Entscheidungsdatum
08.03.2021Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W175 2232760-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Neumann über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , afghanische Staatsangehörige, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.06.2020, Zahl: 1256407209-191319104, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.
Gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 BFA-Verfahrensgesetz idgF (BFA-VG) wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig war.
B)
Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Die BF stellte am 27.12.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Antrag gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF (AsylG).
Eine Eurodac-Abfrage ergab hinsichtlich der BF keinen Treffer. Eine Abfrage im Visainformationssystem ergab, dass der BF am 01.12.2019 von der niederländischen Botschaft in Kabul ein Schengenvisum der Kategorie C, gültig von 01.12.2019 bis 26.12.2019, erteilt worden war.
I.2. Im Rahmen der Erstbefragung am 27.12.2019 gab die BF1 im Wesentlichen an, dass sie Afghanin, volljährig und ledig sei. Sie habe in Afghanistan vier Jahre und in Japan zwei Jahre die Universität besucht und arbeite im Verkehrsministerium in Kabul. Die BF legte einen gültigen afghanischen Reisepass mit dem niederländischen Visum vor.
Am 05.12.2019 sei sie laut Einreisestempel mit einem Flug via Dubai nach Amsterdam eingereist. Sie habe zwei Nächte in Amsterdam in einem Hotel verbracht und sei dann mit einem Bus über Berlin nach Österreich gefahren, wo sie am 10.12.2019 angekommen sei und am 27.12.2019 den gegenständlichen Antrag eingebracht habe. Das Visum habe sie bekommen, um in Den Haag an einer Konferenz teilzunehmen, Berlin habe sie sich anschauen wollen.
Sie sei wegen ihrem Freund nach Österreich gekommen und wolle hierbleiben. Weitere Bezugspersonen habe sie in Österreich oder in einem anderen Schengenstaat nicht.
Zu ihrem Fluchtgrund befragt gab die BF an, es sei für eine gebildete, wenig religiöse Frau in Afghanistan schwer zu leben, die Sicherheitslage sei sehr schlecht, Frauen die für die Regierung arbeiteten und kein Kopftuch trügen, seien sehr gefährdet. Außerdem sei sie von ihrem Vorgesetzten sexuell belästigt worden. Sie fürchte um ihr Leben.
Die BF äußerte keine gesundheitlichen Probleme.
I.3. Das BFA richtete an die Niederlande am 08.01.2020 ein auf Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), gestütztes Aufnahmeersuchen betreffend die BF.
I.4. Mit Schreiben vom 26.02.2020, stimmten die niederländischen Behörden der Aufnahme der BF gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO ausdrücklich zu.
I.5. Der von der BF angeführte Freund wurde am 03.02.2020 vor dem BFA niederschriftlich befragt und gab an, dass die BF an seiner Adresse gemeldet sei. Er habe sie im Jahr 2016 in Afghanistan kennengelernt. Er habe sie öfter in einem Büro getroffen. Nach dem Büro befragt gab er an, man könne nicht ganz genau sagen, was das für ein Büro gewesen sei, dort seien unterschiedliche Leute zusammengetroffen.
Die BF sei eine gebildete Frau und nicht von ihm abhängig. Sie sei stark und unabhängig und auf niemanden angewiesen. Sie habe in Japan ein Masterstudium in Informatik abgeschlossen. Nach 2016 hätten sie Kontakt über WhatsApp gehabt. Im Oktober 2019 habe er sie erneut besucht und sie am 04.10.2019 traditionell geheiratet.
Die BF gab am 16.03.2020 vor dem BFA im Rahmen des Parteiengehörs nach erfolgter Rechtsberatung in Dari befragt an, das sie in der Erstbefragung angegeben habe, ledig zu sein, da sie gedacht habe, dass die Ehe in Österreich nicht anerkannt werde. Sie brachte eine österreichische Heiratsurkunde in Vorlage sowie einen Auszug vom Standesamt, wonach sie am 10.02.2020 geheiratet hätten.
Sie sei von Ihrem Mann derzeit aufgrund ihrer Ersparnisse nicht finanziell abhängig. Sie sei nach Österreich gekommen, da ihr Mann hier lebe und sie bei ihm bleiben wolle. Sie habe neben den bereits genannten Studien auch Seminare für Menschenrechte besucht und als Abteilungsleiterin im Transportministerium gearbeitet. Sie sei auch Lehrerin auf einer Privatuniversität gewesen und habe ein Managementseminar besucht.
Sie habe sich drei bis vier Tage in den Niederlanden aufgehalten. Das Seminar habe sie nicht zur Gänze besuchen können, da sie das Visum zu spät beschafft habe.
Es gehe ihr psychisch nicht gut. Wenn sie alleine in den Niederlanden leben müsse, würde sie sehr krank und verlöre ihre Fähigkeiten.
