TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/5 W103 2235983-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.03.2021
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Entscheidungsdatum

05.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


W103 2235983-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.09.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46, 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Zum Vorverfahren:

Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am 10.12.2017 nach legaler Einreise mit einem italienischen Schengenvisum, gültig von 04.10.2017 bis 02.11.2017, im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er dazu am nächsten Tag erstbefragt und ein Konsultationsverfahren mit Italien eingeleitet wurde.

Am 20.03.2018 wurde der Beschwerdeführer im Zulassungsverfahren niederschriftlich einvernommen, wobei er insbesondere zu seinen persönlichen Verhältnissen in Österreich sowie seinem Aufenthalt und seiner Außerlandesbringung nach Italien befragt wurde.

Mit Bescheid vom 30.03.2018, ZI. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 6 Abs. 1 AsylG 2005, als unzulässig zurückgewiesen und Italien für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Artikel DB III. AN Art 12 (4) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zuständig erklärt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG 2005 wurde gegen den Beschwerdeführer eine Anordnung zur Außerlandesbringung angeordnet und gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Italien für zulässig erklärt worden (Spruchpunkt II.).

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.05.2018, XXXX , abgewiesen und gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 BFA-VG festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig war. Die Entscheidung erwuchs am 28.05.2018 in Rechtskraft.

Am 17.05.2018 wurde der Beschwerdeführer nach Italien abgeschoben, jedoch bereits am 24.05.2018 erneut im Bundesgebiet betreten. Die erneute Abschiebung des Beschwerdeführers wurde für 23.08.2018 organisiert, wobei er im Zuge seiner Festnahme einen Fluchtversuch unternahm, in dem er aus dem Fenster sprang, wodurch er sich einen Bruch zuzog, der in der Folge einer Operation bedurfte. Aufgrund dessen wurde die geplante Abschiebung storniert. Die erneute Abschiebung des Beschwerdeführers wurde für 31.10.2018 organisiert und ebenfalls storniert, weil der Beschwerdeführer an der den Behörden bekannten Adresse nicht angetroffen werden konnte, keine aufrechte Meldung im Bundesgebiet bestand und sein Aufenthaltsort den Behörden unbekannt war.

1.2. Zum gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz:

Der Beschwerdeführer stellte am 02.12.2019 den vorliegenden Folgeantrag auf Gewährung internationalen Schutzes. Anlässlich seiner am selben Tag abgehaltenen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer befragt zu seiner neuerlichen Asylantragstellung und den Änderungen seit Rechtskraft des bereits abgeschlossenen Verfahrens an, nach seiner Ausweisung nach Italien dort Asyl beantragen habe wollen. Die Behörden hätten ihm aber keine Möglichkeit gegeben einen solchen Antrag zu stellen. In seiner Heimat habe sich nichts zum Guten gewendet, er würde dort gefoltert und müsste unwahre Zugeständnisse machen. Seine Mutter sei am 15.12.2018 von der Polizei in die Psychiatrie eingewiesen worden, die Polizei suche ihn weiterhin bei seinen Verwandten und wolle ihn töten. Vermutlich habe die Polizei in Tschetschenien sein Telefon abgehört und ihn sowie einen Freund bezichtigt in kriegerische Handlungen in Syrien verwickelt zu sein. Am 22.09.2017 habe man ihn gewaltsam aus seiner Wohnung mitgenommen, ihm eine Kapuze aufgesetzt und ihn irgendwo hingebracht. Am ersten Tag habe man gewollt, dass er zugebe, nach Syrien reisen zu wollen. Man habe ihn unter Strom gesetzt und mit Plastikteilen geschlagen. So sei es einige Tage gegangen. Am dritten Tag, habe man seine Zunge sowie sein Ohr verkabelt und ihn Stromschlägen ausgesetzt. Er habe es nicht mehr ertragen und ein Dokument unterschrieben, das er nicht lesen habe dürfen. Danach sei er wieder freigelassen worden, wobei er benachrichtigt worden sei, dass er zu Hause bleiben müsse, weil er wieder abgeholt werde. Man hätte ihn zum Staatsfeind erklärt. Im Oktober 2017 habe ihm seine Mutter ein Visum beschafft und er sei nach Italien geflogen, wo ihn seine Tante in Empfang genommen und nach XXXX gebracht habe. Da er keinen Vater mehr habe, seine Mutter krank sei und er um sein Leben fürchte, wolle er in Österreich aufgenommen werden und wie ein normaler Mensch leben. Es sei bekannt, dass er bei einer Kontrolle der österreichischen Polizei sogar aus dem Fenster gesprungen sei, um einer Abschiebung nach Tschetschenien zu entkommen. Dabei habe er sich das Bein gebrochen und sei operiert worden. Daraufhin habe auch eine Überweisung zur Psychiatrie bekommen. Ihm sei gesagt worden, die kleinste ihn erwartende Strafe, sei das Gefängnis. Die Androhung sei gewesen, er würde zwischen 16 und 20 Jahren im Gefängnis sein. Aus persönlicher Erfahrung wisse er, dass in seinem Herkunftsland Menschen einfach so umgebracht würden und kenne er eine Videoaufzeichnung auf der man höre, wie der stellvertretende Innenminister Anweisungen erteile, Leute wie ihn zu beseitigen. Er wolle seine Lehre als Lokführer, die er in XXXX in seinem Herkunftsstaat begonnen habe, zu Ende bringen, arbeiten und normal leben. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, getötet zu werden.

