TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/1 G301 2228163-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.03.2021
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Entscheidungsdatum

01.03.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


G301 2228163-1/20E
Schriftliche Ausfertigung des am 17.02.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. René BRUCKNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Kuba, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Andreas LEPSCHI in Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, vom 06.12.2019, Zl. XXXX, betreffend Antrag auf internationalen Schutz, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.02.2021 zu Recht:

A)       

I.       Der Beschwerde wird stattgegeben und der beschwerdeführenden Partei gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kuba zuerkannt.

II.      Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass der beschwerdeführenden Partei damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

III.    Der beschwerdeführenden Partei kommt damit gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter mit einer Gültigkeit von drei Jahren (bis 17.02.2024) zu.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Salzburg, dem Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) zugestellt am 17.12.2019, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 22.08.2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kuba abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Kuba zulässig ist (Spruchpunkt V.) sowie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Mit dem am 14.01.2020 beim BFA, Regionaldirektion Salzburg – Außenstelle Salzburg, eingebrachten und mit demselben Tag datierten Schriftsatz erhob der BF durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid in vollem Umfang.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 30.01.2020 vom BFA vorgelegt.

Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 17.02.2021 in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der BF im Beisein seines Rechtsvertreters teilnahm. Ein Vertreter der belangten Behörde ist nicht erschienen (Teilnahmeverzicht). Nach Schluss der Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet.

Mit dem am 19.02.2021 eingebrachten und mit demselben Tag datierten Schriftsatz beantragte die belangte Behörde die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger der Republik Kuba.

Der BF verließ Kuba zuletzt am 14.06.2019 mit einem gültigen kubanischen Reisepass und flog vom Internationalen Flughafen Havanna nach Moskau (Russland). Der Onkel des BF unterstützte vorab die tatsächliche Ausreise des BF durch die Bestechung einer Mitarbeitern am Flughafen.

Der BF flog am 22.08.2019 von Minsk (Weißrussland) nach Wien-Schwechat, wo er nach seiner Ankunft vor einem Organ der Bundespolizei den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte und – nach Gestattung der Einreise durch das BFA – in das Bundesgebiet einreiste. Der BF hält sich seitdem in Österreich auf.

Der BF ist gesund, alleinstehend und hat keine Kinder. Der BF ist homosexuell.

Der private und familiäre Lebensmittelpunkt des BF befand sich bis zu seiner letztmaligen Ausreise in Kuba.

1.2. Der BF hat im gesamten Verfahren zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst vorgebracht, dass er im Fall einer Rückkehr nach Kuba aufgrund seiner durch sein Verhalten von außen erkennbaren Homosexualität, seiner Tätigkeit als Künstler (Bildmalerei) sowie wegen der Nichtbefolgung einer ihm nach seiner Ausreise zugestellten Ladung vor ein Militärkomitee einer Verfolgung ausgesetzt sein würde.

Der BF identifiziert sich selbst als homosexueller Mann, wobei in Kuba seine Homosexualität auch nach außen hin – in der Öffentlichkeit – wahrnehmbar und bekannt war. Der BF war aufgrund seiner Homosexualität diskriminierenden Handlungen, Schikanen und auch Misshandlungen durch Angehörige der kubanischen Nationalpolizei ausgesetzt. Der BF wurde, als er in der Stadt XXXX auf einem öffentlichen Platz seinen damaligen Freund küsste und dessen Hand hielt, von Polizisten geschlagen und wegen des Vorwurfs der Prostitution festgenommen. Nach zwei Tagen wurde der BF wieder freigelassen. Einer strafrechtlichen Verfolgung war der BF aus diesem Grund aber nicht ausgesetzt.

