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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über den Antrag des H in W, vertreten durch D, diese vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der zur hg. Zl. 96/08/0085 protokollierten Beschwerde, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird STATTGEGEBEN.
Begründung
Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. September 1996, Zl. 96/08/0085, wurde das Verfahren betreffend die vom Antragsteller erhobene Beschwerde gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 27. Oktober 1995, Zl. MA 12-2543/94/NB, betreffend Mietbeihilfe nach dem Wiener Sozialhilfegesetz, eingestellt, weil der Antragsteller der an ihn ergangenen Aufforderung zur Mängelbehebung durch Vorlage einer Ausfertigung des angefochtenen Bescheides zwar entsprach, dabei jedoch die (ursprünglich) eingebrachten Beschwerden nicht wieder vorlegte.
Der Antragsteller begehrt nunmehr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und führt dazu im wesentlichen begründend aus, die Urlaubsvertreterin seines Rechtsanwaltes, Rechtsanwältin Dr. G, habe am 21. August 1996 bei der Kontrolle der Mängelbehebung festgestellt, daß dem entsprechenden Schreiben vom selben Tag sowohl eine Kopie des angefochtenen Bescheides als auch die ursprünglich eingebrachten Beschwerden beigelegt gewesen seien. Weil sich aber am Schreiben kein Vermerk darüber befunden habe, daß auch die ursprünglich eingebrachten Beschwerden wieder vorgelegt würden, habe sie der Kanzleiangestellten C die ausdrückliche Anweisung gegeben, dem Schreiben einen maschinschriftlichen Vermerk beizusetzen, aus dem entnommen werden könne, daß auch die ursprünglichen Beschwerden wieder vorgelegt würden. Sie habe darauf hingewiesen, daß ein mangelnder Vermerk auf dem Schriftsatz dazu führen könne, daß die wieder vorzulegenden Beschwerden nicht mitgeschickt würden. Entgegen der ausdrücklichen Anweisung habe die Kanzleiangestellte jedoch weder einen entsprechenden Vermerk angebracht noch - als Folge dieses Fehlers - die ursprünglich eingebrachten Beschwerden dem Mängelbehebungsauftrag beigelegt. Die Kanzleiangestellte sei seit 1. Dezember 1993 in der Kanzlei tätig; sie sei als bekannt verläßliche und genaue Kraft mit der selbständigen postalischen Abfertigung von Schriftsätzen an Höchstgerichte, insbesondere an den Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshof, betraut. Sie sei ausreichend instruiert und stets überwacht worden, wobei ihr bis heute bei der Behandlung von Fristsachen kein Fehler unterlaufen sei. Es handle sich daher für den rechtsfreundlichen Vertreter um ein unerklärliches und nicht vorhersehbares Versehen der Kanzleiangestellten. Der Rechtsvertreter habe erst mit Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. September 1996 am 13. November 1996 erfahren, daß dem Mängelbehebungsauftrag nicht ausreichend Folge geleistet worden sei.
Zur Bescheinigung dieses Antrages wurde unter anderem eine eidesstättige Erklärung der Kanzleibediensteten vorgelegt, wonach das erstattete Vorbringen richtig sei.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, auf Seite 656 f zitierte Rechtsprechung). Die Bewilligung der Wiedereinsetzung kommt somit im Hinblick auf die Bestimmung des § 46 Abs. 1 zweiter Satz VwGG nur in Betracht, wenn dem Antragsteller und seinem Vertreter kein Versehen oder nur ein minderer Grad des Versehens angelastet werden kann. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem nur als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Unterläuft einem Angestellten, dessen Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach Kontrolle desselben durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe ein Fehler, so stellt dies nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein unvorhergesehenes Ereignis dar (vgl. z.B. den Beschluß vom 30. November 1989, Zlen. 89/13/0226, 0227, mit weiteren Judikaturhinweisen). Die Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen.
Der Überwachungspflicht gegenüber den Kanzleibediensteten wird allerdings insbesondere dann nicht entsprochen, wenn der Rechtsanwalt einen in einem wesentlichen Punkt richtig zu stellenden Schriftsatz unterfertigt und sich mit der Weisung begnügt, eine Korrektur durchzuführen, ohne diese zu überwachen. Angesichts des Fehlens jeglicher Überwachung durch den Rechtsanwalt kann in diesem Fall von einem minderen Grad des Versehens auch dann keine Rede sein, wenn er mit der Korrektur eine besonders verläßliche Kanzleikraft betraut hat (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 4. September 1995, Zl. 95/10/0113, mit weiteren Judikaturhinweisen).
Die Korrektur des Schreibens an den Verwaltungsgerichtshof vom 21. Augst 1996 dahingehend, daß in einem entsprechenden Zusatz darauf hingewiesen wird, daß sowohl eine Kopie des angefochtenen Bescheides als auch die ursprünglich eingebrachten Beschwerden vorgelegt würden, stellt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes keine Richtigstellung in einem WESENTLICHEN Punkt dar. Unterläuft einer Angestellten, deren Zuverlässigkeit - wie im Wiedereinsetzungsantrag - glaubhaft dargetan wird, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach Kontrolle desselben durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung ein Fehler, so stellt dies nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein unvorhergesehenes Ereignis dar. Zur Versäumung der Mängelbehebungsfrist kam es nur aufgrund des oben beschriebenen Versehens der Angestellten, das dieser erst nach fristgerechter Herstellung und Unterfertigung des Schriftsatzes durch den Vertreter des Antragstellers im Zuge der Abfertigung unterlaufen ist.
Da dem Antragsteller und seinem bevollmächtigten Vertreter somit ein Verschulden an der Versäumung nicht vorgeworfen werden kann, war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattzugeben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996080323.X00Im RIS seit
20.11.2000