Sie habe den Ehemann im Jahr 2916 im Büro für Menschenrechte in Kabul kennengelernt, am 04.10.2019 hätten sie in Afghanistan geheiratet. Auf die Frage, weshalb sie nicht früher versucht habe, zu ihrem Mann zu reisen, gab die BF an, sie habe Zeit gebraucht ihn kennenzulernen und habe die Zustimmung der Familie zur Hochzeit sowie Zeit zum Organisieren benötig. Der Ehemann sei nur diese beiden Male in Afghanistan gewesen. Sie habe nicht gewusst, dass sie von den Niederlanden aus einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen hätte können. Wenn ihr Leben in Afghanistan nicht in Gefahr gewesen wäre, wäre sie zurückgekehrt und hätte einen Antrag gestellt.
I.6. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit dem beschwerdegegenständlichen Bescheid, zugestellt am 18.06.2020, den Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück und sprach aus, dass die Niederlande für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 12 Abs. 4 der Dublin III-VO zuständig seien (Spruchpunkt I.). Die Außerlandesbringung der BF wurde gemäß § 61 Abs. 1 Bundesgesetz über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF (FPG), angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung der BF in die Niederlande gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Dem Bescheid sind folgende Feststellungen zu COVID-19 zu entnehmen:
„COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet.
In Österreich gibt es mit Stand 15.06.2020, 07:33 Uhr: 17.109 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 677 Todesfälle; in den Niederlanden wurden zu diesem Zeitpunkt 48.990 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 6.078 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden.
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht, dies bestätigt auch Chinas Gesundheitsbehörde und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf. Menschen mit milden Symptomen erholen sich der WHO zufolge in zwei Wochen, solche mit schweren Symptomen brauchen drei bis sieben Wochen.“
Zu den Niederlanden wurden folgende Feststellungen getroffen:
„(Anmerkung: Die Feststellungen sind durch die Staatendokumentation des Bundesamtes zusammengestellt und entsprechen dem Stand vom Februar 2018).
Allgemeines zum Asylverfahren
Es existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit (AIDA 2.2017; vgl. GoN o.D.a, IND o.D.a für weitere Informationen siehe dieselben Quellen).
Quellen:
AIDA – Asylum Information Database (2.2017): Country Report: Netherlands, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_nl_update.v_final.pdf, Zugriff 16.02.2018
GoN – Government of the Netherlands (o.D.a): Asylum policy, https://www.government.nl/topics/asylum-policy, Zugriff 16.02.2018
IND – Immigration and Naturalisation Service (o.D.a): Asylum, https://ind.nl/en/asylum, Zugriff 16.02.2018
Dublin-Rückkehrer
Dublin-Rückkehrer haben Zugang zum Asylverfahren (allgemeines und erweitertes Verfahren) vor der niederländischen Einwanderungsbehörde (Immigratie-en Naturalisatiedienst – IND). Im Falle eines „take back“-Verfahrens kann der Asylwerber einen Folgeantrag stellen, der neue Elemente enthalten muss. Dieser wird wie der Folgeantrag eines Nicht-Dublin-Rückkehrers behandelt In „take charge“-Fällen kann der Rückkehrer einen Erstantrag stellen. (AIDA 2.2017).
Quellen:
AIDA – Asylum Information Database (2.2017): Country Report: Netherlands, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_nl_update.v_final.pdf, Zugriff 16.02.2018
Non-Refoulement
Das Gesetz sieht die Freizügigkeit im Inland, die Reisefreiheit, das Recht auf Emigration und Wiedereinbürgerung vor, und die Regierung respektiert generell diese Rechte. Der Staat arbeitet mit dem Büro des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen, Asylwerbern, Staatenlosen und anderen Betroffenen Schutz und Hilfe zu gewähren (USDOS 3.3.2017).
Nach einer endgültigen Ablehnung des Asylantrags ist eine Folgeantragsstellung möglich. Dies ergibt sich aus den Grundsätzen des Non-Refoulement-Prinzips der Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention (AIDA 2.2017).
Quellen:
AIDA – Asylum Information Database (2.2017): Country Report: Netherlands, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_nl_update.v_final.pdf, Zugriff 16.02.2018
USDOS – US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 – Netherland, https://www.ecoi.net/de/dokument/1394769.html, Zugriff 16.02.2018
Versorgung
Gemäß Gesetz haben alle mittellosen Asylwerber ein Recht auf Unterbringung und materielle Versorgung ab Antragstellung (AIDA 2.2017). Die Zentralstelle für die Aufnahme von Asylwerbern (COA) ist für die Unterbringung und Versorgung der grundlegenden Bedürfnisse von Asylwerbern während ihres Asylverfahrens verantwortlich (COA o.D.b; vgl. AIDA 2.2017).