Am 05.12.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Der Beschwerdeführer gab dabei im Wesentlichen an, er fühle sich körperlich und geistig in der Lage, die ihm gestellten Fragen zu beantwortet und leide derzeit an keiner Krankheit und benötige auch keine Medikamente. Beim letzten Abschiebeversuch habe er sich das Bein gebrochen und sei operiert worden. Damals habe er eine Spritze in den Bauch bekommen und er habe die medizinischen Unterlagen dazu mit.

Mit Bescheid vom 05.12.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 02.12.2019 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 25 (2) iVm 18 (1) (b) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates Italien zuständig ist (Spruchpunkt I.). Gemäß § 61 ABs. 1 Z 1 FPG wurde die Anordnung der Außerlandesbringung angeordnet und die Abschiebung gemäß § 61 Abs. 2 FPG für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.).

Der dagegen am 27.12.2019 erhobenen Beschwerde wurde insofern stattgegeben, als die belangte Behörde im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung, ZI. XXXX den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufhob.

Am 16.07.2020 wurde der Beschwerdeführer im zugelassenen Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die tschetschenische Sprache niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Der Beschwerdeführer gab auf entsprechende Befragung hin zusammengefasst zu Protokoll, er fühle sich psychisch und physisch in der Lage, die an ihn gerichteten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten und er habe in der Erstbefragung der Wahrheit entsprechende Angaben erstattet. Der Dolmetscher habe jedoch auf S. 4 übersetzt, dass er Staatsfeind sei, dieses Wort hätte er aber nie gesagt. Er habe klar machen wollen, dass man wegen des negativen Bescheids vom 05.12.2019 gesagt habe, er hätte den Bescheid nicht abgeholt. Er hätte beim Verein Menschenrechte angerufen und nur zwei Tage für das Beschwerdeverfahren gehabt. Da habe man die Beschwerde nicht schreiben können, weil Weihnachtsferien gewesen seien. Er sei dann zum Verein Menschenrechte nach XXXX gefahren, wo man die Beschwerde geschrieben habe. Zuvor habe er auch noch mit der Polizei in XXXX wegen der Abholung des Bescheides gesprochen, was vielleicht ein Fehler der Polizei gewesen sei, oder seines Nachbars, der auch aus Tschetschenien stamme, habe das falsch verstanden. Er habe den Dolmetscher der Erstbefragung einwandfrei verstanden und es sei alles richtig und vollständig rückübersetzt worden. Nur das Wort Staatsfeind habe er erst zu Hause festgestellt. Der Dolmetscher habe ihm auch viele Fragen privat gestellt. Er habe nichts gesagt und ihm gesagt, er solle nur übersetzen. Befragt, ob er bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und alle seine Fluchtgründe genannt habe oder zu seinen Angaben noch etwas hinzufügen möge, gab der Beschwerdeführer an, dass er nur sagen könne, wenn er nach Tschetschenien zurückkehre, werde er umgebracht.

Zu seinem Gesundheitszustand befragt, antwortete der Beschwerdeführer zwei Untersuchungen beim Psychiater gehabt zu haben, der ihm zwei Medikamente verschrieben habe. Eines heiße Trittico, wie das andere heiße, wisse er nicht. Er habe es heute nicht genommen, weil er davon schläfrig werde.

Der Beschwerdeführer legte eine Vollmacht und eine fachärztliche Bestätigung von XXXX vor. Zur vorgelegten Vollmacht führte er aus, dass er zu dem Zeitpunkt, der auf dem Dokument stehe, 15.12.2018, Halbwaisenpension in Tschetschenien bekommen habe. Da er jedoch nicht in Tschetschenien gewesen sei, habe er das Geld nicht bekommen können. Die Behörden hätten gewusst, dass er in Österreich sei und hätten eine Vollmacht, ohne ihm etwas zu sagen geschrieben. Sie hätten gewusst, dass das Geld auf der Bank liege und hätten seine Mutter mit zur Bank genommen und sie gezwungen dabei zu sein, während die Polizisten das Geld genommen hätten. Die Behörden hätten gewusst, dass er in Österreich sei. Sie seien zu seiner Mutter gegangen und hätten ihr gedroht, dass sie aus der Wohnung geschmissen werde. Von der Vollmacht und der Bank wisse er, weil er eine Verwandte in Tschetschenien habe, die ihm das per Post geschickt habe. Seine Mutter habe Anzeige erstatten wollen und sei zum Bürgermeister gegangen. Danach sei seine Mutter in die Psychiatrie eingesperrt worden. Auf Frage, woher er das wisse, sagte der Beschwerdeführer, dass er viele Verwandte in Tschetschenien habe. Mit seiner Mutter hätte seine Cousine zusammengewohnt. Es seien Polizisten gekommen und hätten gesagt, er solle dringend nach Hause kommen. Zwei oder dreimal hätten sie schon seine Mutter geschlagen. Er habe von hier aus die Polizei angerufen und hätte gefragt, was sie von ihm brauchen würden, doch hätten sie nicht mit ihm reden wollen. Er habe Beweise haben wollen. Ein Kritiker Kadyrows sei gerade in Österreich gestorben und andere auch schon. Er glaube, er solle auch ein Video machen und dann würden sie auch ihn töten.