Der BF hatte in einer Galerie im „Touristenviertel“ der Stadt XXXX eine Ausstellungsfläche (ein Zimmer innerhalb der Galerie) angemietet, wo er die von ihm gemalten Bilder ausstellte und vor allem an Touristen zum Verkauf anbot, wobei auf den Bildern als Motiv unter anderem Gesichter abgebildet waren, deren Mund mit der kubanischen Nationalflagge verbunden war. Die Polizei warf dem BF in Bezug darauf vor, „Konterrevolution gegen die Regierung“ zu betreiben, weshalb die Polizei Ende November 2018 das vom BF angemietete Zimmer in dieser Galerie schloss und dem BF jene Dokumente wegnahm, die man benötigte, um sich als Künstler ausweisen und Malerei-Bedarf (v.a. Farben) kaufen zu können. Überdies wurden alle Bilder des BF von der Polizei beschlagnahmt.

Der BF wurde für den 01.07.2019 zu einer Einvernahme („entrevista“) vor ein Militärkomitee geladen, wobei die diesbezügliche Ladung an der bisherigen Wohnadresse des BF in XXXX der Mutter des BF zu einem Zeitpunkt ausgehändigt wurde, als der BF bereits aus Kuba ausgereist und schon in Moskau aufhältig gewesen war. Dieser Ladung kam der BF somit nicht nach.

1.3. Maßgebliche Feststellungen zur Lage von Homosexuellen im Herkunftsstaat KUBA:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Kuba vom 23.07.2019:

„16.3.Homosexuelle, LGBTI

Das Gesetz verbietet Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung bei Beschäftigung, Wohnen, Staatenlosigkeit oder Zugang zu Bildung oder Gesundheitsversorgung, es bezieht sich jedoch nicht auf die Genderidentität, also auf Transgender oder Intersexuelle (USDOS 13.3.2019).

Die Lage der kubanischen Homosexuellen, Bisexuellen und Transgender hat sich nach früherer Verfolgung in den letzten Jahren wesentlich verbessert (AA 5.3.2019; vgl. BS 2019). Dies geschah insbesondere durch das Engagement von Raúl Castros Tochter, Mariela Castro Espín, die das Nationale Institut für Sexualerziehung (CENESEX) leitet. CENESEX hat sich nachdrücklich für diese Personengruppen eingesetzt (FH 4.2.2019; vgl. BS 2019). Die Lobbyarbeit unabhängiger LGBT-Gruppen wird jedoch entweder ignoriert oder aktiv unterdrückt (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Manche LGBT-Aktivisten und -Aktivistinnen fürchten auch, dass diese Fortschritte nur durch Mariela Castro Espín möglich wurden, die international als liberales Aushängeschild des Regimes dient. Man fürchtet um den Erhalt dieser Errungenschaften, sollte es diesen Schutzschirm einmal nicht mehr geben (GIZ 4.2018).

Nach öffentlichen Protesten beschloss die kubanische Regierung Ende 2018, eine Passage aus dem neuen Verfassungsentwurf umzuformulieren, die die Ehe neu definiert hätte und potentiell auch geschlechtliche Paare einbezogen hätte (HRW 17.1.2019).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (5.3.2019): Kuba: Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kuba-node/kuba/212206, Zugriff 23.7.2019

?        FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Cuba, https://www.ecoi.net/en/document/2008153.html, Zugriff 23.7.2019

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2018): Kuba, Gesellschaft, https://www.liportal.de/kuba/gesellschaft/#c17201, Zugriff 23.7.2019

?        HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Cuba, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002216.html, Zugriff 23.7.2019

?        USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Cuba, https://www.ecoi.net/en/document/2004193.html, Zugriff 23.7.2019”

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht in der mündlichen Verhandlung und auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

2.1. Die zur Identität und Staatsangehörigkeit sowie zu den persönlichen Verhältnissen und Lebensumständen des BF getroffenen Feststellungen beruhen auf den diesbezüglichen glaubhaften Angaben des BF vor der belangten Behörde und in der Beschwerde sowie auf dem in Kopie im Verwaltungsakt ersichtlichen kubanischen Reisepass und kubanischen Identitätsausweis (AS 23 und 25).

Die Feststellung zur Homosexualität beruht auf dem glaubhaften Vorbringen des BF, das auch von der belangten Behörde nicht bestritten wurde.

2.2. Das Vorbringen des BF zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates (Fluchtgründe) beruht auf seinen Angaben im Verfahren vor der belangten Behörde (Erstbefragung am 23.08.2019 und Einvernahme am 19.10.2019), auf den Ausführungen in der Beschwerde sowie im Besonderen auf den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 17.02.2021.