Asylwerber erhalten in der Regel eine monatliche finanzielle Unterstützung/Gutscheine in der Höhe von 296,24 Euro. Das wöchentliche Taschengeld variiert jedoch je nach Art der Unterbringung. Die Versorgung deckt die folgenden Leistungen und Kosten: Unterkunft; wöchentlicher Zuschuss für Nahrung, Kleidung und persönliche Ausgaben; Tickets für öffentliche Verkehrsmittel zum Besuch des Anwalts; Freizeitangebot und Bildungsaktivitäten (z.B. Vorbereitung für die Integrationsprüfung); Krankenversicherung; Haftpflichtversicherung; Sonderkosten (AIDA 2.2017).
Der Asylwerber darf für 24 Wochen im Jahr arbeiten. Daneben ist es für sie möglich, verschiedene Arbeiten in ihrer Unterbringung (z.B. Wartungs- und Reinigungsarbeiten) gegen wöchentliche Bezahlung in der Höhe von 14 Euro zu verrichten. Die Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit außerhalb des Unterbringungszentrums ist auch erlaubt (AIDA 2.2017; vgl. CAO o.D.c).
Quellen:
AIDA – Asylum Information Database (2.2017): Country Report: Netherlands, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_nl_update.v_final.pdf, Zugriff 16.02.2018
COA – Central Organisation Shelter Asylum Seekers (o.D.b): Asylum seekers, https://www.coa.nl/en/asylum-seekers, Zugriff 16.02.2018
CAO – Central Organisation Shelter Asylum Seekers (o.D.c): Work and education, https://www.coa.nl/en/asylum-seekers/work-and-education, Zugriff 16.02.2018
Unterbringung
Es gibt in den Niederlanden insgesamt 106 Unterbringungszentren, mit 26.185 Plätzen. Es handelt sich dabei um:
? Antragszentrum in Schipol (Aanmeldcentrum – AC): geschlossenes Zentrum im Grenzverfahren
? Zentrales Auffanglager Ter Apel (Centraal Opvanglocatie – COL): wo Asylanträge zu stellen sind. Aufenthalt max. 3 Tage
? 4 Verfahrenszentren (Proces Opvanglocatie – POL): dient der Ruhe- und Vorbereitungsphase. Bei allgemeinem Verfahren bleibt der Asylwerber im POL
? Asylwerberzentren (Asielzoekerscentrum – AZC): hier werden erweiterte Verfahren geführt, aber auch Schutzberechtigte untergebracht, bis sie eine Wohnmöglichkeit finden
? Freiheitsbeschränkende Unterbringung (Vrijheidsbeperkende locatie – VBL): bis zwölf Wochen Unterbringung möglich, wenn der Fremde bei Organisation der Heimreise kooperiert; keine geschlossene Unterbringung, aber Gebietsbeschränkung
? 8 Familienzentren (Gezinslocatie – GL): für Familien, die das Unterbringungsrecht verloren haben, da Kinder immer unterzubringen sind. Fokus liegt auf Rückkehr. keine geschlossene Unterbringung, aber Gebietsbeschränkung (AIDA 2.2017; vgl. CAO o.D.d).
Die Familienzentren wurden vom niederländischen Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) kritisiert, da der eingeschränkte Zugang zu Versorgung mit den Regelungen über Kinderrechte nicht übereinstimmen (AIDA 2.2017).
Die zeitlich begrenzte und bedingte Unterstützung der niederländischen Regierung für abgelehnte Asylwerber gab weiterhin Anlass zur Besorgnis. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte kritisiert das Gesetz, welches die medizinische Versorgung, Bildung und Sozialhilfe für Asylwerber mit einem negativen Bescheid von deren Bereitschaft zur Rückkehr in das Herkunftsland abhängig macht (HRW 18.1.2018).
Quellen:
AIDA – Asylum Information Database (2.2017): Country Report: Netherlands, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_nl_update.v_final.pdf, Zugriff 16.02.2018
CAO – Central Organisation Shelter Asylum Seekers (o.D.d): Types of reception centres, https://www.coa.nl/en/reception-centres/types-of-reception-centres, Zugriff 16.02.2018
HRW – Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 – European Union, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422356.html, Zugriff 16.02.2018
Medizinische Versorgung
Asylwerber sind versichert und haben Anspruch auf medizinische Versorgung (GoN o.D.b). Die allgemeine medizinische Behandlung ist, soweit möglich, dieselbe wie für niederländische Bürger, erweitert um besonderes Augenmerk auf sprachliche und kulturelle Unterschiede, die Lebenssituation von Asylwerbern, das Asylverfahren und deren besondere Bedürfnisse (AIDA 2.2017; vgl. GZA o.D.a). Das Gesundheitszentrum für Asylwerber (GZA) ist die erste Anlaufstelle für Asylwerber in Gesundheitsangelegenheiten. Das GZA verfügt über zahlreiche Standorte in oder in der Nähe fast jedes Asylwerbezentrums. Ein Allgemeinmediziner, eine Krankenschwester und ein psychologischer Berater oder medizinischer Assistent stehen dort zur Verfügung (GZA o.D.b). Außerdem gibt es eine Telefon-Hotline, wo Fragen gestellt, Termine ausgemacht und Dolmetscher für die Untersuchungen bestellt werden können. Die Hotline steht rund um die Uhr bei Notfällen auch zur Verfügung (GZA o.D.c). Bei der Ankunft in Unterbringungszentrum wird eine medizinische Eingangsuntersuchung angeboten, um Behandlungserfordernisse frühzeitig zu erfassen (IND 8.2015). Eine Tuberkulosekontrolle ist jedoch für alle Asylwerber obligatorisch (COA o.D.e).