Der Beschwerdeführer habe einen Reisepass gehabt, das hätte er auch 2017 zugegeben. Im Railjet von XXXX nach XXXX habe er seine Tasche vergessen, das habe er auch bei seiner Einvernahme 2017 gesagt. Eineinhalb Jahre später habe er seinen Reisepass im Fundbüro in XXXX gefunden. Er habe den Angestellten im Zug gefragt, wo man verlorene Dinge wiederfinden könne, sei ein paar Mal in XXXX gewesen und ins Fundbüro gegangen, so hätte er seinen Pass wiedergefunden. Seinen Reisepass wolle er nicht vorlegen, weil er Angst habe nach Tschetschenien abgeschoben zu werden. Auch eine Kopie wolle er nicht nachreichen, weil er gehört habe, dass man damit einen Ausweis ausstellen könne, um ihn abzuschieben. Andere Identitäten habe der Beschwerdeführer nie geführt. Er habe ein italienisches Visum gehabt, wobei sich seine Mutter um die Ausstellung dieses Visum gekümmert habe, als er von Kadyrow festgenommen worden sei. Sie habe Geld bezahlt und das Visum sei in Moskau ausgestellt worden. Nachdem er freigelassen worden sei, sei er am selben Tag nach Moskau gereist und sei ihm in der U-Bahn seinen Pass gegeben. Die Frau, die ihm den Pass ausgestellt hätte, habe XXXX geheißen. In seinem Reisepass stünde ein anderes Datum zur Gültigkeit des Visums, nämlich ab 04.10.2017. Die Frau hätte ihm den Reisepass am 13.10.2017 gegeben.

Der Beschwerdeführer sei nach Österreich gekommen, weil seine Tante hier wohne. Seine Mutter habe gewollt, dass sich jemand um ihn kümmere, weil er ihr einzige Kind sei.

Der Beschwerdeführer sei Moslem, welcher im Herkunftsstaat keine Probleme aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit gehabt hätte. Mit den Behörden und Gerichten hätte er im Heimatland Probleme gehabt. Er sei einmal für eine Woche in Haft gewesen. Sein Vater sei bereits 2015 verstorben und seine Mutter lebe in XXXX , dort habe er mit ihr zuletzt zusammengewohnt. Sein Bruder sei 2016 verstorben, er sei blind und beeinträchtigt gewesen. Der Beschwerdeführer habe eine elfjährige Grundschulausbildung absolviert, mit Matura abgeschlossen und eine Ausbildung als Lokführer gemacht, die zwei Jahre gedauert habe. Während seines Studiums habe er als Security gearbeitet und seine finanzielle Situation sei mittelmäßig gewesen. Seine Mutter habe eine Rente und er ebenfalls Halbwaisenrente bekommen. Seine letzte Adresse im Herkunftsstaat sei XXXX Tschetschenien gewesen. Dabei handle es sich um eine Eigentumswohnung, die man seiner Mutter wegnehmen wolle. Zu seiner Familie habe er keinen Kontakt, der letzte sei 2019 gewesen. Er erfahre von seinen Freunden, mit denen er studiert habe, wenn etwas passiere. Daher habe er die Nachricht bekommen, wenn seine Mutter Geld für Medikamente benötige. Er habe ihr bereits im Februar 2019 Geld geschickt. Seine Mutter habe er zuletzt am 11.10.2017 gesehen, sie werde ständig bedroht und sei auch schon zwei oder dreimal von Kadyrows Polizisten geschlagen worden. Das Verhältnis zu seiner Mutter sei gut. Der Beschwerdeführer habe eine österreichische Freundin aus XXXX , die er schon über zwei Jahre kenne, am 17.03.2017 habe er sie kennengelernt. Zusammengelebt hätten sie nicht, heiraten würden sie, wenn seine Freundin mit dem Studium fertig sei. Das letzte Mal habe er sie am 10.06.2020 gesehen. Sie habe eine Schwester hier, die verheiratet sei. In Österreich habe er seine Tante, seinen Onkel, sowie seinen Cousin und seine Cousine und noch andere Verwandte. Anfänglich habe ihn seine Tante oder ihr Sohn finanziell unterstützt, doch jetzt nicht mehr. Das Verhältnis zu seinen in Österreich lebenden Verwandten sei „normal“.

Der Beschwerdeführer sei von 27.06.2018 bis 02.12.2019 in XXXX in der Moschee XXXX gewesen, dort hätte er gelebt. Manchmal sei er zu Freunden gegangen und hätte dort geduscht. Seine Bekannten und Freunde hätten ihn unterstützt. Untergetaucht sei er, damit er nicht nach Italien abgeschoben werde, sonst wäre er nach Russland abgeschoben worden. Manchmal sei er auch in XXXX und XXXX , aber immer in XXXX gewesen. Er habe manchmal auch bei seinem Cousin gewohnt, er hätte immer die Plätze gewechselt. In der Nacht sei er nicht bei Verwandten gewesen, er habe sie manchmal in der Stadt getroffen. Es stimme, dass er sich an seiner Meldeadresse nur sporadisch aufgehalten habe, weil er Angst vor der Abschiebung gehabt habe. Auch von 31.10.2018 bis 02.12.2019 hätten ihn seine Bekannten unterstützt, in seinem Herkunftsstaat sei er in diesem Zeitraum nicht gewesen. Einmal pro Monat gehe er ca. zu seiner Tante. Wenn seine Cousine aus XXXX komme, übernachte er auch bei seiner Tante.

