mindestens zur Einholung weiterer medizinischer Untersuchungsergebnisse zwingend verpflichtet. Aus einem beigelegten Kurzbericht eines Psychotherapeuten vom 01.02.2021 hinsichtlich des BF2 ergebe sich weiters, dass dieser seit Oktober 2020 wöchentlich eine Einzelpsychotherapie besuche, es bereits zu einer Traumatisierung durch die Schubhaft gekommen sei (Sprachverlust), und er erst jetzt wieder in zwei Wort-Sätzen zu sprechen beginne. Für ihn sei eine sichere, verlässliche, stabile und kindgerechte Umgebung für die weitere Entwicklung absolut notwendig, welche bei einer Abschiebung massiv bedroht wäre. Auch würden den angefochtenen Bescheiden Erwägungen zum Kindeswohl, welches stets an erster Stelle behördliche Entscheidungen zu stehen habe, fehlen. Weiters würden die von der Behörde herangezogenen Ländermaterialien unvollständig sein, dass sich diese in keinerlei Weise mit der Verfügbarkeit einer etwaigen Behandlung von Kindern mit gravierenden psychischen Problemen auseinandersetzen. Ermittlungen dahingehend, ob dem BF2 in Tschetschenien bzw. in der Russischen Föderation ein adäquate bzw. kindergerechte Behandlung seiner psychischen Erkrankung zur Verfügung stehe, werde nicht getroffen, so dass in Bezug auf Erwägungen zum Kindeswohl auch eine mangelhafte Sachverhaltsermittlung vorliege.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft

.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen. Für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs. 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.

Zu A) Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung:

Gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und

1. diese Zurückweisung mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist oder

2. eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht

sowie der Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG jeweils binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen durch Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die aufenthaltsbeendende Maßnahme lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.

Die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist nicht als Entscheidung in der Sache selbst zu werten; vielmehr handelt es sich dabei um eine der Sachentscheidung vorgelagerte (einstweilige) Verfügung, die nicht geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens vorwegzunehmen. Es ist in diesem Zusammenhang daher lediglich darauf abzustellen, ob es - im Sinne einer Grobprüfung - von vornherein ausgeschlossen erscheint, dass die Angaben der beschwerdeführenden Partei als „vertretbare Behauptungen“ zu qualifizieren sind, die in den Schutzbereich der hier relevanten Bestimmungen der EMRK reichen.

Im vorliegenden Fall kann eine Entscheidung über die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegende Beschwerde innerhalb der relativ kurzen Frist des § 17 Abs. 1 BFA-VG nicht getroffen werden. Die BF machten in ihren Ausführungen ein reales Risiko einer Verletzung der hier zu berücksichtigenden Konventionsbestimmungen geltend. Bei einer Grobprüfung dieses Vorbringens kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um „vertretbare Behauptungen“ iSd o.a. Darlegungen handelt.

Das Bundesverwaltungsgericht war daher im Ergebnis gehalten gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG vorzugehen und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen worden ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben (vgl. dazu insbesondere die unter den Punkten II.3.2.1. ff., II.3.3.4. f. und II.3.4.1. zitierte Judikatur)

Schlagworte

aufschiebende Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W182.1414755.6.00

Im RIS seit

18.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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