Asylwerber haben Zugang zu medizinischer Basisversorgung, darunter Zugang zu Allgemeinmedizin, Spitälern, Psychologen, Zahnmedizin (in extremen Fällen) und auf Tagesbasis Zugang zu psychiatrischen Kliniken. Es gibt eine Reihe spezialisierter Institutionen zur Behandlung von Asylwerbern mit psychischen Problemen (z.B. Phoenix). Zugang zu medizinischer Versorgung für Asylwerber in POL, COL, VBL und für Erwachsene in GL ist nur in Notfällen gewährleistet. Gesundheitsdienstleister bekommen Leistungen für irreguläre Migranten bei einer speziellen Stiftung ersetzt. Nach einer Untersuchung rief der Ombudsmann den Gesundheitsminister auf, den Zugang zu medizinischer Versorgung auch für Menschen ohne Aufenthaltstitel zu gewährleisten (AIDA 2.2017).
MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).
Quellen:
AIDA – Asylum Information Database (2.2017): Country Report: Netherlands, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_nl_update.v_final.pdf, Zugriff 16.02.2018
CAO – Central Organisation Shelter Asylum Seekers (o.D.e): Asylum seeker, https://ind.nl/en/asylum/Pages/Asylum-seeker.aspx, Zugriff 16.02.2018
GoN – Government of the Netherlands (o.D.b): Health insurance and residence permit, https://www.government.nl/topics/health-insurance/health-insurance-and-residence-permit, Zugriff 16.02.2018
GZA – Gzasielzoekers (o.D.a): I am asylum seeker, https://www.gzasielzoekers.nl/en, Zugriff 16.02.2018
GZA – Gzasielzoekers (o.D.b): About GZA, https://www.gzasielzoekers.nl/en/iamasylumseeker/aboutgza, Zugriff 16.02.2018
GZA – Gzasielzoekers (o.D.c): Going to the doctor, https://www.gzasielzoekers.nl/en/iamasylumseeker/goingtothedoctor, Zugriff 16.02.2018
IND – Immigration and Naturalisation Service (8.2015): Before your asylum procedure begins, https://ind.nl/documents/rvt_engels.pdf, Zugriff 16.02.2018
MedCOI – Medical Country of Origin Information (14.12.2016): Auskunft MedCOI, per E-Mail“
Beweiswürdigend wurde im Bescheid hervorgehoben, dass die Identität der BF feststehe. Schwere lebensbedrohliche Krankheiten, die in den Niederlanden nicht behandelbar wären, seien von der BF weder behauptet noch belegt worden.
Aus den Länderfeststellungen ergebe sich, dass die allgemeine Lage in den Niederlanden für überstellte Asylwerber keineswegs die reale Gefahr einer gegen menschenrechtliche Bestimmungen verstoßende Behandlung erkennen lasse. Die Grundversorgung beziehungsweise die medizinische Notversorgung für Asylwerber sei jedenfalls gewährleistet.
In einer Gesamtbetrachtung habe sich daher kein Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ergeben.
Zudem hätten sich keine Hinweise ergeben, dass durch die Außerlandesbringung unzulässigerweise in das Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens eingegriffen werden würde. Die BF hätte in Österreich keine besonders intensiven familiären, sozialen oder beruflichen Beziehungen.
Es gäbe auch keine Gründe, die Durchführung der Entscheidung gemäß § 61 Abs. 3 FPG aufzuschieben.
I.7. Am 18.06.2020 stellte das BFA der BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG einen Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) amtswegig zur Seite.
I.8. Mit Schreiben vom 02.07.2020 brachte die BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde ein, mit dem der Bescheid gesamtinhaltlich wegen Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten wurden.