Zum Grund seiner Flucht führte der Beschwerdeführer aus, er sei am 22.09.2017 von Leuten Kadyrows festgenommen worden. Ihm sei unterstellt worden, dass er nach Syrien reisen wolle. Sie hätten den Namen eines Schulkollegen genannt, wobei gesagt worden sei, dass er sich in Syrien befinde und er auch dorthin wolle. Sein Schulkollege habe jedoch nur in der Türkei studiert und der Beschwerdeführer habe niemals mit solchen Menschen zu tun gehabt. Von ihm sei verlangt worden vier Personen zu nennen, die in Syrien kämpfen, oder vier Personen zu nennen, die Drogen konsumieren, oder Drogenhändler seien. Er habe weder Drogenhändler, noch Kämpfer in Syrien gekannt. Drei Tage lang sei er mit Strom gefoltert worden, bis er ohnmächtig geworden sei. Ständig sei er geschlagen worden und wäre gezwungen worden Papiere zu unterschreiben. Er wisse nicht, was darauf gestanden sei und habe unterschrieben. Ein paar Tage später, sei er entlassen worden. Ihm sei gesagt worden, er solle zu Hause bleiben, weil die Folterflecken noch auf seinem Körper und Gesicht sichtbar gewesen seien. Die meisten Flecken seien auf seinem Rücken und ihm Bereich der Füße gewesen. Sie hätten die Bereiche, wo Strom angesetzt worden sei, gewechselt. Er hätte dann unterschrieben. Zwei bis drei Tage sei er bei seiner Mutter geblieben und sei auch kontrolliert worden. Es habe immer ein Auto vor ihrem Haus gestanden. Seine Mutter sei von seiner Entlassung verständigt worden und sie hätte ihn mit seiner Tante zusammen von einem Polizeirevier in XXXX im Zentrum bei der Kirche abgeholt. Er habe etwas auf dem Kopf gehabt und damals gar nichts gesehen. Sein Freund, der in der Türkei studiere heiße XXXX und sitze derzeit für 16 Jahre in Russland im Gefängnis. Er habe erzählt, dass er ebenso Namen von Unschuldigen habe nennen müssen, die mit Syrien zu tun hätten. Nachgefragt, gab der Beschwerdeführer an, dass sein Freund seit 2018 im Gefängnis sei und er das von gemeinsamen Freunde wisse. Wolle man nicht mit Strom gefoltert werden, gebe man Namen anderer an. Sein Freund habe in der Türkei den Islam studiert. Ob er seinen Namen genannt habe, wisse er nicht, doch ginge das nicht, sei der Beschwerdeführer bereits 2017 dran gewesen. In Russland, habe ihn seine Mutter angerufen, weil die Polizei bei ihr gewesen sei. Sie habe den Beschwerdeführer informiert und ihn gefragt, was er gemacht habe. Das sei ca. am 17. Oder 18.09.20217 abends gewesen. Er glaube am 19. Oder 20. von XXXX ausgereist zu sein und sei am 22.09.2017 um 10 oder 11 Uhr vormittags von zwei Männern abgeholt worden. Er sei mit Handschellen im Auto angekettet und geschlagen worden. Seine Nachbarin hätte vom Balkon geschrien, warum sie ihn mitnehmen würden. Sie hätten gesagt, sie solle leise bleiben und würden ihn mitnehmen, sie seien Polizisten. Auf Frage, warum er von XXXX nach Hause gegangen sei, obwohl er gewusst habe, dass er gesucht werde, antwortete er, dass er keine Ahnung gehabt habe, worum es ginge, weil seine Mutter gesagt hätte, er müsse kommen. Sie hätten ihn auch in XXXX , vom Studentenheim, in dem er gelebt habe, abholen können. Seine Mutter habe das Visum für ihn organisiert, weil sie nicht gewollt habe, dass ihm als ihrem einzigen Sohn etwas passiere. Der Beschwerdeführer sei eine Woche bei der Polizei gewesen, drei Tage sei er gefoltert worden, dann habe er unterschrieben und sei noch vier Tage in einem kleinen Zimmer festgehalten worden, wo noch 28 andere Männer gewesen seien. Im Anschluss hätten sie seine Mutter angerufen, die ihn mit seiner Tante abgeholt hätte. Zwei Polizisten hätten ihn mit seiner Mutter und seiner Tante nach Hause gebracht. Danach sei er zwei oder drei Tage zu Hause gewesen und anschließend zu einer Tante mütterlicherseits gegangen. Am 11.10.2017 sei er aus Tschetschenien ausgereist, wobei er sich nicht genau an das Datum erinnern könne, er vergesse manchmal Dinge.

Der Beschwerdeführer sei in XXXX geboren, wo er auch bis 2010 gelebt habe. Danach sei er nach XXXX gezogen, wo er 2016 mit der Schule fertig geworden und dann nach XXXX für sein Studium gezogen sei.