Das Vorbringen des BF zu seiner Furcht vor Verfolgung und zum Bestehen einer Verfolgungsgefahr im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Kuba hat sich in ganzheitlicher Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens in der mündlichen Verhandlung als glaubhaft erwiesen und wurde daher dieser Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt. So war das Vorbringen des BF zu den bereits erfolgten Verfolgungshandlungen durch die kubanische Polizei und zur Furcht vor neuerlicher (politisch motivierter) Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Kuba ausreichend substanziiert, umfassend, in sich schlüssig und im Hinblick auf die besonderen Umstände des BF und die allgemeine Situation in Kuba unter Berücksichtigung der diesbezüglich vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen plausibel. Es sind auch keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, das Vorbringen zu einer möglichen Verfolgungsgefahr im Fall der Rückkehr nach Kuba, insbesondere im Hinblick auf die bereits erfolgten Bedrohungen, in Zweifel zu ziehen oder für nicht maßgeblich wahrscheinlich zu halten. Der BF selbst hinterließ in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem erkennenden Gericht durchwegs einen persönlich glaubwürdigen Eindruck.

Wesentlich bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates war auch der Umstand, dass das detaillierte und schlüssige Fluchtvorbringen des BF durch Beweismittel untermauert wurde und keine beachtlichen Widersprüche aufwies. Insoweit Unklarheiten oder Widersprüche auftauchten, war der BF auf entsprechenden Vorhalt stets in der Lage, die aufgetretenen Unklarheiten in nachvollziehbarer und plausibler Weise aufzulösen.

Des Weiteren ist festzuhalten, dass das BFA als belangte Behörde auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verzichtet hat und auch sonst im Verfahren keine Umstände vorgebracht hat, die die Glaubhaftigkeit einer Verfolgungsgefahr allenfalls in Zweifel gezogen oder eine andere Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes zum Entscheidungszeitpunkt bedeutet hätten.

Was die behauptete Verfolgungsgefahr aus dem Grund der – glaubhaften – Homosexualität des BF anbelangt ist zunächst festzuhalten, dass aus den vorliegenden herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Informationsquellen keine hinreichenden Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen sind, wonach die staatlichen Einrichtungen Kubas (z.B. die Nationalpolizei oder die Justizbehörden) systematische oder sonst zielgerichtete Verfolgungshandlungen gegen Personen aufgrund ihrer Homosexualität oder der Zugehörigkeit zu einer LGBTIQ-Gruppefolgen anordnen oder dulden würden. Auch wenn nicht verkannt wird, dass Fälle gesellschaftlicher Diskriminierung von Homosexuellen und Angehörigen einer LGBTIQ-Gruppe sowie auch Fälle von diskriminierenden Handlungen, Schikanen oder gar gewalttätigen Handlungen seitens staatlicher Organe (wie von Angehörigen der kubanischen Nationalpolizei oder der Streitkräfte) nicht ausgeschlossen werden können, so erreichen solche Fälle der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, selbst wenn solche Diskriminierungen zu Schikanen oder vereinzelt auch zu gewalttätigen Handlungen gegen die Betroffenen führen können, für sich alleine genommen nicht die für eine Asylrelevanz iSd GFK erforderliche Eingriffsintensität, weshalb in Bezug auf dieses Vorbringen eine asylrelevante Verfolgung – etwa wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – nicht anzunehmen war (vgl. dazu VwGH 30.11.2020, Ra 2020/19/0342).