Moniert wurde, dass im Konsultationsverfahren nicht angeführt worden sei, dass sich der österreichische Ehemann der BF in Österreich aufhalte. Das Konsultationsverfahren sei daher grob mangelhaft, da die niederländischen Behörden eine Zuständigkeit Österreichs gemäß Art. 9 Dublin III-VO nicht habe prüfen können und humanitäre Kriterien nach Art. 8 EMRK nicht in Erwägung habe ziehen können. Zu Art. 9 Dublin III-VO wurde ausgeführt, dass der Ehemann der BF trotz Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft weiter materiell Flüchtling iSd GFK sei, da ihm der Status formell nie aberkannt worden sei.
Es seien im Verfahren keine Fragen, nach der Intensität des seit 2016 bestehenden Familienlebens gestellt worden, die emotionale Abhängigkeit und die Liebe hätten nicht glaubhaft gemacht werden können. Die BF wäre in den Niederlanden eine alleinstehende afghanische Frau, die erstmals außerhalb des Familienverbandes leben müsse. Ihre psychischen Probleme würden sich massiv verstärken.
I.9. Die Beschwerdevorlage an die zuständige Gerichtsabteilung des BVwG iSd § 16 Abs. 4 BFA-VG erfolgte am 07.07.2020.
I.10. Die BF wurde am 06.08.2020 in die Niederlande überstellt.
II. Das BVwG hat erwogen:
II.1. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in:
- den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Protokolle der Erstbefragung der BF am 27.12.2019 und der Einvernahmen vor dem BFA am 03.02.2020 (Ehemann der BF) und am 16.03.2020 (BF) sowie die Beschwerde vom 02.07.2020
- die Unterlagen des Konsultationsverfahrens
- die von der BF vorgelegten Unterlagen zu ihrer Ausbildung und zu ihrer Eheschließung
- aktenkundliche Dokumentationsquellen betreffend die Niederlande im angefochtenen Bescheid.
II.2. Feststellungen:
II.2.1. Die BF ist afghanische Staatsangehörige und volljährig. Sie besuchte in Afghanistan vier Jahre die Universität, schloss in Japan nach zwei Jahren ein Masterstudium in Informatik ab und war Abteilungsleiterin im Transportministerium in Kabul. Ferner besuchte sie Seminare für Menschenrechte und Managementseminare und war Lehrerin auf einer Privatuniversität. Sie ist seit 04.10.2019 nach afghanischer Tradition und seit 12.02.2020 standesamtlich mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet.
II.2.2. Die BF reiste am 05.12.2019 mit einem niederländischen Schengenvisum in die Niederlande ein, verbrachte zwei Nächte in Amsterdam und reiste dann mit dem Bus über Deutschland weiter nach Österreich, wo sie am 27.12.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
II.2.3. Am 08.01.2020 richtete das BFA aufgrund des VIS-Treffers sowie der Angaben der BF ein Aufnahmeersuchen an die Niederlande, die mit Schreiben vom 26.02.2020 der Aufnahme gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO ausdrücklich zustimmten.
II.2.4. Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Überstellung in die Niederlande Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe beziehungsweise einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.
II.2.5. Die BF machte keine lebensbedrohlichen gesundheitlichen Probleme geltend.
II.2.6. Die BF ist mit einem österreichischen Staatsbürger seit 04.10.2019 nach afghanischer Tradition und seit 10.02.2020 standesamtlich verheiratet. Sie lernte ihn im Jahr 2016 in Afghanistan kennen, wo sie sich öfters trafen. Danach hielten sie drei Jahre Kontakt über WhatsApp. Im Oktober 2019 reiste der nunmehrige Ehemann erneut nach Afghanistan, wo er die BF traditionell heiratete. Die BF stellte keinen Antrag auf Familienzusammenführung.
II.3. Beweiswürdigung:
II.3.1. Die Feststellungen zum Reiseweg der BF sowie zu ihren persönlichen Verhältnissen ergeben sich im Speziellen aus dem eigenen Vorbringen in Zusammenhang mit der vorliegenden Aktenlage. Die Feststellungen zum Verfahrensstand in den Niederlanden ergeben sich aus der ausdrücklichen Zustimmungserklärung der Niederlande. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF ergeben sich ebenfalls aus der Aktenlage. Diesbezüglich wurde von der BF kein Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre, den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu tangieren (siehe Punkt II. 3.3.3.). Eine die BF konkret treffende Bedrohungssituation in den Niederlanden wurde nicht substantiiert vorgebracht (siehe dazu die weiteren Ausführungen in Punkt II. 3.3.2.).
II.3.2. Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat ergibt sich aus den umfangreichen und durch ausreichend aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen der angefochtenen Bescheide, die auf alle entscheidungswesentlichen Fragen eingehen (siehe auch die Erwägungen unter II.3.3.2.). Diese wurden in der Beschwerde nicht bestritten.
II.3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
II.3.1. Gemäß § 6 Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 82/2015 (VwGVG) entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem BFA, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem BVwG gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das BFA an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl. § 75 Abs. 18 AsylG 2005 idF BGBl I 2013/144).