Zu seiner Einstellung nach Syrien befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er eine negative Meinung habe, auch gegenüber seinem Cousin aus XXXX , der 2016 in Syrien gestorben sei. Er sei der Sohn seiner Tante XXXX . Bei welcher Einheit er gewesen sei, wisse er nicht und interessiere ihn auch nicht. Auch sein anderer Cousin sei in Syrien gewesen, sitze jetzt in Schubhaft und solle abgeschoben werden. Alle würden denken, er sei auch so, wenn seine Verwandten so sind. Er wolle aber ganz normal leben.

Befragt zu den Geschehnissen seit seiner Ausreise, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass sie vor ca. vier Monaten bei seiner Mutter, sie sei bereits eine alte Frau, gewesen seien und sie aus der Wohnung haben wollen würden. Er sei ruhig, niemand schlage ihn, sonst gäbe es keine Änderungen seiner persönlichen Situation. Im Heimatland werde er gesucht.

Das zweite Medikament, das er nehme, heiße Tramolex.

Der Beschwerdeführer habe ausreichend Möglichkeit zur Erstattung seines Vorbringens gehabt und habe keine Ergänzungen zu diesem.

Der Beschwerdeführer habe sein Heimatland vor seiner Ausreise niemals verlassen. Den Entschluss zur Ausreise habe er gefasst als er die Papiere bei der Polizei unterschrieben habe. Er sei 18 Jahre alt gewesen und habe seine Mutter bereits drei Jahre nicht gesehen, es sei nicht einfach und er wolle hier ganz normal leben. Seine letzte Nacht im Heimatland habe er bei seiner Cousine in XXXX in Tschetschenien verbracht. Sein Heimatland habe er legal verlassen, sich jedoch nicht angemeldet, als er über die tschetschenische Grenze ausgereist sei. Er habe sich nirgends länger aufgehalten und Österreich sei das Ziel seiner Reise gewesen. Nachgefragt, habe er nicht bei seinen Verwandten gelebt, weil sie weniger Wohnbeihilfe bekommen hätten, wenn er bei ihnen gelebt hätte. Nach Angaben seiner Mutter hätte das Visum EUR 2.000 gekostet, normalerweise würde es EUR 36 kosten. In Moskau hätte er ein Ticket nach Milano für EUR 70-80 gekauft und seine Reise von Tschetschenien nach Moskau hätte er ca. EUR 100 bezahlt. Von Milano nach Österreich sei er mit seinem Onkel gefahren, er sei dort abgeholt worden. Seine Mutter hätte sich das Geld für seine Reise scheinbar ausgeliehen, es sei üblich in Tschetschenien, dass die ganze Familie weggeschickt werde, wenn sich jemand schuldig gemacht hätte.

Der Beschwerdeführer sagte auf Frage, was er nun weiter vorhabe, er wolle ganz normal leben und arbeiten. Er wolle nicht von Sozialhilfe leben. Er wolle eine Lehre als Lokführer bei der ÖBB machen und im Anschluss als Lokführer arbeiten. Das sei sein Traumberuf. Im Herkunftsstaat habe er von der Rente seiner Mutter und seiner Halbwaisenrente gelebt, weitere Einnahmequellen habe es nicht gegeben. Wovon seine Mutter derzeit lebe, wisse er nicht. Durchschnittlich hätten sie 8.700 Rubel zur Verfügung gehabt, das seien ca. EUR 220. Er habe keinen Deutschkurs besucht, mache demnächst aber die Prüfung auf Sprachniveau A2. Danach plane er B1 zu absolvieren. Er sei weder in einem Verein, noch arbeite er ehrenamtlich. Seinen Lebensunterhalt bestreite er von der Grundversorgung.

Auf die Frage, welche Befürchtungen er für den Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation hätte, erklärte der Beschwerdeführer, er werde umgebracht. Wenn er abgeschoben werden sollte, würde er sich etwas antun. Befragt, ob er wirtschaftlich dazu in der Lage wäre, sich wieder in seinem Heimatland niederzulassen und seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, antwortete er mit „Ja“. Befragt dazu, ob es konkrete Hinweise gebe, dass ihm bei einer Rückkehr unmenschliche Behandlung, Strafe oder die Todesstrafe drohen würde, er im Falle seiner Rückkehr mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen hätte und welche das wären, antwortete der Beschwerdeführer mit nein sowie dass er keine Beweise hätte. Freiwillig wäre er nicht bereit in sein Heimatland zurückzukehren.

Dem Beschwerdeführer wurde das herangezogene Länderberichtsmaterial ausgehändigt und es wurde ihm die Möglichkeit eingeräumt, binnen Frist eine diesbezügliche Stellungnahme abzugeben. Das wurde vom Beschwerdeführer abgelehnt.

Mit Ladung vom 17.07.2020 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert seinen originalen Reisepass vorzulegen, widrigenfalls eine Mutwillensstrafe auferlegt werde. Am 27.07.2020 legte der Beschwerdeführer seinen russischen Reisepass sodann der Behörde vor.

Mit Parteiengehör vom 10.08.2020 wurde dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt zur Russischen Föderation, Gesamtaktualisierung 27.03.2020, letzte Information eingefügt am 21.07.2020, zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme binnen einer Frist von 2 Wochen ab Zustellung übermittelt. Der Beschwerdeführer machte davon keinen Gebrauch.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 08.09.2020 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG idgF erlassen (Spruchpunkt IV.) und wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) sowie dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Behörde stellte die Staatsbürgerschaft, Volksgruppenzugehörigkeit und das Glaubensbekenntnis des Beschwerdeführers, sowie seine Identität, fest und legte ihrer Entscheidung ausführliche Feststellungen zur Situation in dessen Herkunftsstaat zu Grunde. Der Beschwerdeführer habe eine Gefährdungslage im Heimatland nicht glaubhaft machen können. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung einer Verfolgung unterliege.