Vielmehr ergibt sich aus aktuellen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur Lage von Homosexuellen und Angehörigen der LGBTI-Gemeinschaft in Kuba, dass das Gesetz Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung bei Beschäftigung, Wohnen, Staatenlosigkeit oder Zugang zu Bildung oder Gesundheitsversorgung verbietet, es bezieht sich jedoch nicht auf die Genderidentität, also auf Transgender oder Intersexuelle (USDOS 13.03.2019; HRW, World Report 2021 – Cuba). Die Lage der kubanischen Homosexuellen, Bisexuellen und Transgender hat sich nach früherer Verfolgung in den letzten Jahren wesentlich verbessert (AA 5.3.2019; vgl. BS 2019). Dies geschah insbesondere durch das Engagement von Raúl Castros Tochter, Mariela Castro Espín, die das Nationale Institut für Sexualerziehung (CENESEX) leitet. CENESEX hat sich nachdrücklich für diese Personengruppen eingesetzt (FH 4.2.2019; vgl. BS 2019). Die Lobbyarbeit unabhängiger LGBT-Gruppen wird jedoch entweder ignoriert oder aktiv unterdrückt (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Manche LGBT-Aktivisten und -Aktivistinnen fürchten auch, dass diese Fortschritte nur durch Mariela Castro Espín möglich wurden, die international als liberales Aushängeschild des Regimes dient. Man fürchtet um den Erhalt dieser Errungenschaften, sollte es diesen Schutzschirm einmal nicht mehr geben (GIZ 4.2018).

Was jedoch das weitere Vorbringen anbelangt, wonach der BF aufgrund seiner Tätigkeit als Künstler im Bereich der Bildmalerei bereits vor seiner Ausreise aus Kuba einer gezielten Verfolgung durch die kubanische Polizei ausgesetzt gewesen sei, so war dieses Vorbringen als glaubhaft zu beurteilen. Der BF brachte in substanziierter, schlüssiger und unter Berücksichtigung der aktuellen Lage in Kuba auch in plausibler Weise vor, dass er in einer Galerie im „Touristenviertel“ der Stadt XXXX eine Ausstellungsfläche (ein Zimmer innerhalb der Galerie) angemietet hatte, wo er die von ihm gemalten Bilder ausstellte und vor allem an Touristen zum Verkauf anbot, wobei auf den Bildern als Motiv unter anderem Gesichter abgebildet waren, deren Mund mit der kubanischen Nationalflagge verbunden war. Der BF legte in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dar, dass er mit diesen Motiven seiner Bilder ganz gezielt beim Betrachter eine kritische Auseinandersetzung mit der politischen Lage auslösen wollte, zumal in Kuba keine Demokratie und Menschenrechte herrschen würden, insbesondere könne man auch seine Meinung nicht frei äußern. Die Polizei warf dem BF in Bezug darauf vor, „Konterrevolution gegen die Regierung“ zu betreiben, weshalb die Polizei Ende November 2018 das vom BF angemietete Zimmer in dieser Galerie schloss und dem BF jene Dokumente wegnahm, die man benötigte, um sich als Künstler ausweisen und Malerei-Bedarf (v.a. Farben) kaufen zu können. Überdies wurden alle Bilder des BF von der Polizei beschlagnahmt. Wie vom Rechtsvertreter in der Verhandlung mit Bezugnahme auf vorliegende Länderberichte zutreffend aufgezeigt wurde, sind in Kuba vor allem auch Künstler, die mit ihrer Kunst bzw. ihren Aktivitäten die politische Situation oder die Regierung kritisieren oder auf diese Weise auf bestehende Ungerechtigkeiten oder Probleme hinweisen, einer konkreten Verfolgungsgefahr durch die staatlichen Institutionen Kubas ausgesetzt.

Überdies konnte der BF – untermauert durch die Vorlage eines diesbezüglichen Beweismittels („Citación oficial“, d.h. offizielle Ladung) – glaubhaft machen, dass er für den 01.07.2019 zu einer Einvernahme („entrevista“) vor ein Militärkomitee geladen wurde, wobei die diesbezügliche Ladung an der bisherigen Wohnadresse des BF in XXXX der Mutter des BF zu einem Zeitpunkt ausgehändigt wurde, als der BF bereits aus Kuba ausgereist und schon in Moskau aufhältig gewesen war. Auch wenn der konkrete Grund bzw. der konkrete Anlass für die Einvernahme aus dieser offiziellen Ladung nicht näher ersichtlich ist, so ist der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie sich in diesem Zusammenhang – etwa durch Einholung herkunftsstaatsspezifischer Informationen – nicht hinreichend mit der Frage auseinandergesetzt hat, welche Folgen die Nichtbefolgung einer solchen Ladung zu einer Einvernahme vor ein Militärkomitee haben könnte, zumal die Echtheit der vorgelegten Ladung von der belangten Behörde nicht bestritten wurde (siehe Bescheid S. 73) und der BF dieser Aufforderung zum Erscheinen vor ein Militärkomitee durch seine vorherige Ausreise nicht nachgekommen war.