§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.
Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG lauten:
„§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuwiesen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzuhalten, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
…
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
…
§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
…
und in den Fällen der Z1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.
…“
§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG lautet:
„§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war.
2: das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, indem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.“
§ 61 FPG idF BGBl. I Nr. 24/2016 lautet:
„§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4 a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder
2. …
(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.
(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendendige Zeit aufzuschieben.
(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.“
Art 49 der VO 604/2013 lautet auszugsweise:
„Artikel 49
Inkrafttreten und Anwendbarkeit
Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.
Die Verordnung ist auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden und gilt ab diesem Zeitpunkt — ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung — für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern. Für einen Antrag auf internationalen Schutz, der vor diesem Datum eingereicht wird, erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach den Kriterien der Verordnung (EG) Nr. 343/2003.“
Vor dem Hintergrund, dass die Verordnung 604/2013 am 29.06.2013 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, die BF am 27.12.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz einbrachte, sowie das Aufnahmeersuchen an die Niederlande nach dem 01.01.2014 gestellt und beantwortet wurden, ist gegenständlich primär die VO 604/2013 (Dublin III-VO) anwendbar.
Gemäß Art. 3 Abs. 1 Dublin III-Verordnung prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen eines Mitgliedstaats stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.
Art. 3 Abs. 2 Dublin III-Verordnung normiert, dass sich für den Fall, dass sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen lässt, der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde für dessen Prüfung zuständig ist.
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedsstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass die Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedsstaat oder an den ersten Mitgliedsstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
Gemäß Art. 3 Abs. 3 der Dublin III-Verordnung behält jeder Mitgliedstaat das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.
In Kapitel 3 beziehungsweise den Art. 7 ff der Dublin III-VO werden die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats sowie deren Rangfolge aufgezählt.
Art. 12 Dublin III-VO lautet:
„1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (14) erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:
a)
der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;
b)
der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;
c)
bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.
(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.
Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.
(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde.“
II.3.2. Zur Frage der Unzuständigkeit Österreichs für die Durchführung des gegenständlichen Verfahrens pflichtet das BVwG dem BFA bei, dass sich aus dem festgestellten Sachverhalt die Zuständigkeit der Niederlande ergibt. Dies folgt aus den Regelungen des Art. 12 Abs. 2 iVm Abs. 4 Dublin III-VO.
Es ist allerdings eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich, auf welcher Bestimmung die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaates beruht (VfGH 27.06.2012, U 462/12); dies nunmehr unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 10.12.2013 in der Rechtssache C-394/12; Shamso Abdullahi/Österreich.
Im vorliegenden Fall gibt es für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaates als den Niederlanden keine Anhaltspunkte. Die nunmehr im Aufnahmeverfahren bekräftigte Zuständigkeit der Niederlande erweist sich materiell jedenfalls gestützt auf die vorangegangene Visumerteilung. Gegenteiliges wurde nicht vorgebracht.
Für ein Erlöschen der Zuständigkeit der Niederlande ergeben sich keine Anhaltspunkte.
In der Beschwerde wurde moniert wurde, dass im Konsultationsverfahren nicht angeführt worden sei, dass sich der österreichische Ehemann der BF in Österreich aufhalte, wodurch das Konsultationsverfahren grob mangelhaft sei, da die niederländischen Behörden eine Zuständigkeit Österreichs gemäß Art. 9 Dublin III-VO nicht habe prüfen und humanitäre Kriterien nach Art. 8 EMRK nicht habe in Erwägung ziehen können.
Dazu ist festzuhalten, dass die BF in der Erstbefragung mehrfach angab, dass sie nach Österreich gekommen sei, um bei ihrem Freund zu sein. Das BFA hatte zum Zeitpunkt der Konsultation keinen Grund für eine Annahme, dass die BF mit dem Freund nach afghanischem oder einem anderen staatlichen Recht verheiratet gewesen sein könnte. Die Konsultation erfolgte sohin aufgrund des zu dieser Zeit vorliegenden Sachverhaltes korrekt.
Im Übrigen hätte auch das Wissen um eine traditionelle Eheschließung das Ergebnis der Konsultation nicht beeinflusst.
Hat ein Antragsteller laut Art. 9 Dublin III-VO einen Familienangehörigen — ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat —, der in seiner Eigenschaft als Begünstigter internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigt ist, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun.
Laut Art. 2 lit. f Dublin III-VO bezeichnet der Ausdruck „Begünstigter internationalen Schutzes“ einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dem internationaler Schutz im Sinne von Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie 2011/95/EU zuerkannt wurde. Der Ehemann der BF war zum Zeitpunkt der Konsultation österreichischer Staatsbürger, so dass bereits aus diesem Grund Art. 9 Dublin III-VO im gegenständlichen Fall nicht heranzuziehen ist.