Diesbezüglich wurde in der Beweiswürdigung argumentiert, der Beschwerdeführer habe vor der Behörde ein unglaubhaftes Vorbringen erstattet, zumal sein Visum zu einem Zeitpunkt beantragt worden sei, zu dem er noch festgehalten worden sei. Sein Visum sei von 04.10.2017 bis 02.11.2017 gültig gewesen, ausgereist sei er jedoch erst am 13.10.2017, was nicht nachvollziehbar sei, wäre der Beschwerdeführer tatsächlich verfolgt worden. Zudem sei nicht glaubhaft, dass er seinen Reisepass im Zug nach XXXX verloren habe und ihn nach eineinhalb Jahren im Fundbüro wiedergefunden hätte. Außerdem sei aus dem Reisepass des Beschwerdeführers ersichtlich, dass er am 24.10.2017 neuerlich in die Russische Föderation eingereist sei. Wäre er tatsächlich bedroht worden, wäre er nach Ansicht der Behörde nicht noch einmal in den Herkunftsstaat eingereist, weshalb sich seine Fluchtgeschichte als unglaubwürdig erweise.

Eine Rückkehr in die Russische Föderation sei dem Beschwerdeführer zumutbar und möglich. Dieser habe im Heimatland noch genügend familiäre Anknüpfungspunkte und es habe nicht festgestellt werden können, dass ihm in seinem Heimatland die Lebensgrundlage gänzlich entzogen wäre. Der Beschwerdeführer sei ein junger und arbeitsfähiger Mann mit spezifischer Ausbildung, weshalb zu erwarten sei, dass er seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten könne. Dieser sei gesund und habe bis zu seiner Ausreise in der Russischen Föderation gelebt. Auch aufgrund der COVID-19-Pandemie sei nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer einen schweren oder tödlichen Verlauf der Erkrankung erleiden würde, weshalb ein „real risk“ einer Verletzung des Art. 3 EMRK deswegen nicht drohe. Insgesamt sei daher festzustellen, dass keine individuellen Umstände vorliegen würden, die dafürsprechen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in sein Heimatland in eine derart extreme Notlage gelangen würde, die eine unmenschliche Behandlung iSd Art. 3 EMRK darstellen würde.

Der Beschwerdeführer sei schlepperunterstützt nach Österreich eingereist und sei sein Aufenthalt lediglich aufgrund eines ungerechtfertigten Asylantrages begründet gewesen.

Mit Eingabe vom 02.10.2020 wurde durch den nunmehr bevollmächtigten Vertreter fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde eingebracht, in welcher der dargestellte Bescheid vollumfänglich angefochten wurde. Begründend wurde zusammenfassend ausgeführt, dass die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates unvollständig und falsch seien sowie lediglich auf einer oberflächlichen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers beruhen würden. Die von der Rechtsprechung geforderte ganzheitliche Würdigung sei im gegenständlichen Fall offensichtlich unterblieben und sei die Behörde ihrer Ermittlungs- und Begründungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Der Beschwerdeführer möchte vor allem darauf hinweisen, dass es in Russland unmöglich sei ein Visum für EU-Länder zu erhalten, wenn man in Tschetschenien wohnhaft sei. Es bestünde die Möglichkeit in einer solchen Situation eine Person, die in Moskau wohne, zu beauftragen, die alle nötigen Handlungen durchführe, um das Visum zu erhalten. Als der Beschwerdeführer verhaftet worden sei, habe seine Mutter eine Frau namens XXXX kontaktiert und beauftragt ein italienisches Visum zu besorgen. Es entspreche der Wahrheit, dass der Beschwerdeführer die Ausstellung des Reisepasses im Mai 2017 beantragt habe, doch bestünde diese in keinem Zusammenhang mit seiner Ausreise im September 2017. Es sei auch richtig, dass er seine Heimat am 13.10.2017 verlassen habe und dass sein Visum von 04.10.2017 bis 02.11.2017 gültig gewesen sei. Die Mutter des Beschwerdeführers sei am 11.10.2017 von der beauftragten Frau informiert worden, dass das Visum für den Beschwerdeführer fertig sei. Am selben Tag habe der Beschwerdeführer sodann ein Flugticket nach Italien gekauft und sei am selben Tag, am 11.10.2017 mit dem Bus von Tschetschenien nach Moskau gefahren, wo er besagte Frau in der U-Bahn getroffen und den Reisepass samt Visum erhalten habe. Anschließend habe der Beschwerdeführer seine Heimat verlassen. Am 22.09.2017 sei der Beschwerdeführer von tschetschenischen Sicherheitskräften festgenommen worden, wobei er bereits im Auto durch Schläge misshandelt worden sei. Im Gefängnis habe der Beschwerdeführer sieben Tage verbracht und sei misshandelt sowie gefoltert worden. Seitens der Behörden sei ihm unterstellt worden, dass er nach Syrien habe ausreisen wollen um dort zu kämpfen. Die Polizisten hätten dann die Nennung weiterer Personen mit den gleichen politischen Ansichten verlang und hätten ihn deswegen drei Tage lang mit Strom gefoltert. Der Beschwerdeführer habe Folterflecken überall am Körper, vor allem auf dem Rücken und den Füßen gehabt. Er sei ständig geschlagen und gezwungen worden irgendwelche Papiere zu unterschreiben, wobei er bis heute nicht wisse, was genau er unterschrieben habe. Dass dem Verlust seines Reisepasses in Österreich kein Glaube geschenkt werde, sei nicht nachvollziehbar und wäre es ein leichtes gewesen, sich diesbezüglich mit dem Fundbüro in Verbindung zu setzen. Zudem sei der Beschwerdeführer zuletzt am 13.10.2017 in Russland gewesen. Den Einreisestempel von 24.10.2017 habe er auf illegalem Weg beschafft, weil er gedacht habe sein Dublin Verfahren mit Italien würde eingestellt, wenn er eine erneute Einreise nach Russland beweisen könne. Er habe eine Kontaktperson über Facebook gefunden und seinen Reisepass nach Moskau per Post übermittelt, wo dieser am 24.10.2017 mit dem Eingangsstempel versehen worden sei. Darüber hinaus wurde noch zu den übermittelten Länderinformationen, vor allem zur Lage in Tschetschenien Stellung genommen. Zusammenschauend könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Russland einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer sei sehr bemüht sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren und spreche mittlerweile sehr gut Deutsch. In seiner Einvernahme vor dem BFA am 16.07.2020 habe er fast immer auf Deutsch geantwortet. Außerdem habe er viele neue Freunde gewonnen und sei seit zwei Jahren in einer Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die in XXXX lebe. Er treffe sie alle zwei bis drei Wochen. Insgesamt sei sie Rückkehrentscheidung rechtswidrig und im Lichte des Geschilderten auf Dauer unzulässig. Es werde u.a. beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 12.10.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