Dem BF gelang es auch glaubhaft zu machen, dass seine Ausreise aus Kuba am 14.06.2019 zwar legal unter Verwendung seines gültigen Reisepasses erfolgte, sein Onkel aber vorab die tatsächliche Ausreise durch die Bestechung einer Mitarbeitern am Flughafen unterstützte. Der BF schilderte in der Verhandlung in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise, wie sich die Umstände der Ausreise am Flughafen zugetragen haben. Davon unberührt bleibt letztlich die Behauptung, dass der BF auf einer Art „schwarzen Liste“ gestanden wäre, was vor dem Hintergrund der herkunftsstaatsbezogenen Informationsquellen zwar nicht undenkbar erscheint, allerdings stützte der BF seine Kenntnis darüber wiederum nur auf die Auskunft seines Onkels, der als Oberstleutnant (Teniente Coronel) beim Militär arbeiten würde und davon erfahren hätte. Nähere Details zu dieser „schwarzen Liste“ konnte der BF jedoch – auch mangels eigener Wahrnehmung – nicht nennen, insbesondere von wem eine solche Liste geführt würde, wie sie konkret aussehen und welchen Zweck sie erfüllen würde.

Die beschwerdeführende Partei konnte somit im Ergebnis glaubhaft machen, dass ihr im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Kuba aufgrund der ihr vonseiten des Herkunftsstaates unterstellten regierungskritischen politischen Gesinnung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer aktuellen und konkret gegen ihre Person gerichteten Verfolgung droht, die von Einrichtungen und Organen ihres Herkunftsstaates ausgeht.

2.3. Die oben unter Punkt 1.3. getroffenen Feststellungen zur Lage von Homosexuellen in Kuba ergeben sich aus den in der mündlichen Verhandlung eingebrachten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen, die sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage ergeben und auf Berichten verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen beruhen.

Auch aus den folgenden, aktuelleren und in der Verhandlung eingebrachten Berichten haben sich hinsichtlich der getroffenen Feststellungen zur Lage von Homosexuellen in Kuba keine relevanten oder sonst zu berücksichtigenden Änderungen ergeben, aufgrund derer allenfalls eine andere Beurteilung der Lage vorzunehmen gewesen wäre:

?        Human Rights Watch (HRW), World Report 2021 – Cuba

?        Inter-American Commission on Human Rights (IACHR), Annual Report 2019 – Cuba

?        Freedom House (FH), Freedom in the World 2020 – Cuba

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die Verfahrensparteien sind in der Verhandlung den dargelegten Feststellungen und Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat nicht substanziiert entgegengetreten. So wurde nicht dargelegt, welche Punkte der Feststellungen und Informationen zum Herkunftsstaat unrichtig, unzutreffend oder sonst ohne Relevanz wären.

Dass staatliche Einrichtungen Kubas, etwa die Polizei- und Justizbehörden, gezielt und systematisch gegen Homosexuelle vorgehen würden, ist den herkunftsstaatbezogenen Berichten zur Lage in Kuba nicht zu entnehmen. Derartiges wurde auch in der Verhandlung nicht behauptet. Überdies ist festzuhalten, dass in Kuba Homosexualität nicht unter Strafe steht und auch Diskriminierungen in sozialen Belangen aufgrund der sexuellen Orientierung gesetzlich untersagt sind.