II.3.3. Das BFA hat von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK oder der GRC zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre:
Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zu. 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl. auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).
Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs.
Mit der Frage, ab welchem Ausmaß von festgestellten Mängeln im Asylsystem des zuständigen Mitgliedstaates der Union ein Asylwerber von einem anderen Aufenthaltsstaat nicht mehr auf die Inanspruchnahme des Rechtsschutzes durch die innerstaatlichen Gerichte im zuständigen Mitgliedstaat und letztlich den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zur Wahrnehmung seiner Rechte verwiesen werden darf, sondern vielmehr vom Aufenthaltsstaat zwingend das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (nunmehr Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO) auszuüben ist, hat sich der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 21.12.2011, C-411/10 und C-493/10, N.S./Vereinigtes Königreich, (zu vergleichbaren Bestimmungen der Dublin II-VO) befasst und, ausgehend von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in der Entscheidung vom 02.12.2008, 32733/08, K.R.S./Vereinigtes Königreich, sowie deren Präzisierung mit der Entscheidung des EGMR vom 21.01.2011, 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland, ausdrücklich ausgesprochen, dass nicht jede Verletzung eines Grundrechtes durch den zuständigen Mitgliedstaat, sondern erst systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes durch den Aufenthaltsstaat gebieten (Rn. 86). An dieser Stelle ist auch auf das damit in Einklang stehende Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 14.11.2013 in der Rechtssache C-4/11, Bundesrepublik Deutschland/Kaveh Puid zu verweisen (Rn. 36, 37).
Somit ist unionsrechtlich zu prüfen, ob im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorherrschen, und – soweit damit noch notwendig und vereinbar - aus menschenrechtlichen Erwägungen, ob die BF im Falle der Zurückweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz und ihrer Außerlandesbringung in die Niederlande gemäß §§ 5 AsylG und 61 FPG - unter Bezugnahme auf ihre persönliche Situation - in ihren Rechten gemäß Art. 3 und/oder 8 EMRK verletzt werden würde, wobei der Maßstab des "real risk" anzulegen ist, wie ihn EGMR und VfGH auslegen.
Im Einzelnen war unter diesen Prämissen wie folgt zu erwägen:
II.3.3.1. Mögliche Verletzung des Art. 7 GRC beziehungsweise des Art. 8 EMRK:
Die BF lernte ihren Mann im Jahr 2016 kennen, als dieser sich vorübergehend in Afghanistan aufhielt. Die BF gab vor dem BFA an, dass sie den nunmehrigen Ehemann erst habe „kennenlernen, die Familie um Erlaubnis fragen und die Hochzeit habe organisieren müssen“, die letztlich erst im Oktober 2019 stattfand. Im Zusammenhang mit den Traditionen und gesellschaftlichen Normen in Afghanistan scheint im gegenständlichen Fall auch die Möglichkeit einer Hochzeit an sich längere Zeit nicht geklärt gewesen zu sein. Nach der traditionellen Eheschließung wurden weder Schritte zur Registrierung der Ehe noch zur Familienzusammenführung gesetzt. Die BF gab an, wenn sie in Afghanistan nicht bedroht gewesen wäre, wäre sie nach dem Aufenthalt in den Niederlanden wieder nach Hause gefahren, um eine Antrag auf Familienzusammenführung zu stellen. Das Bestehen eines besonders intensiven Familienlebens kann auch unter Miteinbeziehung der in der Beschwerde betonten tieferen Gefühle nicht erkannt werden.
Die BF gab an, psychische Problem zu haben, was dazu führen würde, dass sie bei einer Überstellung „ihre Fähigkeiten verlöre“. Da dies weder näher ausgeführt noch in irgendeiner Weise belegt wurde, konnte nicht von einer bestehenden oder sich verschlechternden wesentlichen Beeinträchtigung der BF ausgegangen werden. Die BF zeichnete in der Befragung das Bild einer für afghanische Verhältnisse über alle Maßen selbstbestimmten und selbständigen Frau, der Ehemann bestätigte dies in eindrucksvoller Weise. Die BF war Abteilungsleiterin in einem Ministerium, hat mehrere Auslandsaufenthalte hinter sich, darunter ein zweijähriges Masterstudium in Japan. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass sie sich in den Niederlanden nicht allein zurechtfinden würde, insbesondere, da sie Unterstützung von den niederländischen Behörden erhält. Eine besondere Abhängigkeit vom Ehemann ist aufgrund des Vorlebens der BF, der kurzen Aufenthaltsdauer und mangelnder Darlegung der Gründe weshalb bei einer derart selbständigen Frau dennoch nunmehr eine Abhängigkeit vom Ehemann bestehen sollte, nicht zu erkennen.