5. Mit Schreiben vom 28.01.2021 übermittelte das BFA Facebook-Ausdrucke, aus denen hervorgeht, dass der BF entgegen seinen Angaben im Verfahren aus XXXX stamme, in XXXX wohne und auch dort zur Schule gegangen sei, weiters sei er verheiratet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, welcher die im Spruch ersichtlichen Personalien führt, der tschetschenischen Volksgruppe angehört und sich zum islamischen Glauben bekennt. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer reiste legal mit einem italienischen Schengenvisum unter Mitführung seines russischen Reisepasses am 13.10.2017 aus der Russischen Föderation aus, wobei er am 24.10.2017 neuerlich in seinen Herkunftsstaat einreiste. Nach erneuter Einreise in das Bundesgebiet stellte er am 10.12.2017 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der ohne in die Sache einzutreten als unzulässig zurückgewiesen wurde und Italien für die Prüfung des Antrages für zuständig erklärt wurde. Außerdem wurde die Außerlandesbringung angeordnet und die Abschiebung nach Italien für zulässig erklärt. Die dagegen erhobene Beschwerde würde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts abgewiesen, welches am 28.05.2017 in Rechtskraft erwuchs. Seit diesem Zeitpunkt hielt sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig in Österreich auf. Der Beschwerdeführer wurde am 17.05.2018 nach Italien abgeschoben, wobei er nur eine Woche später erneut im Bundesgebiet betreten wurde. Im Anschluss vereitelte der Beschwerdeführer durch sein unkooperatives Verhalten zwei weitere Male seine Abschiebung. Von 28.06.2018 bis 02.12.2019, seiner erneuten Asylantragstellung, lebte der Beschwerdeführer im Verborgenen, ohne aufrechte Meldung im Bundesgebiet. Seit diesem Zeitpunkt hält er sich ununterbrochen in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer stammt aus Tschetschenien, wo er 11 Jahre die Schule besucht, im Familienverband gelebt und seinen Lebensunterhalt zuletzt durch die Unterstützung seiner Mutter sowie den Bezug einer Halbwaisenrente und gelegentlich, neben seiner Ausbildung, durch Tätigkeiten als Security, bestritten hat. Zuletzt absolvierte der Beschwerdeführer in XXXX eine zweijährige Ausbildung als Lokführer. Zuvor hat er gemeinsam mit seiner Mutter in ihrer Eigentumswohnung in XXXX gewohnt. Im Herkunftsstaat lebt unverändert die Mutter sowie zahlreiche weitere Verwandte des Beschwerdeführers. Sein Vater und sein Bruder sind bereits verstorben.

1.2. Der Beschwerdeführer ist im Herkunftsstaat keiner Verfolgung durch Leute Kadyrows ausgesetzt, da ihm unterstellt wird, nach Syrien ausreisen gewollt zu haben. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation respektive Tschetschenien in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der Beschwerdeführer leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und ist in medikamentös-psychiatrischer Behandlung, wobei er die Psychopharmaka Trittico sowie Pramulex regelmäßig einnimmt. Er leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen würden. In der Russischen Föderation respektive Tschetschenien besteht eine ausreichende medizinische Grundversorgung und bestehen Behandlungsmöglichkeiten für Erkrankungen im psychischen Bereich, weswegen der Beschwerdeführer nach einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ausreichend behandelt werden könnte. Ebenso sind diverse Antidepressiva in der gesamten Russischen Föderation erhältlich. Der Beschwerdeführer ist zur eigenständigen Erwirtschaftung seines Lebensunterhaltes in der Lage, zudem hat er im Herkunftsstaat zahlreiche Angehörige, die ihn im Bedarfsfall bei einer allenfalls nötigen privaten Finanzierung von Behandlungs- und Medikamentenkosten unterstützen könnten.