Es wurden somit vonseiten der Parteien keinerlei Umstände vorgebracht, die den Wahrheitsgehalt der ausgewählten Berichte und Informationsquellen zu widerlegen oder diese anzuzweifeln vermochten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Beschwerde hinsichtlich des Status des Asylberechtigten:

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951, BGBl. Nr. 55/1955, in der durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.01.1967, BGBl. Nr. 78/1974, geänderten Fassung (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (und Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach der GFK) ist somit, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, also aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Fehlt ein kausaler Zusammenhang mit einem oder mehreren dieser Konventionsgründe, kommt die Asylgewährung nicht in Betracht (VwGH 27.06.2016, Ra 2016/18/0098 mwN; 16.11.2016, Ra 2016/18/0094).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des in der mündlichen Verhandlung festgestellten Sachverhaltes hat sich die Beschwerde als begründet erwiesen:

Wie sich aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Erwägungen ergibt, vermochte der BF in der mündlichen Verhandlung glaubhaft zu machen, dass er im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Kuba auf Grund der ihm von staatlichen Institutionen seines Herkunftsstaates unterstellten politischen Gesinnung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung durch die Behörden des Herkunftsstaates ausgesetzt sein könnte und dass im Hinblick auf diese Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat auch kein ausreichender Schutz besteht.

Die Verfolgung aus dem Grund der politischen Gesinnung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK liegt in jenen Fällen vor, in denen der ungerechtfertigte Eingriff an die politische Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung der betroffenen Person anknüpft.

Zur Begründung asylrechtlich relevanter Verfolgung kommt es nicht darauf an, ob der Asylwerber selbst die politische Gesinnung teilt, die ihm von den Behörden des Heimatstaates unterstellt wird, sondern lediglich darauf, ob die Verfolgungsmaßnahmen auf eine dem Asylwerber eigene bestimmte politische Gesinnung zurückgeführt werden (VwGH 30.09.1997, Zl. 96/01/0871). Für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung reicht es, dass eine staatsfeindliche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird und die Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Unterstellung nicht zu erwarten ist (VwGH 12.09.2002, Zl. 2001/20/0310; 25.11.1999, Zl. 98/20/0357). Als politisch kann alles qualifiziert werden, was für den Staat, für die Gestaltung bzw. Erhaltung der Ordnung des Gemeinwesens und des geordneten Zusammenlebens der menschlichen Individuen in der Gemeinschaft von Bedeutung ist (VwGH 12.09.2002, Zl. 2001/20/0310).

Gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. e der Richtlinie 2011/95/EU (Status-Richtlinie) ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Art. 6 genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

Gemäß Art. 10 Abs. 2 Status-Richtlinie ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass der BF im Fall der Rückkehr nach Kuba mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auf Grund der ihm unterstellten politischen Gesinnung individueller Verfolgung und damit einem erheblichen Verfolgungsrisiko für seine persönliche Sicherheit und physische Integrität von staatlicher Seite ausgesetzt wäre.

Zu einer möglichen inländischen Fluchtalternative ist festzuhalten, dass eine solche unter Berücksichtigung der herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen im gegenständlichen Fall nicht besteht. Es ist somit gegenwärtig in keinem Teilgebiet Kubas von Verfolgungsfreiheit im Hinblick auf mögliche asylrelevante Verfolgungshandlungen auszugehen.

Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass sich der BF aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der ihm unterstellten politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb Kubas befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren.

Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde stattzugeben und dem BF gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kuba zuzuerkennen (Spruchpunkt A.I.).

Gleichzeitig war gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 die gegenständliche Entscheidung, mit der der beschwerdeführenden Partei der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass der beschwerdeführenden Partei damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt (Spruchpunkt A.II.).

Weiters war gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 festzustellen, dass der beschwerdeführenden Partei, der der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zukommt, die zunächst drei Jahre gilt (Spruchpunkt A.III.).

Diese Aufenthaltsberechtigung verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Die Ausstellung des entsprechenden Dokuments (Karte für Asylberechtigte gemäß § 51a AsylG 2005) hat durch die belangte Behörde (BFA) zu erfolgen.

3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B.):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist teilweise zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung befristete Aufenthaltsberechtigung Flüchtlingseigenschaft Homosexualität Schutzunfähigkeit Schutzunwilligkeit sexuelle Orientierung unterstellte politische Gesinnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G301.2228163.1.00

Im RIS seit

18.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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