Der BF steht es offen, in den Niederlanden einen Antrag auf Familienzusammenführung zu stellen.
Ansonsten hat die BF keine sozialen oder beruflichen Bindungen zu Österreich an. Dass sie sich integriert hätte ist trotz Deutschkurs aufgrund der Aufenthaltsdauer von etwa neun Monaten nicht anzunehmen.
Es kann daher nicht von einem so schwerwiegenden Eingriff in das Privat- und Familienleben der BF ausgegangen werden, dass er einen unzulässigen Eingriff in Art. 8 EMRK darstellt.
Folglich berührte die Überstellung der BF in die Niederlande weder Art. 16 VO 604/2013, noch stellte sie einen unzulässigen Eingriff in die durch Art. 8 EMRK verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens dar.
II.3.3.2. Kritik am niederländischen Asylwesen/der Situation in den Niederlanden:
Relevant wären im vorliegenden Zusammenhang schon bei einer Grobprüfung erkennbare grundsätzliche schwerwiegende Defizite im Asylverfahren des zuständigen Mitgliedstaates (also etwa: grundsätzliche Ablehnung aller Asylanträge oder solcher bestimmter Staatsangehöriger oder Angehöriger bestimmter Ethnien; kein Schutz vor Verfolgung "Dritter", kein Rechtsmittelverfahren).
Solche Mängel (die bei einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht vorausgesetzt werden können, sondern zunächst einmal mit einer aktuellen individualisierten Darlegung des Antragstellers plausibel zu machen sind, dies im Sinne der Regelung des § 5 Abs. 3 AsylG) sind schon auf Basis der Feststellungen des BFA nicht erkennbar und wurden auch in der Beschwerde nicht vorgebracht.
Das Asyl- und Refoulementschutzverfahren in den Niederlanden und die Situation von Asylwerbern dort geben somit auch unter Berücksichtigung der mangelnden Beschwerdeausführungen keinen Anlass, ein „real risk“ einer Verletzung von Art. 3 EMRK zu befürchten. Wesentlich erscheint schließlich auch, dass seitens der Europäischen Kommission gegen die Niederlande kein Vertragsverletzungsverfahren wegen Missachtung der Status-, Verfahrens- oder Aufnahmerichtlinie eingeleitet wurde und es daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht erkennbar ist, dass die BF im Fall einer Rücküberstellung in die Niederlande Gefahr liefe, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ihren durch Art. 3 EMRK geschützten Rechten verletzt zu werden.
Jedenfalls hätte die BF noch die Möglichkeit, etwaige konkret drohende oder eingetretene Verletzungen in ihren Rechten, etwa durch eine unmenschliche Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK, bei den zuständigen Behörden in den Niederlanden und letztlich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, insbesondere auch durch Beantragung einer vorläufigen Maßnahme gemäß Art. 39 EGMR-VerfO, geltend zu machen.
II.3.3.3. Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in den Niederlanden
Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung in die Niederlande nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin III-VO zwingend auszuüben wäre: In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die relevante Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).
Zusammenfassend führte der VfGH aus, dass sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat beziehungsweise in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).
Rechtsprechung des EGMR (N vs UK, 27.05.2008) und Literaturmeinungen (Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die Aufnahmerichtlinie umzusetzen und sohin jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung vorliegt.
Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.
Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art. 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde (siehe Feststellungen des Innenausschusses zu § 30 AsylG in der Stammfassung); dabei sind die von den Asylinstanzen festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Reisefähigkeit" handelt.
Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK- Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.
Die BF führte keine konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen an und legte keine geeigneten Belege vor. Vom Vorliegen einer bedrohlichen Erkrankung war daher nicht auszugehen. Bei der BF handelt es sich um eine junge, gesunde Frau, die keiner Risikogruppe im Hinblick auf COVID-19 angehört. Die Behandlungsmöglichkeiten in den Niederlanden entsprechen denen in Österreich, eine besonders verschärfte Situation der Niederländer im europäischen Vergleich lag nicht vor und wurde auch nicht behauptet. Eine medizinische Grundversorgung ist nach den Länderfeststellungen gewährleistet.
II.3.4. Das BVwG gelangt daher insgesamt zu dem Ergebnis, dass in den vorliegenden Fällen keine Verletzung von Bestimmungen der GRC oder der EMRK zu befürchten ist. Daher bestand auch keine Veranlassung, von dem in Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung vorgesehenen Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen und eine inhaltliche Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz vorzunehmen.
II.4.1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG lagen zu keinem Zeitpunkt des gegenständlichen Verfahrens vor.
II.4.2. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Die BF hat auch nicht dargelegt, welche Ausführungen sie in einer mündlichen Verhandlung hätten treffen wollen, die ein anderes Verfahrensergebnis bewirken hätten können.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die