1.3. Der Beschwerdeführer verfügt im Bundesgebiet über familiäre Anknüpfungspunkte in den Personen seiner Tante, seines Onkels und seines Cousins, die ebenso in XXXX leben, mit ihnen lebt er jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt. Des Weiteren hat er eine Cousine und noch andere Verwandte in XXXX . Der Beschwerdeführer wird von seinen Verwandten im Bundesgebiet weder finanziell unterstützt, noch ist ein sonstiges Abhängigkeitsverhältnis hervorgekommen. Der Beschwerdeführer führt eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die in XXXX lebt. Sie sehen sich alle zwei bis drei Wochen und leben nicht im gemeinsamen Haushalt.

Der unbescholtene Beschwerdeführer ging in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, bestreitet seinen Lebensunterhalt durch den Bezug staatlicher Unterstützungsleistungen und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Der Beschwerdeführer hat nachgewiesene Deutschkenntnisse auf dem Sprachniveau A2, jedoch keinen Sprachkurs oder sonstigen Ausbildungen absolviert. Dieser hat sich in keinen Vereinen engagiert, war nicht ehrenamtlich tätig und hat mit Ausnahme seiner Verwandten und seiner Lebensgefährtin keine engen sozialen Bindungen im Bundesgebiet. Eine den Beschwerdeführer betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in dessen gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

1.4. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern in der Russischen Föderation wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a; vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a; vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-AA – Auswärtiges Amt (19.3.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 19.3.2020

-BMeiA (19.3.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.3.2020

-Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan russischemethoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

-EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.3.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 19.3.2020

-GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 19.3.2020

-SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt (SWP 10.2015; vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz“, eine „Provinz Kaukasus“, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2019). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Der größte Anteil an Gewalt im Nordkaukasus entfällt weiterhin auf Dagestan und Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz (Caucasian Knot 30.8.2019).

Im Jahr 2019 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] bei 44 Personen, davon wurden 31 getötet (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

-Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

-Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

-Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

-Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

-Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.3.2020

-ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 19.3.2020

-SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

-SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im Jahr 2018 wurden in Tschetschenien mindestens 35 Menschen Opfer des bewaffneten Konflikts, von denen mindestens 26 getötet und neun weitere verletzt wurden. Unter den Opfern befanden sich drei Zivilisten (zwei getötet, einer verletzt), elf Exekutivkräfte (drei getötet, acht verletzt) und 21 Aufständische (alle getötet). Im Vergleich zu 2017, als es 75 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl 2018 um 53,3% (Caucasian Knot 30.8.2019). 2019 wurden in Tschetschenien im Rahmen des bewaffneten Konflikts sechs Personen getötet und fünf verletzt [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

-Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

-Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

-Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

-Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

-Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.3.2020

-SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 19.3.2020

-SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2019). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 4.3.2020).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs-und Kassationsverfahren geschaffen wurden, sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto „Schuldvermutung“ im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter, etc.). Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen Ende 2018 rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2019). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019). So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukaew im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2019).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2019). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung in Einklang stehen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.2.2019, USDOS 11.3.2020). Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht. Mit Ende 2018 waren beim EGMR 11.750 Anträge aus Russland anhängig. Im Jahr 2018 wurde die Russische Föderation in 238 Fällen wegen einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verurteilt. Besonders zahlreich sind Konventionsverstöße wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Verstöße gegen das Recht auf Leben, insbesondere im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Tschetschenien oder der Situation in den russischen Gefängnissen. Außerdem werden Verstöße gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gerügt (ÖB Moskau 12.2019).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer „nichtgenehmigten“ friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.2.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der „Absicht“ angenommen haben, die „Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen“. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018). Bei den Protesten im Zuge der Kommunal- und Regionalwahlen in Moskau im Juli und August 2019, bei denen mehr als 2.600 Menschen festgenommen wurden, wurde teils auf diesen Artikel (212.1) zurückgegriffen (AI 16.4.2020).

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann (AA 13.2.2019).

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 13.2.2019).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

-AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 10.3.2020

-AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html, Zugriff 16.6.2020

-EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

-FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020

-ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

-USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html, Zugriff 12.3.2020

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst (FSB), das Untersuchungskomitee und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und bekämpft Kriminalität. Die Aufgaben der Föderalen Nationalgarde sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache und dem FSB, die Administrierung von Waffenbesitz, der Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, der Schutz der öffentlichen Sicherheit und der Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil. Zivile Behörden halten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte aufrecht. Obwohl das Gesetz Mechanismen für Einzelpersonen vorsieht, um Klagen gegen Behörden wegen Menschenrechtsverletzungen einzureichen, funktionieren diese Mechanismen oft nicht gut. Gegen Beamten, die Missbräuche begangen haben, werden nur selten strafrechtliche Schritte unternommen, um sie zu verfolgen oder zu bestrafen, was zu einem Klima der Straflosigkeit führte (USDOS 11.3.2020), Ebenso wendet die Polizei häufig übermäßige Gewalt an (FH 4.3.2020).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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